Seitenwechsel

3,80 Stern(e) 4 Bewertungen

Walther

Mitglied
Seitenwechsel


Es waren einfach schöne Zeiten.
Doch alles Gute geht zu Ende.
Und Anderem den Weg bereiten,
Daraus erwächst die nächste Wende.

Und das, was bleibt, ist nur Erinnern
An das, was war, an das, was trieb.
Wir waren gern bei den Gewinnern.
Doch die Geschichte ist nie lieb.

So wechseln Zeiten manchmal Seiten.
Das Unten sich nach oben kehrt.
Entscheidend sind oft Kleinigkeiten,
Und der Erfolg wird schnell verwehrt.

Die Mitte wird zu schmalen Rändern,
Das Lachen wird zum Tränenmeer.
Das Glück kann seine Farbe ändern.
Die vollen Gläser werden leer.

Es waren einfach diese Zeiten,
Sie ruhten auf zu losen Worten.
Die Ziele waren zu bestreiten,
Sie führten wohl zu falschen Orten.
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Walther

Eigentlich eine schöne und nachvollziehbare "Denkerei", die aber in diesem Fall durch einige missglückte Bilder zerstört wird, wie zum Beispiel:

Doch die Geschichte ist nie lieb

Die Mitte wird zu schmalen Rändern

Sie ruhten auf zu losen Worten.
Die Ziele waren zu bestreiten

Das alles wirkt auf mich wenig lyrisch und stimmungsvoll und auch nicht wirklich durchdacht. Das kannst Du besser.

LG

Jürgen
 

Walther

Mitglied
Moin JoteS,

kann ich es besser? Wirklich?

Wir können uns gerne über die Bilder unterhalten:
Die Mitte wird zu schmalen Rändern,
Das Lachen wird zum Tränenmeer.
Das Glück kann seine Farbe ändern.
Die vollen Gläser werden leer.
Wir sind beim "Seitenwechsel". Dieser wird beschrieben:
(1) Was Mitte war, ist schmaler Rand.
(2) Wo Lachen war, ist Trauer.
(3) Wo Glück war, ist die andere Farbe, das Pech.
(4) (Halb-)volle Gläser sind (halb-)leer; Hoffnung(slosigkeit).
Vielleicht hast Du nur zu schnell gelesen.
Es waren einfach diese Zeiten,
Sie ruhten auf zu losen Worten.
Die Ziele waren zu bestreiten,
Sie führten wohl zu falschen Orten.
Weiter geht es mit den Zeiten, Sue ruhten auf losen Worten (= losen Steinen); Doppeldeutigkeit im Wortsinn, beabsichtigt. Und: Waren die Ziele falsch, (ver-)führten sie zu falschen Orten. Auch hier zu schnell gelesen?

Mehr gibt es nicht zu sagen. Vage sollte der Eindruck sein, ambivalent. Die letzte Strophe greift das auf. Daher auch der Titel, der auch "Zeitenwechsel" (sic!) hätte heißen können.

Ein Text also, der nicht für den schnellen Konsum geeignet ist. Es wäre wohl besser gewesen, ihn nicht zu posten. Aber gut, wer denkt denn heute schon, daß einer beim Schreiben tief schürft, vor allem beim Schreiben fürs Internet. Hier ist des nötig, zwischen der Worten und Wörtern, zwischen den Zeilen die Stränge und Fäden, die Strings, an denen die Zwischenräume, die weiteren Dimensionen, des Textes hängen, zu erforschen, sich darauf einzulassen. Nun steht er da und muß sich bewähren, multiversal.

Der Text "Semantisch" ist ebenfalls ein solcher und führt einen Schlüssel dazu bereits im Titel.

Damit - und Deinem Verdikt - kann ich und will ich leben. So schreibe ich nun einmal, wenn ich nicht gerade dem Blödelsinn und der Ironie verfalle. Daher sage ich: Ich kann's nicht besser und auch nicht anders. Jedenfalls nicht bei diesem Text.

Lieber Gruß

W.
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Walther

Manches habe ich hier einfach mal wörtlich genommen und mich gewundert. So zum Beispiel die Zeiten, die auf Worten ruhen. Ich finde das ist einfach ein Bild, das nicht funktioniert. Die Worte als Synomym für Fundamente (Steine) empfinde ich als fragwürdig und alles andere als naheliegend.

Das selbe empfinde ich bei Deinem Mitte/Rand-Bild. Wenn, was in der Mitte lag, nun am äussersten Rand liegt, dann kann ich das nachvollziehen, dass die Mitte zum Rand wird... o.k. ... aber dass sie dabei auch noch schmal wird....hmmm. Klar geht's darum, dass dat Dingens nun "on the edge" ist aber genau das sagt diese Formulierung grammatikalisch gesehen eben nicht aus.

Bei den zu bestreitenden Zielen widerum denke ich, dass die Doppeldeutigkeit des Wortes hier sehr irritierend (und weil um eine halbe Ecke zuviel gedacht unbeabsichtigt) wirkt und schliesslich empfinde ich die Geschichte, die nicht lieb ist, als schon haarscharf jenseits der Grenze zur Blümchenlyrik befindlich.

Lieber Walter, ich schätze Deine Werke sonst sehr und ich lese sie stets in aller Ruhe und mehrmals. Gerade der Umstand, dass sich die vordergründige Sperrigkeit meist in die Schönheit eines Gedankens verwandelt, macht Deine Werke für mich interessant. Auch gefällt mir, dass Du auch mit der Metaphorik fast immer sicher umgehst aber genau das habe ich diesmal nicht vorgefunden wobei das durchaus ein Stück weit an meiner "Tagesform" liegen kann.
Deine Metaphern und Wortspiele habe ich grösstenteils wie von Dir beschrieben wahrgenommen aber nicht alle haben "gezündet".

Nix für ungut und liebe Grüsse

Jürgen
 

Walther

Mitglied
Moin JoteS,

danke für die Replik. Nicht daß Du denkst, ich wär jetzt sauer. Bin ich nicht. Ich kann diesen Text nur nicht "anders" machen. Es geht einfach nicht.

Das heißt nicht, daß man ihn gutfinden oder gar lieben muß. Um Himmels Willen! Lyrik ist persönlich, Lyrik ist sperrig, sie ist verschlüsselt. Und manchmal auch zu viel davon. Hier mag das so sein, ich wills nicht einmal bestreiten.

Was bleibt, und das geht Dir bei manchen Deiner Texte sicherlich auch so: Dieser Text geht nur, wie er ist, oder eben nicht. Wenn er bei anderen, dem Leser, nicht zündet, Du beschreibst das drastisch, ist er verloren. Damit kann und muß ich dann leben.

So war meine Antwort gemeint. Auf keinen Fall aber als Angriff gegen Deine meist treffenden kritischen Anmerkungen.

Es grüßt und tschüßt

der W.
 

Drake Falkon

Mitglied
hallo!
mir gefällt dein text gerade wegen den bildern des mittelrandes, den wortsteinen, den farbänderungen und ganz speziell auch wegen dem thema.

mach ruhig weiter so:)

gruß
 
H

HFleiss

Gast
Lieber Walther, mir gefällt - was heißt eigentlich gefällt? -, also das Gedicht spricht mich an, die Vergänglichkeit, das Umstülpen alles Seins durch die Zeit. Selbstverständlich kann man über Metaphern nicht streiten, weil jeder sie anders versteht. Das einzige, was mich ein bisschen stört, ist das schon halb Klischeehafte der Metaphern: Tränenmeer, die vollen Gläser, die leer werden - es sind ein paar Sachen, die mich ein wenig stören. Aber das von Jote gerügte "Die Geschichte ist nie lieb" gefällt mir ausgezeichnet, wegen des Understatements. Vielleicht, ich gehe so weit, das zu fragen, kann man über dieses Thema sowieso nur im Understatement schreiben, wenn es nicht anöden soll. Aber eines verfluch ich: Gäbe es doch keine Metrik! Hier reibt sich der Inhalt mit der Form - meine Meinung.

Liebe Grüße
Hanna

Liebe Grüße
 

Walther

Mitglied
Hallo Hanna,

ein seltenes Lob, eines von Dir. ;) Danke (ehrlich gemeint).

Zu den Metaphern: Ich habe es mir zur Maßgabe gemacht, alte und neue Bilder zu mischen. Damit bleibt der Text im Fluß der deutschen Dichtung und zeigt zugleich an, aus welcher Zeit er stammt.

Zur Metrik: Man kann sie durchaus auch als Einengung begreifen. Ich finde aber, Regeln können manchen helfen, das Schreiben durch nochmaliges Nachdenken und Umformulieren zu verbessern. die Aussage präzisieren. Es gibt Menschen, die brauchen dieses Korsett nicht. Mir tut es eher gut.

Liebe Grüße

W.
 
H

HFleiss

Gast
Was ich bedaure, ich meine das mit dem Korsett.

Liebe Grüße
Hanna
 

Walther

Mitglied
Liebe Hanna,

das dachte ich mir. :) Und ich versteh das sogar, kaum zu glauben, aber wirklich wahr. Nur für mich ist eine Hilfe.

Und was für mich gut ist, muß noch lange nicht für alle gut sein. :)

Gruß

W., jetzt mal ohne Korsett ...
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Ich zwänge mich auch gerne in dieses Korsett, begreife es aber nicht als Zwangsjacke. Mir macht es jedenfalls Spaß, oder besser gesagt, es reizt mich ungemein, mich stundenlang vor den Text zu setzen und Unmengen Wortkombinationen zu bilden, bis ein Gebilde entsteht, das von Metrik und Reim her meinen (persönlichen) Idealvorstellungen entspricht. Ich betrachte die Beschäftigung mit gereimter Lyrik sozusagen als stilvolle Knobelei.
Ich hoffe jetzt mal, Andere leiden auch unter dieser Manie *ängstlich umherkuck*
Walthers Gedicht gefällt mir unter diesem Gesichtspunkt recht gut, weil ich glaube, dass er an sich noch höhere Ansprüche stellt als mich an mir. ;)

Viele Grüße

Thomas
 

Walther

Mitglied
Hallo Sta.tor,

stimmt, ich nehme mich an die Kandarre. :) Allerdings nicht zur Kasteiung oder Geißel, aus purem Spaß an der Freud.

Danke für die Zusprache.

Gruß W.
 



 
Oben Unten