Schwierigkeiten beim schließen eines Fensters

NDQ

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Wie schließe ich ein Fenster


Kraftlos dringt mein Atem durch meinen geöffneten Mund. Warmer Speichel sammelt sich gemächlich in meinen Ohren und fängt an, jene zu reizen. Spastisch krampfen sich meine Gesichtsmuskeln zusammen um diesem unangenehmen Gefühl entgegen zu wirken. Ich öffne meine müden Augen und Blicke an die Decke. Es ist dunkel. Leise strömt der Atmen aus meiner Nase, breitet sich über meinen Lippen aus. Es herrscht völlige Stille, nicht ein Ton durchdringt die Nacht in diesem Raum. Die Bettdecke, in die ich mich eingewickelt habe spendet mir und meinem ruhenden Körper angenehme Wärme. Ich bin komplett entspannt, fühle mich als läge ich in einer Badewanne, lasse meinen Geist dahingleiten. Hindurch durch meinen Halbschlaf.
Doch plötzlich höre ich etwas. Es ist so leise, fast nicht wahrzunehmen, aber ich höre es. Ein leises Summen. Ein Summen verursacht von einer Fliege.
Ich reiße vor Schock meine Augen auf, meine Atmung beschleunigt sich. Ich höre sie. Ich höre ihn.
Ich höre Bob. Doch genauso plötzlich wie das Summen anfing, genauso hört es auch wieder auf. Und Bob knallt mit Schwung an die Scheibe.
Aufgeregt bewegen sich meine Augen hin und her, als er wieder und wieder den Versuch startet in die Freiheit zu gelangen und ich bemerke, dass ich gelähmt bin.
Das kann nicht sein, ich befinde mich wieder in diesem Albtraum. Ich kann mich nicht bewegen. Ich kann mich nicht bewegen, nicht eine einzige Faser meiner Muskeln. Nein, bitte nicht.

Mit dicken Schweißperlen auf der Stirn schnelle ich nach oben, reiße meine Augen auf, die Hände zittern. Mein ganzer Körper zittert, er bebt förmlich. Helles Morgenlicht blendet mich und ich stelle fest, alles war nur ein Traum. Ein fürchterlicher Albtraum. Er verfolgt mich nun schon seit ich im Krankenhaus aufgewacht bin, vor einem halben Jahr. Es hört nicht auf.
Meine Bettdecke ist klitschnass! Nein... Gott sei Dank, es ist nur Schweiß. Angstschweiß, hochkonzentriert. Nach ein paar Minuten, fasse ich mich wieder. Ich versuche mich zu beruhigen, warte bis sich der Puls wieder senkt. Ich fahre mir mit der Hand durch mein nasses Gesicht und stehe auf. Gemächlich humple ich zum Fenster und öffne es, spüre eine sanfte Brise die mir zärtlich um meinen verwirrten Kopf weht. Ich rieche den Schnee, der über die Nacht gefallen ist und sehe den Blauen, wolkenlosen Himmel und die Sonne, die ohne Zweifel einen wunderschönen Tag ankündigt. Endlich kann ich wieder klar denken. Erleichtert atme ich aus, begleitet von einer Dunstwolke die aus meinem Mund tritt. Ich lasse das Fenster offen, um ein bisschen durch zu lüften und gehe ins Bad. Gemächlich, mein rechtes Bein lässt seit meinem Sturz keine schnellere Bewegung mehr zu. Nach dem ich mich aufgefrischt habe mache ich mir Tee. Schwarztee.
Ich hole mir aus einer Schublade in der Küche meine Medizin. Sie befindet sich in einem Orangefarbenen Schächtelchen, mit jeweils drei Fächern für jede Tageszeit.
Morgens nehme ich immer zwei blaue, erbsengroße Tabletten äeine längliche weiße und eine längliche rote. Zu beachten ist dabei, dass ich eine Stunde lang nach der roten keine Milch trinke die einen höheren Fettgehalt aufweist als 0,5%, da sich der Wirkstoff in dem Fett löst und schlechter, oder gar nicht wirkt. Ich spüle sie mit einem Glas Wasser nach einander runter, und esse zwei Scheiben Brot. Ohne Butter.
Für Mittags sind noch einmal zwei blaue vorgesehen und zwei rot-gelbe Pillen. Jene sollte ich aber erst nach einer Mahlzeit zu mir nehmen, da ich sonst Sodbrennen bekomme. Schmerzhaftes Sodbrennen.
Abends sieht es dann richtig bunt aus: einmal Blau, erbsengroß; zweimal gelb, sehen eher aus wie Linsen; eine rot-weiße, längliche Form. Viele bunte Smarties.
Für die Nacht, also nicht später als Zehn Uhr, aber zwei Stunden nach der letzten Mahlzeit, da gibt es dann nochmal eine gelbe Linse und eine rot-weiße. Und meine Leber tanzt vor Freude Samba. -Ah shit-, denke ich mir während ich auf die Uhr schaue. Es ist kurz vor halb Elf.
-Ich muss noch einkaufen vor der Dialyse-
Ich binde mir unter großer Mühe meine Schuhe, da meine rechte Hand äußerst kompliziert gebrochen war, habe ich bei solchen feinmechanischen Sachen eher Probleme. Also stricken werde ich mein Leben lang nicht mehr können. Und Uhrenmacher werde ich auch keiner mehr.
Ich schnappe mir meine Krücken, schließe die Haustür hinter mir, und mach mich auf den Weg durch den Schnee. Ich gehe bei der Einfahrt zur Garage meines Nachbars vorbei, einem 90 jährigen, und bekomme einen halben Schock, als er mit seinem fetten Mercedes heraus schießt. Hastig und ungelenk, springe ich zur Seite um nicht bei ihm im Radkasten eingeklemmt zu werden und lande auf dem kalten, eisigen Boden. Das Auto bleibt stehen.
Die Tür des schwarzen Schlachtschiffs öffnet sich und ein Gehstock steigt aus. An ihm hängt der alte Sack, der sich behäbig und unter hohem Kraftaufwand aus dem Sitz stemmt. Schwer atmend schafft er es aber und steht mit aufgerissenen Augen vor mir. Ein paar weiße Strähnen hängen ihm vom eigentlich dünn bewachsenen Schädel ins Gesicht und unterstreichen seinen dummen Gesichtsausdruck.
„Mensch Junge...“ sagt er heiser. Ich liege immer noch am Boden.
„Ich hab dich gar nicht gesehen“
„Schon okay, ist ja nichts passiert“, sage ich und versuche aufzustehen. Jeder Knochen in mir macht sich bemerkbar und ich lache ihm ins Gesicht. Er kommt auf mich zu.
„Ich würd dir gerne hoch helfen, aber ich bück mich so schlecht“
„Schon in Ordnung“, sage ich und winke beschwichtigend. Irgendwie habe ich mir etwas verstaucht, aber das macht nichts. Ich stütze mich in eine meiner Krücken, zitternd und bemüht, und stehe vor ihm. Dein Kreuz tut weh? Mieser alter Penner, hättest mich fast über den Haufen gefahren.
„Ist ja niemandem etwas passiert“, muntere ich ihn auf. Verdammter Idiot, ein alter VW Käfer wäre dir zu Groß! Fährt seinen großen, fetten, schwarzen, alten Mercedes. Fick dich und dein Auto. Dich und deinen kaputten Rücken!
„Soll ich dich ein Stück mit nehmen?“, fragte er mich, während er seinen zitternden Schädel zur Seite legt.
„Nein nein“, sage ich und stemme mich in meine Krücken.
„Ach was“. Er macht eine seltsame Bewegung, als wolle er jemandem winken und verzieht gleichzeitig sein Gesicht.
„Wo musst du den hin?“
Beim ersten Schritt den ich machen will stelle ich fest, das ich eigentlich doch lieber gefahren werden möchte. Mein Bein zwickt schon ein bisschen.
Ich willige ein und setze mich in den alten, aber gepflegten Ledersitz und vernehme auch gleich den muffigen Geruch alter Leute. Fast nicht mehr hörbar, läuft ein alter Schlager im Radio, tralala.
„Ist dir nicht kalt?“, fragt er mich und deutet auf das offene Fenster der Beifahrerseite.
Ich schüttele den Kopf: „Ich fühl mich wohler, wenn es offen ist. Ist so n Fimmel den ich hab“.
„Ich habe das Fenster offen gelassen, heute Nacht“.
Ich nicke nachdenklich. „Aha“, sage ich ausgedehnt.
„Ja, denn mir hat er auf die Rückbank gespien. Drauf gekotzt hat er.“
Er nickte auch, langsam und nachdenklich. Und er hob den Finger.
„Der ist so ein Saubär der Lehmann. Kotzt mir auf die Rückbank.“
Er blickt mich mit ernstem Blick an.
„Das hat er schon mal gemacht, der Herr Lehmann!“
„Ach Ja?“
„Ja“
„Aha“
„Ich habs ihm schon so oft gesagt, das gehört sich nicht!“
„Ach Gott, war er betrunken?“
„Nein nein, ich... verstehst du nicht? Der Lehmann, dem wird schnell schlecht, hat Probleme mit dem Magen...“
Ich atme tief ein und schaue verwirrt durch mein offenes Fenster und spüre wie es kälter wird.
„Ich... Er kriegt da so Tabletten, aber...“
„Er hat vergessen sie zu nehmen, oder ?“, ich presse die Lippen zusammen und schaue ihn betroffen an.
„Genau genau, genau. Ich wollte das nicht. Ich meine das kann man ja mal vergessen...aber dann kotzt der mir auf den Sitz, das schöne Leder. Ich konnte es dann aufputzen. Gut er hat zwar das meiste selber wieder gegessen und das Leder sauber geleckt...“
Was?! Was zum Teufel höre ich mir da gerade an!? Ich bin entsetzt!
„Wie... wie...? Er hat das Leder...? Er hat es sauber geleckt?“
„Ja, und ich sagte die ganze zeit, Herr Lehmann, das macht man nicht! Und dann hat er mich auch noch gebissen! Ich...!
Er schüttelt den Kopf
„Er hat dich gebissen?“
„Ja, als ich ihn heraus nehmen wollte! Und... Ich weiß nicht, aber es ist doch ganz schön kalt, könntest du...?
„Aber ja, natürlich“, sage ich und versuche das Fenster hochzukurbeln. Doch es klemmt, wahrscheinlich gefroren.
„Ja auf jeden Fall hat er dann angefangen zu bellen, der Herr Lehmann und...“
„Er hat angefangen zu bellen“, frage ich ungläubig, während ich versuche das gefrorene Fenster zu schließen.
„Ja, der war richtig wütend der Lehmann, vor allem als ich ihn unter den Arm nahm....“
„Herr Lehmann ist dein Hund?“, ich schaue ihn fragend an, beide Hände an der Kurbel.
„Ja! Ja, Ja wer...? Wer sollte es sonst sein?. Ich mag keine Katzen und...“
Dieser alte Mann neben mir, er blickt fragend nach vorn und ich... Klack macht es. Und ich halte die abgerissene Kurbel in meiner Hand. Das Fenster ist immer noch offen. Und ich weiß nun wer Herr Lehmann ist. Ich werfe schnell dieses Hartplastikteil aus dem Auto und freue mich, dass er es nicht gemerkt hat.
„Herr Lehmann“, flüstert er leise in sich hinein, die Kälte interessiert ihn nicht mehr.
„Ich wollte es nicht“, sagt er mit leiser Stimme, „war wütend, aber das hatte er nicht verdient“.
Oh mein Gott, was ist mit dem los?
„Was hat er nicht verdient?“
Er streckt schlagartig sein Gesicht zu mir inklusive grauer Strähnen und roten Augen.
„Ich habe ihn getötet, er ist weg! Und ich wars, ich hab ihn umgebracht. Genau wie Wilma!“.
Was Wilma, deine Frau? Hat er seine Frau umgebracht? Ich bin zu einer Statue versteinert und glaube nicht richtig zu hören!
„Ich und mein Jähzorn...“
„Wie...?
„Ich packte ihn und hielt ihn zwischen Tür und Auto...“
„...du Hast..?“
„Ich hab die Tür auf und zu geschlagen, vier, fünfmal...“
„Und was war mit deiner...“
„Ich habs auch gleich bereut, er zuckte so und...“
„Und was ist mit deiner Frau? Was ist mit Wilma?
„Wieso? Die ist leider auch tot! Ich bin allein!“
„Und du hast sie umgebracht?“
Er schaut mich entsetzt an
„Was? Nein! Ein Tumor in ihrem Pankreas hat sie dahingerafft.“
Ich atme durch, dann ist ja alles gut. Na ja, klingt jetzt echt irgendwie scheiße, aber wenigstens ist der alte kein Mörder. Und was ist Pankreas?
„Ich hätte ihr nie etwas antun können, meiner Frau, sie war immer gut zu ihrer kleinen Muschi...“
Ich höre jetzt nicht mehr zu, ich kann es nicht mehr ertragen! Ich hoffe nur, dass er gerade von der Katze dieser Frau spricht. Ich höre ihn nicht mehr, lass ihn einfach reden. Er stammelt auch nur noch vor sich hin. Ich sehe am Straßenrand ein paar Kinder, die sich eine Schneeballschlacht von einer Seite zur anderen liefern, während ich von meinem Fahrer nur die Worte Lehman, Herr Lehmann und Wilma vernehme.
„Herr Lehmann“, flüstert er in sich gekehrt.
Ein Junge bekommt einen Schneeball ins Gesicht geklatscht und beginnt herzhaft zu weinen. Die anderen lachen ihn aus.
„Wilma. Lehmann“. Ich betrachte ihn und frage mich, ob ich wohl auch einmal so sein werde, alt und seltsam.
„Wilma“,sagt er leise. Plötzlich erschrecke ich und bekomme mit voller Wucht eine Kugel aus gefrorenem Wasser an den Schädel! Diese kleinen...! Ich fasse mir an den Kopf und spüre wie mir kalter Schnee in den Kragen läuft.
„Hey, ihr kleinen...“ Ach leck mich, hätte ich doch nur dieses Fenster geschlossen.
Das trauernde Wrack lässt mich am Supermarkt aussteigen, immer noch geistig abwesend und fährt weiter.

Wie bekomme ich nur dieses Fenster zu? Ich liege hier, die Kälte zieht herein und es fängt immer stärker an zu schneien. Hätte ich es nur nicht Aufgemacht! Die Fliesen unter mir, entziehen mir nach und nach die Wärme, viel länger halte ich es nicht mehr aus. Wo bin ich überhaupt, was mach ich hier? Warum kann ich mich nicht bewegen? Ich muss längere Zeit ohnmächtig gewesen sein, denn in meinem Bart hängt schon der Frost. Wird dieser Albtraum nie enden? Ich schaue durch das Fenster und blicke in die Dunkelheit der Nacht. Friedlich funkeln die Sterne am Himmel, auf diese Erde herunter, auf mich, durch dieses Fenster.

Nach dem ich meinen Einkauf getätigt habe, humple ich Frohen Mutes über den Parkplatz, die Gedanken, bei den leckeren Sachen die ich gekauft habe. Dieses Rindersteak, 500 Gramm! Das wird mir heute den Abend versüßen!
Ich laufe an einem Passanten vorbei und denke mir nichts dabei, bis jener sich umdreht und mir freudig hinterher schreit.
„Hey, bist es du?“
Ich drehe mich um und erblicke einen Abgehalfterten Mann, zerzauste Harre, zerzauster Bart, mir nicht unähnlich. Abgesehen, von seinen gelben Zähnen, die er mir lächelnd entgegenstreckt, als wäre er stolz auf sie.
„Kommt drauf an“, antworte ich unbeeindruckt.
„Das glaub ich jetzt nicht!“, meint er überglücklich. Doch ich erkenne diesen Mann und seine schlechten Zähne. Ich zeige auf ihn.
„Alfred?“
„Leibhaftig“
„Lang nicht mehr gesehen, was hast du so getrieben?“
„Ich war, im Knast…“
„Ach scheiße, klar, du hast doch den Türken zusammengeschlagen!“
„Ja, der ist jetzt auf einem Auge Blind und lispelt“, sagte er und lacht auf eine nette schelmische Art, als würde ein kleiner Junge erzählen, wie er seiner Schwester Juckpulver in den Kragen geschüttet hat.
„Genau, dieser…Machmut, oder so!
„Mehmet hieß der. Mehmet Püskürlü“
„Genau, wir nannten ihn früher Pisse!“
„Ja genau, Pisse! Dass hätte er wahrscheinlich auch nicht gedacht!“
„Was, das du ihn ins Krankenhaus bringst?“
„Ja klar, so wie sich dieser Kanake verhalten hatte!“
Sagt er, Alfred, das größte Arsch, den ich während meiner Schulzeit kennen gelernt habe! Einen IQ einer Fliege, die sich aus einem Glas Bier hatte retten können, hatte er vielleicht. Ich weis noch genau, wie sich Alfred und sein jetziger, osmanischer Erzfeind gegen mich verbündet hatten und mich auf der Schultoilette eingesperrt haben.
„Wieso, was hat er gemacht?“
„Ach, du weist schon! Wie es halt so läuft! Er hat meine Schnalle angegraben, so ein dürres Flittchen, du kennst sie bestimmt!“
Ich kenne dieses Flittchen, dieses dürre! Mir stellt es eine Gänsehaut auf, bei dem Gedanken, dass ich meinen Schniedel in eine Öffnung gesteckt habe, in der auch ein Geschlechtsteil, dieses Menschen war. Ich hasse mich dafür, und ich hasse dieses Flittchen, dieses dürre.
„Ja, ja ich kenn sie“, sage ich.
Ich weiß beim besten Willen nicht, was ein bulliger, afrodisierter, haariger Türke von einem dürren, blasen, temperamentlosen Menschenweibchen will, wie sie eines ist, aber egal. Irgendwie tut sie mir leid, dieses Flittchen, dieses dürre. Eine Art und Weise hat sie, dieses Flittchen. Aber irgendwie und trotz allem, hat sie es nicht verdient, zwischen zwei, solch ekelhaften Typen herum gereicht zu werden.
„Ja, und dann hab ich ihm halt seine Türkenfresse poliert!“
„Ja, Machmut war schon ein Riesen Arsch!“, sage ich beiläufig. Ich hoffe nur, dass ich den bald los bin.
„Wie lange hast du denn gesessen?“
„Fünf Jahre.“
„Okay, das ist eine Lange Zeit. Seit drei Tagen bin ich raus“, sagt er und nimmt mich in den Schwitzkasten, worauf ich vor Schreck meine Krücke fallen lasse.
„Geh mit mir zum Wirt, das müssen wir feiern! Komm schon alter Kumpel, ich zahl auch!“
Alter Kumpel? Dass ich nicht lachend zusammenbreche, ist auch nur seinem Kung-Fu-Griff zu verdanken. Ich weiß nicht, seit wann man unsere Beziehung, dem Status Freundschaft zuordnen kann.
„Ich weiß nicht, Alfred, ich muss noch zur Dialyse….“
„Ach komm schon, da kannst du doch auch ein andermal hin!“ Und tatsächlich gehe ich mit ihm. In die Kneipe. Mit ihm, meinem neuen besten Freund. Mit ihm, dem unberechenbaren Schlägertyp!

Die Schneeflocken fallen durch dass offene Kellerfenster und lande zärtlich auf dem Kalten Fliesenboden. Und in meinen haaren. Mein Atem kondensiert an der kalten Luft. Meine Lippen zittern, von Kälte durchdrungen, während schleimiger Rotz aus meiner Nase rinnt.ich kann meinen Körper noch immer nicht fühlen, es ist gerade so als würde ich nur mein Kopf sein. Nach wie vor schwirren die Gedanken durch meinen Kopf. Wo bin ich, wie bin ich hier her gekommen? Verdammt, warum kann ich mich nicht bewegen? Ich liege auf diesem Boden auf dem Bauch und ich schätze, ich werde in ein paar Stunden erfrieren. Plötzlich spüre ich etwas auf meinem Kopf, ein leichtes Kitzeln. Kann das sein? Wirklich? Ich höre ein kurzes Summen. Er ist wieder da! Bob! Nein!

„Wie, du trinkst nichts mehr?“, fragt mich Alfred und schaut mich erstaunt an, ebenso der Wirt, der gemütlich an der Theke lehnt.
„Nein, ich darf nicht mehr, das ist aber nicht so verkehrt! Die letzte Situation, in die mich mein Alkoholkonsum gebracht hat, war ziemlich denkwürdig!“
„Ach so!“
„Ja und zur Dialyse muss ich heut auch noch, darum, wie gesagt…“ Er schaut mich irritiert an, auf eine Erklärung hoffend. Alfred ist weiß Gott nicht hell im Oberstübchen.
„Mir ist beim Aufprall, nach dem ich aus dem Fenster gefallen bin eine Niere geplatzt und meine Andere bringt es allein nicht auf die Reihe, deshalb…!“ Alfred ist wirklich dumm!
„Die Nieren, sind zur Reinigung des Blutes da und eine bringt mein Blut nicht sauber. Man nennt es auch Blutwäsche!“
„Ich weiß nicht so recht, …“
„Der Blutkreislauf wird an eine Maschine angeschlossen, die mein Blut reinigt“
„Okay, ist klar?“ Er hat es verstanden! Ich bitte um Applaus, ein tosendes Publikum stelle ich mir vor, sie stehen auf, Stehende Ovationen, sie halten Schilder aus Pappe in die Luft, auf denen geschrieben steht,:Er hat’s verstanden! Weinende Mädchen stehen da, mit Tränen der Freude in den Augen. Das Ganze Land ist in Aufregung! Er weiß es, er hat den Durchblick! Ich stehe auf und rudere mit den Armen um die gesamte Erdbevölkerung zum Aufstehen zu bewegen und diesem Mann zu zu jubeln. Vielleicht übertreibe ich , aber er ist nicht der klügste.
„Das heißt, du kannst also kein Bier mit mir trinken?“
„Bedauernswerter Weise nicht, tut mir leid“, er wendet seinen Blick ab, seine Augen werden rot. Ich glaube es einfach nicht, er fängt doch nicht an zu weinen? Alfred, der Junge, der in der Schule alle im Griff hatte, mich zum weinen gebracht hatte. Was hätte ich damals gegeben, ihn in so einem Moment der Schwäche zu erwischen.
„Der Knast war die Hölle, weist du! Ich brauch doch nur jemanden zum reden!“ Er wischt sich einzelne Tränen aus dem Gesicht und schnieft.
„Tut mir echt Leid, dass mit deinen Nieren und deiner Analyse!“
„Ach, nicht so wild“
„Und früher, ich war jung und…, es tut mir wirklich leid, als ich dich in die…“
„Ist schon gut“, sage ich zu ihm, bevor er irgendwelche demütigenden Wahrheiten an die Außenwelt
Dringen lässt. Vor allem, als ich sehe, wie der Wirt die Ohren spitzt.
„Ich vergesse alles was geschehen ist, wenn du nie wieder darüber redest!“
„Weist du, ich hab im Knast echt viel mitgemacht! Und jetzt komm ich raus, und ich hab keine Freunde mehr“. Er fängt an zu weinen! Was ist heute für ein Tag? Der eine weint mir die Ohreg voll, wie er seinen Hund auf mieseste Art und im Affekt umgebracht hat und der andere…
„Meine Mutter redet nicht mehr mit mir“, sagt er und lässt den Kopf auf die Theke senken, als an seinen roten Backen dicke Tränen herunter laufen und sich auf der dreckigen Theke sammeln. Wenn ich damals eine Zeitmaschine gehabt hätte, wäre ich wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt gereist und hätte ihn nieder gemacht.
„So so“
„Ja, seit der Geschichte mit dem Kanaken, hat sie den Kontakt mit mir abgebrochen! Und neulich kommt mein Bruder zu mir und erzählt mir, dass sie krank ist!“
„Ja so hat jeder sein Kreuz zu tragen“
Er blickt mich mit verweinten Augen an, voller Entsetzen.
„Sie hat Lungenkrebs! Ein paar Monate hat sie noch, sagen die Ärzte!“ Ich stelle abrupt fest, dass ich gehen muss. Ich stehe auf und möchte mich kurz und bündig verabschieden.
„Also Alfred, ich muss dann mal los!“. Er packt mich verzweifelt am Arm.
„Ich pack das nicht mehr, es tut mir alles so leid! Ich brauche einen Freund!“ Dann geh zu deinem Bruder, oder sonst wem.
„Ist gut Alfred, aber ich muss jetzt los!“ Ich befreie mich aus seinem festen Griff und gehe gezielt Richtung Ausgang.
„Machs gut“, jammert er mir hinterher, „ich weiß dich zu schätzen!“ ich drehe mich nicht um und versuch schnellst möglich zu verschwinden und diese seltsamen Begegnungen zu vergessen! Ich versuche dieses Fenster zu schließen und nicht mehr darüber nach denken.

Was willst du von mir? Bist du hier um mich zu strafen? Er summt, verstummt und summt wieder, krabbelt mir über den Kopf und über die Nase, die Ohren. Es ist ein Bild der Traurigkeit, hier, in der Dunkelheit, nur erhellt durch den schalen Schimmer der Sterne. Doch für einen Moment, keimt in mir ein Funke Hoffnung auf, als ich meinen Kopf ein bisschen bewegen kann. Ich spüre, dass ich mit dem Kopf in einer Pfütze liege. Kaltes Wasser, haftet an meiner linken Backe. Aber Mehr Bewegung ist mir nicht möglich. Ich spüre, wie er mir über den Kopf krabbelt, und über mein Gesicht. Ich spüre jede einzelne Bewegung dieses Gliederfüßers. Wie er mit seinen sechs Füßen, bestückt mit Haken und Klebe Flüssigkeit überzogen, sich bereit macht, in meinen bald verstorbenen Körper Eier zu legen. Auf das seine Nachkommen weiter leben. Falls Bob ein Weibchen ist, sonst nicht. Er bleibt vor meinen Augen in der Lache stehen, schaut mich an, blickt tief in meine Seele, versucht mit mir zu Kommunizieren, interanimal. Ich glaube zu wissen was dieses Insekt denkt, was es über mich denkt. Ich spüre, wie er meine tiefsten Geheimnisse lüftet, während wir uns tief in die Augen blicken. Wir sind auf einer Ebene. Und ich spüre, wie das Leben seinen Körper verlässt, wie jegliche Hoffnung in seinem tiefsinnigen Blick schwindet und er sich auf sein nahendes Ende bereit macht. Er weiß, dass seine Uhr abgelaufen ist. Seine Füße erstarren und sein Summen ist verstummt. Für immer. Bob, tu mir das nicht an, ich will nicht allein sein. Bob ist tot, liegt vor mir, regungslos. Mein Nemesis. Und doch war er mein Freund. Tränen laufen mir vom Gesicht und sammeln sich in der Wasser Lache und vermischen sich mit ihr. Bob. Ich vermisse dich.

Dialyse

Der ältere Herr neben mir, ist komplett in sein Buch vertieft, stiert gebannt in die Seiten. Ich höre von ihm nur seinen ruhigen Atem, und wie er ab und zu eine Seite umblättert. Ansonsten ist alles ruhig. Kurz zuvor, hat mich eine Krankenschwester an die künstliche Niere angeschlossen und das Fenster aufgerissen um kurz durch zu lüften. Kalte Luft zieht herein.
Ein halbes Jahr, ist es nun her, als ich durch dieses Fenster gefallen bin und ich zu einem viel zu jungen Krüppel wurde. Die ersten Wochen waren wirklich hart für mich und ich drohte daran zu zerbrechen. Seit jenem Vorfall, kann ich mich nur noch schwer fortbewegen und dieser Zustand, wird sich auch nicht mehr ändern. In dieser Zeit habe ich niemals gedacht, mich mi meinem Schicksal ab zu finden. Ich versank in einem Meer aus Selbstmitleid und drohte darin zu versinken. Der Gedanke, dreimal in der Woche in das Krankenhaus zu müssen, um mein Blut zu reinigen, hing wie Blei an meinen Füssen und zog mich immer mehr in die Tiefe, aus der ich nicht mehr lebendig hoch kommen würde. Doch irgendwann, ging es mit mir wieder auf, fand wieder Halt, ich fügte mich meinem Schicksal und fing an das Schöne zu sehen. Das schöne an der Dialyse. Man traf dort öfter mal interessante Personen und so ist es auch heute wieder.
Eine gewichtige Frau kommt herein, wabert durch die Tür. Ihre Oberschenkel und ihre überdimensionierten Brüste, ihr Doppelkinn, werfen die Frage auf, ob dieser Mensch mehr aus einer zähen, dicken Flüssigkeit und nicht aus Muskeln, die von einem Skelet in Form gehalten werden.
Sie strahlt über ihr ganzes Gesicht, scheint überglücklich.
„Hallihallo“, sagt sie vor Freude und fängt an zu quieken. Ihr Gesicht legt sich in falten, als sie die blasen Mundwinkel in die höhe zieht.
„Hallo Afra“, sage ich und lächle zurück.
„Ich hab tolle Nachrichten“. Sie kommt mit einer Leichtigkeit auf mich zu gestampft, mit einer Leichtigkeit, die ich ihr nicht zugetraut hätte. Ihre Monsterbrüste wippen und wackeln, ich rechne jeden Augenblick damit, das sie aus ihrem Dekolleté heraus Plumpsen. Ich habe Angst! Aber ich lasse sie mir nicht anmerken.
„Ich platze vor Neugier, ich bitte dich inständig, sag es mir!“
Sie kichert und gibt andere hochfrequente Geräusche von sich, die mehr an eine Marderfalle erinnern.
„Ich glaube, ich habe den richtigen gefunden! Endlich!“
„ geht das schon wieder los“, flüstert der Herr neben mir und verdreht die Augen.
„Wer ist der glückliche? Kenn ich ihn?“ Ist er blind? Wie betrunken kann man sein?
„Ich hab ihn auf einer Dating-Seite kennen, extra für Putzfrauen und Reinigungskräfte mit Niveau!“
„Mein Glückwunsch, das Freut mich! Wirklich!“ Ich grinse, bekomme schon einen Krampf.
„Soll ich ihn dir zeigen?“ Sie tastet aufgeregt die Taschen ihres Mantels ab. Will ich es sehen, ich weis nicht, ich schlafe sowieso schon schlecht.
„Unbedingt“, sage ich und frage mich ernsthaft, was ich für ein falscher Hund bin.
„Wo ist es denn? Wahrscheinlich hab ich es auf de Klo liegen lassen! Warte kurz, ich komm gleich wieder!“
Ich warte, auf jeden fall, sie springt gehetzt durch die Tür und verwundert mich erneut, mit ihrer Agilität.
„Die fette Pflunze geht mir immer so auf die Nerven. Sie und ihre Liebschaften. Würg!“ Mein Leidensgenosse blickt mich an, leidend!
„Vor einer Woche wollte sie noch irgend einen Penner heiraten, absolut widerlich!“
„Ach lass sie doch, wenn sie glücklich ist!“
„Ich weiß ja nicht, die ist doch ekelhaft! Weist du wie sie ihre Kolleginnen nennen? Sie nennen sie Biafra!“
„Das hat wohl nichts mit ihrer zierlichen Statur zu tun?“, sage ich und schaue ihn fragend an.
„Genau, dass ist eine Lesbe! Kannst du dir das Vorstellen?“ Ja kann ich! Will ich aber nicht.
„Das ist doch krank“, meint er.
„Wie meinst du das? Weil sie fettleibig ist?“ Was will dieser Mensch von mir?
„Nein, dass ist einfach nicht normal! Würg!“
„Ich weiß nicht, mir ist das eigentlich ziemlich gleich bedeutend“ Ich schaue zum offenen Fenster und denke mir, es wäre langsam an der Zeit, es zu schließen.
„Es entspricht nicht unserer Natur, dass wir gleichgeschlechtlichen Sex haben, das ist nicht normal!“ Oh mein Gott, denke ich mir, ich sitze neben einem erzkonservativen Christen, oder einem Republikaner, der versucht mir seinen Glauben, oder seine Lebensvorstellung auf zu zwingen.
„Ich hab ehrlich gesagt kein Problem damit, wenn sich zwei hübsch Frauen, äh, lieben!“
„Einfach nur widerlich, genauso, wie zwei Männer, die sich gegenseitig penetrieren! Würg!“ Ich würd mal sagen, Geschmackssache.
„Ich find, wenn beide damit einverstanden sind und diese Handlung nicht unbedingt an einem öffentlichen Ort praktizieren… Viel Spaß“ Gott sei es gedankt, ich höre Schritte, die nur von einer Person kommen können, und der erzkonservative Republikaner, steckt schweigend die Nase wieder in sein Buch. Agil und vor allem schnell, wuchtet sich diese, angeblich lesbische Frau durch die Tür und streckt mir lachend ihr Smartphone entgegen. Darauf sehe ich ein Bild. Das Bild eines Mannes, um die Dreißig. Und ich kenne ihn.
„Weist du, er hatte zuletzt wirklich Probleme…“ Ich weiß, ich weiß. Mir fällt die Kinnlade herunter und ich weiß nicht, wie ich reagieren soll.
„… aber er hat sich geändert, hat ein großes Herz!“ Ich weiß, ich weiß. Und er weint mittlerweile ziemlich schnell. Ja, Alfred, er hat sich verändert, er ist nicht mehr das was er war.
„Und, was denkst du? Wir haben die selben Augen!“ Ich sehe deine Augen, liebe Afra und es tut mir leid, ich find dich auch nett, aber ich kann nicht mehr. Ich stehe auf, bin völlig perplex, muss mir das Lachen verkneifen. Ich hasse mich auch dafür
„Afra, ich muss schnell dieses Fenster schließen, mir ist kalt“, sage ich und mache mich auf den Weg.
„Bleib liegen“, sagt sie und geht auf das Fenster zu. Ich fange an zu lachen und gehe auf die Knie, mir ist schwindlig, und dann….Dunkelheit!

Ich sehe Bob vor mir. Regungslos. Er hat mir tief in die Seele geblickt, hat mich durchschaut. Wer war er? War nur eine Fliege? Ich habe einmal gehört, das Fliegen nur drei Wochen alt werden. Doch er war es, obwohl er eigentlich schon lange nicht mehr existieren sollte. Ich weiß es. Ich wusste es. Der Schnee, der durch das offene Fenster fällt, hat sich nun schon zu mehreren Zentimetern Höhe, auf dem Boden angehäuft. Ich friere, mir ist kalt. Bob versinkt unter dem Schnee. Die Sterne glitzern friedlich in der Nacht. Und kein Geräusch durchdringt die Stille. Nichts. Was soll ich machen, ich kann hier nicht liegen bleiben, sonst erfriere ich! Aber die einzigen Bewegungen, die mir möglich sind, ist zu blinzeln, meine Lippen zu einem Fischmund zu formen, mit der Zunge schnalzen und den Kopf um fünfzehn Grad zu drehen Auf keinen Fall weiter. Ich schaue mich um, rätsle noch immer wo ich bin. Unter mir sind auf alle Fälle Fliesen, eiskalt. Oberhalb von mir sehe ich das Fenster und die Sterne. Und Schneeflocken. Ansonsten nur einen dunklen Raum. Sonst nichts. Vielleicht ein paar Umrisse, von einem… Ich sehe dunkle Striche über mir, die sich ein wenig von der Dunkelheit abheben. Was ist das? Je länger ich mir diese Formen anschaue, desto klarer wird das Bild. Ich weiß es. Ich liege im Keller, in meinem Keller. Vor Freude, zu wissen wo ich bin, nutze ich die einzige Möglichkeit meine Glücksgefühle zu zeigen, die mir noch bleibt. Ich schnalze mit der Zunge. Drei mal, vier mal. Nach längerem betrachten der Umgebung, erkenne ich immer mehr Details. Ich sehe Einmachgläser, befüllt mit allerlei Früchten, Gewürze, Zwiebeln, Kartoffeln und einen Besen, der ziemlich spitz am Regal lehnt. Es ist ein Strohbesen. Und seine Borsten, sind nicht weit von meinem Gesicht entfernt. Ich muss es probieren. Ich sauge das Wasser auf, das sich unter mir befindet und stelle fest, das es sich dabei eigentlich um Milch handelt. Ich versuche den ganzen Mund voll zu bekommen. Danach, spritze ich es mit größt möglichem Druck auf den Besenstiel, versuche dem Strahl einen Drall zu verleihen. Die Milch klatsch an ihm auf, worauf er sich langsam neigt, aber kurz vor dem Fall stehen bleibt. Ich versuche es noch ein mal, konzentriere mich voll darauf, Milch, Mund, Besenstiel. Besenstiel, Mund, Milch. Ich presse die Backen zusammen, ziehe die Zunge nach unten und spanne sie, wie den Hahn an einem Revolver. Konzentration, und… Treffer! Milch trifft Besenstiel! Besenstiel bewegt sich, langsam, wie in Zeitlupe Richtung Fenster. Es Funktioniert! Mein inneres Feuer fängt wieder an zu lodern, der Stiel trifft das Fenster und schlägt es zu. Es ist zu! Zu! Der Schnee, bleibt draußen. Mit großer Freude, nehme ich noch einmal einen Hub Milch und spucke es auf den Lichtschalter. Das licht ist an, hat die Finsternis verdrängt.

Was ist das hier? So ein Blödsinn! Ich muss mich erinnern! Ich habe mir heute ein Steak gekauft, ein delikates Steak und das wollte ich mir zubereiten, ich erinnere mich daran. Ich bin in den Keller gegangen um mir etwas zu holen. Vielleicht Zwiebeln? Sämtliche Bilder spielen sich vor meinem inneren Auge ab. Ich kann mich wieder bewegen und stehe auf.
Ich kotze, bin nicht mehr im Keller. Ich habe überall Haare, am ganzen Körper, ich sehe einen…
Ich laufe an einem Supermarkt vorbei.
Ich spüre schmerzen im Genick, sehe eine Autotür. Alles wird weiß…
Ich sehe einen Menschen mit zerzaustem Bart und zerzaustem Haar und freue mich ihn zu sehen, begrüße ihn.
Plötzlich sitze ich in einem Auto, am Steuer, schaue aus dem offenen Fenster der Beifahrerseite und denke an… Herr Lehmann! Ich fühle mich schlecht!
Der Computer vor mir summt. Ich lehne meinen gewichtigen Körper nach hinten, bin überglücklich.
Ich werde geschlagen, kann nichts mehr sehen.
Ich stehe im Keller unter hellem Licht, schaue mich um, unter meinen Füßen ist eine weiße Lache aus Milch und eine dünne Schicht Schnee. Mein Geist dreht sich im Kreis. Wie komme ich von der Dialyse hier her? Ich bin im Krankenhaus aufgestanden und zusammen gebrochen, und hier aufgewacht, auf dem Boden.
Jemand klopft an die Tür. Ich höre eine Stimme, rauchig und der von Bonnie Tyler nicht unähnlich.
„Was machst du denn da drin, lass mich rein“, sagt sie. Ich bekomme schweißnasse Hände und fange am ganzen Körper an zu zittern. Was ist das hier, wo bin ich? Ich sehe vor mir das Regal stehen, doch als ich mich umdrehe, sehe ich ein Klo vor mir.
Ich liege wieder auf dem Boden kann mich nicht rühren, eine bekannte Szene. Speichel läuft mir in die Ohren und ich schaue von unten durch ein Fenster. Ich höre die Schreie und das Gelächter vergnügter Kinder.
Ich falle aus einem Fenster.
Kurz darauf, erwache ich, laufe in der Nacht durch frischen Pulverschnee, unter dem sanften Schimmer der Sterne über mir. Ich bin völlig alleine. Als ich an einem offenen Keller vorbei wandle, bleibe ich stehen. Ich gehe in die Knie, um hinein zu sehen und erkenne mich selbst. Ich sehe mich, wie ich reglos in einer Pfütze liege und über den Tod von Bob trauere. Bob.
Was ist das? Halluziniere ich? Völlig unangemeldet, lässt die Kraft meiner Muskeln nach und ich falle zu Boden. Mein Gesicht schlägt auf Asphalt auf, der mit ein paar Zentimetern Schnee bedeckt ist. Die Schmerzen, die Kälte durchdringt meinen Kopf. Imaginäre Bilder durchdringen ihn und meine Gedanken. Ich sehe eine Faust auf mich zu kommen, direkt ins Gesicht und falle wieder zu Boden.

Meine Augen. Meine Augen, sie… Ich höre Stimmen!
„Oh man, das hätte ich nicht für möglich gehalten…“
Wer spricht da? Es ist so dunkel, ich kann nichts sehen. Meine Augen, sie bewegen sich unter meinen Lidern, hin und her, doch ich kann sie nicht öffnen. Ich sehe nichts, bin völlig umhüllt von Dunkelheit. Wer spricht da?
„Gott sei Dank, ein paar Wochen mehr…“
Wer ist da? Ich will wissen wer da ist! Und ich stecke in einer Leere und weiß nicht wo ich bin! Ich möchte schreien! Ich möchte der Stimme sagen, hier bin ich. Doch ich kann nicht! Ich möchte schreien, habe aber keinen Mund!
„…wir müssen sie verständigen…“
Ich muss Mich verständigen! Wie nur, wie? Ich fühle mich, als wäre ich nicht in meinem Körper. Ich fühle mich, als wäre ich nur mein Geist, mein Wesen. Mein inneres Ich.
„Weißt du, ich hab immer mit ihm geredet…“
Diese Stimme! Diese Stimme! Ich kenne sie! Ich erinnere mich an sie! Wer ist das? Ich spüre meinen Atem, merke wie sich mein Brustkorb hebt und senkt. Meine Lider, sie öffnen sich, lassen grelles Licht auf meine Netzhaut nieder. Ich bin geblendet und habe Schmerzen in den Augen.

„Erik, Erik, komm…“
„Ich heiße Erich“
„Er ist wach!“

Ein mir unbekannter Mensch, in weisem Kittel, fast mir ins Gesicht. Er zieht mir die halb geöffneten Augenlider auseinander und blickt mir tief in die Augen. Er lächelt. Er hat einen zerzausten Bart und krauses Haar. Und nicht die besten Zähne. Gepflegt, aber schief.
„Ich hätte es nicht mehr geglaubt!“, sagt er. Erik. Oder Erich. Neben ihm steht eine übergewichtige Frau, die ihre Mundwinkel nach oben gezogen hat und ihr ganzes Gesicht in Falten legt. Tiefe Falten, die große Schatten werfen. Ich liege in einem Bett, bin zugedeckt bis an die Brust.
„Wo bin ich?“
„Du bist im Krankenhaus“, sagt Erich, „du bist aufgewacht, aus dem Koma!“

Ein halbes Jahr, ist es nun her, als ich aus diesem Fenster gefallen bin. Seit dem lag ich im Koma und die Ärzte waren sich ziemlich einig, dass ich nicht mehr aufwachen würde. Mein Becken war total zertrümmert, eine Niere ist geplatzt. Genau so wie ich es träumte. Nun liege ich hier, wach, gelähmt, vom Hals abwärts. Ich habe ein halbes Jahr lang geräumt und befand mich in einer Welt zwischen Leben und Tod. Nur wegen diesem Fenster, das ich geöffnet habe.
Ich liege in diesem Zimmer, neben mir ein anderer Patient, der gemütlich schläft und das Pfeifen und Piepen der Maschinen, an denen wir angeschlossen sind, mit einem monotonen Schnarch untermalt. Draußen ist es schon lange dunkel geworden. Ich blicke ungerührt durch das Fenster in die Nacht. Das Fenster ist gekippt. Sehnsucht überkommt mich. Wie gerne würde ich aufstehen und an das Fenster gehen, hinaus in die Ferne blicken. Ich würde es schließen. Nie wieder würde ich ein Fenster öffnen. Ich werde nie wieder eines öffnen. Und nie wieder eines Schließen. Ich wurde jeglicher Freiheit beraubt, bin an mein Bett gefesselt. Nur wegen einem geöffnetem Fenster.
Ich schließe dieses Fenster. Für immer.
 

Wipfel

Mitglied
Geschichten haben es hier nicht einfach. Möglich, dass es an der Zeit liegt, die man sich zum Lesen nimmt. Egal.

Deine Geschichte finde ich gelungen. Sie ist verstörend. Anders. Nicht fertig. Aber gut. Du hast dich eingelassen auf ein uns unvorstellbares leben - jenes im Koma. Und das ist schwierig...

Ich spüre schmerzen im Genick
Nachlässigkeiten, die du selbst findest.

Grüße von wipfel
 

NDQ

Mitglied
Danke für die Zeit, die du dir genommen hast, um diese Geschichte zu lesen. Ich wusste schon vor dem Anfang, wie sie enden würde, doch dazwischen fehlte mir etwas. Ich wusste nicht, wie ich eine Verbindung vom Anfang zum Ende herstellen soll. Ich hörte auf zu schreiben und riss die Geschichte unmittelbar ab.
 



 
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