Selbsttötung

muskl

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Selbsttötung


Er hatte gewusst das er es tun würde, war sicher das er abdrückt, aber das es so schnell gehen würde, hätte er nicht geglaubt. Es war einfach gewesen, viel einfacher als er gedacht hatte. Am schwersten war das Ritual bis zur Entscheidung den Finger zu krümmen. Zumindest kam es ihm wie ein Ritual vor, unweigerlich hatte er sich dabei wie ein Soldat gefühlt, der sich auf ein tödliches Kommandounternehmen begibt. Er war ein desillusionierter Held der sich opferte, für welche Idee auch immer, die Ideen waren ja auch im wirklichen Krieg relativ egal, die Hauptsache war es gab Opfer. In etwas anderem als einen Krieg befand er sich ja schließlich auch nicht, im Krieg des Lebens.

Als er im Krankenhaus aufwachte, wusste er das sein Kommandounternehmen gescheitert war, sein Leben ging weiter und somit auch der Krieg. Was blieb war die vernähte Bauchwunde, die Bresche, die seine Kugel geschlagen hatte. In den Augen der Leute, die ihn wieder für den Krieg gerettet hatten, sah er Unverständnis, aber auch Häme, sie hatten gewonnen. Sie hatten in einen Krieg eingegriffen der sie nichts anging, aber für sie einen Triumph brachte und sie zu Helden machte. Was für ihn zu dem Schluss führte, dass Opfer nicht zu Helden werden, sondern eher die vermeintlichen Retter der Opfer.

Das Heer der Psychologen das dann auf ihn losgelassen wurde, versuchte es dann mit einer Gehirnwäsche. Nach vielen Gesprächen war er fast selbst davon überzeugt, dass es ihm wirklich schlecht ging. Depressionen und Lebensüberdrüssigkeit sollten ihn so langsam dahingerafft haben, bis er dann den Verzweiflungsschritt tat und sich in den Bauch schoss. Einerseits war es laut der Psychologie sein fehlerhaftes Verhalten, andererseits eine tief in ihm vergrabene dunkle Seite, sein Unterbewusstsein spielte dabei wahrscheinlich eine tragende Rolle. Leider konnte sich keiner der Fachmenschen entscheiden, also musste er es selbst tun. Er entschied sich für keine der beiden bereitgestellten Möglichkeiten, er nahm das als Ursache, was er wusste.

Er war bis in die tiefste Faser seines Körpers und seiner Seele verletzt. Wenn seine Seele bluten könnte, sähe es um ihn herum wie in einem Schlachthaus aus. Dafür musste er 30 Jahre alt werden, besser gesagt, es haben 30 Jahre ständiger Verletzungen gereicht, um seine Seele zu zermetzeln. Seit einiger Zeit war sie nur noch wie ein Stück rohes zuckendes Fleisch, es gab keinen Schutz mehr, man brauchte sie nur noch leicht antippen, damit sie auch ihr letztes bisschen Blut verlor. Er hatte schon lange gemerkt das es darauf hinauslief und hatte die Schutzmaßnahmen ergriffen, die eben möglich waren und das waren nicht viele.

Er hatte sich zeitweise so gut es eben ging von vielen Menschen abgewandt, um damit den Verletzungen aus dem Weg zu gehen. Aber eben nur so gut wie es ging, abwenden entsprach eigentlich nicht seiner Natur, er war Menschen und Kontakten zugewandt. Er mochte die Menschen, viele interessante hatte er kennen gelernt, dabei handelte es sich nicht nur um originelle Menschen. Ihm lag etwas am sogenannten ganz normalem Wahnsinn, auch wenn es der langweilig spießige war. Er mochte es, wenn Leute nachdachten und das auch benutzten, um miteinander umzugehen. Das hieß für ihn nicht unbedingt die oft benutzten Schlagworte bewusst leben, sondern eher freundlich und ehrlich zu leben. Menschen mit all ihren liebevollen Schwächen und Stärken, aber immer mit einem ehrlichen Charakter.

Zerstört haben ihn dumme Menschen, wobei er die nie am Intelligenzquotienten gemessen hatte. Es wäre auch zu einfach sie nur charakterschwach oder böse zu nennen, für ihn reichte die Beschreibung menschlich dumm. Das waren nicht unbedingt Menschen die sich nicht artikulieren konnten, oder kein Studium hatten, oder keinen Beruf, er meinte damit den reinen Menschen ohne schmückendes Beiwerk. Das waren die Leute, die an sich selbst dachten, wenn sie über andere redeten. Ob Mann ob Frau, alles tratscht mal gerne, aber um des Tratsches willen und nicht vordergründig dafür, um Selbst etwas dadurch zu gewinnen. Natürlich erhöht sich fast jeder selber durch den Tratsch, aber nicht jeder mit einer böswilligen Absicht. Auch die Gefühlsdummen sind schwer zu tragen, solange sie die Dummheit vortäuschen. Auch hier kann man selbstverständlich gegen natürliche Dummheit nichts machen, außer sie zu verstehen. Böswillig und kaum zu beweisen ist sie wie immer bei der Verstellung, aber zu spüren bleibt sie doch.

Am Anfang standen seine Eltern, die ihm seine Jugendzeit mit ihren dummen angepassten Sprüchen vergällten. Dumm waren diese Sprüche in den meisten Fällen, weil sie irgendwie immer alles nachplapperten was sie irgendwann mal gehört hatten. Dabei kann man den Einfluss des Fernsehens nicht ausnehmen, es wurde einem Ja auch relativ einfach gemacht. Sie mussten nur zuhören, sich eine Möglichkeit aussuchen nach dem Schema Ja/nein und sich dann entscheiden. Das galt für jede Sendung in jedem Programm, was allerdings sehr verwirrend wurde, als die Privaten Sender das Fernsehen übernahmen. Alles andere hatten seine Eltern wohl aus ihrer Geschichte aufgeschnappt und verwertet. Das sie das alles kaum begründen konnten was ihnen so aus dem Mund lief, interessierte sie nicht und ihn sollte es nicht interessieren. Er nahm an, dass man so etwas Gottgegeben nennen konnte, aber vielleicht war es auch einfach nur diktatorisch. Damals hatte er vorgehabt ihnen alles zur richtigen Zeit ins Gesicht zu schmettern, seine ganze Verachtung für diese grenzenlose dumme Primitivität. Als seine richtige Zeit da war, mochte er sie nicht verletzen, um ihren Glauben nicht zu zerstören, er liebte sie schließlich.

An seine Bundeswehrzeit wollte er nicht viele Gedanken verschwenden, da wurde primitive Dummheit schließlich zum Programm erklärt und meistens mit vielen Litern Alkohol betäubt. Aus der Betäubung war er nach 15 Monaten Pflichtdienst auferstanden und war froh, dass er sich noch an seinen Namen erinnern konnte.

In den gleichen Kothaufen traten auch die meisten Arbeitgeber oder Vorgesetzten. Wer kannte das nicht, irgendeiner der sich für wahnsinnig schlau hielt stand vor ihm und versuchte von einem Auftrag zu überzeugen, was er aber eigentlich gar nicht nötig hatte, denn er wusste ja was er zu tun hatte. Es ging dabei nur um Gewinnen, etwas gewinnen was schon gewonnen war, aber das Gefühl gewonnen zu haben musste zu schön sein. War der dummstolze Gesichtsausdruck danach einfach nur befriedigte Macht, oder war es das Gefühl einer Lebensberechtigung? Er versuchte oft dem Machtgelüste zuvorzukommen und demjenigen durch Schnelligkeit bloßzustellen, was aber in den meisten Fällen zu unkontrollierten Funktionsstörungen des Mächtigen führte, was ihm aber nicht die Freude daran nahm.

Was seiner Seele aber den vermutlichen Todesstoß versetzt hatte, war das vermeintlich schwache Geschlecht. Er hatte nie Probleme gehabt eine Freundin zu finden, er sah gut aus, war charmant, nett und ein Sensibelchen. Er konnte sich wunderbar in die Kompliziertheit einer weiblichen Seele versetzen und die verwirrenden Gedankengänge bis fast zum Ende verfolgen. Allerdings hatte er dabei aber immer das Gefühl, seine jeweilige Freundin würde zwar darauf stehen, aber insgeheim lieber einen normalen Mann mit normalen Käsefüßen und wenig bis keinen eigenen Gedanken, das heißt bis auf Bier und Autos natürlich, zu Füßen zu liegen, auch wenn es dann schon mal streng roch. Das Sensibelchen geliebt, den unbarmherzigen Jäger geheiratet und mit ihm Kinder mit kleinen Schweißfüßen gezeugt, so nahm das Leben dann seinen ewigen Kreislauf.

Das der, die er gerade heiraten wollte, das aber erst im letzten Moment einfiel, war wohl sein endgültiger Schlag. Wenn sie es ihm zumindest gesagt hätte das es so mit ihm nicht geht, aber sie hatte sich lieber 5 Tage vor der Hochzeit mit neuer Begleitung in den Flieger gesetzt, um in irgendeine wärmere Sonne zu verschwinden. Bei ihrem herzlosem dummgeilen Abschiedsbrief lag auch ein Foto dabei, sie mit ihrem neuen, beide nackt auf ihrem häuslichen gemeinsamen Bett. Er wusste nicht warum sie ihn damit vernichten wollte, sie wusste das sie es damit tat. Reichte es nicht ihn einfach zu verlassen, sie kannte seine Geschichte, wollte sie ihn umbringen? Vermutlich war es ihr lieber er war verschwunden, wenn sie zurückkehrte.

Als er den Brief las und das Bild sah, war es um seine Seele geschehen. Eigentlich hatte er mal im Gedanken damit gerechnet, dass seine Seele sich mit einem hohlen Pfeifen verabschieden würde, aber es wurde nur ganz kalt und dunkel. Er setzte sich in sein Auto und fuhr ins Moor, an einer einsamen Stelle steckte er den immer Kofferraum bereitliegenden Schlauch aufs Auspuffrohr und leitete ihn in den Innenraum. Nach dem Starten des Wagens fiel sein Blick unwillkürlich auf die Tankanzeige, es würden sehr lange Zeit Abgase in den Wagen geblasen werden. Der letzte Gedanke mit dem er sich von der Welt verabschiedete war: Rauchfleisch hält sich länger...

2001 / Michael
 

flammarion

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ach,

der arme kerl kann einem ja richtig leid tun. flüssig geschrieben, gut erzählt, um deine rechtschreibfehler weißt du ja schon . . . mach mal so weiter. lg
 

muskl

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stimmt...aber die Qual ist auch selbst gemacht. Sicher war ich mir nicht wegen dem Zynismus am Schluß, oder ist das nur Galgenhumor? Zumindest würde ich wahrscheinlich so reagieren. Am Abschluß kann man über seine eigene Quälerei lachen, fast als wenn man sie von außen betrachtet.
Lieben Gruss Michael
 



 
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