Seitensprung

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Seitensprung


Das Bettlaken an meiner Nase ist feucht von uns. Es riecht irgendwie nach Leben. Ich fühle mit der flachen Hand nach. Es ist noch ganz warm. Warm von unserer Hitze. Ich streichle das Laken, als ob es lebendig wäre, als ob es meine Berührung fühlen könnte und ich stelle mir vor, wie es unter meiner Hand atmet.
Es ist ein weißes Bettlaken. Ich frage mich, warum sie in Hotels nur immer und überall dieselben, weiß gestärkten Bettlaken haben? Wären grüne oder blaue Laken nicht viel pflegeleichter, viel robuster und beständiger, als diese strahlend weißen, immer leicht nach Chemie und Reinigung duftenden Stoffbahnen? Was passiert mit all den sündigen Spuren, die die Menschen gerne in Hotels zurücklassen – sollen sie gerade sichtbar werden für die Welt in dieser scheinbar sicheren Schutzhülle fremder Betten?
Ich presse meine heiße Wange auf das Laken unter mir. Es ist immer noch angenehm warm, aber es ist lange nicht so warm wie mein Gesicht, das glüht und heiß ist und mir wehtut. Alles brennt, alles an mir, und ich sehne einen Windstoß herbei, ein kleines Lüftchen, nur für einen Augenblick.
Du liegst neben mir und atmest flach. Dein Brustkorb hebt und senkt sich schnell, viel zu schnell für dieses ruhige, weiße Laken. Du bist nass, nass und heiß, und ich schaue dich an, wie du atmest, hastig und außer dir, kraftlos und doch voller Leben.
Deine Augen sind geschlossen. Sie sehen mich nicht, sie sehen nicht, wie ich dich beobachte. Sie sehen nicht, wie ich dich ansehe, das Laken unter dir taste, deine Hitze spüre und meine eigene noch immer in mir nachbeben fühle, als würde ich tanzen, tanzen immerfort auf einem speienden, glühenden Vulkan, der mich einlullt in seine Lava, in seinen heißen Rauch, so tief umhüllt und umschlingt, dass ich keine Luft mehr bekomme, genau wie du, der du hier vor mir liegst auf diesem weißen, nassen Laken und nach Luft ringst.
Du hast die Augen fest verschlossen. Du siehst mich nicht, aber ich sehe dich und ich spüre deine fremde Anwesenheit in diesem fremden Zimmer. Du bist mir nah, nur eine kleine Bewegung, und ich könnte dich berühren. Fremd und doch vertraut bist du mir, und ich schaudere beim Gedanken an das, was war.
Ich stehe auf. Meine Beine sind noch schwach und wackelig, der Linoleumboden unter meinen Füßen ist kühl, angenehm kühl unter meinen verbrannten Sohlen. Ich halte mich am Nachttisch fest, an der kordbespannten Lampe, die verstolen vor sich hin glüht und uns dabei beobachtet wie wir getanzt sind und immer noch tanzen auf unserem Vulkan.
Nebenan in dem kleinen, weiß gefliesten Bad, bin ich geblendet von dem grellen Neonlicht. Warum sind die Badezimmer in diesen Hotels nur immer so hell? Die weißen Kacheln reflektieren das unbarmherzige Glühbirnenleuchten. Dieses Licht – es ist nach außen hin warm, aber es fühlt sich kalt an hinter meinem eigenen, fiebrigen Gesicht. Es erinnert mich an die Kälte, unsere Kälte, die wir durch die Hitze aus dem Vulkan gerade noch für einige wenige Augenblicke verdrängen konnten.
Mein Gesicht sieht verändert aus. Ich sehe mich an im blank geputzten Hotelzimmerspiegel und denke, dass ich mit diesem Blick, der mich aus meinen geröteten Augen anspringt, nie und nimmer wieder zurück hinaus auf die Straße gehen kann. Ich sehe mir in die leeren Augen, und ich weiß, dass alle die Menschen da unten, in der nasskalten Fußgängerzone, mich sofort entlarven werden und erkennen können, welche Kälte ich unter meinen roten Wangen mit mir trage.
Meine Augen haben sich auch verändert. Sie sind anders. Ich senke den Blick, es tut weh, mich selbst anzusehen. Ich schäme mich. Dann blicke ich wieder auf, sehe mir selbst in die Augen, und ich bin erschrocken über die Frau, die mich aus mir heraus anlächelt. Es ist ein trauriges Lachen, aber ich lächele. Ich fasse es nicht.
Nebenan bewegst du dich nicht. Du atmest jetzt ruhiger, dein hitziges Hecheln hat sich verflüchtigt. Du schläfst.
Ich denke, dass ich nie wieder schlafen kann. Ich denke, dass ich nie wieder ganz wach sein kann. Mein Herz schlägt in einer nebeligen Zwischenwelt, irgendwo an der Schwelle zwischen Leben und Tod. Ich liege im Sterben. Mein ganzes kaltes, lächelndes Selbst liegt im Sterben.
Ich bin schlecht, ich bin böse. Ich bin eine Lügnerin, eine Betrügerin.
„Schlampe!“ flüstere ich meinem blassen Spiegelbild zu. Es antwortet nicht.
Ich sehe mir noch einmal tief in die Augen. Ich spüre, dass ich eine Entscheidung treffen muss, keine Entscheidung treffen will, gezwungen bin, zu handeln, Ruhe bewahren, Vernunft hervorkramen.
Als ich mich wieder anziehe, und in dem Kleiderhaufen neben dem feuchten, weißen Bettlaken mein Kleid suche, greifst du plötzlich meine Hand. Du hast nicht geschlafen, und ich blicke auf und sehe in deine Augen und stelle mir vor, wie du mir in die Augen siehst, in meine neuen Augen, die von meinem fremden Selbst erzählen.
„Bleib.“ sagst du, deine Augen sind noch dieselben, sie haben sich nicht verändert, aber ich habe mich verändert, und deine Augen sind meinem neuen, diesem anderen, kalten Selbst fremd. Ich habe Angst.
„Nein.“, sage ich. Ich ziehe mein rotes Seidenkleid über meinen nackten, sündigen Körper und binde mir das lange, blonde Haar im Nacken mit einer kleinen weißen Schleife zusammen.
„Warum?“ sagst du, du klammerst dich mit beiden Händen an das geschändete weiße Laken und blickst mich an, fast flehend.
„Ich kann nicht.“ antworte ich dir, hoffend und bangend, dass ich mir selber glaube. Denn du berührst mein Bein, und deine Hand ist heiß und fordernd, zuckersüß, eine verbrecherische Verführung.
„Bleib.“ sagst du wieder, umschlingst mein Bein mit deiner anderen Hand, ziehst mich zu dir, so dass ich auf das nasse Bett falle, dabei merke, dass es nun nicht mehr nass ist, sondern nur noch voll, voll mit dir, voll mit uns beiden, mit unserer Liebe, unserer unmöglichen Liebe.
Ich küsse dich, werde wieder warm, heiß und verliere mich selber, finde mich wieder, springe von einem Selbst zum nächsten, drehe und wende mich, hin und her, und lande, ganz am Ende irgendwo, doch wieder bei dir.
Ich bleibe.
 
bokatis holdenfried??? - das pseudonym is echt grimmepreisverdächtig! (läßt da ein wenig der sallinger grüßen?)
...und die biographie deines profils schließt endlich auch nach 10 jahren die letzte große wissenslücke, die der dennis bei der kristina seit der 10ten hatte: das "s" steht für sabine... & net für schlabba... stark!!!

jetzt noch gschwind ein "herzlich willkommen hier" & ein "hallo" & dann aber mal weg vom persönlichen geplänkel hin zum harten hobbyliteratenleselupenbusiness:

jetzt langweilt sich dein text schon seit ewigkeiten hier unberührt & jungfräulich bei den kurzgeschichtlern & weil ich grad außer luftschlagzeug-spieln nix anderes zum tun hab (das stimmt so net ganz: ich laß mir gleich die spitzen schneiden & mußte eben feststellen, daß der bekackte art garfunkel so verdammt scheiße hoch kommt & ich nun nie wieder in der dusche singen werd...) ... wie auch immer: ich hab halt grad deine schreibe gelesen & dachte mir, beend ich mal die kommentar-vakanz & schick dir ein paar zeilen.

ohne jetzt den kumpelinen-bonus all zu arg überzustrapazieren, find ich deinen schrieb wirklich gut... & das, obwohl du ja weißt, wie ich zu "freundin hält noch mal schnell ihrem ex ihren arsch hin" stehe.

weißes, von lava-schweiß & gebährmutterkuchen durchnäßtes bettlaken kommt wohl immer gut & die badezimmerlampen-sache ist sehr stimmungsvoll, wie eigentlich die ganze geschichte.
den vergleich mit anderen hier brauchst du meiner meinung auf jeden fall nicht zu scheuen!

ein paar kleinigkeiten würd ich noch verbessern, aber das kömmer ja beim nächsten schloßparkpils auskaspern, wenn dir danach ist... vorausgesetzt natürlich, du hast überhaupt noch lust auf einen kleinen umtrunk... wegen schlabba & so...

hoff mal & wünsch dir, daß sich noch ein paar leutchen mehr hierher verirren & ein bisschen kritik loswerden...

bis zum nächsten virtuellen aufeinandertreffen!
gruß,
-dennis-
 



 
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