Sie sind unter uns

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Der Himmel zeigte mir mit seinem öden Grau, dass er sich wieder nicht entscheiden konnte, ob er seine Nässe loslassen oder bei sich behalten wollte. Die Glocken von der Kirche gegenüber klangen so blechern, als hätten sie vergessen, warum sie läuten, und die Luft roch einfach nach nichts. Ich schloss das Fenster, weil es an der Haustür geläutet hatte.

„Herr Gerster? Herr Ferdinand Gerster? Ein Paket für Sie. Wenn Sie hier bitte unterschreiben möchten?“

Ich unterschrieb und starrte dann dem Postboten noch einige Momente hinterher, während ich in meinen Erinnerungen herumkramte, was ich denn bestellt haben könnte. Mir fiel nichts ein.

„Car-Tuning München“ las ich. Mehr stand da nicht.

Nein, das hatte ich nicht bestellt. Ich öffnete den Mund, um dem jungen Mann noch hinterher zu rufen, aber da hätte ich schneller sein müssen.

Car-Tuning München.

Doch gerade, als ich mich entschlossen hatte, das Paket zu dem kleinen Postschalter ins Seniorenheim zu bringen, fiel mir ein, dass heute Sonntag war. Da stand ich nun mit einem unverlangten Paket ohne vollständigen Absender, das von der Deutschen Bundespost an einem Sonntagvormittag ausgeliefert wurde. Das gefiel mir nicht. Das gefiel mir überhaupt nicht.

Ich würde sofort am Montagmorgen zur Bank zu gehen und darum bitten, jede Abbuchung von Car-Tuning sofort rückgängig zu machen. Bis dahin konnte das Paket meinetwegen hier überwintern. Ich schob es zwischen Stehlampe und Anrichte und zog mich mit einem Buch in meinen Lieblingssessel zurück. Da hatte ich das Paket nicht im Blick. Nur wenn ich den Kopf weit nach rechts drehte, konnte ich es sehen. Eine halbe Stunde später tat mir der Nacken weh.

Also schob ich es in den Flur. Dort stand es zwar im Weg, aber wer sollte mich um diese Zeit besuchen. Und wenn eine Bombe darin sein sollte, dann war ich jedenfalls durch eine Wand geschützt.

Während ich kleinere Angelegenheiten regelte, die mich vom Schrank zum Tisch, vom Tisch zur Fensterbank und von dort zu den Regalen führten, schaute ich immer wieder nach dem Paket und ob auch alles in Ordnung war. Mir fiel ein, es könnte ja auch ein Geschenk darin sein. Mein Schwager liebte Überraschungen.

Um vierzehn Uhr hob ich das Paket an und schüttelte es. Um fünfzehn Uhr drückte ich meinen Daumennagel ohne sichtbare Wirkung in das Klebeband und um fünfzehn Uhr dreißig schnitt ich die Verpackung auf.

Viel war nicht drin. Ein paar Plastikbeutel mit Kleinteilen und eine Gebrauchsanleitung mit vielen bunten Bildchen. Kein Anschreiben, keine Rechnung, nicht einmal ein Lieferschein.

Ich war kein Autobastler. Ich wusste grad mal, dass Tuning etwas mit mehr Motorleistung zu tun hatte, und dass vielleicht noch Bremsen und Aerodynamik verbessert wurden. Wie das mit Kleinteilen funktionieren sollte, war mir schleierhaft. Aber da war so ein Kribbeln unter meiner Haut, das ich nicht erklären konnte.

Wenn ich nach den Bildchen ging, brauchte ich nur zwei Dinge zu tun: Einmal das schwarze Kabel in den Zigarettenanzünder zu stecken und ihn mit dem kleinen schwarzen Kasten zu verbinden. Dann sollten da ein paar Lichter aufleuchten. Und dann noch im Motorraum zwei Krokodilklemmen an der Batterie zu befestigen und damit Strom zu einem Plastikfaden zu leiten, an dem einige silberglänzende Teile befestigt waren. Der Plastikfaden lag über dem Motorblock.

Keine Ahnung, wozu das gut sein sollte, aber die paar Handgriffe waren schnell erledigt. Nachdem ich ein paar neugierige Momente gewartet hatte und nichts geschah, verließ ich die Garage und kehrte in meine Wohnung zurück.

In der Nacht schlief ich nicht gut. Da war so eine unterschwellige Angst, etwas falsch gemacht zu haben, sodass ich mich mehr von einer Seite auf die andere wälzte, als zu schlafen.

Am nächsten Morgen rannte ich noch vor dem Frühstück zu meinem Auto. Der kleine Kasten auf dem Sitz summte, und die Metallteile unter der Haube waren verschwunden. Bevor ich mir noch groß Gedanken darüber machen konnte, hörte ich die Türglocke läuten. Ich schoss aus der Garage und bekam vom Postboten ein weiteres Paket in die Hand gedrückt.

Dieses Mal riss ich es umgehend auf. Weitere Plastikbeutel und eine neue Gebrauchsanleitung. Wieder in bunten Bildern. Doch bevor ich mich darum kümmerte, wollte ich erst einmal schauen, was aus meinem Wagen geworden war. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und startete die Zündung. Der Motor gab ein lautes Gähnen von sich.

„Mist“, fluchte ich. „Jetzt hat die Bastelei die Batterie ruiniert.“
Entnervt unternahm ich einen zweiten Versuch. Der Motor hustete, sprang an und klang in meinen Ohren etwas leiser als sonst. Ich war mir nicht sicher, ob er wirklich leiser war oder ob ich es mir nur einbildete. Ich fuhr einmal um den Häuserblock herum und glaubte zu spüren, dass der Wagen besser beschleunigte. Sicher war ich mir da nicht. Aber auf keinen Fall fuhr er schlechter als vorher. Sehr beruhigend.

Von nun an verbaute ich jeden Morgen die von der Post gelieferten Teile, oder besser gesagt, ich ließ sie verbauen, denn das, was sich da unter der Motorhaube abspielte, entzog sich meiner Kontrolle.

Am Sonntag kam kein Paket mehr, nur noch ein Brief.
„Bitte Installiator entfernen. Wir kommen und holen ihn später ab. Sie brauchen sich um nichts zu kümmern.“
Installiator? Das konnte nur der summende kleine Kasten sein. Ich zog das Kabel aus dem Zigarettenanzünder und deponierte den Kasten im Hausflur. Dann stieg ich in mein Auto zu einer abschließenden Probefahrt.

Ich fuhr raus auf die Stadtautobahn. Da ist sonntagmorgens kaum Verkehr, und ich wusste, wo die Radarfallen standen. Ein leichtes Antippen des Gaspedals und der Wagen ging ab wie nichts. Vor der Baustelle an der Abzweigung Richtung Ruhrgebiet nahm ich den Fuß vom Gas und streichelte die Bremse. Keine Reaktion. In meiner Panik haute ich den Fuß auf das Pedal, doch der Wagen beschleunigte weiter und raste auf die Absperrung zu. Zwei einsame Gestalten sprangen zur Seite. Ich sah noch ihre aufgerissenen Münder. Dann schlug ich die Hände vors Gesicht und wartete auf den Schlag der Absperrungsbaken.

Es knallte. Und der Wagen schwankte ein wenig.

Ich lebe noch, war mein erster Gedanke und nahm die Hände von meinem Gesicht. Durch die Seitenscheiben sah ich Flammen hochschlagen, und vor mit blinkte ein roter Leuchtknopf, den ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Ich drückte ihn so fest es ging. Der Ruck warf mich rückwärts in den Sitz und ich sah, wie mir die Motorhaube entgegenkam. Ich flog.

Das Atmen fiel mir schwer, und es wurde kalt, als mein Wagen und ich die Wolkendecke durchbrachen. Ich schloss die Augen, denn die Sonne in ihrem Glanz war unbarmherzig. Mein letzter Gedanke war noch, dass nun niemand da sein würde, wenn sie den Installiator abholen würden. Aber wahrscheinlich wurde ich dafür auch gar nicht mehr gebraucht.
 

jon

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Teammitglied
… na zumindest hat der Gute überlebt, sonst könnte er es ja nicht erzählen.
Habe den Text mit Vergnügen gelesen.

Detail auf die Schnelle: Nur weil er nicht versteht, was passiert, verbaut er die Teile trotzdem selbst.
 

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Danke Jon,
und schön dass es Dir gefallen hat.

Richtig, er verbaut die Teile. Oder doch nicht?
Nein, die verbauen sich selbst, er muss nur für Energie und die Bereitstellung der Teile sorgen.
Und warum er das macht? :)
Aus genau dem Motiv, das uns immer in die Zukunft schauen lässt.
Unsere grenzenlose Neugier. Mal schauen, was passieert, wenn ich ...

Liebe Grüße
vom
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Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Mir kommt der Text vertraut vor. Nicht, dass ich ihn kenne, aber das Thema wurde mehrmals in verschiedener Form beschrieben.

Die Alien/Fremden bleiben fern, nur ihr Werkzeug, vielleicht eine Zeitmaschine oder ein Raumfahrzeug, das den Kosmos durchtunnelt, ist da.

Auf fast hypnotische Weise gelingt es ihnen (wer auch immer sie sind), das Ziel zu erreichen.

Mir fällt ein, ein Film hatte so ein Thema. Contact mit Jodie Foster. Es gab noch mehr.

Hier ist es in einer Kurzgeschichte und scheint aufzuhören, wenn es interessant wird.

Das Werkzeug weiß hier in der Geschichte nicht, was es tut.

In den Filmen riesig, hier privat.
Der einsame, zufällig in die Geschichte geratene, wie bei den Strugazkis in der Geschichte vom großen Zufall.

Der Stil erinnert mich an einige Stanislaw-Lem-Klub-Übersetzungen aus den 1970er Jahren, die in einer Art Samisdat erschienen.

Hier besteht Samisdat in Veröffentlichung in der Leselupe und an anderen Stellen (ich habe gegoogelt).

Insgesamt gefällt es mir.

Ein paar Vorschläge zu redaktionellen Änderungen:

"dass er sich wieder nicht entscheiden konnte, ob er seine Nässe loslassen oder bei sich behalten wollte." -> sollte (wegen Entscheiden).

". Aber wahrscheinlich wurde ich dafür auch gar nicht mehr gebraucht." - Hier würde ich "mehr" weglassen.
Das wirkt lakonischer.
 

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Das sind interessante Querverweise, Bern.

Ich muss gestehen, dass ich keine Ahnung mehr habe, aus welchen Quellen ich meine Idee abgerufen habe. Wahrscheinlich hat dabei
"Beam me up, Scotty" oder so ähnlich von James Tiptree eine Rolle gespielt.
Die erwähnten Filme kenne ich nicht, aber sowohl von Lem als auch von der Strugatzkis habe ich viel gelesen. Nur ist das schon so lange her. Muss Mitte bis Ende der Siebziger gewesen sein.

Über deine beiden Änderungsvorschläge denke ich nach.
Das "mehr" zu streichen oder beizubehalten für je zu einer inhaltlichen Änderung. Mit dem "mehr" wird eine Enttäuschung sichtbar. Ohne es wirkt es in der Tat lakonischer.

Vielen Dank für Deine Meinung
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Lars Neumann

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Servus Avatar!

Deine Story hat mir sehr gut gefallen. Darin sehe ich Analogien zu der momentanen APP- Manie, da wird auch alles mögliche installiert ohne es zu verstehen.
Aber ein paar Sachen beschäftigen mich:

Ich stelle mir die Frage, ob bei euch die Post am Sonntag kommt. Ich selbst war lange in der Speditions - Branche und habe auch für die Post Pakete vom Sortierzentrum zu den Filialen gefahren. In München. ;-) Und da war am Sonntag nix los. Natürlich kann es deine Absicht sein damit „Unruhe“ zu stiften. Aber mich hat es gestört. Er bekommt nur das erste Paket und den Brief am Sonntag, ansonsten lässt du die Tage dazu offen. Aber hat es keinerlei Auswirkung auf die Handlung. Wenn du das erste Paket am Samstag Abend liefern lässt, hätte er noch mehr Zeit unter seiner unterdrückten Neugier zu leiden. Welche du übrigens wunderbar beschrieben hast, ich hab mich darin selbst erkannt.

Ich schloss das Fenster, weil es an der Haustür geläutet hatte.
Also ist das schließen des Fensters die Reaktion auf das läuten. Genau so wie das Sabbern der Pawlowschen Hunde beim ertönen einer Glocke? Hmm …

Welche Maße hatte das Paket? Denn wenn er darin nur ein paar Plastikbeutel mit Kleinteilen und einer Gebrauchsanleitung findet kann es nicht allzu groß sein. Aber zuerst schiebt er es zwischen die Stehlampe und die Anrichte, im Flur stand es im Weg? Also Groß mit viel Füllmaterial? Möglich, aber mich lenken diese Fragen vom zügigen lesen ab. Genauso wie dass es dann fast kein Gewicht hat, dies schließt eine Bombe wieder aus. Zumindest eine größere. :-D

Vor der Baustelle an der Abzweigung Richtung Ruhrgebiet nahm ich den Fuß vom Gas und streichelte die Bremse. Keine Reaktion. In meiner Panik haute ich den Fuß auf das Pedal, doch der Wagen beschleunigte weiter und raste auf die Absperrung zu. Zwei einsame Gestalten sprangen zur Seite. Ich sah noch ihre aufgerissenen Münder. Dann schlug ich die Hände vors Gesicht und wartete auf den Schlag der Absperrungsbaken.
ZWEI Arbeiter auf einer Autobahnbaustelle. Mitten in Deutschland. An einem SONNTAG. Das ist mehr Sci-Fi als ich ertragen kann!

Der Ruck warf mich rückwärts in den Sitz und ich sah, wie mir die Motorhaube entgegenkam. Ich flog.
Die Motorhaube hat sich gelöst und kam ihm entgegen? Ist jemandem aus meinem Bekanntenkreis schon passiert, bei achtzig oder so. War auch ein „Tuningunfall“! Allerdings war danach die Frontscheibe hinüber. Die mit GFK verlängerte Haube samt bösem Blick auch.

Leider kann ich mich jon nicht ganz anschließen. Für mich beschreibt der letzte Absatz sein unrühmliches Ende. Ich habe es hoffentlich richtig interpretiert.

Noch eine Anmerkung zum von Bernd erwähnten Film Contact:
Der Unterschied zwischen ihm und deiner Geschichte besteht darin, dass die Protagonisten zwar nicht wissen was die von ihnen selbst gebaute Maschine bewirkt, aber die Bauanleitung haben sie durch ein Radiosignal im Zuge der SETI - Forschung empfangen. Also war klar dass es von außerhalb der Erde kam. Der Film ist zwar Optisch überzeugend produziert und wurde hervorragend besetzt, aber ich ziehe das detailreichere Buch vor. Es ist von Carl Sagan, dem Wissenschaftsguru der Achtziger schlechthin. Er war damals das für die Welt, was heute ein Harald Lesch für Deutschland ist. Absolut lesenswert!

Also noch einmal zum Schluss:
Auch wenn mich die paar Kleinigkeiten nicht ganz zügig durchlesen ließen, hatte ich meine Freude daran. Weiter so!
 

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Mitglied
Danke Lars für Deinen Kommentar und die Beschäftigung mit den Details.
Dass die Deutsche Bundespost an einem Sonntag kommt, war beabsichtigt. Genau aus dem Grund, den du anmahnst. Sie kommt sonntags nicht, also kann da etwas nicht stimmen.

Über die zwei Figuren an einer Autobahnstelle habe ich mir hingegen weniger Gedanken gemacht, aber ich habe schon zu allen Zeiten Menschen auf auf solchen Baustellen gesehen. Es sind allerdings nur selten Arbeiter, meist welche im Anzug mit Helm. Aber zugegeben, es ist selten und eine Komplikation, die der Geschichte wenig hilft.

Und das Ende? Wirklich offen zum Weiterspinnen.

LiebeGrüße vom
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Hallo Avatar!

Ihre Geschichte hat mir gut gefallen, auch mag ich Ihren beiläufig wirkenden Erzählton. Trotzdem ist da ein Satz, den ich persönlich verändern würde:
Die Glocken von der Kirche gegenüber klangen so blechern, als hätten sie vergessen, warum sie läuten, und die Luft roch einfach nach nichts.
An sich eine gute Beobachtung, allerdings würden sowohl die blechern klingenden Glcoken als auch die Luft besser wirken, wenn Sie diesen Satz trennen würden. (Ist nur ein Vorschlag ;) )
Außerdem finde ich es gut, wie Sie den Leser wissen lassen, dass etwas nicht stimmt. (Postbote, der am Sonntag morgen ein Paket vorbei bringt.)
Ich muss zugeben, ich brenne darauf, mehr zu erfahren.

Herzliche Grüße
Drachenprinzessin
 

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Hallo Drachenprinzessin,

Vorschlag angenommen.
Jetzt muss ich nur noch herausbekommen, wie ich hier ändere.

Liebe Grüße
vom
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Der Himmel zeigte mir mit seinem öden Grau, dass er sich wieder nicht entscheiden konnte, ob er seine Nässe loslassen oder bei sich behalten wollte. Die Glocken von der Kirche gegenüber klangen so blechern, als hätten sie vergessen, warum sie läuten. Und die Luft roch einfach nach nichts. Ich schloss das Fenster, weil es an der Haustür geläutet hatte.

„Herr Gerster? Herr Ferdinand Gerster? Ein Paket für Sie. Wenn Sie hier bitte unterschreiben möchten?“

Ich unterschrieb und starrte dann dem Postboten noch einige Momente hinterher, während ich in meinen Erinnerungen herumkramte, was ich denn bestellt haben könnte. Mir fiel nichts ein.

„Car-Tuning München“ las ich. Mehr stand da nicht.

Nein, das hatte ich nicht bestellt. Ich öffnete den Mund, um dem jungen Mann noch hinterher zu rufen, aber da hätte ich schneller sein müssen.

Car-Tuning München.

Doch gerade, als ich mich entschlossen hatte, das Paket zu dem kleinen Postschalter ins Seniorenheim zu bringen, fiel mir ein, dass heute Sonntag war. Da stand ich nun mit einem unverlangten Paket ohne vollständigen Absender, das von der Deutschen Bundespost an einem Sonntagvormittag ausgeliefert wurde. Das gefiel mir nicht. Das gefiel mir überhaupt nicht.

Ich würde sofort am Montagmorgen zur Bank zu gehen und darum bitten, jede Abbuchung von Car-Tuning sofort rückgängig zu machen. Bis dahin konnte das Paket meinetwegen hier überwintern. Ich schob es zwischen Stehlampe und Anrichte und zog mich mit einem Buch in meinen Lieblingssessel zurück. Da hatte ich das Paket nicht im Blick. Nur wenn ich den Kopf weit nach rechts drehte, konnte ich es sehen. Eine halbe Stunde später tat mir der Nacken weh.

Also schob ich es in den Flur. Dort stand es zwar im Weg, aber wer sollte mich um diese Zeit besuchen. Und wenn eine Bombe darin sein sollte, dann war ich jedenfalls durch eine Wand geschützt.

Während ich kleinere Angelegenheiten regelte, die mich vom Schrank zum Tisch, vom Tisch zur Fensterbank und von dort zu den Regalen führten, schaute ich immer wieder nach dem Paket und ob auch alles in Ordnung war. Mir fiel ein, es könnte ja auch ein Geschenk darin sein. Mein Schwager liebte Überraschungen.

Um vierzehn Uhr hob ich das Paket an und schüttelte es. Um fünfzehn Uhr drückte ich meinen Daumennagel ohne sichtbare Wirkung in das Klebeband und um fünfzehn Uhr dreißig schnitt ich die Verpackung auf.

Viel war nicht drin. Ein paar Plastikbeutel mit Kleinteilen und eine Gebrauchsanleitung mit vielen bunten Bildchen. Kein Anschreiben, keine Rechnung, nicht einmal ein Lieferschein.

Ich war kein Autobastler. Ich wusste grad mal, dass Tuning etwas mit mehr Motorleistung zu tun hatte, und dass vielleicht noch Bremsen und Aerodynamik verbessert wurden. Wie das mit Kleinteilen funktionieren sollte, war mir schleierhaft. Aber da war so ein Kribbeln unter meiner Haut, das ich nicht erklären konnte.

Wenn ich nach den Bildchen ging, brauchte ich nur zwei Dinge zu tun: Einmal das schwarze Kabel in den Zigarettenanzünder zu stecken und ihn mit dem kleinen schwarzen Kasten zu verbinden. Dann sollten da ein paar Lichter aufleuchten. Und dann noch im Motorraum zwei Krokodilklemmen an der Batterie zu befestigen und damit Strom zu einem Plastikfaden zu leiten, an dem einige silberglänzende Teile befestigt waren. Der Plastikfaden lag über dem Motorblock.

Keine Ahnung, wozu das gut sein sollte, aber die paar Handgriffe waren schnell erledigt. Nachdem ich ein paar neugierige Momente gewartet hatte und nichts geschah, verließ ich die Garage und kehrte in meine Wohnung zurück.

In der Nacht schlief ich nicht gut. Da war so eine unterschwellige Angst, etwas falsch gemacht zu haben, sodass ich mich mehr von einer Seite auf die andere wälzte, als zu schlafen.

Am nächsten Morgen rannte ich noch vor dem Frühstück zu meinem Auto. Der kleine Kasten auf dem Sitz summte, und die Metallteile unter der Haube waren verschwunden. Bevor ich mir noch groß Gedanken darüber machen konnte, hörte ich die Türglocke läuten. Ich schoss aus der Garage und bekam vom Postboten ein weiteres Paket in die Hand gedrückt.

Dieses Mal riss ich es umgehend auf. Weitere Plastikbeutel und eine neue Gebrauchsanleitung. Wieder in bunten Bildern. Doch bevor ich mich darum kümmerte, wollte ich erst einmal schauen, was aus meinem Wagen geworden war. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und startete die Zündung. Der Motor gab ein lautes Gähnen von sich.

„Mist“, fluchte ich. „Jetzt hat die Bastelei die Batterie ruiniert.“
Entnervt unternahm ich einen zweiten Versuch. Der Motor hustete, sprang an und klang in meinen Ohren etwas leiser als sonst. Ich war mir nicht sicher, ob er wirklich leiser war oder ob ich es mir nur einbildete. Ich fuhr einmal um den Häuserblock herum und glaubte zu spüren, dass der Wagen besser beschleunigte. Sicher war ich mir da nicht. Aber auf keinen Fall fuhr er schlechter als vorher. Sehr beruhigend.

Von nun an verbaute ich jeden Morgen die von der Post gelieferten Teile, oder besser gesagt, ich ließ sie verbauen, denn das, was sich da unter der Motorhaube abspielte, entzog sich meiner Kontrolle.

Am Sonntag kam kein Paket mehr, nur noch ein Brief.
„Bitte Installiator entfernen. Wir kommen und holen ihn später ab. Sie brauchen sich um nichts zu kümmern.“
Installiator? Das konnte nur der summende kleine Kasten sein. Ich zog das Kabel aus dem Zigarettenanzünder und deponierte den Kasten im Hausflur. Dann stieg ich in mein Auto zu einer abschließenden Probefahrt.

Ich fuhr raus auf die Stadtautobahn. Da ist sonntagmorgens kaum Verkehr, und ich wusste, wo die Radarfallen standen. Ein leichtes Antippen des Gaspedals und der Wagen ging ab wie nichts. Vor der Baustelle an der Abzweigung Richtung Ruhrgebiet nahm ich den Fuß vom Gas und streichelte die Bremse. Keine Reaktion. In meiner Panik haute ich den Fuß auf das Pedal, doch der Wagen beschleunigte weiter und raste auf die Absperrung zu. Zwei einsame Gestalten sprangen zur Seite. Ich sah noch ihre aufgerissenen Münder. Dann schlug ich die Hände vors Gesicht und wartete auf den Schlag der Absperrungsbaken.

Es knallte. Und der Wagen schwankte ein wenig.

Ich lebe noch, war mein erster Gedanke und nahm die Hände von meinem Gesicht. Durch die Seitenscheiben sah ich Flammen hochschlagen, und vor mit blinkte ein roter Leuchtknopf, den ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Ich drückte ihn so fest es ging. Der Ruck warf mich rückwärts in den Sitz und ich sah, wie mir die Motorhaube entgegenkam. Ich flog.

Das Atmen fiel mir schwer, und es wurde kalt, als mein Wagen und ich die Wolkendecke durchbrachen. Ich schloss die Augen, denn die Sonne in ihrem Glanz war unbarmherzig. Mein letzter Gedanke war noch, dass nun niemand da sein würde, wenn sie den Installiator abholen würden. Aber wahrscheinlich wurde ich dafür auch gar nicht mehr gebraucht.
 



 
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