Sie wandte den Kopf von mir ab...

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Miriam Scr

Mitglied
Sie wandte den Kopf von mir ab...

Sechs Jahre, sechs verfluchte Jahre saß ich in diesem Gefängnis fest. Mein Vater überredete mich nach dem Tod meiner Mutter einen Bankraub zu begehen, er selbst machte auch mit. Er wanderte aber für zwei weitere Jahre ins Gefängnis. Doch nun bin ich frei. Ich hatte mir viele Gedanken darüber gemacht, wohin ich gehen sollte, wenn ich wieder in Freiheit war. Aber jetzt war ich mir nicht mehr sicher, sollte ich wirklich zu meiner Schwester, nach Hause? Langsam ging ich die Straße hinunter und bog in einen Park ein. In den Bäumen zwitscherten die Vögel, nach Tagen hatte es aufgehört, zu regnen. Ich setzte mich auf eine Parkbank, es störte mich nicht, dass sie noch feucht war. Da, gegenüber vom Park. Da stand das Haus, in dem ich meine Kindheit verbracht hatte. Der Putz bröckelte und der Haustür sah man auch nicht mehr an, dass sie einmal hellblau getrichen war. Ich war aufgeregt: Was ist, wenn sie dort nicht mehr wohnt oder mich nicht mehr sehen will? Ich zog Kreise mit meinen Schuhspitzen in den feuchten Sand, als könnte das die Antwort auf meine Frage sein.

„Jackie,“ dachte ich, „es ist Zeit.“ Ich erhob mich und ging langsam auf das Haus zu, nachdem ich mich lange gesehnt hatte. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, aber unser Name stand noch auf dem Klingelschild. Ich läutete und hielt vor Anspannung die Luft an. Der Summer ertönte. Meine Schwester schien jemand anders zu erwarten, denn sie fragte nicht über die Sprechanlage nach meinem Namen.Im Treppenhaus stand wie früher der Geruch von verkochtem Essen und feuchter Wäsche. Ich ging die gebohnerte Treppe hinauf, Stockwerk für Stockwerk. Sie knarrte an den vertrauten Stellen. Im vierten Stock stand die Tür offen. Und ich sah meine Schwester, mittlerweile eine junge Frau, im Türrahmen lehnen. „Amelie!“ rief ich und stürmte die letzten Stufen hoch. Doch als ich das starre Gesicht meiner Schwester sah, verlangsamte ich meine Schritte. Sie trug jetzt kurze Haare und ihr Gesicht hatte das kindliche Aussehen hinter sich gelassen. „Nein!“ sagte sie mit tonloser Stimme, drehte ich um und wollte die Tür schließen. Ich war schneller und setze einen Fuß zwischen Tür und Rahmen. „Amelie, bitte, lass mich wenigstens erklären...“ flüsterte ich. Ich spürte einen Kloß im Hals und schluckte. Mein Bitten nützte nichts. „Nein“, sagte sie noch einmal, diesmal eindringlicher,“ich möchte nichts mehr mit dir oder Vater zu tun haben, ich weiß nicht, ob ich euch noch trauen kann. Bitte, nimm deinen Fuß weg.“ Ich trat einen Schritt zurück und sie schloß die Tür. Langsam ging ich die Treppe hinunter, eine Träne lief mir über die Wange. Ich betrachtete die weißgetünchten Wände, als könnte ich von ihnen Hilfe erwarten, Sie waren so leer wie mein Kopf. Ich vermisste meine Schwester jetzt schon. Gefunden und verloren.

Ich wußte nicht, wohin ich sollte und schlief in den nächsten Nächten auf der Bank im Park gegenüber. Die Nächte waren kalt, doch die Gewissheit, dass meine Schwester in der Nähe war, gab mir Wärme.

Nach Tagen musste ich aussehen wie eine Obdachlose, nein, falsch, ich war eine! Meine Schwester ging manchmal durch den Park doch wandte sie jedesmal, wenn sie an meiner Bank vorüber kam, den Blick ab und sah stattdessen zu den gegenüber liegenden Häusern. Das gab mir jedes Mal einen Stich in meinem Herz.

Doch eines Tages blieb sie zu meiner Freude stehen. „Komm mit!“ sagte sie und ging zurück zu dem Haus unserer Familie. Die Wohnung hatte sich in all den Jahren nicht großartig verändert, nur den alten Teppich hatte sie gegen einen neuen ausgetauscht. Sie winkte mich ins Wohnzimmer, fast andächtig trat ich ein - auch hier hatte sich nicht viel verändert. Sie ließ sich in einen Sessel sinken und bot mir ebenfalls einen an.
„Erzähle. Ich habe mir viele Gedanken über unsere Familie gemacht und ich möchte deine Geschichte hören.“ Und ich fing an zu erzählen. Am Anfang fiel es mir schwer, aber mit jedem Wort wurde es leichter und eine große Last fiel von mir ab.
Irgendwann nach dem Tod unserer Mutter fing mein Vater an, Ideen auszubrüten, wie wir an mehr Geld kommen könnten. Wie er darauf kam, eine Bank zu überfallen, weiß ich nicht mehr. Eines Tages war die Idee einfach da. Meiner Schwester erzählten wir nichts davon, zum einen vielleicht aus Scham zum anderen aus Angst, durch Zufall verraten zu werden. Ich war damals schwach und träumte vom großen Geld. Ich dachte, die Bank ist versichert und es würde ihr in Wahrheit nichts ausmachen. Mein Vater schien alles perfekt geplant zu haben, doch bei der Flucht stolperte er und zwei Männer warfen sich auf ihn. Auch mich packten sie. Vom Gericht wurden wir verurteilt.
Als ich geendet hatte, stubste sie ihre Nasenspitze mit dem Zeigefinger, wie sie es schon früher immer gemacht hatte, wenn sie nachdachte. „Jackie, willst du nicht hierbleiben? Die Wohnung gehört ja eigentlich auch dir und ich möchte, dass du bleibst. Du hast einen großen Fehler gemacht, damals. Aber du hast es deswegen noch lange nicht verdient, auf einer Parkbank zu leben.“

Ich stand auf und umarmte sie...







Miriam Scriba (13)
 

Mondfrau

Mitglied
@Miriam Scr,

teilweise schöne Formulierungen wie z. B. "ihr Gesicht hatte das kindliche Aussehen hinter sich gelassen...". Den Anfang und den Schluss würde ich ändern. Der Schluss ist zu kitschig und die Auflösung vorhersehbar. Am Anfang würde ich nicht so eindeutig gleich von Gefängnis schreiben, um mehr Spannung zu erzeugen.

MfG

Antje
 

Miriam Scr

Mitglied
Danke

Danke Antje, ich sehe ein dass das Ende wirklich kitschig ist!
Und ich guck mal ob ich den Anfang besser hinkriege. Ist eine gute Idee, mal gucken ob ich dort mehr Spannung reinbekomme.

Miriam
 

gareth

Mitglied
Was mich betrifft, ich war einfach froh darüber,

dass am Ende alles so gut ausgegangen ist und die Schwester eingesehen hat, dass sie erst einmal mit Jackie reden muss, um überhaupt zu verstehen, was da passiert ist in der Vergangenheit.

Die Geschichte ist einfach und übersichtlich, aber in sich stimmig. Amelie hat sich mit Jackies Aussperrung Genugtuung verschafft, für die Jahre der Unwissenheit und des Alleinseins, bevor sie fähig war, sich ihrer Schwester wieder zu öffnen. Immerhin hat sie sie offenbar die ganzen Jahre niemals im Gefängnis besucht.

Nicht ganz deutlich wird, aus welchem Grund der Vater so rasch auf den Banküberfall kommt, als Mittel zur Geldbeschaffung. Hier wären deutlichere Hinweise auf die soziale Situation der kleinen Familie oder den gefühlsmäßigen Zustand des Vaters nach dem Tod der Mutter zum Verständnis hilfreich gewesen.

Auch hätte ich gern erfahren, wie alt die beiden Schwestern sind. Ich hab jedenfalls sofort drüber nachgedacht, weil es mich interessiert hätte, wer die ältere ist von den beiden.

Ich hoffe außerdem, dass sie auch mit dem Vater irgendwie zurecht kommen, wenn der nach Haftende wieder zu Hause auftaucht.

Nur weiter so!

Vielschichtiger und professioneller werden die Geschichten mit der wachsenden Erfahrung.


davon ist überzeugt
gareth
 



 
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