Sohn von dieser Stadt

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Sta.tor

Foren-Redakteur
Sohn von dieser Stadt


Jeboren inna Scheune
morjens um halb neune
jabst Du mir zum atmen
Deine Luft.

Kann ma noch erinnern
Kindheit in zwee Zimmern
uffn Hinterhof mit
Mülltonnduft.

Milch jabs aussem Keller
Eintopp uffn Teller
und an jeder Ecke
een Lokal.

Kohlenträger maulten,
Leierkästen jaulten.
Keenen intressierte
die Moral.

Dann nach vielen Jahren
musste ick erfahren
du warst mir nich imma
Wohljesonn’

Als ick deine Wunden
heimlich wollt erkunden
wär ick dabei beinah
Umjekomm’

Doch du hast verziehen
Und uff meenen Knieen
Bitt ick dir inständig
Mach mir reich

Denn ick bin n kleener
Billigarbeitnehmer
Doch für dich da sind wa
Alle gleich.

Ick bin in Dir – Du bist in mir
Ick krieg Dich nich mehr raus
Du saugst mich uff und kaust ma durch
und spuckst ma wieda aus!
Berlin - Du spielst Dein Spiel mit mir
zum Schluss setzt Du mich matt!
Doch ick steh trotzdem treu zu Dir
als Sohn von diesa Stadt!
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo Thomas,

mein Heimatjargon. Als Kind durfte ich das natürlich zu Hause nicht sprechen: Strengstes Verbot von meinen Eltern. Aber die Mentalität, die aus deinen Zeilen spricht und die Redewendungen liegen mir natürlich immer noch im Blut. Heimat bleibt Heimat.

Hasste jut hinjekricht.:)

Liebe Grüße von Vera-Lena
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Hallo Vera-Lena

vielen Dank für das Lob. Naja, der Ausdruck - in mir steckts halt noch drin. Im öffentlichen Leben stirbt der Jargon leider zusehends aus und darum fand ichs mal notwendig ein Gedicht in alter Berliner Mundart zu verfassen. Allerdings stelle ich den Text jetzt nochmal in etwas entschärfter Version hinein, denn er "kratzt" meiner Meinung nach etwas im Hals beim lesen und vaschreckt ma womöglich de Leute.

Viel Spaß noch beim Schreiben und Lesen wünscht Thomas aus Berlin
 
N

nikita

Gast
hey sta.tor
dein text vaschreckt vielleicht nur die, die berlin nicht kennen und lieben ... städte und regionen, die noch eine "mundart" kennen ... haben auch noch eine wirkliche vergangenheit ... dein text hat mir sehr gut gefallen ... er hat sehnsucht geweckt ... eine alte rhein-länderin will wieder in die grosse stadt zurück ... danke
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Hallo nikita

aber wie gesagt, es stirbt aus, leider, es stirbt langsam aus...aber dafür macht sich rheinländisch määschtisch breit
 
Toll! Besonders der "Gossenhauer", die letzte Strophe. Döblins Alexanderplatz, Zille sein Milljöh, Grosz Kritzeleien werden wach in mir; aber auch das London von Dickens, das Wien von Canetti, das Prag von Meyerink, etc. Ohne diese "Poesie der Gosse" sind wir verloren.

Gruesse,
Rolf-Peter
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Hallo Rolf-Peter

naja, in eine Reihe gestellt zu werden mit diesen Dichtergenies ehrt mich natürlich...

Danke
 

Sal Paradise

Mitglied
Ah. Das mag ich. Habs schonmal gelesen, jetzt wieder gefunden. Ich mag Berlin, dieses Gefühl. Für mich als Nicht-Berliner, der dieser Stadt trotzallem verfallen ist, wunderbar nachfühlbar. Eine schöne Hommage an die schönste deutsche Stadt.
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Also, mir ist das schon fast etwas peinlich, dass dieses Gedicht so gut wegkommt bei vielen Leuten. War eigentlich nur ein Verlegenheitsreim und der Jargon ist ja nu auch nicht jedermanns Sache. Aber selbst die LL wollte es für eine Veröffentlichung - ich habs aber nicht hergegeben.

Viele Grüße Thomas
 



 
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