Sieh hin

Nina K

Mitglied
Als das Licht langsam schwand und die Schatten sich reckten, ergriff er endlich wieder den Spaten. Stundenlang hatte er einfach nur stillschweigend auf das Feld gestarrt. Nun ist die Zeit gekommen, zu graben. Harsch treibt er mit dem Fuss die metallene Spitze in die leicht gefrorene Erde. Wie tief würde er graben müssen?

Sie wartet nur, wie immer seit jener Nacht, während die innere Angst langsam hoch kocht "Bleib ruhig" denkt sie wieder und wieder und greift nach der Flasche. Noch während sie trinkt, würgt der Magen sich wehrend, doch lässt sie nicht ab. "Still sein, nicht fortlaufen" hämmert es in ihrem Kopf und wenn der Alkohol dabei zu helfen vermöchte, wäre es gut.

Spatenstich um Spatenstich wühlt er sich tiefer. Trotz der eisigen Luft tropft sein Schweiss. Falls die Stelle nicht stimmt, wird er morgen wiederkommen - das weiss er. "Doch, hier unten muss es liegen". Nach einer Stunde schwingt er sich endlich aus dem nun schon beachtlichen Loch und macht eine Pause. Das mitgebrachte Wasser rinnt kühlend an den Lungenflügeln vorüber, die sich schwer atmend heben und senken.

Still sitzt sie auf dem Sofa und wartet. Langsam beginnt der Alkohol die Gedanken zu vernebeln und die Angst versinkt in der Trauer. "So lässt sich leichter die Wahrheit leben", denkt sie und trinkt. Ein Schluchzen steigt hoch und verebbt dann im nächsten Schluck. Vergessen was war und nicht wissen, was kommt wünscht sie sich.

Ein Blick über das Feld zeigt die Dunkelheit, die ihn umgibt. Kein Stern erleuchtet den Schnee verhangenen Himmel. "So, es muss sein", spricht er sich Mut zu und springt wieder hinunter in die Grube. Dann knirscht der Spaten, Erde fliegt auf, Stich um Stich. Endlich poltert es laut. Er kratzt nun die Erde beiseite, wird hektisch und kann kaum seine Tränen noch halten.

Der Weg ins Badezimmer scheint sie auf eine gekrümmten Linie zu ziehen. Mit den Händen tastet sie sich an den tückisch zurückweichenden Wänden entlang. "Nicht fallen", flüstert sie wieder und wieder. Dann ist sie da und der Wasserhahn spritzt, ohne die erhoffte Linderung geben zu können. "Nur diese Nacht noch", verspricht sie sich leise.

Der Holzdeckel wird sichtbar, doch ist er noch fest umschlossen von Lehm und Steinen. Mühsam scharrt er die Seiten frei, während der Schweiss eisig über seinem Rücken rinnt. "Noch eine Pause", denkt er und schwingt sich auf den Rand. Langsam setzt Schneefall ein und bedeckt die schwarzen Erdhaufen, die überall um ihn herum verteilt liegen.

Durch die Nässe werden ihre Gedanken wieder klarer und das kann sie nicht ertragen. Zurück zur Flasche schleppt sie sich leise wimmernd durch den Flur. "Bald wird er kommen", geht ihr kurz durch den Kopf. Dann benebelt der nächste Schluck auch diesen Gedanken wieder. Als sie auf das Sofa zurück sinkt, scheinen die Kissen ihr wattegleich.

Plötzlich durchfährt ihn die Furcht. Um sie zu bekämpfen, nimmt er seine Arbeit wieder auf. Hier an der Seite noch zwei Spatenstiche. Endlich gelingt es ihm, die kleine Kiste ein wenig zu lockern. Das mitgebrachte Seil schlingt er nun um die Ränder, klettert aus dem Erdloch und beginnt heftig zu ziehen. Ein knirschendes Geräusch, als die Kiste hinaus gleitet und das Poltern herabfallender Erdklumpen übertönen sein Keuchen.

"Wie lange noch", fragt sie sich leise. Der Alkohol kann ihre Gedanken nicht mehr halten. Zitternd reibt sie sich mit den Händen die Augen. Später werden sie ihr Fragen stellen, dann muss sie wieder klarer sein, weiss sie. Was sie antworten könnte, weiss sie noch nicht. Kurz spürt sie ein Würgen im Hals, aus Angst oder ob ihrer Trunkenheit. Dann schliesst sie wieder die Augen.

Jetzt geht alles sehr schnell. Mit dem Stemmeisen fährt er unter den Deckelrand. Kreischend lösen sich Nägel aus dem Holz. Modergeruch macht sich breit, als der Spalt breiter wird. Mit einem letzten Knacken fällt der Deckel beiseite. Liebevoll greift er das kleine, stinkende Bündel und hebt es heraus. Dann macht er sich auf den Rückweg zu ihr. Traurigkeit schnürt ihm den Hals ab und die Wut treibt ihn weiter.

Bilder aus jener Nacht steigen in ihr auf. Auch damals hatte sie getrunken und vernebelt sind die Erinnerungen. Nur das Schreien des Kindes hämmert in ihren Schläfen. Plötzlich brüllt dann auch sie auf. Mit Wucht schleudert sie die Flasche vom Tisch, dann bricht sie weinend zusammen.

Als er die Tür aufstösst, hört er ihr Schluchzen. Hass vertreibt die Tränen aus seinen Augen. "Mörderin", stösst er hervor. "Sieh es Dir an!" Er reisst ihren Kopf an den Haaren hoch. Erst viel später wird er die Polizei rufen.
 
Hallo Nina K!

Deine Geschichte besteht aus bildhaft-krassen Elementen. Die frostige Nacht, das Graben, die Kinderleiche („Liebevoll greift er das kleine, stinkende Bündel“) – das Ganze ist für mich eher eine Szene eines Genres wie Horror. Sollten wir den Text nicht dorthin verschieben?
Nachfolgend ein paar sprachliche Hinweise:

Spatenstich um Spatenstich wühlt er sich tiefer.

„Wühlen“ ist eine ganz andere Art des Grabens als das Graben mit einem Spaten. Wühlen tut man zum Beispiel mit den Händen (Wühltisch) und vor allem bezeichnet Wühlen etwas richtungsloses, während hier etwas mit dem Spaten tiefenmäßig ausgehoben wird.

Harsch treibt er mit dem Fuss die metallene Spitze in die leicht gefrorene Erde.

Ein Spaten hat keine Spitze (wie etwa eine Hacke oder ein Dolch), sondern ein „Spatenblatt“. Außerdem ist das Wort „metallen“ m.E. überflüssig, oder gibt es Spatenblätter, die nicht aus Metall sind? Und selbst wenn, würde das eine Rolle spielen?

„Als das Licht langsam schwand und die Schatten sich reckten, ergriff er endlich wieder den Spaten.“

Hier habe ich etwas Probleme mit der Wendung „Schatten sich reckten“. Wenn du meinst, dass mit der Dämmerung die Schatten länger werden, so klingt „recken“ doch etwas zu schnell. Die Schatten werden ja nur allmählich länger.
Hauptproblem des Satzes ist, dass hier eine zeitliche Disproportion vorliegt. Das „Ergreifen“ des Spatens ist ja nur ein Moment, eine Sekunde, während das Schwinden des Lichts und das Längerwerden der Schatten eine viel längere Dauer ist. Daher kannst du hier nicht mit „als“ anbinden. Oder du musst das Lichtschwinden als etwas eben Vergangenes darstellen. Zum Beispiel so: „Das Licht war fast geschwunden (verschwunden) und die Schatten länger geworden, als er endlich wieder den Spaten griff.“

So müsstest du – wie an den Beispielen gezeigt - sprachlich in deinem Text genauer werden.

Ingesamt scheint mir die Szenerie getroffen. Mir persönlich ist allerdings für eine „Kurzgeschichte“ die Dramatik bei dem eher geringen psychologischen Gehalt zu hoch. Es ist eine Art Alptraumszene, die du intensiv schilderst, ohne großen Handlungsbackground. Daher wäre der Text m.E. unter Horror besser aufgehoben.

Beste Grüße

Monfou
 

AdamSmith

Mitglied
Hallo Nina K,
deine Geschichte ist sehr gruselig und die Stimmung ist schön getroffen.
Aber irgendwie ist das Ende nicht wirklich überraschend und ich verstehe nicht warum er die Polizei ruft. Was ist passiert? Hat die Frau das Kind vor ein paar Tagen umgebracht es dann verscharrt und ihr Mann gräbt es jetzt ein paar Tage später wieder aus? Da sehe ich ein paar Logik-Fehler.
Wieso lässt er sich ein paar Tage Zeit? Woher weiß er, dass das Kind tot ist? Warum wartet er damit die Polizei zu rufen, wenn er weiß, dass Kind tot ist und gräbt es erst selber aus? Warum lässt er seine Frau (die er jetzt eigentlich hasst) alleine in der Wohnung und geht das Kind ausgraben? Woher weiß er wo er graben muss?

Außerdem gibt es einige Formulierungen über die ich beim Lesen gestolpert bin:

Das mitgebrachte Wasser rinnt kühlend an den Lungenflügeln vorüber, die sich schwer atmend heben und senken.
(Wieso so ein medizinisches Wort, wie "Lungenflügel" und wieso heben und senken sich diese?)

das kleine, stinkende Bündel
(das Bündel würde ich nicht als "stinkend" bezeichenen, auch wenn es wohl stimmt).

Da von abgesehen finde ich, dass du sehr bildhaft schreibst - ich kann mir die ganze Szenerie auf jeden Fall gut vorstellen. Alles in allem ein guter Versuch.
 

Nina K

Mitglied
Hallo Monfou,

die Geschichte kannst Du selbstverständlich gerne verschieben. Ich persönlich war mir unsicher, ob die geschilderte Szenerie drastisch genug wäre, um sie dort zu veröffentlichen.

Manche Deiner Anregungen sind interessant und bedenkenswert. So werde ich die Geschichte noch einmal überarbeiten, um einige der Unstimmigkeiten auszubauen. Über manches muss ich nachdenken. So hänge ich beispielsweise an den sich reckenden Schatten, halte aber Deine Erläuterungen für schlüssig... Es wird sich sicherlich eine Lösung finden lassen. :)

@Adam Smith: Deine Fragen lassen sich nicht klar anhand des Textes beantworten. Hier ist wohl Phantasie gefragt.^^

Er wird wohl nicht da gewesen sein, als es geschah - eine Geschäftsreise, eine Montagearbeit oder ähnliches sind denkbar, warum er die Frau alleine liess. Was passierte, wo sie das Kind verscharrte, wird sie ihm wohl gesagt haben müssen. Warum aber nun gräbt er? Um das Unfassbare als Tatsache annehmen zu können? Weil er nicht glauben kann, ohne es selbst gesehen zu haben? Oder will er dem Kind das ausbuddeln durch Polizeibeamte ersparen? Um sie mit dem Anblick zu konfrontieren sicherlich.

Die Lungenflügel heben und senken sich ob der Anstrengung - die Erde ist halb gefroren, die Grabarbeit schwer und die psychische Anspannung extrem. Medizinisch ist das Wort für mich eigentlich kaum belegt, sondern doch eher ein Alltagsausdruck.

Das Bündel stinkt sicherlich - der Gegensatz zu der liebevollen Aufnahme desselben durch den Vater sollte unterstrichen werden. Aber ich werde auch diese Wortwahl bedenken.

Ich danke Euch beiden für die Anregungen und hoffe, mit einer Überarbeitung des Textes daraus zu lernen.

Lieben Gruß
Nina
 



 
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