Soldatenliebe

(Vorbemerkung für mitlesende Schlapphüte: Das Folgende hat sich vor mehr als dreißig Jahren zugetragen.)

Als es den Kalten Krieg noch gab, waren Hunderttausende amerikanischer Soldaten in der alten BRD stationiert. Wie die Natur so spielt, befanden sich stets auch Tausende von Homosexuellen unter ihnen. Diese waren unerwünscht. Man suchte sie herauszufiltern und aus der Truppe zu entfernen. Für das Ausspionieren war der eigene militärische Geheimdienst zuständig.

In Frankfurt verkehrten diese GIs sehr zahlreich in verschiedenen Bars im Stadtzentrum. Ich erinnere mich an eine nahe der Konstablerwache, in der sie zeitweise beinahe die Hälfte des Publikums ausmachten. Die Atmosphäre war locker und verriet nichts von Existenzängsten. Deutsche und amerikanische Gäste lachten, redeten und tranken miteinander.

Larry (Name geändert) war einer der ersten Amerikaner, die ich in Berlin näher kennen lernte. Er war neunzehn, neu bei der Army und neu in Berlin. Er kam aus einem kleinen Nest in Ohio, wirkte gutartig und noch etwas kindlich. Er hasste alle großen Städte, ihren Schmutz, die Verwahrlosung, das Verbrechen. Er war nur einmal bei mir, dann redete ich ab und zu mit ihm, wenn wir uns zufällig trafen.

Um diese Zeit nahm die Zahl der GIs in meinem Stammlokal stark zu. Die meisten von ihnen haben keine Spuren in meinem Gedächtnis hinterlassen. Ich erinnere mich an einen kleinen Texaner. Er sah putzig aus, ungefähr so wie die gemalten Knaben auf der Titelseite der Hörzu früher. Ganze Nächte verbrachte er in der Bar, friedlich in einer Ecke sitzend, schauend, dösend. Manchmal schlief er gegen Morgen ein, wie auf einem Schulausflug, der zu lange dauert.

Roy (Name geändert) gehörte nicht zu dieser Gruppe, er war auch bedeutend älter. Er bewegte sich privat fast nur unter Deutschen, sprach perfekt Deutsch, wenn auch mit leichtem Akzent, und ließ sich sogar mit einem deutschen Vornamen anreden. Bei einem seiner seltenen Barbesuche hatte ich ihn kennen gelernt. Eine mehrmonatige Beziehung schloss sich an. Roy sagte: "Larry und die anderen, die sind sehr unvorsichtig. Der Dienst beobachtet sie, und wenn er genug auf der Liste hat, werden sie zurückgeschickt."

War Roy Soldat? Er trug nie Uniform, doch benutzte er den amerikanischen Militärsonderzug, wenn er von Berlin nach Frankfurt fuhr. Dort war er seit langem zu Hause und erst neuerdings beruflich meistens in Berlin. Hier war er bei einem Freund untergekommen. Ich fragte nie, was er genau mache. Vielleicht war es ein dem Militär zugeordneter Dienst.

Roy übernachtete ab und zu bei mir. Er benutzte einmal morgens meinen Nassrasierer und brachte sich, darin ungeübt, üble Schnittwunden bei. Er fluchte: "Im Büro denken sie natürlich, ich wär in eine Schlägerei geraten. Die halten mich da für ziemlich rough." Und er konnte doch so zartfühlend sein ... Wir sprachen auch über Musik. Im Gegensatz zu mir liebte er Verdi und Puccini. Diese Musik habe ihm früher über schwere Enttäuschungen hinweggeholfen.

Bald darauf wurden auf einen Schlag etwa zwanzig Berliner GIs wegen Homosexualität aus der Army ausgestoßen. Einigen ersparte man die unehrenhafte Entlassung, sie durften selbst um ihr Ausscheiden bitten. Unter diesen war Larry.

An einem Samstagmorgen verließen wir meine Wohnung in der Keithstraße. Roy wollte uns am Wedding eines seiner deftigen mittelwestlichen Frühstücke zubereiten. Bei Fontane wohnt Effi Briest in der Keithstraße, von den alten Häusern haben nur wenige den letzten Krieg überstanden. Ich lebte in einem der nicht allzu bemerkenswerten neuen Appartementhäuser. Wir traten vor die Haustür. In diesem Augenblick wurden wir samt Hausfassade fotografiert. Der gut gekleidete Mann mittleren Alters auf der anderen Straßenseite stieg unmittelbar danach in seinen Wagen und fuhr weg.

Am Vorabend war Roy auf einer Party in der amerikanischen Kolonie gewesen. Als wir jetzt die Siegessäule in seinem Wagen umrundeten, sagte er: "Sie können es gar nicht herausgefunden haben ... Ich bin von der Party so verschlungene Wege zu dir gefahren. Eigentlich unmöglich."

Dann musste er einige Wochen in einem militärischen Trainingslager verbringen. Ich hörte lange nichts von ihm, sehr lange nicht. Er rief einmal aus Frankfurt an und schlug kein Treffen vor. Ich bemühte mich, ihn zu vergessen.

Jahre später sollte ich ihn noch einmal sehen, in einer großen Disco. Das damalige Discofieber ließ mich kalt, ich beobachtete vom Rand der Tanzfläche aus die Derwische. Manche von ihnen schnupften Drogen oder warfen sich Pillen ein, während sie sich verbogen. Auf einmal war einer von diesen neben mir, küsste mich und entfernte sich, schon wieder tanzend, rasch von mir. Es war Roy, er lachte mir nun von weitem zu. Er schien etwas ausdrücken zu wollen - nur was? Dann hörte er auf zu tanzen und ging mit anderen fort. Als sie an mir vorbeikamen, sah er noch einmal herüber und lächelte jetzt verlegen. Er sah aus, als wolle er mir sagen: Was willst du machen, das Leben ist ein Spiel. - Ja, Roy, nur kein sehr amüsantes.
 

Ofterdingen

Mitglied
Hallo Arno,

Wie außer dir z.B. Dominik K. längst erfahren musste, sind Schwulen-Geschichten in diesem Forum nicht allzu populär. Da ich Hetero bin, sind auch mir andere Genres deutlich lieber, aber deinen Text finde ich nicht schlecht: Du kannst Deutsch, gliederst deinen Stoff übersichtlich, vermeidest Schwulst und Sentimentalitäten und verschonst einen mit aufdringlichen Details. Statt des wiederholten "(Name geändert)" würde ich jedoch lieber in der Vorbemerkung erwähnen, dass du die Namen geändert hast.

Gruß,

Ofterdingen
 
Danke, Ofterdingen, für die Reaktion. Den Tipp, die Namensänderungen nur einleitend zu erwähnen, nehme ich gern auf, ändere das Dokument auf meiner Festplatte entsprechend.

Das Genre? Das sollte ja "Kurzgeschichte" sein. Aber ich weiß schon, wie es gemeint ist. Tja, zum Umsatteln ist es wohl zu spät, da werde ich mich mit eingeschränkter Popularität halt abfinden müssen. Umso mehr freut es mich, wenn mir aus einem ausnahmsweise erweiterten Leserkreis solches Lob gespendet wird.

Arno Abendschön
 



 
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