Silbermond und Stöckchen

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Silbermond und Stöckchen





Muss ich also ganz von vorn anfangen? Bei jener Gesellschaft, die die Humain, Julie Humain im Chateau du Prix gab? Soll ich vom Rauschen der Ballkleider berichten, dem Nippes und Tand, dem Dom Perignon, den gebückten Lakaien? Ihre Schritte flüsterten nur über den Marmorfußboden, während die Sohlen der Gäste ebenso unbarmherzig die Mosaike schlugen, wie Madame Julie einen untersetzten Chinesen, der ihr beim Reichen des Aperitifs die italienische Seide versaute.

„Sie ist zu gütig“, flüsterte ich, den weichen, fleischigen Teil ihrer Ohrmuschel kauernd, während sich der Chinese tausendmal entschuldigend entfernte.
„Sie ist die Quelle aller Liebe unter den Menschen, und Ihr Busen trägt das Herz, dessen wohlwollender Schlag den Hunger aus den Hütten der Gemeinen vertreibt.
Sie ist die Brust, an die sich die Lippen der Liebeskranken schmiegen und an der Milch gesunden. Sie ist der Schoss, der jeden Tag die Sonne gebärt und die Lilie ernährt. Sie ist der Kuss…
…an dem auch ich verzweifeln muss.“
„Nespas!“

Ihre Stimme stolperte so zärtlich in mein Ohr, dass ich mit meinen Lippen über den Flaum auf ihren Wangen bis zu den ihren kroch, um dort das rote Fleisch zu tupfen.
Als der Mond aufging, da hätte ich mich fast verwandelt.

Die Soiree war nicht von solcher Art, dass meine ungebührlichen Avancen auf sonderliche Aufmerksamkeit gestoßen wären. Ich glaube, hinter einem Vorhang trieb es ein Marquis sogar mit einem Schaf. Das Blöken machte mich ganz wild.
„Er ist ein Tier“, so hauchte die Humain. Mir stellten sich die Nackenhaare auf und wurden schwarz und spitz und krochen aus der Haut, dass ich´s kaum halten konnte.
Da verschwand der Mond für Augenblicke hinter einer Wolke, und ich war nah am Heulen.


Und spürte schon das weiche Haar an meiner Hand und kraulte den süßen Flaum in ihrem Schoß. Ich war gewiss, ich würde meinen Biss noch heute Nacht in diese warme Wolle graben.
„Ist sie nicht süß“, sprach die Humain.
Und eben in diesem Augenblick, da schleckte mich ein Zünglein. Ein Näschen schnupperte an meiner Haut, und Zähnchen gruben sich hinein und kniepten. Meine Hand war im Fell einer jungen Hündin, die im Schoß der Humain lag und mir den Bauch zudrehte. Da war ganz weiches Fell, so weich wie Seide. Oder soll ich sagen, was weiß ich schon von Seide, so weich war das Fell! Ich war verliebt, schon in dem Augenblick, als ich ihr in die kleinen, schwarzen Augen sah. Da sprang sie aus meinen Händen und tänzelte in Richtung der Terrasse und wandte mir dabei ganz ungeniert ihr Allerheiligstes zu. Wie eine Königin ließ sie es mich betrachten, während sie davon stolzierte.
„WO KANN ICH MIT IHR ALLEIN SEIN“, platzte ich heraus, denn eben gerade kroch der Mond, der silbergraue, wieder hinter einer Wolke hervor. Ich packte die Humain, die einer Ohnmacht entgegenirrlichterte wie ein Stück Vieh und zerrte sie der Hündin nach.
„Er ist ein Tier“, schrie sie und ließ sich reißen, dorthin, wo meine Sehnsucht eben, flüchtig, durch den Spalt der Flügeltüren ins Freie glitt.

ICH ROCH DEN MOND! Ich roch den wilden Wald, der keine Meile entfernt im Nachtwind paradierte. „ICH MUSS SIE LIEBEN“, schwor ich, und die Humain wurde ganz fahl, als ich sie rüttelte. „HÖREN SIE, MADAME, ICH MUSS SIE LIEBEN!“
Das war der eng geschürten Brust zu viel, und sie begann an ihrem Mieder zu zerren, als ob´s ums Leben ginge. In eben diesem Augenblick strich mir ein Schweif den Schritt, und ich erschauderte und wankte in die Arme der Humain, die ihre welken Brüste grade aus dem Mieder schälte, wie eine lose Wurst aus einem Darm. Ich sank zu Boden, das Gesicht in ihren Schoss vergraben und schwer atmend. Die Hündin leckte mir die Hand, und ich knurrte und wand mich, weil mir schon die Hände zu Pfoten wurden und das Gesicht zum Maul. Im nächsten Augenblick würden mir die Reißzähne wie Dolche aus den Oberkiefern stoßen.

ICH BIN EIN TIER, NESPAS?

Man ist schnell zur Hand mit dem Jagdgewehr, wenn sich einer in einen Wolf verwandelt. Auch die Humain schrie nur zwei Mal, bevor sie sich besann und mir mit einem Zweischüsser hinterher knallte. Ein Marquis, über ein verliebtes Schaf stolpernd, fiel in einen Degen und verletzte sich schwer.
Ich aber sprang dem Wald entgegen, einem schweren, bleiernen Geruch folgend. Sie war ganz nah und ließ mich irre werden an ihrer Spur. Dort im Dunkel, unter den Farnen blitzten ihre Augen.

Liebestoll setzte ich nach.
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ah, der meisterliche Erneuerer deutschen Horrors!

Gefällt mir besser als "Das Meer der Halme". Besonders die sinnliche und dennoch animalische Erotik.

Einfach nur Klasse!
Bin gespannt, wie es für Dich bei Wurdack läuft, Marcus.

cu
lap
 
hey lapi,

ach, die Sinnlichkeit kommt ja bei den meisten Horrorgeschichten zu kurz. So gesehen bewegt sich das Geschichtchen auch im Grenzbereich.

Ganz ehrlich, Meer der Halme hat mich auch nie so richtig vom Hocker gehauen. Aber ich hab´s als ne Handwerksübung gesehen. Dafür ist sie ganz gut gelungen.

Alles andere hat Zeit und man wird sehen, wie es sich entwickelt.

Grüsse aus Magdeburg,
Marcus
 

FrankK

Mitglied
Hallo Marcus

Großartiges Stück.
Ich wollte nur mal kurz reinschnuppern, konnte dann aber nicht aufhören zu lesen.

Winzige Teilchen gefunden:
den weichen, fleischigen Teil ihrer Ohrmuschel kauernd
Meintest Du: "kauend" ?

Das war der eng geschürten Brust zu viel
Korrektur: "geschnürten"

Was hat er bloss mit dem armen Ding getrieben? Sicherlich nicht unterm Silbermond mit dem Stöckchen gespielt.


Viele Grüße
Frank
 
K

KaGeb

Gast
Fantastisch, Marcus, ein absolut knalliges Stück Comic-Horror :)
FrankK hat aufmerksam gelesen, derartige Flüchtigkeitsfehler passieren, wenn man sich auf welke Brüste konzentriert, um sie aus dem Mieder zu kriegen :)

LG, KaGeb
 
H

Heidrun D.

Gast
GroßArtig, in jeder Hinsicht!

Sehr selten habe ich hier etwas gelesen, das an diese sprachliche Eleganz auch nur im Entferntesten heranreicht.

Schon dieser herrliche Anfang!

(Vielleicht gehen dir meine Lobpreisungen auf den wertgeschätzten Sender, doch kann ich mich nur mühsam bändigen ... ;))

Ein Meisterwerk.

Heidrun
 
Silbermond und Stöckchen





Muss ich also ganz von vorn anfangen? Bei jener Gesellschaft, die die Humain, Julie Humain im Chateau du Prix gab? Soll ich vom Rauschen der Ballkleider berichten, dem Nippes und Tand, dem Dom Perignon, den gebückten Lakaien? Ihre Schritte flüsterten nur über den Marmorfußboden, während die Sohlen der Gäste ebenso unbarmherzig die Mosaike schlugen, wie Madame Julie einen untersetzten Chinesen, der ihr beim Reichen des Aperitifs die italienische Seide versaute.

„Sie ist zu gütig“, flüsterte ich, den weichen, fleischigen Teil ihrer Ohrmuschel kauend, während sich der Chinese tausendmal entschuldigend entfernte.
„Sie ist die Quelle aller Liebe unter den Menschen, und Ihr Busen trägt das Herz, dessen wohlwollender Schlag den Hunger aus den Hütten der Gemeinen vertreibt.
Sie ist die Brust, an die sich die Lippen der Liebeskranken schmiegen und an der Milch gesunden. Sie ist der Schoss, der jeden Tag die Sonne gebärt und die Lilie ernährt. Sie ist der Kuss…
…an dem auch ich verzweifeln muss.“
„Nespas!“

Ihre Stimme stolperte so zärtlich in mein Ohr, dass ich mit meinen Lippen über den Flaum auf ihren Wangen bis zu den ihren kroch, um dort das rote Fleisch zu tupfen.
Als der Mond aufging, da hätte ich mich fast verwandelt.

Die Soiree war nicht von solcher Art, dass meine ungebührlichen Avancen auf sonderliche Aufmerksamkeit gestoßen wären. Ich glaube, hinter einem Vorhang trieb es ein Marquis sogar mit einem Schaf. Das Blöken machte mich ganz wild.
„Er ist ein Tier“, so hauchte die Humain. Mir stellten sich die Nackenhaare auf und wurden schwarz und spitz und krochen aus der Haut, dass ich´s kaum halten konnte.
Da verschwand der Mond für Augenblicke hinter einer Wolke, und ich war nah am Heulen.


Und spürte schon das weiche Haar an meiner Hand und kraulte den süßen Flaum in ihrem Schoß. Ich war gewiss, ich würde meinen Biss noch heute Nacht in diese warme Wolle graben.
„Ist sie nicht süß“, sprach die Humain.
Und eben in diesem Augenblick, da schleckte mich ein Zünglein. Ein Näschen schnupperte an meiner Haut, und Zähnchen gruben sich hinein und kniepten. Meine Hand war im Fell einer jungen Hündin, die im Schoß der Humain lag und mir den Bauch zudrehte. Da war ganz weiches Fell, so weich wie Seide. Oder soll ich sagen, was weiß ich schon von Seide, so weich war das Fell! Ich war verliebt, schon in dem Augenblick, als ich ihr in die kleinen, schwarzen Augen sah. Da sprang sie aus meinen Händen und tänzelte in Richtung der Terrasse und wandte mir dabei ganz ungeniert ihr Allerheiligstes zu. Wie eine Königin ließ sie es mich betrachten, während sie davon stolzierte.
„WO KANN ICH MIT IHR ALLEIN SEIN“, platzte ich heraus, denn eben gerade kroch der Mond, der silbergraue, wieder hinter einer Wolke hervor. Ich packte die Humain, die einer Ohnmacht entgegenirrlichterte wie ein Stück Vieh und zerrte sie der Hündin nach.
„Er ist ein Tier“, schrie sie und ließ sich reißen, dorthin, wo meine Sehnsucht eben, flüchtig, durch den Spalt der Flügeltüren ins Freie glitt.

ICH ROCH DEN MOND! Ich roch den wilden Wald, der keine Meile entfernt im Nachtwind paradierte. „ICH MUSS SIE LIEBEN“, schwor ich, und die Humain wurde ganz fahl, als ich sie rüttelte. „HÖREN SIE, MADAME, ICH MUSS SIE LIEBEN!“
Das war der eng geschnürten Brust zu viel, und sie begann an ihrem Mieder zu zerren, als ob´s ums Leben ginge. In eben diesem Augenblick strich mir ein Schweif den Schritt, und ich erschauderte und wankte in die Arme der Humain, die ihre welken Brüste grade aus dem Mieder schälte, wie eine lose Wurst aus einem Darm. Ich sank zu Boden, das Gesicht in ihren Schoss vergraben und schwer atmend. Die Hündin leckte mir die Hand, und ich knurrte und wand mich, weil mir schon die Hände zu Pfoten wurden und das Gesicht zum Maul. Im nächsten Augenblick würden mir die Reißzähne wie Dolche aus den Oberkiefern stoßen.

ICH BIN EIN TIER, NESPAS?

Man ist schnell zur Hand mit dem Jagdgewehr, wenn sich einer in einen Wolf verwandelt. Auch die Humain schrie nur zwei Mal, bevor sie sich besann und mir mit einem Zweischüsser hinterher knallte. Ein Marquis, über ein verliebtes Schaf stolpernd, fiel in einen Degen und verletzte sich schwer.
Ich aber sprang dem Wald entgegen, einem schweren, bleiernen Geruch folgend. Sie war ganz nah und ließ mich irre werden an ihrer Spur. Dort im Dunkel, unter den Farnen blitzten ihre Augen.

Liebestoll setzte ich nach.
 
Hallo Frank, Kabeb und Heidrun,

sie passieren eben, diese flüchtigen Flüchtigkeiten. Und das, nachdem der Text nun doch schon mehr als ein halbes Jahr alt ist.
Die Fehler müssen sich in dem Text sehr wohl gefühlt haben, wenn sie es für so lange Zeit geschafft haben, sich darin verborgen zu halten.

Aber jetzt sind sie fort - husch, husch ihr beiden, ab in einen anderen Text...

Ehrlich gesagt, hatte ich das kleine Rührstück fast vergessen. Es lag so in einem Ordner herum. Und da ich gerade Texte für eine Lesung suchte, kam ich wieder darauf. Ich wusste natürlich, dass der Text ganz gut funktioniert. Aber dass er euch soooo gut gefallen würde, hätte ich dann doch nicht gedacht.

Da sieht man wieder, dass man manche Texte völlig falsch einschätzt. Aber eben nur aus der Sicht des Autors.

Ein Rezipient hingegen kann einen Text gar nicht falsch einschätzen, denn er ist nicht wie der Autor der scheinbar eigenen Objektivität aufgesessen.

Aber genug von dem Gefasel,
schön, dass der Text doch noch einen Sinn erfüllt hat,
nämlich euch zu unterhalten.

Er wäre sonst vielleicht...
...einfach...
...vergessen worden...

Bis bald, und danke für die Lobhudelei,

Marcus
 
A

Akirakur

Gast
Eine Geschichte, so lebendig geschrieben, dass ich, obwohl nur Leserin, das Schaf blöken hörte (in der Roberto-Benigni-Fassung aus Night on Earth), den Mond wandern sah, Hundefell roch und meine Ohren beim Knall aus dem Jagdgewehr mit den Händen schützen wollte.

Vortreffliche Geschichte - à la bonne heure!

Gruß
Akirakur
 

Rigelian

Mitglied
Hallo Marcus,

so, nun will ich den Gefallen mal erwidern. Toll geschrieben, das gleich vorneweg. Fand ich wirklich super; ziemlich schwer, romantisch, ich mag das. Gerade in einer Kurzgeschichte funktioniert das auch super, finde ich.
Nur einen Satz will ich nennen, der mir nicht ganz so gut gefällt: "Ihre Schritte flüsterten nur über den Marmorfußboden, während die Sohlen der Gäste ebenso unbarmherzig die Mosaike schlugen, wie Madame Julie einen untersetzten Chinesen, der ihr beim Reichen des Aperitifs die italienische Seide versaute."

Aus meiner Sicht ist dieser Satz einen Tick zu überladen - der Schlagvergleich (Sohlen, Mosaik - Madame Julie, armer Chinese) und die Länge des Satzes haben mich beim Lesen in's Stocken gebracht. Vielleicht könnte man einfach einen Punkt machen, inkl. Überleitung zum geschlagenen Chinesen im folgenden Satz. Ist aber nur eine Kleinigkeit.
Ansonsten wie gesagt beide Daumen hoch.

Viele Grüße!
 
Naja, Otto,

der Satz liest sich ziemlich gut vor. Ich weiß, dass er im Text ziemlich behäbig ist, aber bei einer Lesung bringt er gleich ganz am Anfang etwas ganz besonderes ins Spiel - nämlich Atemlosigkeit. Und dann kann man (muss man sogar) ganz leise flüstern. Ich mach da immer einen Unterschied zwischen Texten für Lesungen und solchen, die man nur mit den Augen liest.

Das hier ist so ein Text für eine Lesung. Kurz, wild, ein bisschen lustig - naja, von der unterhaltsamen Art eben.

Manche Sätze "muss" man eben streichen, und andere
"muss" man einfach stehen lassen.

Trotzdem danke,
vielleicht ist mir der Satz ja auch irgendwann mal über,
Grüsse Marcus
 



 
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