Singe, wem Gesang gegeben

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Raniero

Textablader
Singe, wem Gesang gegeben

„Was hat sie da gerade gesungen?“ fragte Herbert.
Seine Frage galt Arthur, dem vorne neben ihm im Wagen sitzenden
Freund und Berufskollegen.

Arthur beeilte sich, die Frage Herberts zu beantworten; er wusste zu genau, dass dieser beim Autofahren schnell nervös wurde.
„Sie sang davon, dass die Autobahn wegen eines Unfalls und des darauffolgenden Staus ab der nächsten Abfahrt gesperrt sei und wir den mit U 40 gekennzeichneten Umleitungsschildern folgen mögen“.
Herbert seufzte.
„Gut, dass ich dich bei mir habe, Arthur, manchmal sind diese Durchsagen wirklich nicht zu verstehen“.
Das waren sie in der Tat, schwer zu verstehen, diese Verkehrsnachrichten und Durchsagen aus dem Radio, und es bedurfte dazu schon eines guten Gehörs, fast eines absoluten, wie man in der Musiksprache zu sagen pflegt. Zum Glück für Herbert hatte Arthur ein solches Gehör.
Seit einigen Monaten nämlich hatten die zuständigen Redakteure des Rundfunksenders, der in diesem Bereich zu empfangen war, eine Neuheit, sozusagen eine Weltneuheit, eingeführt: Sie ließen die Verkehrsnachrichten nicht wie bisher üblich, von einer sonoren männlichen Stimme in akzentuierter Form sprechen, sondern von verschiedenen professionellen Sängern beiderlei Geschlechtes singen, wie in der Oper, bisweilen sogar in Chorstärke.
Man stützte sich hierbei auf Versuche, die sich spezielle Straßenverkehrspsychologen ausgedacht hätten und die erfolgreich in den USA, wo sonst, verlaufen wären.
Dabei hatte man festgestellt, dass der neue Modus der Ansage resp. des Ansingens der Verkehrsdurchsagen, welche ja in der Regel selten eine positive Botschaft für den Autofahrer beinhalteten, einen beruhigenden Einfluss auf ihn in ausübten und ihm die Kraft verliehen, besser mit diesen unangenehmen Situationen fertig zu werden; sozusagen eine Art Deeskalation, bevor es überhaupt zur Eskalation gekommen wäre.
Das ganze neue System hatte jedoch den Nachteil, dass es vielen Autofahrern wie Herbert erging; sie verstanden mangels ausreichend geschulten Ohren so gut wie nichts, ähnlich, wie es nicht wenigen Zuhörern in der Oper erging, aber Herbert hatte ja gottlob seinen Arthur.
An der nächsten Abfahrt verließ Herbert und Arthur die Autobahn; von nun folgten sie den besungenen Hinweisschildern.
Zwischenzeitlich wurde übers Radio von einem reinen Männerchor noch ein weiterer Stau vermeldet, und eine feine einzelne Sopranstimme besang unmittelbar darauf die Auflösung eines anderen, beide Ereignisse bezogen sich jedoch auf gänzlich andere Autobahnabschnitte.
„Wenn es mal eine gute Nachricht gibt“, fluchte Herbert und bezog sich hierbei auf die sopranistisch Nachricht, „dann ist es keine gute für uns, verdammt noch mal!“
„Was soll‘s, Herbert“, beruhigte ihn der Freund, „wir sind ja jetzt von der Autobahn herunter und hier auf der Landstraße, da geht es zwar etwas langsamer voran, doch in einen Stau werden wir wohl nicht geraten, andernfalls hätten sie ja einen solchen schon durchgesungen“.
Es gab in der Tat keinen Stau, auf ihrem weiteren Weg entlang den Umleitungsschildern, dafür aber erlebten sie eine andere weitaus unangenehmere Überraschung.
Nachdem sie ein gutes Stücks schnurgerader Landstraße hinter sich gebracht hatten, in schneller Fahrt, sprang plötzlich ein Polizist in Uniform hinter einem dicken Baum an der rechten Straßenseite hervor und brachte ihr Auto mit winkender Kelle zum Stehen.
„Auch das noch“, stöhnten Herbert und Arthur gemeinsam.
Der Polizeibeamte trat auf die Fahrerseite des Wagens zu, an der Herbert hastig die Scheibe herunterkurbelte.
„Guten Tag, die Herren, Führerschein und Fahrzeugpapiere, bitte!“
Nervös fummelte Herbert die Dokumente aus seiner Brieftasche und reichte sie dem Ordnungshüter.
Zwischenzeitlich war ein zweiter Beamter aus dem Polizeiwagen gestiegen, welcher gut getarnt hinter dem dicken Baum parkte.
Der erste Polizist blätterte die Papiere durch und reichte sie dem Fahrer zurück; anschließend fragte er diesen in barschem Tonfall:
„Sie wissen, warum wir Sie angehalten haben?“
Herbert wusste es nicht und zuckte nur mit den Schultern, während Arthur neben ihm auf dem Beifahrersitz still vor sich hin blickte.
„Sie sind erheblich zu schnell gefahren, Menschenskind!“ legte der Beamte los, mit donnernder Stimme. „Sie sind auf dieser Straße, auf der eine Geschwindigkeit von 100 Km/h erlaubt sind, mit einem Tempo von 135 km/h geblitzt worden, 35 km/h mehr als erlaubt sind. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, das wird teuer für Sie. Darüber hinaus müssen Sie mit weiteren Konsequenzen rechnen!“
Herbert wechselte die Gesichtsfarbe, seine ansonsten stets ins Rötliche gehende Haut ging ins Schneeweiße über.
„Weitere Konsequenzen, auch das noch!“ stammelte er, fast lautlos.
Der zweite Polizist war an die Beifahrerseite getreten, auf der nun Arthur seinerseits die Scheibe herunter gedreht hatte.
„Steigen Sie mal aus, alle beide!“ brüllte der erste Beamte die Freunde im Auto an.
„Wir wollen einmal Ihr Fahrzeug näher in Augenschein nehmen. Öffnen Sie mal den Kofferraum!“
Nun erfolgte eine akribische Inspektion des gesamten Autos, wie Herbert und Arthur sie nur von den turnusmäßigen gesetzlich vorgeschriebenen Überwachungsprüfungen her kannten.
Glücklicherweise fanden die Ordnungshüter keine nennenswerten Mängel vor.
„Ja, mein lieber Mann“, sagte der erste Polizist mit einer Leichenbittermiene zu Herbert, „da werden wir wohl Anzeige erstatten müssen. Da kommt einiges auf Sie zu“.
Im gleichen Augenblick warf sich Arthur, der Beifahrer, vor den beiden Polizisten auf die Knie und begann, schluchzend zu singen, nach der wohlbekannten Melodie der Arie des Wandergesells aus der Operette ‚Der Vetter aus Dingsda‘:
„Wir sind nur zwei arme Pendlergesell’n, habet Gnad, liebe Schutzleut, habt gnad!
Wir geben es zu, ja, wir fuhren zu schnell, doch habt Gnad, liebe Schutzleut, habt Gnad!“
Als die beiden Polizeibeamten diese Szene vor sich sahen, den herzzerreißend singenden Beifahrer auf den Knien und den vor Angst schlotternden Fahrer, drückten sie spontan ein Auge zu und ließen fünfe gerade sein.
„Haut ab, ihr Beiden, aber haltet Euch demnächst an die Geschwindigkeitsbegrenzungen“.
Kopfschüttelnd blickten sie dem Wagen, in dem zwei überglückliche Freunde und Arbeitskollegen saßen.
„Die lassen sich auch immer verrücktere Sachen einfallen, diese Autofahrer. Kein Wunder, in der heutigen Zeit, bei diesen Verkehrsnachrichten“.

Herbert aber hatte erneut einen Grund, sich darüber zu freuen, Arthur als Beifahrer zu haben; vermochte dieser nicht nur ausgezeichnet zu hören, sondern ebenso gut
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
sehr

originell. den abgebrochenen schlusssatz kannste getrost weglassen, er befördert die handlung nicht, auch wenn er komplett wäre.
lg
 
T

TanjaF

Gast
Antwort

Hallo,

eine sehr lustige Geschichte, die Spaß macht! Bin zwar selber kein Autofahrer, aber ich sänge wahrscheinlich die Staunachrichten immer leidenschaftlich mit!
Im vorletzten Absatz müsste es wohl heißen:
"Kopfschüttelnd....blickten sie dem Wagen NACH..."

Tschö
Tanja F
 

Raniero

Textablader
Hallo flammarion,
hallo TanjaF,

Dank für Eure Zuschriften. Den letzten Satz kann man in der Tat ruhig weglassen, da die Story auch ohne diesen auskommt.
Natürlich muss es weiterhin heißen, 'Kopfschüttelnd blickten sie sie
dem Wagen nach...
Tja, diese Flüchtigkeiten :cool:

Gruß Raniero
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
siehste,

is mir vor vergnügen gar nicht aufgefallen. und das, wo ich doch sonst so n krümelkacker bin . . .
lg
 



 
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