Sechzehntes Märchen: Der neugierige Bettler

VikSo

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Sechzehntes Märchen: Der neugierige Bettler

Die magischen Völker wähnten sich sicher vor der Verfolgung durch die Menschen. Sie hatten die magischen Schlüssel erfunden und wie – fragten sie sich – sollte je ein Fremder hinter dieses Geheimnis kommen?
Es lebte aber einmal ein Bettler. In seiner Jugend war er ein stattlicher Bursche gewesen, ein Zimmermannslehrling. Weil er aber zur Unehrlichkeit und Trunksucht neigte, verlor er seine gute Stelle, wurde ein Dieb und ein Gauner. Mehrmals musste er den Wohnort wechseln und kam schließlich immer mehr herunter. Zu dem Zeitpunkt, an dem er in unsere Geschichte eintritt, war er nur mehr ein alter, schmutziger, verlumpter, versoffener Tagedieb, der seine Stunden auf dem Markt, vor Kirchen und Geschäften herum brachte, wo er den Leuten so lange zur Last fiel, bis er sie um die ein oder andere Münze erleichtert hatte. Sein Herz war bereinigt von allem Guten und Edlen, was sich einmal darin befunden haben mochte und lebte jetzt nur noch aus Hunger, Durst, Hohn und Neid. Seine Missgunst richtete sich auf alle Menschen, denen es irgendwie besser ging als ihm. Dabei sah er nicht nur auf den Reichtum der Leute; noch viel mehr neidete er ihnen, wenn sie glücklich und zufrieden waren. Besonders angetan hatte es ihm ein Krämer, der in einer kleinen Stadt lebte, wohin es unseren Bettler einmal verschlagen hatte.
Der Krämer besaß keinen roten Heller mehr als er selbst. In Manchem ging es ihm sogar noch elender, denn durch Betteln verdient ein geschickter Mann immer etwas. Der Krämer aber war so arm, dass er schon vor langer Zeit sein Geschäft hatte aufgeben müssen. Er zog nun mit einem Bauchladen durch die Gassen der Stadt und versuchte, Zündhölzer, Fingerhüte und dergleichen mehr Kleinzeug an die Leute zu bringen. Manchen Abend musste er hungern. Wo er schlief wusste keiner so genau, denn jeden Abend verließ er die Mauern der Stadt kurz vor Torschluss, um mit dem ersten Sonnenstrahl zurück zu kommen und sein Tagwerk wieder aufzunehmen, bei gleißender Sonne genauso wie bei Regen, Schnee und Frost. Trotzdem war sein Gemüt stets heiter und nichts konnte seine Laune trüben. Für jeden hatte er ein freundliches Wort und die Leute ihrerseits liebten ihn und begegnetem ihm mit Wohlwollen.
Das trieb unseren Bettler schier zum Wahnsinn, denn er konnte sich so viel Herzensfreude nicht anders erklären, als dass der Fremde einen geheimen Quell des Glücks haben musste. Wenn er sich zu dem Zugang verschaffen könnte… So verfiel der Gauner darauf, den anderen heimlich zu beobachten. Wann immer er konnte, folgte er ihm, setzte sich in seine Nähe, beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Da fiel ihm auf, dass der Tagelöhner in regelmäßigen Abständen mit den verschiedensten Tieren zusammen war: Mal mit einer streunenden Katze, mal mit einem Straßenköter. Auch Ratten und Mäuse sollte er schon gestreichelt und liebevoll zu ihnen gesprochen haben. Als Haustiere konnte er sie sich schlecht halten – wozu auch, wenn er ja kein Haus hatte. Auch schien er sie niemals zu füttern und sich so ihre Zuneigung zu erkaufen. Aber immer im Abstand von einigen Wochen tauchten die Tiere auf, schienen ihn regerecht zu suchen. Sie ließen sich Liebkosen und waren kurz darauf wieder verschwunden. Der Alte freute sich immer außerordentlich über diesen Besuch, als handele es sich um einen geliebten Freund. Das musste der Bettler genauer wissen.
Ab beobachtete er den anderen noch mehr, immer wenn irgendein Wesen in der Nähe war, das auf mehr als zwei Beinen stand. Das war aber gar nicht so einfach: Einige Male musste unser Gauner seine Mission aufgeben. Es musste nicht mit rechten Dingen zugehen! Immer schien sich der Krämer immer dann in Luft aufzulösen, wenn sich gerade etwas spannendes ereignen wollte. Fast so, als wüsste er um seinen Verfolger und wollte ihn dringend loswerden. Was nur hatte er zu verbergen? Es half nichts, unser Bettler musste eine bessere List anwenden, um ihnen auf die Schliche zu kommen. Da kam ihm der Zufall zu Hilfe.
In einer stürmischen Nacht, als man denken konnte, die Welt wolle untergehen, war der alte Säufer noch auf der Landstraße unterwegs. Er hatte den ganzen Tag die Bauernhöfe des Umlandes abgeklappert in der Hoffnung, hier und da einen Schinken oder ein Stück Kuchen schnorren zu können. Zu seinem großen Verdruss hatte er aber unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen. Nun hatte er sich eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit wieder auf den Weg in die Stadt gemacht, in der Hoffnung, im Haus des gütigen Stadtpfarrers ein trockenes Obdach finden zu können. Das Schicksal arbeitete aber gegen ihn: Gerade als er mühsam über den letzten Hügel gestiegen war, der ihn von der Stadt trennte, konnte er von Ferne beobachten, wie die Tore für die Nacht geschlossen wurden. Da stand er, allein vor sich hin fluchend, in Kälte, Regen und Finsternis und nirgends ein besserer Unterstand als das löchrige Blätterdach einer altersschwachen Kastanie. Unter dieser wollte er sich schon mehr schlecht als recht zum Schlafen einrichten. Da sprach ihn von hinten eine Stimme an:
„Hast du`s gemütlich da, mein Freund?“
Erschrocken schnellte er herum. Da stand sein Opfer, der geheimnistuerische Fremde. Auch er war nass bis auf die Knochen. Trotzdem schien er bester Laune zu sein und strahlte den Bettler an.
„Was geht`s dich an!“, schnauzte der, entnervt von so viel Fröhlichkeit.
„Nichts weiter.“, antwortete der Krämer. „Außer dass ich dir, wenn es nicht so ist, gern einen Platz unter meinem Dach anbieten möchte.“
„Unter deinem Dach? Dass ich nicht lache! Du hast gar nichts, das du als dein bezeichnen könntest, von einem Haus und dem dazugehörigen Dach ganz zu schweigen.“
Da lächelte der Fremde. „Willst du, oder willst du nicht?“
Da kam der Bettler doch ins Zweifeln. Immerhin: Schlechter als hier konnte er es kaum treffen. Und zumindest bot sich ihm so die Gelegenheit, den anderen zu beobachten. Also nickte er knapp und folgte dem Krämer. Der führte ihn bis an die Stadtmauer heran. Hier, im Schatten eines Wachturmes, da, wo die Mauer am schäbigsten war, entdeckte er nach einigem Hinsehen einen modrigen Bretterhaufen. Dieser bildete tatsächlich eine reichlich windschiefe Hütte. Überall stank es nach Dreck und Armut. Trotzdem: Der Krämer hatte nicht gelogen. Hier hatte er ein Dach über den Kopf und einen trockenen Schlafplatz. Die Hütte bot gerade so viel Raum, dass zwei Erwachsene unbequem nebeneinander liegen konnten. Doch dem Säufer, erschöpft von den Strapazen des Tages, machte das nichts aus. Bereits nach wenigen Minuten war er eingeschlafen.
Er erwachte aber schon wenige Stunden später. Was hatte ihn geweckt? War es der Regen oder der Donner? Keines von beidem. Im Gegenteil: Es war das Fehlen jeden Geräusches. Das Unwetter hatte nachgelassen; nur noch einzelne Tropfen fielen zur Erde. Der Bettler lauschte auf den Atem seines Gastgebers, der beim Einschlafen noch neben ihm gelegen hatte. Er hörte nichts. Der Krämer hatte die Hütte verlassen. Warum hatte er sich weggestohlen? Noch dazu in die Dunkelheit und die Kälte hinaus? Vorsichtig rappelte der Gauner sich hoch und steckte den Kopf aus der Hütte. Wo war der Alte hingegangen? Da, dort drüben! Tatsächlich, ein Stück abseits der Mauer kauerte eine Gestalt am Boden. Das war er. Er schien sich mit jemandem zu treffen, denn eine zweite Gestalt hockte neben ihm. Sie schienen sich zu umarmen. Zumindest legte der Alte seine Arme um den anderen. Doch nein, da trennten sie sich schon wieder voneinander. Die zweite Person rannte davon. Zuerst dachte der Säufer, es handele sich um ein Kind oder einen sehr kleinen Menschen. Erst einen Moment darauf fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Natürlich, die Kreatur rannte auf allen vieren! Und was tat der Krämer jetzt? Da, er hielt einen Zettel in der Hand, hielt ihn sich direkt unter die Nase. Vergeblich, in dieser Dunkelheit konnte er nichts lesen. Er musste zurück zu Hütte kommen.
Flink wie ein Wiesel kroch der alte Verbrecher zurück auf seinen Platz und kniff die Augen ganz zu. Er röchelte mit der Nase, bis er ein Geräusch zu Stande brachte, das er für ein echtes Schnarchen hielt. Unter den nur einen schmalen Spalt geöffneten Lidern beobachtete er, wie der Krämer wieder herein schlüpfte und unter seiner Decke nach etwas zu suchen begann. Er hatte es auch recht bald gefunden. In der nächsten Sekunde blitzte es, doch nicht draußen, sondern im Zelt. Der Alte hatte mit Zunder Feuer geschlagen und entzifferte nun im schwachen Schein eines glimmenden Holzspans die Nachricht auf dem Zettel. Was er las, schien ihn zu erschrecken. Rasch löschte er den glimmenden Span und warf einen unauffälligen Blick über seine Schulter. Der diebische Bettler schnarchte ein wenig lauter, um den misstrauischen Fremden zu beruhigen. Das war aber gar nicht nötig, denn der schlüpfte schon leise wie eine Maus aus der Hütte. Der Gauner wartete einige Sekunden, um ihm zu folgen. Als er aber seinen Kopf aus der Bretterbude heraus steckte, war von seinem Gastgeber nichts mehr zu sehen. Er wollte sich schon enttäuscht zurück ziehen. Da fühlte er etwas in seiner Hand etwas knistern. Was war es? Tatsächlich, da, auf dem schmutzigen Boden lag der Brief, den der tierische Bote gebracht hatte. Er war dem Krämer aus der Tasche seines Überwurfs geglitten, wo er ihn zuvor hinein gesteckt hatte. Mit flinken Fingern schnappte der Bettler sich den Zettel und entfaltete ihn. Zu dunkel! Vor Aufregung zitternd entzündete er ein Licht und hielt es so nahe wie möglich an das Papier, ohne es zu verbrennen. Was stand da? Was hieß das? Verdammt! Zu lange war es her, dass sein Lehrmeister einige vergebliche Versuche gemacht hatte, ihm das Lesen beizubringen. Wie ärgerlich, musste die Botschaft doch sehr wichtig und dringlich sein; das sagte ihm die große Eile, in der der andere aufgebrochen war. Gewiss verpasste er in diesem Augenblick eine einmalige Gelegenheit, an den Schatz des Fremden heran zu kommen, worin auch immer der bestand. Wenn er doch nur gesehen hätte, in welche Richtung der Krämer aufgebrochen war. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf seinem Lager auszustrecken und über die Bedeutung all dessen zu grübeln.
Er hatte einige Zeit so gelegen; die Nacht war nach Sturm und Regen still und schläfrig geworden. Da hörte er wieder Schritte vor der Hütte. Der Hausherr war zurück gekommen! Natürlich, das musste er, aber davon konnte unser kleiner Dieb nichts wissen. Ohne den Brief hatte er ja keinen Zugang zur Versammlung seines Königs. Den ganzen Weg war er durch die nasse und schlammige Wiese zurück gelaufen und hatte die Dunkelheit nach dem Papierchen abgesucht. Endlich hatte er wieder vor seiner eigenen Tür gestanden. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als den Boden seiner Behausung abzusuchen, still und heimlich, um den vermeintlichen Schläfer nicht zu wecken. Der Bettler seinerseits schnarchte erneut so melodisch er es vermochte, wobei sein Herz vor Aufregung schier zersprang. Der andere konnte ja nicht wissen, dass das was er suchte sich sicher in seiner Klaue befand. Eine Weile lauschte er noch. Dann zählte er, wortlos für sich: Eins, zwei, drei und ...!
Mit einem Satz war die knochige Gestalt des Diebes in die Höhe geschnellt. Mit dem Schrei eines jagenden Tieres hatte er sich auf seinen Gastgeber gestürzt und diesen zu Boden gerissen. Nun umklammerte er ihn mit seinen dürren Armen und zischte: „Hab ich dich! Verrate mir dein Geheimnis, oder ich will verdammt sein, wenn ich dich nicht in der nächsten Pfütze ersäufe! Was ist steht da auf den Zettel, den du so tunlich vor mir verstecken wolltest? Ich habe alles gesehen, also heraus damit! In welche Teufelei bist du verstrickt? Mit wem wolltest du dich treffen? Bist wohl in ein Haus eingestiegen und hast fette Beute gemacht? Heraus damit, willst du wohl!“
„So lass mich doch zu Atem kommen!“, keuchte der arme Krämer, dessen Gesicht schon ganz blau schimmerte. „Ich will dir alles verraten, nur lass mich leben, sonst wirst du`s nie erfahren.“
Das brachte den falschen Bettler zur Besinnung. Vorsichtig lockerte er seinen Griff, gerade genug, dass sein Opfer Luft schöpfen, ihm aber nicht entkommen konnte. „Nun sprich! Hast dir heimlich Geld erschlichen und es hier in der Nähe vergraben, hab ich recht? Sag die Wahrheit!“
„Deinem Scharfsinn kann man nichts verbergen.“, presste der andere hervor. „Lass uns zusammen zu dem Versteck gehen, ich will dir auch einen fürstlichen Anteil daran geben.“
„Alles wirst du mir geben!“, polterte der Gauner und der Schleier der Gier trübte seinen Sinn. „Und dann, wenn ich gut gelaunt bin, gebe ich dir einen Anteil ab.“
„Ganz wie du willst.“, beschwichtigte ihn sein Opfer. „Nur lass mich los, sonst können wir nicht gehen.“
Das sah der Bettler ein, also entließ er den anderen aus seinem Würgegriff. Statt dessen schnallte er ihm seinen eigenen Gürtel um das Handgelenk und ließ ihn nun wie einen Hund vor sich her gehen. Der Tagelöhner eilte auch wirklich, wie ein Hund auf der Fährte, durch die Dunkelheit. Minuten vergingen, dann eine Viertelstunde und immer noch streiften sie im Schatten der Mauer um die Stadt herum.
„He, Alter, du willst mich doch nicht über`s Ohr hauen?“, grunzte der Betrüger, als sie nach einer halben Stunde immer noch an keinem Ziel angekommen waren. „Lass dich gewarnt sein: Das wird dir schlecht bekommen!“
„Wie könnte ich denn, da du mich doch in deiner Gewalt hast?“, fragte der andere hilflos jammernd. „Wir sind schon am Ziel.“
Sie standen vor einem Stück Mauer, das sich in nichts von den anderen rechts und links unterschied. Der Gauner roch eine Gaunerei und scharrte unruhig mit den Füßen. „Was soll das geben?“
„Nimm den Zettel, den du mir gestoh…den du gefunden hast. Du hast ihn doch noch? Gut. Siehst du das Loch dort in der Mauer? Es ist niedrig, aber wir sind beide schlank, da werden wir hindurch passen. Behalt nur den Zettel in der Hand und krieche durch das Loch, dann wirst du zu unermesslichen Schätzen gelangen.“
„Du hälst mich wohl für dumm!“, rief der Bettler. „Weiß ich denn nicht, dass da drinnen deine Kumpane nur darauf warten, mich in Empfang zu nehmen? Nein, da weiß ich was besseres: Du gehst voraus. Hier hast du den Zettel, wenn dir so viel daran gelegen ist. Meinen Gürtel aber schlinge ich um deinen Hals. Wenn es dir nun einfallen sollte, deine Freunde zu Hilfe zu rufen, ziehe ich die Schlinge um deinen Hals zu, bevor du auch nur das erste Wort zu Ende bringen kannst.“ Und so geschah es: Der Krämer ging demütig in die Knie, den Gürtel um die Gurgel gezogen. Beide hintereinander krabbelten die beiden in das schwarze Loch und verschwanden dort. Und damit endet die Geschichte des gierigen Bettlers.
Du hebst entrüstet den Kopf. Du protestierst. Was ist das für ein Ende? Was geschah auf der anderen Seite des Durchgangs? Führte der Krämer den betrügerischen Bettler vor seinen König und führte ihn so in die Welt der Magischen ein? Oder konnte er ihn besiegen und rettete die seinen? Gedulde dich, mein Kind. Ich sagte: Die Erzählung des Bettlers endet an dieser Stelle. Doch zum Glück für uns gab es noch einen weiteren Zeugen dieser nächtlichen Ereignisse.
Noch in der gleichen Nacht, etwa zu der Zeit, als die beiden sich an der Mauer entlang tasteten, drehte ein Stadtwächter auf der Mauer seine nächtliche Runde. Der Regen hatte ihn in einen durchnässten, triefenden Haufen schlechter Laune verwandelt. Zudem fürchtete er sich heimlich vor dem Donner. Zum Glück hatte das Unwetter aufgehört. Doch nein, was war das? Dieses Aufleuchten, war das etwa ein Blitz? Seltsam, kein Donner folgte. Auch schien ihm der Lichtstrahl im Nachhinein recht klein gewesen zu sein. Es wirkte eher, als habe jemand unweit der Mauer ein Licht entzündet. Zuerst überlegte der wackere Soldat, ob er herunter klettern und nachsehen sollte. Weil aber das Leuchten nicht noch einmal auftauchte und der Abstieg über die ausgetretenen Steinstufen gar zu mühsam war, sagte er sich schließlich: „Du wirst geträumt haben. Was Wunder, stehst du schon seit vielen Stunden auf den Beinen. Und wer sollte auch bei diesem Wetter freiwillig durch die pechschwarze Nacht stapfen?“ Mit diesen Gedanken setzte er seinen Marsch fort in dem Versuch, sich durch die Bewegung wenigstens ein bisschen warm zu halten.
Im Morgengrauen wurde der brave Soldat dann abgelöst. Sein Weg führte direkt in sein Bett, wo er sich erst einmal tüchtig ausschlief, um dann pünktlich zur Abenddämmerung zum Dienst zu erscheinen. Den beging er feierlich, indem er sich zunächst mit seinen Gefährten ein helles Bier genehmigte. Nachdem sie alle einen Humpen geleert hatten, meinte unser Freund: „Nun lasst uns eine Pause einlegen, sonst riecht uns der Kommandant schon auf eine Meile voraus, wenn uns nachher inspiziert.“
Sein Kamerad lachte: „Von dem kleinen Trunk merkt man doch nichts. Zumindest sind wir nicht so betrunken wie der Kerl, den sie heute Morgen gefunden haben. Stell dir vor, legt sich einer bei diesem Unwetter letzte Nacht im Schatten der Stadtmauer nieder. Als ihn die Kameraden rüttelten, wollte er gar nicht aufwachen. Erst als sie ihn auf die Beine zerrten, brachte er überhaupt die Augen auf und blinzelte sie an wie eine blauäugige Kuh.“
Bei diesen Worten erinnerte sich der Nachtwächter seiner Beobachtung der vergangenen Nacht. „Und was war weiter?“
„Weiter? Nicht viel. Der Kerl ist ein stadtbekannter Tagedieb, Bettler, Gauner, Betrüger, wohl auch Trinker. Als sie ihn fanden, wusste er weder seinen Namen, noch wie er dahin kam oder was er dort getrieben habe. Plapperte nur die ganze Zeit unsinniges Zeug.“
„Was Zeug?“
„Was weiß ich? Von bösen Geistern und Dämonen, die ihn verfolgten. Er soll auch wie ein Irrsinniger versucht haben, durch ein Loch in der Mauer zu kriechen, das aber auf der anderen Seite nur in eine Kloake führt. Hat sich den Kopf an der Decke geschlagen ist schließlich nur in der... Naja, im Dreck gelandet. Jetzt haben sie ihn in eine Zelle gesteckt, da kann er toben und faseln wie er lustig ist.“
Und damit war die Sache abgetan. Schon wenig später dachten die Stadtwachen nicht mehr an den ulkigen Zwischenfall. Nach einer Woche entließ der Gefängniswärter den vermeintlich Wahnsinnigen, dessen Geschrei ihm auf die Nerven fiel. Der Mann – der natürlich kein anderer als unser Bettler war – lief danach schnurstracks zu seinem Arbeitsplatz auf dem Markt der Stadt, wo er sich aus Gewohnheit vor dem Portal der Kirche niederließ und seinen Hut hinhielt. Es kümmerte ihn aber wenig, ob eine Münze hinein fiel oder nicht. Den ganzen Tag hockte er dort und blubberte unverständliches Zeug vor sich hin. Ein aufmerksamer Zuhörer hätte wohl ab und Worte wie „Hexerei“ oder „Magie“ heraus hören können. Indes: Wer lauschte schon auf das Geschwätz eines irren Alten? So verbrachte der Bettler den Rest seines Lebens und wäre wohl dort sitzend und faselnd gestorben, wenn sich nicht ab und zu eine mitleidige Seele seiner angenommen hätte. Was er in jener Nacht gesehen hatte, erfuhr nie ein Mensch.
Den Krämer aber, bei dem der Alte in dieser Nacht genächtigt hatte, sah man in der Stadt nicht wieder. Niemand fragte nach ihm, niemand vermisste ihn. Und da niemand außer dem Bettler jemals etwas Geheimnisvolles an ihm gesehen hatte, forschte auch niemand weiter nach. Nach diesem Ereignis aber ist uns nicht mehr bekannt geworden, dass ein Mensch so weit in das Geheimnis der Magischen vorgedrungen wäre. Gaben die Könige ihre Versammlungen auf? Das ist unwahrscheinlich. Genauso wenig hörten die Menschen auf, neugierig zu sein. Vielleicht fanden die Magischen einen Weg, ihre Treffen noch besser zu schützen. Ich rate dir: Versuche nicht es heraus zu finden. Wo ein Geheimnis ist, da soll es bleiben. Wer weiß: Vielleicht, wenn du dessen würdig bist, findet sich eines Tages einer, der sich darein einweiht. Dann komm zu mir und erzähle mir davon. Bis dahin aber, begib dich nun zur Ruh. Ende.
 



 
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