Silence (Teil 2)

Nyxon

Mitglied
Der Mond warf ein fahles Licht auf die Lichtung inmitten des Waldes. Irgendwo schrie eine Eule in die Nacht. Leichter Nebel lag über den taufeuchten Wiesen. Sie saß auf einem Baumstumpf und starrte auf das Feuer, das vor ihren Füßen loderte. Entspannt streckte sie ihre müden Beine aus und ließ sich die Sohlen der nackten Füße an den Flammen wären. Ein leichter Wind strich ihr um den Körper, den sie in ein hellblaues Sommerkleid gehüllt hatte. Ihre langen Haare wehten im Wind. Leichte Kälte stieg in ihr empor, die sie frösteln ließ. Um sich zu wärmen verschränkte sie ihre Arme um die Brust und rubbelte sich an den Oberarmen. Sie blickte ins Feuer und absorbierte seine Wärme.
Sie erschrak nicht, als seine Hände sie von hinten umfassten. Erst packte er sie an den Hüften, dann glitt er zu ihren Armen empor und strich ihr über die zarte Haut. Sie seufzte vor Verzücken und ließ die Arme sinken, die er direkt von unten nahm und sie ausbreitete. Während seine zarten Lippen langsam über ihren Hals glitten und sie sanft küssten, nahm er ihre Hände in seine, verkreuzte ihre Finger und ließ sie dann zu ihren Brüsten gleiten. Mit festen Griff massierte er ihren Busen, rieb ihre Nippel seicht zwischen seinem Daumen und Zeigefinger, bis sie senkrecht standen. Der Rieb des Stoffes verstärkte die Wirkung seiner Fingerübung um ein Vielfaches. Sie stöhnte leise auf und er spielte mit seiner Zunge in ihrem Ohr, flüsterte ihr zu, dass er sie liebe und dass sie alles in seiner Welt sei. Sie nahm es mit Stolz hin.
Langsam stand sie auf und drehte sich zu ihm um. Seine dunkelbraunen Augen spiegelten das Feuer wider, bewundernd glitt sein Blick über ihr Gesicht. Sie wühlte sich durch seine kurzen, schwarzen Haare, zog seinen Kopf in den Nacken und küsste ihn zärtlich. Seine Zunge strich ihre Lippen, forderte Einlass, den sie ihm natürlich nicht verweigerte. Wie zwei Flüssigkeiten, die gemeinsam eine Emulsion bildeten, spielten ihre Zungen miteinander. Mal zärtlich umstreifend, mal drängend hastig, bewegten sie sich abwechselnd in die Mundhöhle des anderen.
Während sich ihre Zungen gegenseitig massierten, wanderten seine Hände unter ihr Kleid und kneteten ihre festen Backen. Sie hob ihr Bein zeitweise etwas höher, damit er es mit festen Griff packen und über ihre Haut streichen konnte. Sie bekam durch seine Berührungen eine Gänsehaut, die angenehm die Poren belebte und ein Feuerwerk der Gefühle in ihrem Gehirn auslöste. Seine Hände forschten weiter und entdeckten erneut ihre Brüste. Diesmal stand der Stoff des Kleides nicht zwischen ihm und ihren Nippeln. Zärtlich rieb er sie. Seine Hände waren warm und lösten in ihr eine Befriedigung aus, die sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Während er seine Hände an ihrem Oberkörper spielen ließ, hantierte sie ruhig an seinem Gürtel und öffnete die Hose.
Sein Glied war steif und füllte fast die gesamte Vorderpartie aus. Sie befreite es aus seinem Gefängnis und rieb sanft an seiner Eichel. Sein zufriedenes Stöhnen und sein schneller werdender Atem ließ sie erahnen, dass er ihre Berührungen so genoss, wie sie seine. Langsam entzog sie sich seinem Körper und kniete vor ihn. Als ihre Zunge seinen Schwanz umspielte und sie ihn dann endgültig im Mund verschwinden ließ, konnte er nur noch ein leises Grunzen von sich geben. Mit gekonnten Kombinationen aus Lecken, Reiben und Saugen, brachte sie ihn soweit, dass er mit seinem Becken rhythmische Bewegungen machte. Obwohl sie normalerweise nicht sehr von oraler Befriedigung angetan war, stieg ihre Lust auf einen vorläufigen Höhepunkt.
Langsam zog er sie wieder hoch, küsste sie innig und ließ dann ihr Kleid zu Boden sinken. Er betrachtete einige Augenblicke ihren Körper und umschmeichelte dann mit seiner Zunge ihren Bauchnabel. Während er vom Nabel aus weiter hinunterglitt, zerrten seine Hände mittlerweile ungeduldig an ihrem Slip. Sie half etwas nach und nachdem der schwarze Stofffetzen ihr Geschlecht freigelegt hatte, versank seine Zunge in ihrem Loch. Ständig drang er mit der Zungenspitze in sie ein, leckte abwechselnd ihren Kitzler und die Schamlippen. Ihre Feuchtigkeit, die sie schon lange gespürt hatte, nahm er mit der Zunge auf und setzte gleichzeitig neue frei. Ihr leises Stöhnen erfüllte die Ruhe der Nacht, genussvoll vernahm sie das Schmatzen seiner Zunge in ihrem Loch. Sie zog ihm das T-Shirt über den Kopf, während er ein letztes Mal ihren Kitzler küsste.
Ohne Hast ließ sie sich auf den feuchten Waldboden gleiten und spreizte ihre Beine. Ein fies-erotisches Lachen spiegelte sich auf seinen Lippen. Sie sah ihn erwartungsvoll an und konnte es kaum erwarten, ihn endlich in sich zu spüren. Mit gespielter Schüchternheit legte er sich auf sie und führte seinen Schwanz in ihr Loch. Bereits nach einigen Stößen hatten sie einen gemeinsamen Rhythmus gefunden, der ihnen beide zusagte. Lustvoll stöhnte sie unter seinem Drang. Während seine Hände jeden Quadratzentimeter ihres Körpers erforschten, küssten sie sich leidenschaftlich. Eine halbe Stunde später stieg er von ihr und sie setzte sich auf ihn, um ihn zu reiten. Seine Hände massierten ihre Brüste, sie stützte sich auf seinen Beinen ab. Als er das erste Mal kam, fühlte sie nur ein inneres Lodern in sich. Es war, als hätte er Lava in sie gespritzt. Das Prickeln machte sie geil.
Die Wärme des Feuers und die Hitze ihrer vereinten Körper ließ sie schwitzen. Der angenehme Schein der Flammen glänzte auf ihrer Haut.
Drei Stunden verbrachten sie in einer wilden Ekstase, in denen sie Stellungen gebrauchten, von deren Existenz sie nicht einmal gewusst hatte. Wie von Sinnen, ließ sie sich von ihm ficken. Er kam noch zwei weitere Male, dessen Intensität ständig zu- statt abnahmen. Sein Glied wechselte die Löcher, wie ein Postbote, der von Haus zu Haus geht, um Briefe einzuwerfen. In kleinen Erholungsphasen nutzte er seine Fingerfertigkeit, um ihr Lust zu bereiten, unterdessen bediente sie ihn mit dem Mund.
Die Nacht war erfüllt von ihrer Lust, der Feuchtigkeit ihrer beiden Körper, der Hitze einer scheinbar endlos sexuellen Orgie. Ihre Lustschreie hallten durch das Dickicht des Waldes; Zeugen waren nur die tierischen Bewohner dieser unberührten Natur, die angetan von diesem Anblick ebenfalls durcheinander kopulierten, wie sie sich gerade trafen.
Als sie schon dachte, diese Nacht würde eine Ewigkeit dauern, ergoss er sich schließlich ein letztes Mal in ihr. Sein Samen war heiß und brodelte an den Innenseiten ihrer Muskeln. Schweiß rann ihm von der Stirn, sie selbst fühlte sich erschöpft und körperlich schlaff. So schön es die Stunden über auch gewesen war, irgendwie hatte sie seit das Ende herbeigesehnt. Er war gut. Gott, war er gut! Doch seine Ausdauer machte ihr Angst und wäre er nicht selbstständig zum Schluss gekommen, hätte sie ihn kurze Zeit später gebeten, aufzuhören.
Als er sich von ihr rollte und sie zärtlich in den Arm nahm, fand sie keine anderen Worte außer: „Wow!“
Stolz grinste er sie an. Sanft drückte er seine Lippen auf ihre Stirn und strich mit den Fingerkuppen über ihre warmen, schweißnassen Hüften. „Als hätte der Teufel dich höchstpersönlich gefickt, was?“
Seine dunklen Augen glühten feuerrot auf und starrten sie an. Als sich sein Gesicht zu einer Fratze verzog und er seine spitzen Zähne in ihre Halsschlagader rammte, konnte sie nur schreien.
Dann war plötzlich alles ruhig.

Das Wetter hatte sich verschlechtert. Aus dem anfänglichen Sonnenschein war müßiger Regen geworden, der im gleichbleibenden Rhythmus gegen die Scheibe trommelte und die Außenwelt durch das Fenster betrachtet bizarr verzerrte.
Lana stand mit verschränkten Armen an der Fensterfront und starrte nach draußen. Sie hatte sich in eine Ecke des Zimmers gedrückt, um ihren durch Medikamente und Infusionsmitteln geschwächten Körper nicht allzu sehr zu belasten. In einem Schrank hatte sie Unterwäsche und Socken gefunden, die sie sich angezogen hatte, um sich weniger nackt zu fühlen. Noch immer fühlte sie den kalten Blick Jans auf ihrem Körper, der sie abtastete, jede Fuge ihrer Haut wahrzunehmen schien. Die Erinnerung an seinen Stimmungswechsel und die plötzlich ausgestrahlte Autorität gegenüber Schwester Nouschkâ war ihr ebenfalls noch gegenwärtig.
Diese stämmige, polnische Jungfrau, die ihr gegenüber so stark die bestimmende Person repräsentierte, war durch Jans einfache Worte zu einem Häufchen Elend zusammengesunken. Man hatte Lana den Tropf nicht mehr angelegt. Sowieso war seit dem Vorfall keine Menschenseele mehr in ihrem Zimmer gewesen. Das beunruhigte Lana zutiefst. Sie hatte erwartet, zumindest eine andere Schwester nach ihr sehen zu lassen, oder vielleicht ihre Eltern vorzutreffen, die sie mit einem Besuch überraschten. Doch statt das besorgte Gesicht ihrer Mutter oder das sanft lächelnde Gesicht ihres Bruders zu entdecken, war sie vor Stunden in einem leeren Zimmer aufgewacht.
Selbst die Spinne an der Decke war nicht zu sehen.
Lanas Aufwachen war langsam vonstatten gegangen. Sie hatte die Augen geöffnet und an die Decke gestarrt, dann erst hatte sie ihre Umgebung registriert. Ihr Atem war schwer gegangen und sie hatte sich gefühlt, als hätte sie stundenlang härteste Arbeit geleistet. Ihr Bettzeug war zerwühlt und klebrig-feucht gewesen. Und auch Lana war feucht erwacht. Nachdem sie Raum und Zeit eingeordnet hatte, hatte sie bemerkt, dass sie so stark ihre Flüssigkeit versprüht hatte, dass sich ein kleiner Fleck auf dem Stück Bettlaken zwischen ihren Beinen gebildet hatte.
Ein Aufwachen mit solcher Intensität war für Lana neu. Natürlich konnte sie nicht leugnen, dass sie schon zuvor irgendwann einmal feucht aufgewacht war, nachdem ein erotischer Traum sie geschüttelt hatte. Doch dass sie schier auslief vor Lust war ihr noch nie passiert.
Ihre Erinnerung daran war nur noch in Bruchstücken vorhanden. Sie sah Bilder einer wilden Orgie vor ihrem inneren Augen tanzen. Sie sah ein loderndes Feuer auf einer einsamen Lichtung, zwei Körper, die sich in absoluter Ekstase vereinten. Bereits bei den Gedanken daran, kribbelte es in ihr. Sie erinnerte sich an ihren Körper, der von einem zärtlichen Jungen erforscht wurde. Und je mehr Fragmente sie aus ihrem Gedächtnis bergen konnte, desto klarer wurde das Gesamtbild – ein Traum, der ihre tiefsten Wünsche nach oben kehrte. Wilder, hemmungsloser Sex mit Jan! Das war die Gesamtaussage des Traums und war Lana ehrlich zu sich, konnte sie ihren Traum gut verstehen.
Doch Lanas Lust an dieser Erinnerung wurde von einer Furcht überschattet, die sie sich nicht richtig erklären konnte. Ihre Rekonstruktion des Traums fand ein abruptes Ende bei den Bildern ihrer beiden Körper, die engumschlungen dalagen, um sich nach dem Akt zu erholen. Sie konnte sich daran erinnern, dass er etwas zu ihr sagte, dann war alles schwarz. Normalerweise hätte sich Lana keine weiteren Gedanken mehr gemacht. Es war völlig verständlich, dass sie nicht imstande war, den gesamten Traum aus ihrem Gedächtnis hervorzuholen. Doch die Intensität der Bilder davor, die der eigentlichen Lust, die der sexuellen Orgie, machte sie stutzig. Sie konnte sich an jede Minute erinnern. Sie konnte die Wärme des Feuers spüren, die Berührungen seiner Hände, seine Zärtlichkeit beim Vorspiel. Sie fühlte immer noch seine Zunge zwischen ihren Schenkeln und konnte seinen Rhythmus voraussagen. An all diese Dinge hatte sie klare, deutliche und zum Teil erschreckend detaillierte Erinnerungen. Zu klar für einen Traum, dachte sie und das fehlende Ende desselben machte sie nochmals stutzig.
„Als hätte der Teufel dich höchstpersönlich gefickt, was?“, fragte die Stimme im Kopf und lachte höhnisch.

Lana fiel fast zu Boden, als sie sich schreiend abwandte und zum Badezimmer lief. Ihre Beine konnten den plötzlichen Spurt nicht verkraften und knickten unter ihr weg, nur das Bettgestell gab ihr soviel Halt, dass sie nicht vollends auf den Lamynahtboden zusammensackte. Mit Tränen in den Augen, das hallende Echo der Stimme hinter den Schläfen, schleppte sie sich ins Bad und beugte sich über die Kloschüssel. Als sie sich übergab und gleichzeitig versuchte, die Kontrolle über sich wiederzuerlangen, hörte sie die Stimme, wie sie sagte: „Du bist so schwach. Gib doch endlich auf.“
Einige Augenblicke später wurde die Zimmertür aufgestoßen und ein Mann mittleren Alters trat zusammen mit Schwester Nouschkâ in den Raum. Sie mussten vom Schrei alarmiert worden sein. Er trug einen langen weißen Kittel und hielt eine Spritze in der Hand. Die Krankenschwester war zivil gekleidet und schien gerade Feierabend machen zu wollen. Die forschen Augen des Mannes durchkämmten das Zimmer, bis sie Lana im Badezimmer entdeckten. Schwester Nouschkâ trat als erste an ihre Seite. Kurz darauf folgte der Mann.
Mit einer kleinen Taschenlampe leuchtete er Lana in die Augen, die so benommen war, dass sie es kaum bemerkte. Dann klopfte er ihr eine Ader ab und setzte die Spritze. Nachdem Schwester Nouschkâ ihren Mund von restlichem Erbrochenen befreit hatte, wurde Lana ins Bett getragen und dort fixiert. Mit verschwommenen Blick sah sie die beiden Personen herumwuseln. Schwester Nouschkâ schloss den Tropf wieder an, während der Arzt ihr irgendwelche Sachen mitteilte.
„Fixierung... unverantwortlich... Gefahr... Disziplinarverfahren...“ Mehr bekam Lana nicht davon mit, doch es reichte aus, um zu merken, dass die Schwester sehr schlecht dabei wegkam. Der Arzt fühlte Lanas Puls und strahlte ihr erneut in die Augen. Dann beugte er sich zu ihr herunter.
„Ich weiß... schwach. Doch... muss wissen, was... passiert... Helfen, doch wir... deine Unterstützung.“ Für Lana ergaben seine Worte keinen richtigen Sinn. Um sie herum drehte sich alles und das Beruhigungsmittel, das der Arzt ihr zuvor gespritzt zu haben schien, wirkte schneller, als er es vermutet hatte. Sie sah sein Gesicht vor sich, seine Lippen bewegten sich, doch sie hörte seine Worte nicht mehr.
„Die Stimme... So schlimm“, stammelte sie kraftlos.
Der Arzt beugte sich weiter vor. „Stimme?“, fragte er. „Was für eine Stimme? Lana!“
Sie konnte sich nicht mehr halten. Vom Medikament entmachtet, fiel sie in eine tiefe Bewusstlosigkeit. Als sie ihre Augen schloss, sah sie den Arzt, der lautlos auf sie einredete. Schwester Nouschkâ war verschwunden.
An der Decke saß die Spinne und schaute sie an.

Ihr Schlaf blieb traumlos, schwarz und still.
Als sie wieder erwachte, war es dunkel um sie herum, nur ein seichtes Licht von der Neonröhre in der Nähe der Tür warf einen Schein in den Raum. Die Vorhänge waren zugezogen, die Tür zum Flur geschlossen. Trotz des starken Mittels in ihrem Blutkreislauf, fühlte sie sich erholt und kräftiger, als erwartet. Einen kurzen Augenblick lang, war sie versucht, sich aus dem Bett schwingen zu wollen, doch dann erinnerte sie sich an die Fixierung. Als sie versuchsweise ein Bein anhob, war es schwer, doch es ließ sich ohne Hindernis bewegen.
Die Fixierung war wieder geöffnet worden.
Mit bedächtigen Bewegungen schälte sie sich aus dem Bett. Auch der Tropf war wieder abgehangen worden. Lana grübelte kurz darüber nach und ließ ihre Bedenken dann fallen. Sie war in einem Krankenhaus, da wussten die Leute, was gut oder schlecht für sie war. Das hoffte sie zumindest.
Mit schlurfenden Schritten, immer bedacht, keine zu schnellen Bewegungen zu machen, verließ sie zum ersten Mal seit ihrer Einlieferung ihr Zimmer. Tagelang hatte man sie mit Medikamenten ruhig gehalten, sie fixiert oder kontrolliert. Jetzt, wo sie sich seit langer Zeit wieder gestärkt fühlte, wollte sie der Begrenzung ihres Zimmers entfliehen und sich die Welt hinter der Tür anschauen.
Der Flur lag im matten Schein der Nachtbeleuchtung vor ihr. Zu beiden Seiten hin verlief er auf eine doppelte Glastür zu. Zu ihrer Rechten konnte sie ein kleines Foyer mit Aufzügen und ein paar Pflanzen hinter der Glasfront ausmachen. Links setzte sich der Flur hinter der Glastür fort. Bis auf ein leises Gemurmel, das von irgendwo links von ihr kam, war der Flur wie ausgestorben. Es roch nach sich verflüchtigenden Desinfektionsmittel.
Ohne eine konkrete Vorstellung, wohin sie jetzt gehen sollte, blieb Lana ein paar Augenblicke im Türrahmen stehen. Sie warf einen Blick auf die Zimmernummer und stellte fest, dass sie sich im vierten Stock aufhielt. Zimmer 411. Als sie aus dem Fenster geblickt hatte, konnte sie die Höhe etwa auf den vierten oder fünften Stock festlegen. Nun hatte sie eine Bestätigung dafür. Nach kurzen Überlegungen entschied sie sich dafür, die Quelle des Gemurmels ausfindig zu machen. Geräuschlos schlug sie den Weg nach links ein. Ihre Beine fühlten sich an, als wären sie aus Gelee und da sie Angst hatte, bei einer Schwächeattacke umzufallen, klammerte sie sich fest an die Haltestange, die seitlich an der Wand befestigt war. Mit kleinen Schritten, die eher einem Gleiten ihrer Socken auf dem gebohnerten Fußboden glichen, erreichte sie eine schmale Milchglasfensterfront, hinter der ein dumpfes Licht schien. Die seitlich gelegene Tür war halb geöffnet. Lana riskierte einen Blick in den dahinterliegenden Raum. Sie erkannte einen blonden Lockenkopf, dessen Körper von einer Theke verdeckt war. Lana war sich nicht sicher, ob es eine Frau oder ein Mann war, doch die Tatsache, dass die Person in einem Pornoheftchen blätterte, ließ sie erahnen, dass es sich um einen Mann handeln musste. Er saß schräg mit dem Rücken zur Tür, neben ihm stand eine Tasse mit dampfenden Inhalt. An der Wand prangte eine große Digitaluhr mit Datumsangabe.
Konnte sie den Anzeigen trauen, woran sie nicht zweifelte, war es zwei Uhr vierzehn am Samstagmorgen. Die Tatsache, dass sie bereits seit fast fünf Tagen hier war, machte ihr Angst. Sie konnte sich lediglich an einige Stunden in diesen Zeitraum erinnern, hatte also folglich den Großteil der fünf Tage verschlafen. Der Gedanke daran, so lange Zeit ohne Bewusstsein oder zumindest ohne klare Zurechnungsfähigkeit gewesen zu sein, beunruhigte sie maßlos. Eine halbe Woche Krankenhausaufenthalt und sie hatte nicht einmal ihre Eltern gesehen oder zumindest eine konkrete Nachricht von ihnen erhalten. Es schien, als wäre sie in diesem Gebäude, schlimmer noch in ihrem Zimmer, gefangen, ohne Kontakt zu ihrem normalen Umfeld. Allein mit ihren Problemen, wie sie es zuvor auch schon gewesen war, seitdem ihre Großmutter gestorben war. Den Gedanken an einen alternativen Gesprächspartner wie Jan und die Trauer um ihre Großmutter, verdrängte sie. Sie hatte jetzt keine Lust, über solche Dinge nachzudenken.
An der Wand über der Tür des Bereitschaftsraumes hing ein Kreuz. Sie starrte es einen Augenblick an und verfluchte dann den fetten, unfairen, vögelnden Gott im Himmel. Er widerte sie zutiefst an.
Lana schlich sich an der Tür vorbei und passierte auch die kleine Öffnung in der Fensterfront, ohne dass Lockenkopf sie bemerkte. Lanas Herz schlug schnell und dumpf in ihrem Brustkorb. Ihre Kehle war trocken vor Aufregung. Als sich außer Sichtweite des Pflegers befand, drückte sie sich gegen die Wand und atmete tief durch. Schwindel stieg in ihr empor, den sie möglichst unterdrücken wollte. Als sie ihren Herzschlag eigenermaßen stabilisiert hatte, lauschte sie in den Flur. Ihre erste Annahme, das Murmeln käme aus dem Bereitschaftszimmer, bestätigte sich nicht. Außer dem gelegentlichen Knistern des Papiers beim Umblättern, drangen aus dem Raum keine Geräusche nach außen.
Nein, das Gemurmel kam aus der entgegengesetzten Richtung. Schräg gegenüber des Bereitschaftszimmers war eine Zimmertür nur leicht angelehnt. Hörte Lana genau hin, konnte sie die Quelle in diesem Raum ausmachen. Mit beiden Händen drückte sie sich von der Wand ab und trat auf die Tür zu. Nachdem sie einen kurzen Blick über die Schulter geworfen hatte, um sich zu vergewissern, dass Lockenkopf immer noch in seinem Heftchen blätterte, betrat sie das dunkle Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.
Zimmer 414 war in etwa so groß wie ihr eigenes und hatte die gleiche Anordnung. Rechts vom Eingang befand sich das kleine Badezimmer, dahinter standen zwei Betten, von dem aber nur eines belegt war. Ein Mann lag darin und starrte an die Decke. Lana gegenüber befanden sich die Fenster, die von der gleichen orangeroten Gardine verdeckt waren. Seitdem sie sich im Raum befand, war das Murmeln verstummt, doch als sie sich langsam dem Bett des Mannes näherte, fing dieser wieder an zu brabbeln. Sein Blick war dabei stur auf die gekalkte Decke gerichtet, seine Hände auf der Brust gefaltet.
Lana trat an das Fußende und versuchte im unzureichenden Schein der Neonröhre in Eingangsnähe, das Schildchen mit den Krankendaten zu lesen. „Thomas Janssen. Sechsunddreißig Jahre. Psychisch-traumatische Desorientierung im dritten Stadium und chronisches Asthma.“ Janssen. Der Name kam ihr bekannt vor, doch konnte sie sich nicht genau erinnern, wo sie ihn bereits gehört hatte. Wahrscheinlich hatte eine Schwester oder ein Arzt ihn genannt.
„Sie starrt mich an, ständig starrt sie nur“, nuschelte Herr Jansen an die Decke. „Und immer diese lästigen Fragen! Ständig! Immerzu nur Fragen und starren. Irre. Total irre!“ Seine Hände zitterten auf der Decke, dicke Adern zeichneten sich auf der dünnen Haut, die wie Pergament durchschimmerte. Lana schaute ihm in die Augen. Sein Blick war klar und für ihr Verständnis schien er nicht verwirrt oder abwesend, sondern nur äußerst gestresst. Seine Lippen waren spröde und an einigen Stellen aufgesprungen. Bartstoppeln zierten die faltige Haut im Gesicht. Sah man ihn so liegen, konnte man nicht glauben, dass er erst sechsunddreißig war. Seine äußere Erscheinung ließ eher ein hohes Alter vermuten.
Lana setzte sich auf seine Bettkante und schaute ihn mit müden Augen an. Als ob ihre Anwesenheit ihn beruhige, ließ sein Zittern auf ein Minimum nach und er drehte seinen Kopf in ihre Richtung. Seine Augen strahlten, als er sie erblickte.
„Ein Engel“, säuselte er und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Wohl kaum“, entgegnete Lana verlegen und blickte auf das Bettlaken.
Er riss seine Augen weit auf und reckte seinen Hals entgegen. Um seine Anstrengung zu minimieren, senkte Lana ihren Kopf soweit, dass er den seinen zurück in das Kopfkissen sinken lassen konnte.
„Hörst du sie auch?“, fragte er leise. Seine Hände verkrampften sich in der Bettdecke.
„Wen hören?“
„Na, die Spinne“, entgegnete er, als ob es eine Selbstverständlichkeit. „Die Spinne an der Decke, die ständig starrt und redet. Immerzu, ohne Unterlass.“ Er zeigte an die Decke.
Lana konnte keine Spinne entdecken, doch sie wusste, was er meinte. Sie erinnerte sich an das starrende Tier in ihrem Zimmer und die Stimme in ihrem Kopf, die sie zu einem Selbstmordversuch getrieben hatte. Ihre Kehle schnürte sich zu, als sie an den Tag dachte, an dem sie die Stimme zum ersten Mal gehört hatte. Obwohl sie es eigentlich nicht wollte, kramte sie die Gedanken daran aus ihrem Gedächtnis. Sie hörte die Stimme, die ständig auf sie einredete und sie in den ausweglosen Wahnsinn trieb. Sie sah abermals den krakeligen Schriftzug am Badezimmerspiegel. Sie fühlte den Schmerz der Rasierklinge, die sich in ihre Pulsader bohrte und den Blutstrom freilegte, der sich kurz darauf im gesamten Bad verteilte. Sie spürte die Kälte der Fliesen, auf denen sie sich bettete, um zu sterben, nur um endlich der Stimme zu entkommen. Und sie genoss die befreiende Stille, die sich ausbreitete, als sie in die todesnahe Ohnmacht fiel.
„Erst war sie ganz leise, dann wurde sie immer lauter und dann war sie ständig da“, wisperte Janssen und riss Lana damit aus ihren Gedanken. Sie war ihm dankbar dafür. „Jetzt lässt sie mich manchmal in Ruhe, doch nie allein. Ist die Stimme nicht da, starrt mich die Spinne an. Immerzu.“
Sie konnte es nachempfinden. Wachte sie auf, sah sie als erstes die dicke Spinne an der Decke kleben, die sie ansah und ihren Blick scheinbar nie von ihr ließ. Sie hockte dort in der Ecke neben dem Fernseher und bewegte sich, wenn überhaupt, nur Zentimeterweise. Nur an dem Tag, als sie die Stimme hier im Krankenhaus gehört hatte, war die Spinne nicht an ihrem Platz. Als wechselten sie sich ab.
Lana konnte sich nicht erinnern, die Spinne vorhin wahrgenommen zu haben.
„Was sagt sie zu Ihnen?“, fragte sie Herrn Janssen, der sich etwas aufgerichtet hatte. Sein Blick hatte sie fixiert, doch er flößte ihr keine Angst ein. Im Gegenteil, sandte er eine Ruhe aus, die sich im gesamten Zimmer auszubreiten schien. Lana fühlte sich geborgen und vergaß für einen Augenblick ihre Angst vor der Spinne und der Stimme. Wie bei meiner Großmutter, dachte sie und nahm Janssens Hand in ihre.
„Sie redet immer auf mich ein“, sagte er hektisch und angsterfüllt. „Sie beschimpft mich und versucht mir Dinge einzureden, die gar nicht stimmen. Einmal erzählte sie mir, meine Familie wäre gestorben. Aus Sorge verließ ich die Arbeit und fuhr nach Hause. Meine Frau bereitete das Essen und meine kleine Tochter spielte mit ihren Puppen.“ Er wendete sich von Lana ab und schaute kurz auf die Gardinen. „Sie hat mich also angelogen“, stieß er trotzig hervor und blickte dabei wieder Lana an. „Sie lügt immer. Selbst, wenn sie schweigt lügt sie, denn sie will mir ja weismachen, dass ich alleine wäre. Aber ich sehe doch die Spinne! Irre!“
„Was ist sie?“ Janssen wendete den Kopf ab. Seine Augen fixierten wieder die imaginäre Spinne an der Decke. „Bitte, ich muss es wissen“, flehte Lana ihn an. „Wie sonst kann ich gegen sie ankämpfen?“
Janssen zog seine Hände zurück und umklammerte seine Bettdecke. „Ich darf es niemanden sagen“, wimmerte er wie ein kleines Kind, das Angst hat ein Geheimnis zu verraten. „Er wird mich sonst umbringen, hat er gesagt.“
Lana beugte sich so tief hinunter wie sie konnte, um Janssen verstehen zu können. Seine Stimme war nur noch ein leises Fiepen.
„Wer würde Sie umbringen? Vor wem haben Sie so furchtbare Angst?“
Janssen schaute sie nur an. Sein klarer Blick war zu einem irren Starren geworden. Als Lana bereits im Begriff war, aufzustehen und das Zimmer zu verlassen, beugte er sich vor und winkte sie mit dem Zeigefinger wieder zu sich.
Lana stellte sich erneut neben sein Bett. „Wer ist er?“, fragte sie im ruhigen, aber bestimmten Ton.
„Nicht wer“, zischte Janssen und sein Blick wurde flehend. „Was ist er? Und willst du es wissen?“ Er machte eine weitläufige Geste. „Er ist die Stimme.“ An die Zimmerdecke zeigend, sagte er: „Er ist die Spinne.“ Er machte Anstalten noch etwas hinzufügen zu wollen, doch dann verstummte er plötzlich.
Nachdem er eine Minute geschwiegen hatte, gab Lana es auf. Sie war schon fast aus der Tür, als Janssen zögernd ergänzte: „Er ist das Böse.“
Sie hörte es nicht mehr.

Lana kehrte zurück in ihr Zimmer. Sie schlich sich an Lockenkopf vorbei, der immer noch genüsslich in seiner Zeitschrift stöberte und gelegentlich ein zufriedenes Grunzen ausstieß. Falls er ihren Ausflug oder die Unterhaltung mit Janssen doch mitbekommen hatte, ließ er sich davon nicht im Geringsten stören. Lana war zurück, bevor er in der Heftmitte mit dem Poster angekommen war.
Hellwach setzte sie sich auf ihre Bettkante und schaute an die Decke. Die Spinne konnte sie nirgendwo entdecken.
Sie dachte über Janssen nach. Für sie gab es zwei Möglichkeiten, wie sie das Gespräch mit ihm zu bewerten hatte. Entweder gab es diese Stimme im Kopf wirklich und sie und er hatten etwas Bestimmtes an sich, was sie zu Privilegierte für die Stimme machte. Die zweite Möglichkeit – die logischere von beiden – wollte Lana nicht direkt wahrhaben. Zu offensichtlich war diese Lösung der Probleme, die für sie persönlich ein großes Meer an weiteren Problemen auslöste. Was war, wenn dieser Janssen tatsächlich nur halluzinierte? Was war, wenn er nur irgendwelche Trugbilder und Wahnvorstellungen in seinem Kopf trug, ausgelöst durch seine Krankheit, die bei ihm diagnostiziert worden war? Falls diese Möglichkeit eher zutraf – und Lana war sich sicher, dass es die vernünftigere Erklärung wäre -, dann war sie ebenfalls krank.
Vielleicht litt sie unter der gleichen Erkrankung wie der Mann aus Zimmer 414, nur war sie bei ihr noch nicht festgestellt worden, weil sie bis jetzt ihre Erlebnisse mit der Spinne und der Stimme für sich behalten hatte. An die wage Andeutung nach ihrer Panikattacke, als der Arzt sie hatte ruhigstellen müssen, konnte sie sich nicht mehr erinnern. Erzählte sie den Ärzten oder ihren Eltern von den Gründen, weshalb sie sich die Pulsader aufgeschnitten hatte, weshalb sie völlig legitim im Krankenhaus lag, dann würde man sie genauer untersuchen und eine psychisch-traumatische Desorientierung feststellen. Man würde sie mit Medikamenten ruhigstellen, sie fixieren und nie wieder losmachen. Man würde den Eltern sagen, ihre Tochter sei schwer erkrankt und müsse in eine psychiatrische Anstalt überwiesen werden. Und ihre Eltern würden weinen, aber der Meinung sein, es sei das Beste für sie. Vater würde von seiner Zeitung aufschauen und die nötigen Formulare ausfüllen, während ihr kleiner Bruder mit Mutter Verhandlungen führen würde, ob er das Zimmer seiner verrückten Schwester bekommen könne. Die Ärzte transportierten Lana in eine Zwangsjacke gehüllt ab und man würde sie nie wieder sehen.
Die Angst vor einer psychischen Erkrankung beflügelte Lanas Phantasie. Sie sah sich in eine kleine Kammer eingesperrt, die rundherum mit Schaumstoff ausgefüllt war. Sie hatte sich in eine Ecke verkrochen und starrte die Spinne an, die sich jetzt noch deutlicher von der weißen Wand abhob. Gelegentlich schrie sie wie am Spieß und dann kamen Männer in enganliegenden weißen Kitteln durch eine für sie unsichtbare Tür und gaben ihr Spritzen. Für jeden Schrei eine; und Lana lächelte sie an und dankte den weißen Engeln für ihre Gastfreundschaft und ihre Geduld und für das wohlige Zimmer, das man ihr vermietet hatte. Und wenn sie alleine war und nur die Stimme in ihrem Kopf ihr Gesellschaft leistete, dann sang sie mit ihr „What a wonderful day“ von Louis Armstrong und wippte begeistert zu der Melodie. Und vielleicht kam irgendwann einmal Jan zu Besuch und reichte ihr einen Becher Wasser, damit sie nicht verdurstete. Und dann streichelte er über ihre Hand und sie lächelte ihn an und er lächelte zurück und die Welt war schön. Er hatte den weißen Engeln Bescheid gesagt, nicht gestört zu werden und sie hörten auf ihn. Und an diesem Tag war die Stimme fort und Lana war völlig klar im Kopf und unterhielt sich mit Jan über alles; dann war sie glücklich, weil Jan bei ihr war und sie in den Arm nahm. Und dann fickte er sie ein paar Stunden und ging wieder und die Stimme im Kopf kehrte zurück und versuchte sie zu schreien. Dann kamen die Engel mit ihren Spritzen und machten die Welt wieder bunt und schön.
Lana lag auf ihrem Bett und verdrängte die Gedanken an ihre mögliche Zukunft. Tief in ihr keimte der Verdacht auf, dass es doch die erste Möglichkeit war, die bei ihr und Janssen zutraf. Und weil die Chance darauf so schwindend gering war und ihre Hoffnungslosigkeit die Zuversicht um Maßen überwog, weinte sie sich in den Schlaf.
Das letzte Mal hatte sie am Grab ihrer Großmutter geweint.
 



 
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