Sich zu fühlen, als wolle man nur noch kotzen

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Ich lag auf meinem Bett und wollte nicht mehr so richtig. Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich für diesen Tag genug über den täglichen Schmerz nachgedacht habe. Warum sollte man sich auch in seiner Freizeit ständig Gedanken über seine Arbeit und seine privaten Mißerfolge machen? Eben, weil es leider Gottes genau diese Dinge sind, die einen am Leben halten. Das meine ich aber auf eine negative Art und Weise. Sie halten uns in einer materiellen, ständig auf Erfolg abgestimmten Welt fest, die ich mehr als einmal wirklich verlassen wollte. Von der ich im Grunde ständig hinfort gehen möchte. Selbstmord erschien mir aber einfach immer zu “einfach”. Damit meine ich, dass ich glaube zu wissen, einen “richtigeren” Weg in eine andere Welt zu finden. Einen Weg, der jedem Menschen offen liegt, sobald er dafür bereit ist.
Jedenfalls stieg ich von meinem leeren, aber weichen Bett und schlenderte traurig und bedeutungslos in das Badezimmer um mir dort Rat von meinem Spiegel zu holen. Das Gesicht hinter der Glasplatte warf mir aber nur einen ahnungslosen Blick zu und zwinkerte höhnisch, als ich ihm sagte, es solle sich ein weibliches Spiegelbild suchen und eine Familie gründen, oder mich einfach nur in Ruhe lassen.
Enttäuscht von der Ratlosigkeit meines Spiegelbildes, ließ ich mir warmes Wasser in die Badewanne, gab ein wenig Schaumbad hinzu und stieg nackt, wie mich die Schöpfung erschaffen hatte in das warme, entspannende Nass. Ermüdet von dem Spielen mit einer gelben Gummiente und den Temperaturen, weit über vierzig Grad, fiel ich schließlich in einen unruhigen Traumzustand.

Ich sah mein Ebenbild - zwanzig Jahre in der Zukunft. Ich war beinahe zweiundvierzig Jahre alt und floh vor meinem Spiegelbild. Mit einem diabolischen Grinsen verfolgte es meine Gestalt. Wir hatte beide ein verbrauchtes, krankes Gesicht mit müden Augen und trugen weiße Hemden mit einer grauen Krawatte. Ich rannte immer weiter, bis ich an einer Mauer kam - eine Mauer aus Menschen - mit meinem Gesicht und meiner Kleidung. Ein gewaltiges Gebilde aus weißen Hemden, grauen Krawatten und schwachen, leblosen Gesichtern. Ich schien verloren. Ich sah mich um und erkannte dass alles um mich herum ich war. Und jedes meiner Ichs sah krank und einsam aus. Sogar mein Verfolger hatte seine diabolische Ausstrahlung verloren und blickte mich nun ebenso traurig und verloren an. Plötzlich schrieen alle laut auf und beschimpften und schlugen mich. Sie riefen: “Warum hast du uns das angetan? Warum hast du und vernichtet? Warum bist du so ein Lebewesen geworden?” Ich sah meine Gestalten um mich herum mit blutenden Augen und tiefen Narben über die Gesichter verteilt. Dann kam es mir vor, als hätte mich vor Schreck der Schlag getroffen und ich wachte erschöpft in einem warmen Krankenbett auf. Hier sah ich zuerst nur verschwommene Personen an meinem Bett stehen, die sich offenbar besorgt über mich beugten. Doch als ich wieder klar sehen konnte, kam die Angst zurück. Denn die eben noch so besorgten Minen wurden wieder zu wuterfüllten Hassgesichtern, die mir mit mehreren riesigen Skalpellen immer und immer wieder in den Körper stießen. Durch mein weißes Hemd und durch die graue Krawatte. Als ich mich im Moment meines Ablebens noch einmal in dem Krankensaal umsah, waren links und recht von mir Hunderte von Betten, mit Gestalten, die ebenfalls mein Aussehen hatten und gerade blutüberströmt und am sterben waren. Dann trieb meine Sicht in die Ferne und ich sah die Szenerie aus eine schrägen Vogelperspektive. Abertausende Wesen, die ich war und alle begannen nun zu brennen, in einem blutroten Feuer aus Angst, Krankheit und Enttäuschung.
Da kam ich wieder zu Bewußtsein. In meiner Badewanne. Das Wasser war bereits erkaltet und ich fühlte mich grausam. Ich ließ mich aus der Wanne fallen und brach erschöpft auf dem Badezimmerboden nieder. Mir war nur noch schlecht. Ich hätte brechen und gleichzeitig sterben müssen. Wußte nicht mehr wo und wer ich war. Mir kam aber wieder in den Sinn, dass ich diese Fragen auch nicht im Normalzustand hätte beantworten können. Und plötzlich eröffneten sich mir noch ein paar weitere Fragen:
Was bin ich? Habe ich Schuld? Was mache ich hier? Was ist der andere Weg in die Welt der Freiheit? Gibt es diese Welt? Wer sind meine Widersacher? Bin ich Selbst mein Gegner? Sind alle anderen Menschen nur ein schlechter Witz? Kann ich überhaupt hinter all diese Fragen kommen?
Dann ging es mir eigentlich nur noch schlechter und machte ein paar erfolglose Versuche, mich in die Toilette zu übergeben. Ich raffte mich auf und schmetterte ein weiteres Mal auf den rutschigen Kachelboden. Dort in meiner Position konnte ich durch das schräge Badezimmerfenster sehen und erkannte in dem inzwischen schon verdunkelten Abendhimmel ein Licht funkeln. Ich hoffte er wäre irgendeine Art “Glücksstern”, der mir wieder helfen würde, zu klaren Gedanken zu kommen.
Doch enttäuschenderweise war es nur ein Flugzeug, dass dort am Himmel mit seiner Beleuchtung ein Stelldichein gab, wie ich einige Momente später feststellte. Durch diese Überlegungen wurde ich schließlich aus meinem Wachkoma am glitschigen Grund des Toilettenraumes gerüttelt und konnte mich soweit Aufrichten um mich an der Badewanne aufzustützen. Mit einem abenteuerlichen Satz zur Heizung (die im Übrigen nicht an war) griff ich zu einem Badetuch und trocknete damit meine naßkalte Haut ab. Das bleiche Gesicht meines Gegenübers, das ich sah, als ich schwach und müde einen Blick in den Spiegel wagte, sagte mir: “Ich fühle mich, als müßte ich nur noch kotzen”. Ich kämmte mir die feuchten Haare zurück und zog mir Unterhose und T-Shirt an. Dann ließ ich das lauwarme Wasser aus der Wanne und hatte Mühe damit, nicht vor Schwindel wieder hinein zu fallen.
In meinem Zimmer warf ich mich immer noch leicht durcheinander und erschöpft auf mein Bett und räkelte mich einige Zeit lang darin, ehe ich erneut in einen Schlaf fiel.
Dieses Mal träumte ich von einem hellen Stern in einem schwarzen Nachthimmel, vor dem ich aber keine Furcht hatte. Es war mein “Glücksstern”. Es war meine Seele. Sie sprach nicht. Aber sie wollte mir zeigen dass sie noch da ist. Dass sie noch immer strahlt und Hoffnung in sich trägt. Dass sie darauf wartet, ihre Kraft zu benutzen um mich dorthin zu tragen, wo ich sein möchte, wo ich die Dinge fühlen und mich in Frieden diesem Zustand hingeben kann.
Meine Stimme stellte ihr noch eine Frage, ehe das Leuchten begann, zu verblassen um für eine, womöglich lange Zeit zu verschwinden: “Was ist mit den Antworten? Mit der Lösung?”
Doch der Stern konnte oder wollte mir darauf keine Reaktion geben. Er verschwand und ich fiel in einen tiefen, tiefen, endlos langen und ruhigen Schlaf.
 



 
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