Sie nannten ihn Schwein

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Einstein

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Sie nannten ihn Schwein

Er hieß Jörg Zeidler, doch von seinen Freunden und Bekannten wurde er nur Schwein genannt. In seiner frühesten Kindheit, sagte die Mutter eines Tages am Mittagstisch: „Seht mal, der Jörg sitzt da und ißt wie ein Schwein!“
Der Vater lachte, sein Zwillingsbruder Thomas johlte: „Jörg ist ein Schwein! Jörg ist ein Schwein!“
Der Mutter tat ihre spontane Äußerung sofort leid, doch sie konnte sie nicht mehr rückgängig machen. Seit dieser Zeit haftet der Spitzname an ihm wie ein Makel. Beklagt hat er sich aber nie.
Thomas und Schwein waren meine Jugendfreunde. Wir wohnten in der selben Stadt und gingen auf die gleiche Schule. Gemeinsam verübten wir so manchen Jungenstreich und bekamen dafür auch so manche Tracht Prügel.

Fünfzehn Jahre waren nach unserer Schulzeit vergangen. Jeder war seinen eigenen Weg gegangen, aber aus den Augen hatten wir uns nie verloren. Schwein lebte mit Sigrid zusammen, die er während seiner Militärzeit in Kiel kennengelernt hatte, einer Heirat war er immer erfolgreich aus dem Wege gegangen. Ihre gemeinsame Tochter hieß Manuela und war vier Jahre alt. Thomas hatte Sabrina, seine erste große Liebe, geheiratet.

Auf dem Parkplatz vor einem Heimwerkermarkt traf ich Thomas.
„Ist da was dran, was über Schwein gemunkelt wird?“ fragte ich ihn.
„Tja, es war Schwein, der die Sparkasse überfallen hat“, sagte Thomas und sah sich verlegen nach ungebetenen Zuhörer um.
„Es war zwar die Rede von Zwillingen, aber ich habe sofort nur an Schwein gedacht. Er hielt ja nie viel von Arbeit, nun hat er die Quittung.“
„Recht hast du, aber ich schäme mich so.“
„Warum?“
„Na hör mal, als die Bullen Schwein kassierten, haben sie Sabrina und mich auch mitgenommen.“
Ich wurde neugierig: „Das muß du mir erzählen?“
Thomas sah auf seine Uhr: „Aber nicht hier! In einer halben Stunde hat Sabrina Feierabend. Komm, wir gehen zu mir!“
„Ist Sabrina noch immer bei Dohmeyer?“
„Aber sicher, ihr gefällt es da, und schönes Geld bringt sie auch nach Hause.“

Thomas schloß die Wohnungstür auf.
„Geh schon mal ins Wohnzimmer. Trinkst du ein Bier?“
„Ja, gerne!“
„Sabrina macht später Essen.“
„Meinst du, ich will bei dir Wurzeln schlagen? Schön hast du es hier!“
„Du hättest mal sehen müssen, wie die Bullen hier gehaust haben. Es war das totale Chaos, wie auf einem Schlachtfeld sah es aus.“
„Was?“
„Ja, die haben alles durchwühlt, das Unterste nach oben gekehrt.“
„Hatten die denn einen Durchsuchungsbefehl?“
„Natürlich, die haben nebenan bei dem Hubert geklingelt und standen schon vor meiner Türe, als ich aufmachte. Einen Wisch haben sie mir vor die Nase gehalten und sind mit sechs, acht Mann in die Bude gestürmt.“
„Wie im Krimi!“
„Hhm, die arme Sabrina hat fast einen Herzinfarkt bekommen.“
„Und dann?“
„Dann haben sie uns mitgenommen. Ich habe noch gesagt, sie sollen das Mädel in Ruhe lassen, hat aber nichts genutzt.“
„Wo haben sie euch denn hingebracht?“
„Aufs Präsidium, Sabrina wurde nach zwei Stunden wieder freigelassen. Ich wurde den ganzen Tag bis in den Abend verhört. Am nächsten Morgen wurde ich ohne eine Erklärung entlassen. Da siehst du nun, was für einen feinen Bruder ich habe. Dieser Idiot überfällt innerhalb fünfzehn Monaten dreimal dieselbe Bank, die nur einen Steinwurf von seiner Wohnung entfernt ist. Er hatte selbst dort sein Konto. Aber der Herr meinte ja, er wäre superschlau!“
Zornesröte stieg Thomas ins Gesicht, und mit zittrigen Händen zündet er sich eine Zigarette an.
„Nun reg dich nicht auf, Thomas!“
„Franz, du hast gut reden. Weiß du, wie mir zumute ist? Ich traue mich kaum noch unter die Leute. In diesem kleinen Kaff hat sich das doch wie ein Lauffeuer in Windeseile herumgesprochen.“
„Ja, das stimmt, aber du kannst nichts dafür!“
Mit belegter Stimme fuhr Thomas fort: „Auf der Straße haben sie ihn verhaftet.“
„Hat er denn nicht versucht, abzuhauen?“
„Nee, das ging alles so schnell, die Bullen waren in Zivil. Bevor er sich versah, hatte er eine Knarre am Kopf, die Hände auf dem Rücken, und klick waren die Handschellen zu. Die hatten ihn vorher observiert.“
„Und haben...“
„Da kommt Sabrina!“
„Hallo Franz, sieht man dich auch mal wieder? Wie geht's? Deine Haare werden auch immer weniger.“
„Hallo Sabrina, deine aber auch! Abgeschnitten? Steht dir aber gut.“
„Thomas gefielen die langen nicht mehr.“
„Gar nicht!“ Thomas tat entrüstet.
„Sabrina, wir sprachen gerade über Schwein, Franz meinte...“
„Hör auf, am liebsten würde ich auch nach Kiel ziehen!“
„Nach Kiel, was willst du denn dort?“ fragte ich.
„Zur Sigrid und...“
„Das weiß Franz noch gar nicht“, rief Thomas.
„Sigrid ist mit der Kleinen zu ihren Eltern, weiß du?“
„Nee?“
„Dann laß dir das mal von Thomas erzählen, ich verzieh' mich mal in die Küche."
„Ja, Schwein hat sich 'ne Nutte angelacht“, sagte Thomas grinsend.
„Was?" rief ich erstaunt, „wo hat er die denn kennengelernt?“
„Na, wo schon? Im Puff natürlich! Er hat doch in dem Milieu verkehrt.“
„Nicht nur angelacht, geheiratet hat er sie, und einen Balg hat er ihr gemacht“, rief Sabrina aus der Küche.
„Ja, das stimmt! Nadia heißt sie, ein tolles Weib!“
„Ne Schlampe ist sie“, empörte sich Sabrina, „bis Mittags lag sie im Bett, und Sigrid, die dumme Gans, hat auch noch für die beiden gekocht und gewischt. Die Augen hätte ich ihnen ausgekratzt, wenn das mir passiert wäre!“
„Und Sigrid hat sich das gefallen lassen?“ fragte ich ungläubig.
„Sigrid“, sagte Thomas, „hat alles versucht, daß Schwein wieder zur Vernunft käme, schon wegen ihrer Tochter. Als sie dann erfuhr, daß Nadia schwanger war, ist sie mit Manuela zu ihren Eltern gefahren. Fünf Wochen später haben Schwein und Nadia geheiratet. Durch ihre extravaganten Wünsche ist er immer tiefer ins Milieu abgeruscht.“
„In welchem Knast sitzt Schwein?“
„Er ist noch in U-Haft, in Köln.“
„Hast du ihn mal besucht?“
„Schon zweimal, vergangene Woche noch. Er jammert jetzt wie ein Waschweib.“
„Was macht die Nadia denn jetzt?“
„ Die geht wieder ihrem alten Gewerbe nach.“

Sieben Monate später saßen Thomas, Sabrina und ich im Gerichtssaal, als der Richter verkündete: „... und hiermit verurteile ich den Angeklagten, Jörg Zeidler, wegen dreifachen Bankraubs, zu acht Jahren und drei Monaten Gefängnis...“ Ohne jegliche Regung nahm Schwein das Urteil entgegen und wurde abgeführt. Fassungslos sahen wir uns an. Ich wollte es nicht glauben – mein Schulfreund, ein Bankräuber.
 



 
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