Seamus zwischen Tod und Leben

Saleme

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Warum ich? Ich wollte nicht alleine auf die Verstärkung warten. Jetzt stehe ich hier ganz auf mich selbst gestellt und soll den Turm bewachen, Auge in Auge mit der Bedrohung der feindlichen Truppen aus dem Westen. Der Rest der überlebenden Soldaten ist heute bei Tagesanbruch, als das schreckliche Schlachtfeld noch von der Dunkelheit der Nacht verdeckt war, nach Süden gezogen. „Bleib du, Seamus“, haben sie gesagt. „Sie werden nicht mehr angreifen, das Lager ist doch schon völlig zerstört.“ Aber ich habe eine Befürchtung, sie werden kommen, bereit ihr blutrünstiges Werk zu vollenden. Der Feind wird die Niederlage nicht einfach einstecken. Wir haben unser Lager nur knapp verteidigen können. Vier von einst 400 Mannen haben den Kampf überlebt und auch den letzten Angreifer erschlagen. Aber die dunkle Seite hat viele Truppen. Dagegen sind wir ein kleiner Haufen aufsässiger Raufbolde. Die Rache wird bitter sein. Auch wenn es zwei Tage dauern wird bis sich die schwarzen Truppen neu gesammelt haben, sie werden kommen und ihren finsteren Plan, sich die Erde zu unterwerfen, wahr machen. Zu viele schon haben die Fronten gewechselt und sind von Freunden zu Feinden geworden. Die Macht des Bösen ist unschlagbar.

Die Sonne ist aufgegangen, aber das Licht, das von ihr ausgeht, lässt die Welt unwirklich erscheinen. Dichte Nebelschwaden hängen im Westen nahe den dunkelgrünen Wäldern. Bis die Verstärkung kommt wird es noch mindestens zwei Tage dauern. Ein Wettlauf zwischen ihnen und der dunklen Seite... Das alles könnte ich ertragen, wenn nur der Preis nicht mein Leben wäre.

Ich blicke auf die abgebrannten Wiesen, die den Turm umgeben und mir wird übel. Eine große Traurigkeit ergreift mein Herz. Das ehemalige Lager ist blutgetränkt. Überall sehe ich alte Freund oder flüchtig bekannte Kameraden - tot. Alle starben mit großen Qualen. Aber ich lebe noch. Wäre es nicht besser gewesen, ich wäre auch schon tot? Wird die Rache der Feinde nicht noch grausamer sein, als das, was sich schon zugetragen hat? Wird mein Tod nicht noch qualvoller sein, als der meiner Mitkrieger?

Die Welt ist still. Zu still, nichts regt sich, nicht einmal der Wind lässt die Bäume erzittern. Ein großer Schatten liegt über der Ebene und versteinert alles Leben.
Ein beißender Geruch durchdringt die schwüle Luft - der Geruch des Todes, der Verwesung, der Folter.

Meine Wunden aus dem Kampf schmerzen furchtbar. In meinem Magen beginnt es zu rumoren, aber es ist kein Hunger, der mich plagt, es ist die große Angst, die ich verspüre und die meine Eingeweide zusammenzieht.
Seit drei Tagen habe ich nun schon nicht mehr geschlafen. Mir fallen die Augen zu. In meinem wirren Traum sehe ich einen der feindlichen Feldherren, ganz in schwarz gekleidet. Die Waffen an seinem Gürtel glänzen im grellen Sonnenlicht. Er hebt den Schild mit dem dunklen Wappentier, dem Wolf, über den behelmten Kopf, zieht sein langes, blankpoliertes Schwert am braunen Ledergriff und sticht damit in die Luft. Er scheint die Welt in zwei Seiten zu teilen, eine zu schwache gute und eine mächtige dunkle. Er bleckt die gelblichen Zähne, als sein Mund zwei Worte formt. Ich kann sie nicht verstehen, aber ich spüre die Bedrohung, die von diesem Kommando geführt auf mich zurollt. Die Lippen des Feldherren sind zu einem seltsamen Lächeln verzogen, ein Lächeln das Verachtung und Überlegenheit zugleich ausdrückt. Ein siegessicheres Lachen schallt über das Feld während die Truppen meine Angst und Unterlegenheit bemerken. Langsam und bedrohlich schreiten sie in düsteren Horden auf mich zu und ihre Augen glühen rot wie die untergehende Sonne im Herbst.
Schweißgebadet schrecke ich auf. Mein Herz hämmert wild gegen meine Brust. „Es war ein Traum“, versuche ich mich zu beruhigen. Aber war es das wirklich? War es nicht viel mehr ein Blick in die Zukunft? Eine Voraussagung der Dinge, die schon in kurzer Zeit geschehen werden?

Meine Angst wird immer größer. In der Panik versuche ich an die schönen Zeiten meines Lebens zu denken. Damals, noch bevor ich meinen Wehrdienst unter König DeModrey antreten musste. Es waren Tage der Fröhlichkeit. Mein Vater war zwar nur ein Schmied, aber wir hatten genug zum Leben. Ich erinnere mich noch genau an das letzte Fest, das ich gefeiert habe. Es war das Maienfest auf dem Dorfplatz. Den ganzen Abend habe ich mit der wunderschönen Tochter unseres Bürgermeisters glücklich um den Maibaum getanzt. Ich glaubte endlich die wahre Liebe kennengelernt zu haben. Doch als ich gerade in Maecelgarwens strahlend blaue Augen blickte und ihre vollen roten Lippen küssen wollte, erschallten die Fanfaren der Ritter des Königs. Einer der Mannen forderte alle Männer, die fähig waren, ein Schwert zu führen auf, ihnen zu folgen. Der Schmied des Dorfs sollte schnell alle Waffen, die er besaß an die Streitmächte geben. Und so geschah es. Als ich innerhalb eines Augenblickes vor meinem Vater, dem Schmied, stand und ausgerüstet wurde, sagte er mir, wir würden uns wieder sehen, doch als ich die Tränen in den Augen meiner Mutter sah, wurde mir bewusst, wie irreal diese Vorstellung war. Ich stieg auf eines der königlichen Pferde und ließ meinen Blick über den Dorfplatz schweifen. Niemand war mehr am Maibaum. Alle Frauen standen um ihre Männer herum und schrieen vorwurfsvoll zu den Rittern. Und da sah ich sie. Maecelgarwen. Wieder einmal sah ich in ihr bildhübsches Gesicht. Doch diesmal rannen Tränen über ihre seidigen Wangen und ihre schönen Augen blickten rot unterlaufen zu mir auf. Sie schickte einen Kuss an mich durch die dunkle Nacht. Als wir fort ritten, wünschte ich mir sie nicht auf diese Weise verlieren zu müssen. Aus den Augenwinkeln sah ich sie verzweifelt schreiend zu Boden sinken. „Meine süße Maecelgarwen, mein armer Sommernachtstern, ich werde zu dir zurückkehren“. Wir ritten gen Süden. Es war still. Das einzige Geräusch, das zu hören war, waren die Hufe der Pferde auf dem steinigen Boden...
Ein jeder schien noch traurig an das Zurückgelassene zu denken. So auch ich, immer wieder sah ich meine Angebetete und meine Familie vor Augen und wünschte mich zurück in mein Dorf - vergebens...

Was war das? War da nicht eine Stimme in der Ferne? Nein. Es war der Wind, der durch das einsame Schlachtfeld fegt. Ich habe solche Angst vor dem Tod. Warum bin ich nicht schon in der anderen Welt? Das Warten macht mich krank. Hilflos suche ich nach einem Strick oder einem Schwert um mein Leiden zu verkürzen. Doch nichts, Waffen und andere Habseligkeiten meiner Truppen wurden als Kriegsbeute schon gestern von einigen flüchtenden Feinden davon getragen. Die letzten Waffen, die wir haben liegen zusammen mit den Leichen der anderen verstreut auf der blutigen Ebene vor dem Turm. Ich kann meine toten Kameraden nicht auch noch nach ihrem grausamen Ableben berauben. Also muss ich wohl weiter leiden. Mein Gott, wenn es dich gibt, so hilf mir doch, ich weiß nicht weiter!
Wie lang kann eine Nacht anhalten? Wie lang scheint eine Stunde zu sein, wenn man auf den Tod wartet? Und der ist gewiss in dieser so traurigen und einsamen Lage. Hätte ich die Wahl zwischen dem Sterben und dieser so unsaglichen Situation, ich wöllte sterben und sei es noch so qualvoll. Mein Blick schweift zu dem blutbeschmierten Schwert zu meiner linken. Die Klinge scheint mir ein Erlöser zu sein, wie ein einziger heller Stern in einer tief schwarzen Nacht. Doch dieser Eretter aus der grausamen Wirklichkeit ist zu weit fort. Ich habe nicht den Mut und die Kraft mich umzubringen und wenn ich es mir noch so sehr wünsche. Zwar fürchte ich den Tod, doch niemals könnte er schlimmer sein, als das, was ich hier in dieser Welt durchleben muss.

Was war das? Eine Stimme? Kommen die Feinde, mich auf grausame Weise aus dem Diesseits zu reißen? Mit letzter Kraft ziehe ich mich an einem Holzbalken im Wachturm hoch, um durch eine der Öffnungen zu schauen. Feindliche Truppen kann ich auch in noch so weiter Ferne nicht erkennen. Mein Blick schweift ein weiteres Mal in den letzten Tagen - oder waren es Stunden? - auf das Schlachtfeld. Viele meiner Freunde sehe ich aufs Schrecklichste geschändet im Schlamm liegen. So könnte ich ihnen doch nur helfen. Könnte ich ihnen wenigstens die letzte Ehre erweisen, sie waren gute Menschen, sie haben diesen unwürdigen Tod nicht verdient. Wieder fühle ich mich so furchtbar machtlos dem Geschehenen gegenüber.

Aus den Augenwinkeln bemerke ich eine leichte Regung auf der Ebene zu meinen Füßen. Rasch lasse ich mein geschultes Späherauge über das Feld schweifen, doch keine Veränderung macht sich bemerkbar. Aber ich bin mir sicher, etwas hatte sich bewegt. Eine Falle? Ein leises Stöhnen dringt in meine Ohren. Es kam vom Schlachtfeld, das steht fest. Ich blicke in die Richtung, aus der das Stöhnen zu kommen schien und – ja, da bewegt sich etwas. Ich schärfe meine Blick und erkenne, dass nur fünfzig Meter vom Turm entfernt einer unserer Soldaten mit dem Tode ringt. Ich möchte ihm helfen, doch gleichzeitig verspüre ich diese erdrückende Angst herunterzusteigen und mich, ohne auch nur die geringste Möglichkeit mich zu verstecken, den Feinden auf dem Schlachtfeld auszuliefern. Furchtbare Schuldgefühle überkommen mich,mein Kamerad, mein Leidensenosse, ja gar mein Freund in dieser schweren Stunde braucht einen Helfer. Auch wenn ich weiß,dass nur ich fähig bin, ihm jetzt womöglich das Leben zu retten, schaue ich mich mit suchendem Blick auf der weiten Ebene um, in der Hoffnung jemanden zu erblicken, der mir diese Bürde, die mir Gott auferlegt hat um, so scheint mir, ihm meine Nächstenliebe zu beweisen, abnehmen kann. Wie zu erwarten bleibt meine Suche ohne Erfolg. Immer war ich ein frommer Mann, beachtete die Gebote des Herrn, wieso stellt er mich nur auf eine solche Probe? Mit einem Stoßgebet eile ich die robusten Treppen des Turms hinunter um zu meinem Genossen zu gelangen. Vor der kleinen Tür, die ohne Verzierungen und großen Prunk nur ihrem Nutzen dient, zögere ich. Diese Mauern, meinen Zufluchtsort in dieser dunklen Stunde soll ich also verlassen? Mein Herr, warum nur zwingst du mich die letzte auch noch so kleine Sicherheit, die mich umgibt, hinter mir zu lassen? Was erwartet mich vor der Tür? Das beklemmende Angstgefühl in mir steigt. Wieder vernehme ich ein leises Röcheln auf dem Schlachtfeld. Ich überwinde mich selbst, stürze die Tür hinaus und haste zu meinem Kameraden. Aus leeren Augen schauen mich alle Gefallenen, an denen ich vorrüber renne, an. Sie sehen so vorwurfsvoll aus und scheinen mich gleichzeitig zu verspotten.
„Wie heißt du“, frage ich den dem Tode nahen. „Tigonor“, stöhnt er, „Ich flehe dich an, hilf mir, ich wil nicht ster...“ Nicht mehr als ein Glucksen aus seiner Kehle beendet den Satz. Sein Körper erschlafft, der Hauch des Lebens verlässt seine Hülle. Seine Seele steigt fast sichtbar in den Himmel empor. Aus Tigonors Augen weicht der Glanz und so leblos und leer, so vorwurfsvoll und enttäuscht wie die all der anderen Toten, sehen sie mich an. Ich höre eine Stimme auf dem Feld oder auch nur in meinen Gedanken widerhallen, die trauriger und verzweifelter klingt, als alles, was ich bisher in meinem Leben gehört habe : „Warum hast du gezögert? Du hättest mich retten können.“ Eine Woge von Panik, größer als die zuvor, überkommt mich, ein heiserer Schrei entkommt meiner Kehle und ich renne, renne so schnell mich meine Beine und meine zittrigen Kniee tragen zum Turm, der Sicherheit für mich bedeutet. Im Lauf schaue ich gen Himmel, gen Gott. „Warum nur, warum ausgerechnet ich, Herr? Was verlangst du von mir? Wieso strafst du mich so?“

Zurück im Turm haste ich die schweren Treppen hinauf und kauere mich in eine der dunkelsten Ecken des Gebäudes. Tränen rinnen über meine Wangen, über meinen Hals bis sie letztendlich im verschmutzten Leinen meines Gewands versiegen. Wieso weint ein starker Krieger des einst unbesiegbaren Volkes? Wieso wehklagt er über gefallene Kameraden und bangt um sein eigenes Leben? Wie soll ein Mann, ein einfacher Mann wie ich es bin, in solch einer Situation noch an einen Gott glauben, wo er doch so einsam und verlassen mit seiner Angst fertig werden muss?
Als mir klar wird, was ich eben gedacht habe, schäme ich mich dafür. „Dein Herr weiß was er tut, er liebt alle seine Geschöpfe und lässt jedes den Weg bestreiten, der für es vorgesehen ist.“ erinnere ich mich selbst und sage leise Psalm 23 auf: „Der Herr ist dein Hirte, dir wird nichts mangeln, er weidet dich auf einer grünen Aue und führet dich zu frischem Wasser auf dass dir nichts mangelt...“
Voller Ehrfurcht kniee ich mich auf den kalten Steinboden und beginne zu beten. Die Tränen fließen wie ein großer Strom meine erschlafften Gesichtszüge herab, doch ich schäme mich nicht, denn sie scheinen einen Teil meiner Angst und Aufregung mit sich hinfort zu tragen, wie ein überschwemmter Fluss, der nach einem großen Unwetter Teile der Verwüstung mit sich ins Meer nimmt.

Ich will leben, ich will leben so lange Gott bei mir ist und mich noch nicht zu sich ruft. Mein Lebenswille erstarkt und ich spüre meinen Körper und meine Bedürfnisse wieder. Meine Kehle brennt, doch wo finde ich hier noch trinkbares Wasser? Die wenigen Rationen, die wir hier im Turm hatten, mussten wir bei der vier Tage langen Belagerung der Feinde vor der großen Schlacht aufbrauchen. Ein geschickter Zug des dunklen Herrschers, denn so waren unsere Truppen schon vor dem Kampf mangels Wasser und Nahrung geschwächt. Ein Hoffnungsschimmer durchflutet meinen Körper. Die Feinde trugen kleine Lederbeutel an ihren Gürteln, kleine Beutel gefüllt mit kostbarem Nass. Ein weiteres Mal stürze ich die Treppen hinab, doch diesmal nicht von Angst beschwert, sondern durch die Schwingen der Hoffnung beflügelt. Kein Zögern, kein Bangen, nur die Zuversicht in mir. Schon direkt vor der Tür finde ich den ersten Toten, der den feuchten Schatz, wertvoller als Gold, an seinem starren Körper trägt. Ich entreisse den Lederbeutel dem kleinen Haken, der ihn am Gürtel hält und lasse das kühle Nass meinen Hals hinunter rinnen. Wie ein Regen vertrocknete Felder aufblühen lässt, so tut es das Wasser auch mit meinem Körper. Mit einem weiteren Gebet danke ich meinem Herrn und gehe etwas langsamer, jedoch ohne auch nur einen weiteren Blick auf die Gefallenen zu lenken, zurück zum Eingang zu des Turms.

In der Ferne vernehme ich Trommeln. Wieder eine Einbildung? Oder doch wahr? Kaum war die Angst aus meinem Herzen gewichen, so schleicht sie auch wieder ein. Die dumpfen Trommelschläge klingen so bedrohlich und unheilverkündend und doch so wirklich. Meine Phantasie muss mir einen grausamen Streich spielen, die Feinde dürfen nicht kommen. Zwischen den immer lauter werdenden Trommeltönen glaube ich ein Horn schallen zu hören. Was geht hier vor? Als ich meinen Blick über den Horizont schweifen lasse, beginne ich zu begreifen. Von Westen rücken die feindlichen Legionen an. Für einen Moment gerate ich ins Taumeln, alles gleicht der Szene aus meinem grausamen Traum. Nun ist auch der letzte Funken Mut in mir versiegt. Starr stehe ich da und schaue gen Westen auf die näherrückenden Truppen. Erst als ich ein weiteres Mal ein Horn vernehme erwache ich aus meiner Erstarrung und wende meinen Blick dem Süden zu. Reiter! Reiter mit dem Wappen DeModreys und meinem Freund Radagast an der Spitze. Da war sie wieder, meine Hoffnung. „Die Schlacht ist nicht verloren, lieber Seamus.“, sage ich mir und schnappe mir das Schwert, das kurze Zeit zuvor noch so unerreichbar für mich wahr. Während ich noch auf das Schlachtfeld starre, prallen die Fronten aufeinander. Ein neues Gemätzel beginnt sich vor meinen Augen abzuspielen. Diesmal werde ich mich nicht feige zurück halten, diesmal werde ich in der Mitte des Schlachtfeldes kämpfen und wenn es sein muss auch sterben. „Für meinen Gott, mein Land, meine Eltern und meine Liebe!“, rufe ich pflichtgemäß mein Gelöbnis aus und stürze in Richtung des Getümmels den Turm hinaus.

Doch in den wenigen Augenblicken, in denen ich das Schlachtfeld nicht vor den Augen hatte, scheint sich das Kriegsglück gegen uns gestellt zu haben. Innerhalb weniger Sekunden muss das schwarze Heer mehr als die Hälfte unserer Soldaten niedergeschlagen haben und über den Hügeln im Westen tauchen immer und immer mehr dunkle Kämpfer auf. Welcher Gott muss dieser Streitmacht solche Kräfte verleihen?
Erneut verlässt mich der Mut und alles was ich mir wünsche ist zurück in mein Dorf zu kehren. „Vergib mir, mein Herr!“, flüstere ich und renne so schnell mich meine Beine tragen auf eines der herrenlosen Pferde am Rande des Kampfes zu. Pfeile surren an meinen Ohren vorbei, Schwerter prallen neben mir aufeinander, Verwundete stöhnen, als ich auf das Reittier steige und ihm die Sporen gebe. „Trag\' mich fort von hier, trag\' mich nach Hause.“
Während ich den Turm immer weiter hinter mir lasse, fließen breite Bäche aus Tränen meine Gesicht hinunter.

Auf dem mir endlos erscheinenden Ritt geht mir nur ein verzweifelter Gedanke durch dein Kopf: „Du hast dein Land verraten, du hast die Gunst des Mannes verloren, dem du einst Lehnstreue geschworen hast.“
Ich achte nicht auf die Felder neben mir, achte nicht auf das, was mich auf meinem Weg umgibt. Alles was ich will ist meine Mutter, meinen Vater und meine schöne Maecelgarwen sehen, sie in den Arm nehmen, sie an meiner Seite spüren. Je näher ich meinem Dorf komme, umso mehr bedränge ich das Pferd schneller zu galoppieren, sein unregelmäßiger Atem raucht in der Kälte.

Endlich stehe ich auf unserem Dorfplatz, doch was ich sehen muss, lässt meinen Herzschlag stocken. Meine Heimat, das Herz meines Lebens verbrannt, geschändet. Überall liegen Leichen; Greise, Frauen, Kinder. Wie konnte der Feind das nur tun? Sie waren unschuldig! Sie konnten nichts für diesen furchtbaren Krieg. Vor dem Eingang zur Schmiede meines Vaters, sehe ich ihn liegen. Sein weißes, schütteres Haar ist blutgetränkt und sein Gesicht ist von Schürfwunden übersäht. Er hatte versucht meine Mutter mit seinem Leben zu verteidigen, so wie er es immer getan hat. Noch im Tod sieht er würdevoll und erhaben aus, wie er es zu Lebzeiten gewesen ist . Ich steige vom Pferd und renne zu ihm, um ihm als sein Sohn die ihm zustehende letzte Ehre zu erweisen. Ich schließe seine Augen und als ich seine Stirn küsse, flüstere ich: „Du warst ein starker, tapferer Mann, du wirst im Himmel sicher einen guten Platz gewährt bekommen. Ich wünschte nur, du könntest auf mich stolz sein und ich wäre nicht so feige gewesen, verzeih mir mein Vater.“
Im Eingangstor liegend finde ich auch meine Mutter. Ihre freundlichen Gesichtszüge sind erschlafft, doch wie bei meinem Vater, sind auch ihr ihre wichtigsten Wesenszüge noch anzusehen. Die Güte und Herzlichkeit, die ihr lebloser Körper ausstrahlt, lassen mich an alte glückliche Zeiten denken. Ich schließe ihre Leiche in meine Arme. „Ich liebe dich, Mutter. Vergib deinem Sohn,bitte.“
Das Einzige was mich nicht vollends verzagen lässt, ist die Gewissheit, das Maecelgarwen als Tochter des Bürgermeisters sicher mit ihrem Vater und einer Reihe von Soldaten entkommen konnte. Anders kann es nicht gewesen sein, sie muss beschützt worden sein.

Ein Bote DeModreys steigt plötzlich nur wenige Meter neben mir von seinem Ross. „Wer seid ihr?“ raunt er mich an. „Ich, ich...“ , beginne ich,doch als mir klar wird, dass es keinen Sinn hat die Wahrheit zu verleugnen, sage ich dem Mann die Wahrheit. „Mein Name ist Seamus, ich war Kämpfer in der Schlacht um den Turm. Ich habe den ersten Kampf überlebt und bin als Wachhabender zurückgeblieben, als drei weitere Überlebende Verstärkung holten. Während der zweiten Schlacht bin ich getürmt, der Herr sei mir gnädig. Wollt ihr mich mitnehmen, damit ich meine gerechte Strafe erhalten kann?“ Jeder Mut hatte mich verlassen und ich war bereit für meine Feigheit zu büsen. Der Bote sah mit traurigem Gesicht zu mir herüber und seufzte schwer. „Wer soll es euch übel nehmen, dass ihr geflohen seid? Die Scharen der dunklen Seite sind groß und stärker als all unsere Mannen. Wieso sollen wir auch noch die letzten Lebenden unseren Volkes in die Kerker werfen?“ ,antwortet er mir, „Die Schlacht um den Turm ist also auch verloren?“
„Es muss wohl so sein. Als ich das Schlachtfeld verließ waren schon zu viele unserer Soldaten tot, als dass man das Blatt hätte wenden können.“ Die Erinnerungen an das Gesehene kommt erneut in mir auf, meine Wunden schmerzen und ich fühle mich elend.
„Ihr sagtet, ihr seid Seamus. Dann glaube ich, muss ich euch etwas erzählen.“, bricht der Bote nach einiger Zeit die beklemmende Stille. Ich wende ihm meinen Blick zu, nicht ohne mich zu fragen, was mir ein Bote des Königs zu erzählen hat. „Als uns Späher berichteten, dass die feindlichen Truppen kamen um auch diesen Teil des Landes zu überrennen, schickte König DeModrey Soldaten aus, um die Stadt- und Dorfoberhäupter in Sicherheit zu bringen. Als sie hier herkamen nahmen sie den Bürgermeister, seine Frau und die beiden Söhne der Familie mit. Auch die Tochter des Bürgermeisters, die junge Maecelgarwen, wollten sie mit sich nehmen. Doch wie die Soldaten uns berichteten, soll sie gesagt haben, sie wolle nicht mit ihnen kommen, denn sie warte noch auf einen Menschen, der ihr sehr, sehr wichtig wäre und sie wäre sicher, dass er zu ihr zurückkehren würde. Dieser Mann wart ihr Seamus. Sie blieb hier, um auf euch zu warten.“
Zuerst bleibe ich stumm, ich kann, ja, ich will nicht begreifen, was mir der Bote soeben gesagt hatte. Als es mir klar wird, haste ich wie vom Blitz getroffen in Richtung der Villa des Bürgermeisters. Ich vergesse den Königsdiener, alles was mir im Kopf herumschwirrt ist Maecelgarwen, meine liebste Maecelgarwen. Auf den steineren Treppen zur Bürgermeistervilla sehe ich sie. Friedlich schlummernd auf dem kalten Stein und doch unvollständig und traurig, als fehlte ihr etwas. Nur eine blutige Wunde an ihrer Schläfe stört ihre Schönheit und ihren Frieden. Ein verzweifelter Schrei aus meiner Kehle durchdringt die kalte Stille. Ich schreie und ich weine neben meinem Sommernachtsstern knieend aufgrund dieser Ungerechtigkeit. Ich schließe ihren leblosen Körper in meine Arme. „Ich bin zu dir zurückgekehrt, meine allerliebste Maecelgarwen.“

Nach quälenden Stunden der Verzweiflung erlischt letztendlich auch mein Lebenslicht.
 



 
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