Sommers Zeit (über/unterarbeitet)

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sekers

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Sommers Zeit

[ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4]Some time too hot the eye of heaven shines
[ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4][ 4](Shakespeare's Sonnetts)

Aus seinem hölzernen Stall betrachtete der Esel den beginnenden Tag, der der lauen Nacht mit einem Kälteeinbruch das Ende bereitete. Bald würden Tautröpfchen die Grashalme bewachsen, die Luft würde feucht schmecken, mit einer Prise nasse Wiese. Die Vögel zwitscherten bereits belanglos, zum Dösen zu unruhig, zum Fliegen zu müde. Während sich der Himmel über ihm blau färbte, schöpfte der Tag noch einmal tief Atem, warm und schön würde er werden.

Das Knattern eines Transporters durchschnitt die Idylle. Georg stellte den Wagen ab und sprang aus dem Führerhaus. In seiner kräftigen Faust hielt er einen Hanfstrick. Er ging zum Stall.

,,Komm, Freundchen''

Der Esel zog sich in den Stall zurück.

Ja, er war ausgebüxt. Ja, Georg hatte gebrüllt und ihn unsanft nach Hause bugsiert. Ja, aber das war doch gestern.

Als Georg die Tür öffnete, hatte sich der Esel an die gegenüberliegende Wand gedrängt. Georg schritt über das nasse Stroh, ein paar Fliegen scheuchten hoch. Er legte eine Schlinge um den Hals des Esels.

,,Komm.''

Der Esel zog es vor, stehen zu bleiben. Georg allerdings zog. Tatsächlich, kräftig, bestimmt und ohne Skrupel, den Eselshals abzuschnüren.

,,Komm.''

Der Esel gab scheinbar nach, folgte Georg, nur um sich gleich wieder an die Wand zu drängen. Er schnappte nach dem Seil. Und nach Georg.

Georg hatte keinen Sinn für Spielereien. Er riss kräftig am Seil, riss den Esel hinaus, zerrte ihn über den Hof, band ihn an den Wagen und fuhr los. Langsam, Eselstrab, auf die Weide. Georg blickte von Zeit zu Zeit teilnahmslos in den Rückspiegel.

Inmitten der verdorrten Graslandschaft stand einsam ein Baum. Georg hielt davor, löste den Strick vom Fahrzeug und verknotete ihn mit großen, demonstrativen Bewegungen um den Baum. Das Seil würde halten.

Er schaute finster. Dann begann es, in seinem Gesicht zu arbeiten. Er presste die Zähne zusammen und ging zum Esel.

,,Was glaubst du eigentlich?''

Er schlug von der Seite auf den Schädel des Tieres. Ohne Ansatz, aber mit Kraft. Etwas krachte. Der Esel duckte sich. Immer wieder streckte er den Kopf zum Boden. Rhythmisch. Doch er entging den nächsten Hieben nicht. Auch nicht den übernächsten. Georg schlug mit verbissenen Zähnen, immer wütender zu. Er schlug auf den Rücken des Tieres. Es staubte aus dem verfilzten Fell. Dann wandte er sich wieder zum Schädel des Tieres. Weit holte er aus, hielt aber in der Bewegung inne. Der Esel stand geduckt.

,,Blödes Vieh!''

Georg drehte am Absatz um, sprang in das Führerhaus, startete das Auto und fuhr davon, eine große Staubwolke hinter sich lassend. Der Esel hob den Kopf, duckte sich wieder, hob ihn, duckte sich, seine Bewegungen wurden dabei ausholender, langsamer.

Es wurde ein heißer Tag. Der Boden war hart und rissig. Die letzten Wassertröpfchen verdunsteten aus den Grashalmen. Der Baum, mit seiner knorrigen Rinde, reckte sich trotzig gen Himmel. Hoch oben erst begannen sich Stamm und Äste zu verzweigen. Sie waren blattlos. Die Sonne stach weiter vom Himmel und die Hitze verfing sich im Fell des Esels.

Er beugte den langen Hals wieder zum Boden und riss mit seinen langen gelben Zähnen die harten Grashalme aus. Sie stachen in seinem Maul. Er malmte, schluckte, würgte und schüttelte unwillig den Kopf. Sein ausdrucksloser Blick verlor sich in der Landschaft. Von Zeit zu Zeit zuckte sein Fell, peitschte sein Schwanz auf den geblähten Bauch. Sonst aber verharrte er regungslos.

Der Tag verging.

Der nächste war wunderschön.

Und auch der übernächste.

Georg liebt das Waldbad. Er besucht es täglich, schwimmt in dem überfüllten Becken inmitten unsäglichen Gekreisches und Gejohles ruhig und kraftvoll zwei Längen und streckt sich dann auf einer Holzpritsche aus. Es ist seine, niemand wagt sie ihm streitig zu machen. Gefällig mustert er die Umgebung. Die dunklen, nassen Flecken auf dem Holz trocknen. Georg verfällt in entspanntes Dösen. Er genießt die heißen Tage.

Auch der Esel wird müde. Sein Fell ist voller Hitze. Er legt sich hin. Dabei spannt der Strick, doch es stört nicht.

Die Luft flirrt.

Fliegen schwirren.

Sie sind die einzigen Besucher.

Und die letzten.
 



 
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