Schwere Geburt

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Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein leiser Seufzer seiner Gemahlin ließ ihn aufblicken von der königlichen Bulle, die er gerade siegelte. Das sonst so liebliche Rosenrot ihrer Wangen war einer wächsernen Blässe gewichen. Der Stickrahmen war ihren zitternden Fingern entglitten, unruhig strichen sie über den prall gewölbten Leib. Der Schrecken riss ihn in die Höhe, dass er seinen Sessel hinter sich warf, als er um seinen königlichen Schreibtisch stürmte.
"Rosenmäulchen! Mausezähnchen!"
So pflegte er sie zu nennen seit jener seligen Stunde, in der die sanft zum Kusse sich öffnenden Lippen ihm den Perlmuttglanz offenbart hatten, ehe sie ihn mit zartem Druck zum Prinzgemahl stempelten.
"Was ist dir, Blume meines Herzens?"
Die Sorge lieh seinen Schritten Flügel, als er das königliche Gemach durchquerte, um seiner Angetrauten in dem Fensteralkoven, wo sie ihren Handarbeiten nachzugehen pflegte, beizustehen.
"Ach, mein Hupferl!"
(Auch dieser Kosename ist besagter seligen Stunde entsprungen, doch gebietet des Chronisten Diskretion, über nähere Umstände zu schweigen)
Schauder fuhr wie ein Krampf durch ihren Körper und sie stöhnte leise. "Ach Hupferl," , wiederholte sie. "Wie es scheint, ist meine Stunde gekommen. Der Samen, den du einst ihn mir versenkt hast, er drängt hervor, will ins Leben - ins Licht!"
Die letzten Worte schrie sie fast, ihre schlanken Finger krallten sich um die Löwenköpfe der Armlehnen.
Was fuhren ihm diese Worte in die Glieder! Fast wäre er vor ihren Füßen zu Boden gesunken. Mit gewaltigem Willen gelang es ihm, seiner Schwäche Herr zu werden und seinem rasenden Lauf eine Wendung zu den hohen Türen des Gemaches zu geben, dahinter der getreue Kammerdiener die gnädigen Befehle der Majestäten erwartete. Ohne jede Rücksicht auf seine königliche Würde - was aber in solcher Stunde gewiss verzeihlich ist - riss er die Türen auf und schrie dem verdutzten Bediensteten ins Gesicht: "Holt die weisen Frauen! Die Königin kommt nieder!"
Dieser riss Mund und Augen auf, erstarrte einen Moment, um dann, mit einer Hand die Perücke sichernd und wehenden Rockschößen, den Gang hinunter zu eilen, indem er eines ums andere Mal rief: " Holt die weisen Frauen! Die Königin kommt nieder! "
So hüpfte der Ruf aus einem Mund ins andere Ohr, nur um von der anverwandten Kehle gleich weiter geschleudert zu werden, so dass alsbald das ganze Schloss widerhallte.

Die eifrige Deklamation blieb denn auch nicht lange ohne Wirkung. Noch rang der König vor den geöffneten Türen des herrschaftlichen Gemaches mit seiner Fassung, als sich drei weise Weiber näherten, mit gerade so eiligen Schritten, dass sie die Würde nicht verlören, die ihnen ihre eminente Aufgabe verschaffte. Ohne das geringste Zeichen einer Ehrerbietung hasteten sie am König vorbei und schlugen vor seiner Nase unter Missachtung ihrer Majestät die Türen zu. Aber was kümmerte den König in dieser Stunde seiner Nase Majestät! Wie ein neugieriger Knabe presste er sein Ohr an die schwere Eichenpforte, dass ihm kein Laut entginge. Vergebens, nicht ein Ton drang heraus. Vermeinte er doch etwas zu vernehmen, war es stets nur ein Kleiderrascheln oder Hüsteln von den Umstehenden, hatte sich nämlich dieweil die gesamte Bewohnerschaft des Schlosses hier versammelt.

Plötzlich flohen die Bohlen sein innig lauschendes Ohr, fast wäre er in die alte Vettel getaumelt, die den Kopf durch den Spalt steckte. Mit Fistelstimme krähte sie den Versammelten ein "Holt Tücher! Bringt Wasser!" entgegen, ehe sie den verdutzten König von sich schob und den Flügel wieder ins Schloss drückte. Als habe sie ein Starkrampf befallen ob solch ungeheuerlichem Verlangen, stand nun die ganze Gesellschaft stumm und reglos, bis sich ihr oberster Dienstherr auf sein erheiratetes Herrscherrecht besann. Zur ganzen Größe aufgerichtet, donnerte er: "Holt Tücher! Bringt Wasser! Eilt meine Getreuen, lauft ihr faules Gesindel! Für jeden Eimer und jedes Laken gebe ich einen Dukaten! Eine Wohnstatt im Loch erhält, wer mir Maulaffen bietet!"

Unter lautem Geschrei stob das Gesinde davon, um alsbald mit Körben voller Laken, ganzen Leinenballen und Kübeln und Eimern, bis zum Rande mit klarem Brunnenwasser gefüllt, zurückzukehren. Der König nahm all seinen Mut zusammen und pochte zaghaft an die Pforte. Kaum war der Ton verklungen, als sich die Türe einen Fuß breit öffnete, ein Arm erschien und mit dem ersten Eimer wieder verschwand, nur um abermals zu erscheinen und einer Kammerfrau das bereit gehaltene Lakenbündel zu entreißen. Vergebens mühte sich der König, einen Blick in das Gemach zu erhaschen, während der gesamte Hofstaat sein Scherflein in nämlicher Weise ablieferte. Endlich war der letzte Kübel gereicht und flugs klappte es wieder zu.

Erneut harrte man. Mägde rangen mitfühlend die Hände, Torwächter und Stallburschen flüsterten einander verlegen ihre Erwartungen ins Ohr. Der König schritt unruhig auf und ab. Kein Laut drang zu den ergeben Wartenden hinaus. So vertieft ins Warten waren sie, dass sie den Lichtschein, der aus dem Kreißsaal drang, wohl übersehen hätten, wäre nicht der wild zerzauste Schopf einer weisen Frau wie ein Springteufelchen darin erschienen.
"Zuber!"
Das Wort spritzte durch ihre Zahnlücken und traf den König geradewegs im Rücken. Er fuhr herum und stierte mit unverständigem Blick auf die Erscheinung, die ungeduldig die weißen Strähnen schüttelte: "Den königlichen Badezuber! Bringt den Zuber!"
Womit die Erscheinung wieder verschwand. Noch kämpfte der König mit seiner Verwunderung, was wohl sein Rosenmäulchen bewegen mochte, zu solcher Stunde ein Bad zu nehmen, da schleppten bereits vier kräftige Burschen das Bademöbel herbei. Der Hofmarschall, der es schon lange aufgegeben, sich in Frauendingen zu wundern, hatte sie beordert. Bei diesem Anblick gab seine Majestät auch gleich das Wundern wieder auf und eilte sich, die Ankunft des Gerätes mit starkem Klopfen kund zu tun. Zwar öffneten sich jetzt beide Flügel weit, dennoch blieb ihm auch diesmal der Einblick verwehrt, musste er doch den Trägern weichen, deren breite Rücken weitere Einsicht verhinderten. Kaum hatten sie passiert, schlossen sich die Türen. Gerade solange, als er den Atem anhalten konnte, blieben sie darinnen, dann schlüpften sie, einer nach dem anderen, wieder heraus, ein jeder sichtlich erleichtert, den Hexen entronnen zu sein.

Abermals hob das Warten an. Nur der König hatte jetzt einen Zeitvertreib: mit bohrenden Fragen nach Erspähtem und Erlauschtem piesackte er die glücklich Entkommenen, dass sich wohl mancher bald wünschte, er wäre den Hexen zum Trotz im Gemach geblieben. Indessen schaffte dem König all sein Bohren und Drängen keine neue Erkenntnis. Beharrten doch alle vier darauf, dass die königliche Liegestatt vollständig mit Laken verhängt gewesen sei. Bei Ihrem Augenlicht und dem Leben ihrer Mütter schworen sie, nicht einen Schemen erkannt zu haben und nicht ein Laut sei hinter den Tüchern hervor gedrungen. Endlich hatte der König ein Einsehen in die Vergeblichkeit seiner Inquisition und nahm seine Wanderung - zehn Schritte nach rechts, eine Kehrtwendung, zehn Schritte nach links, Kehrtwendung - wieder auf.

Stunde um Stunde verging, längst hatten sich die Küchenjungen auf den Boden gekauert und selbst die Hofdamen lehnten sich heimlich an die Wände, um ihre müden Beine auszuruhen. Nur der König schritt unermüdlich mit grimmigem Gesicht und am Rücken gekreuzten Händen auf und ab. Von Zeit zu Zeit sandte er einen bohrenden Blick zu den Wannenträgern, als hoffte er, ihnen doch noch ein ungestandenes Geheimnis entreißen zu können.

Da, endlich!
Mit feierlicher Langsamkeit schwangen die Flügel auf. Dahinter die vordem noch so respektlosen Vetteln in tiefem Hofknicks versunken, aus dem sie hernach von eigener Kraft wohl kaum ihre aufrechte Haltung wieder gefunden haben. Der König aber hatte für dergleichen untertänige Akrobatik keinen Blick.
"Rosenmäulchen! Quell meines Glücks!"
Koseworte stammelnd eilte er zur Bettstatt, wo die im Mutterglück strahlende Gemahlin hoch aufgerichtet in den Kissen ruhte. Ihre Wangen erglühten sanft, als ihr Liebster so ungestüm vor dem ganzen Hofstaat sein Herz ausbreitete.
"Mutter meines Stammes,", flüsterte er und sank vor ihr auf die Knie. Andächtig griff er die dargebotene Hand und küsste sie ehrfurchtsvoll. Die Königin errötete noch tiefer und bedeutete ihm, sich zu ihr zu setzen, denn sie litt solche Unterwürfigkeit ihres Gatten nicht.
"Sag, Herzkönigin, ist es ein Stammhalter? Oder ein Mägdelein, eine liebliche Prinzessin?"
"Von jedem wird wohl etwas dabei sein,", antwortete sie lächelnd.
"Zwillinge!" Der König wusste sein Glück nicht zu fassen.
"Es sind freilich ein paar mehr." Verschmitzt blitzten ihre Augen.
Erschrocken drückte er ihre Hand, seine Augen forschten in ihrem Gesicht. "Du bist wohlauf, Licht meines Lebens?"
"Sei unbesorgt, mein Hupferl." Mit einem silberhellen Lachen strich sie ihm die Sorgenfalten von der Stirn. "Sie sind so klein, es ging fast von allein."
"So klein? Kränklich, schwächlich?" Entsetzt sprang er auf. Seine Augen irrten durch das Gemach, suchten die Krippe.
Sanfte Arme zogen ihn wieder herab: "Putzmunter sind sie und springlebendig! Sieh doch selbst!"
Mit diesen Worten deutete sie auf die Wanne, die, vom König bislang unbeachtet, nur ein Weniges neben dem Bette stand. Und während er sich staunend über die Wanne beugte, darin sich Hunderte von Kaulquappen im klarem Wasser tummelten, plapperte sie, vom Mutterglück beseligt, fort: "Nicht wahr, mein Springinsherz, wir werden Ihnen einen schönen Brunnen als Kinderstube bauen?"
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
au backe!

und jeder dachte, mit dem kuss sei der froschkönig völlig erlöst worden . . .
eine hinreißende geschichte!
lg
 
Haha!

Au weia! Ist das gemein :)

Ich liebe Märchen und Du hast mit dieser Geschichte absolut meine Saite getroffen!
Schon beim ersten Absatz habe ich mich vor Lachen geschüttelt, weil Dein Stil so herrlich übertrieben altmodisch ist (Ich hoffe, dass ist Absicht?!).

Und das springlebendige Ende ist einfach klassisch! - Sollte in eine "Best-of-Moderne-Märchen-Kollektion".

Daumen nach oben.

Liebe Grüße,
Jenni
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hallo Rumpelst.,

derart schwarzen Humor habe ich lange nicht gelesen, vor allem nicht in diesem Forum! Köstlicher Text, die altertümelnde Sprache ist gekonnt gehandhabt. Allerdings könnte man sie tatsächlich noch ein Stück weiter auf die Spitze treiben. Z.B.

"Wie es scheint, ist meine Stunde gekommen. Der Samen, den du einst ihn mir versenkt hast, er drängt hervor, will ins Leben - ins Licht!"

Vorschlag: Es scheint, meine Stunde sei gekommen. Der Same, den du einst ihn mich versenkt, er drängt, er drängt hervor und will ins Leben - ins Licht!"

Liebe Grüße

P.
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Uiii, so viele Komplimente!

Krieg ich glatt einen Frosch im Hals.
Als ob ich nicht genug davon im Kopf hätte!
Seit Wochen geht das so: Immer wenn ich eine Geschichte ausspucke, wird beim Aufschlag auf die Tastatur so ein Hüpfer daraus.
Was bleibt mir, als sie auszusetzen?
Es ist ein Fluch.

@Penelopeia: Drei Wochen habe ich das Vieh nicht angeschaut, heute sehe ich schon ein paar Warzen. Hast mir auch eine gezeigt. Jetzt warte ich noch ein halbes Jahr, bis ich ganz rausgewachsen bin, dann wird die Kröte entwarzioniert und glatt poliert.

Schlug sich auf den Schenkelmuskelstrang, hast Du gesehen, wie er sprang?
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also,

das wort entwarzioniert muss unbedingt noch rein in die geschichte. da sprang sogar mein schenkelstrang.
lg
 



 
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