Sinnen, schauen und Klischees bei Aldidl

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Mit einem blutigen Hacken gehe ich noch lange nicht nach Hause! Jedenfalls nicht vor abgeschlossenem Einkauf bei Aldidl. Schuld an dem Malheur war eine eilige Mutti, die, kaum ihrem riesigen SUV entsprungen, den sie, durch dreidimensional schlecht ausgeprägtes Sehen gehandicapt, soeben mühevoll in die ebenso riesige Mutter- Kind Lücke schräg geparkt hatte und mir dann bald den auch sehr breiten Doppelpack- Kinderwagen, beladen mit zwei kleinen Kindern und zwei großen Wasserkisten, leer natürlich, in den nun lahmenden Hacken fuhr. Dafür habe ich Verständnis und wackele der Mutti verzeihend Richtung Eingang hinterher. Ging es nicht ebenso dem tapferen Achill, getroffen von des Paris‘ verschossenem, feigem Pfeil? Getroffen eben in jene Fersensehne, die seinem Namen Unsterblichkeit verlieh, die ihn durch Riss auf Trojas Staub zu Boden warf und Wehr gegen feindliches Schwert dann nicht mehr glücken ließ? Es hauchte der Held unter Hieben sein Leben aus. So betrachtet hatte ich ja Glück und nahm mir einen Einkaufswagen.

Mein Einkaufszettel, gefertigt von liebender Gattin Hand, spricht heute zu mir in einfachen Worten, ich verstehe alles gleich bei der ersten Lesung, und, ich komme öfters her, mir sind die meisten Fundstellen der zu suchenden Artikel geläufig. So bleibt Zeit, ein wenig in die Runde zu schauen. Aus der Frischfisch- Kühltruhe ragen Hüfte und Beine eines wohl älteren Herren heraus, erkennbar an Hosen- und Schuhmode. Der Rest ist in der Truhe, schichtet und wühlt in den Lachsfilets, ob nicht doch noch eine Packung mit einem Ablaufdatum zu finden ist, die Fischverzehr auch in erst fernen Tagen erlaubt. Ich gehe näher heran, und mir scheint, trotz durch heftiges Atmen beschlagener Scheibe, die zu erwartende Haltbarkeit des Fisches immerhin über der des Rentners.

Zwischen Chips und Süßigkeiten bewegen sich zwei Frauen. Älter und jünger, vollschlank und unschlank, sicher Mutter und Tochter. Oft haben dicke, junge Frauen, wie auch die hier und heute, nicht ehrliche, diskrete und gut meinende Kleiderberater. Da ihnen gern schnell warm wird, reicht auch im späten Herbst ein T- Shirt. Man unterscheidet zwischen Modell „Zelt“ und Modell „Wurstpelle“. Hier haben wir es mit Wurstpelle in pink und gelb zu tun. Von den Kinnen abwärts hält die Pelle verschiedene, querlaufende Würste zusammen. Ursprung und natürliche Funktion einzelner Exemplare sind nicht mehr zuzuordnen. Die Würste enden an der so genannten Bikinizone, hier jedoch würde kein Bikini je einen Sonnenstrahl zu sehen bekommen, eher eine finstere Todeszone. Ergänzt wird der umfangreiche Anblick durch noch umfangreichere Metalleinbettungen im breitflächigen Gesicht. Nase, Lippen, Augenbrauen, Ohren sowieso, alles durchbohrt und üppige avantgardistische Metallkunst zeigend. Dies führt zwar bestimmt zu ständig gutem Handyempfang, jedoch auch starker Blitzanziehung bei Gewitter. Auf dem Kopf wuscheln sich eigenwillig Haare (war hier der Blitz schon gewesen?) in der Farbe venösen Blutes, die sich schon lange nicht mehr mit irgendeiner Pflegeaktivität auseinander setzen mussten. Der Einkaufswagen ist bereits sehr gut mit kraftvoller Nahrung, bunten Brauseflaschen und puffigen Weißbrotscheibenpackungen gefüllt. Zart spricht sie jetzt in ihr Telefon, gilt dem Geliebten der sinnliche Gruß? Fragt sie nach Wunsch und Appetit zum Fernsehsnack am Abend? Bietet sie gar sich selber an? „Wat iss mit Schweinekruste?“, höre ich sie den Unbekannten fragen.

Was heute hier allerdings völlig fehlt, das sind die „freilaufenden Männchen“. Diese Art Männchen wird von ihren Frauen zum Tragen helfen mitgeführt und zwischendurch mit dem Einkaufswagen abgestellt. Während die Frau die komplizierteren Besorgungen lieber alleine bewältigt, stehen dann diese verlassenen Männchen mit dem Wagen meist kreuz und quer in den Gängen herum und pflaumen jeden laut an, der vorbei will oder muss, gilt es doch, das Revier zu behaupten. Später, am Kassenband, erfreuen sie die anderen Wartenden oft mit dann längeren Monologen.

Trotz Rumgucken habe ich nach einer Weile meinen Zettel abgearbeitet, ach, eine Flasche Obstschnaps fehlt noch, so, man kann nie wissen! Da dies nun doch zu wenig Obst ist, gehe ich noch zu den entsprechenden Kisten. Die Mandarinen waren letztens zwar leicht zu schälen und ohne Kern, aber im Inneren strohig und lasch. In der Mandarinenkiste liegt eine rote Plastikmünze für Einkaufswagen. SPD steht darauf. Ob die Mandarinen von denen sind? Passen würde es ja.
Na, ich bin doch mehr für die CDU und nehme wenigstens ein paar Pflaumen mit.
Jetzt geht es zur Kassenschlange und ich schaue nach hinten, um eventuellem Zweitanschlag der Doppelmutti gewappnet zu sein. Nix zu sehen. Vor mir packt ein Riese in schwarzem Netzunterhemd seine Getränke schwungvoll auf das Band, wodurch hörbar die dicke dreifache Goldkette, die den Stiernacken ziert, zum Klingen gebracht wird und auch wild schaukelt. Daumen und Zeigefinger präsentieren uns Mitanstehern große, silberfarbene Totenkopfringe. Auch zieren allerhand Tattoos den behaarten Rücken. Draußen steht bestimmt mindestens seine Honda- Goldwing, denke ich anerkennend, doch auf dem Parkplatz steigt er später nur in einen verrotteten Renault- Twingo, unerkennbar sind Farbe und Alter. Jetzt bin ich dran und wickle das kurze Kassiererin- Kunde Gespräch ab. Sie ist freundlich und riecht gut. Trotzdem bin ich froh, dass ich gehen kann. Der Hacken tut gar nicht mehr weh, meine Pfeilschleuderin scheint fertig, der SUV ist fort.
Heute Abend gibt es Lachsauflauf. Griechisch. Mmmh, lecker!
 



 
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