Sonderdruck: Neues aus der Wissenschaft

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MDSpinoza

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Die mucorectalen Mollusken – ein Abriß über die bisher von der Zoologie sträflich vernachlässigte Gattung der Mucofaeceophagen

Ich möchte den heutigen Abend den mucorectalen Mollusken widmen, denen trotz ihrer weiten Verbreitung meines Erachtens von Seiten der offiziellen Zoologie bisher nicht die Beachtung zuteil wurde, die ihnen ob ihrer sozioökonomischen Rolle gebührt. Selbst die Einordnung in die Gattung der Mollusken ist bisher sehr umstritten, aber ich finde, die totale Abwesenheit eines Rückgrates, selbst einer noch so primitiven Chorda, rechtfertigt diese Klassifikation. Auch gestaltet sich die eingehende Untersuchung ihres Stoffwechsels sehr diffizil, da ihre Hauptnahrungsmittel – Fäkalien – ihren Absonderungen weitgehend ähneln, und selbst die Öffnung, durch die die Nahrungsaufnahme erfolgt auch die ist, durch die sie sie wieder von sich geben. Ebenso problematisch gestaltet sich die Erforschung ihres Sexualverhaltens, nicht zuletzt durch ihre etwas undurchsichtige Lebensweise im Rectum, wo sie nur zu Zeiten eines Machtwechsels oder einer Wende herauszubekommen sind, und das sie oft in so drangvoller Enge bevölkern, daß sich eine nähere Untersuchung schon allein aus Platzgründen sehr schwierig gestaltet.
Der Metabolismus aller Arten der mucorectalen Mollusken ist weitgehend unerforscht, scheint aber nicht völlig anaerob zu sein, obwohl zu sauerstoffreiche Luft oder etwa frischer Wind, womöglich gar von vorne, von ihnen als äußerst unbekömmlich empfunden wird. Stehende Luft wird von ihnen schneller verpestet, als daß man den Sauerstoffgehalt exakt messen kann, zumindest naßchemisch. Elektrochemische Untersuchungen legen einen gewissen Sauerstoffverbrauch nahe, sind aber ihrerseits noch mit einem zu hohen Unsicherheitspotential behaftet um eindeutige Aussagen zuzulassen.
Trotz all dieser schwierigen und der für den Forscher unbequemen Lebensweise ist es unserem Arbeitskreis dennoch gelungen, zumindest eine grobe Einteilung der zwei wichtigsten Subspezies durchzuführen.
Der weitaus verbreitetste ist der farblose Schleimling, Rectomuculis versicolor. Er fehlt in keinem Rectum, das groß genug ist um mindestens einen aufzunehmen. Seine Lebensweise ist lichtscheu und unauffällig, deswegen entgeht er dem unaufmerksamen Beobachter leicht, trotz zahlreichen Vorkommens. Er frißt jegliche Art von Scheiße, solange sie nur von oben kommt, doch seine absolute Leibspeise ist geistiger Dünnschiß. Der spornt ihn zu wahren Höchstleistungen an, eine Hyperfäkalämie ist bei ihm eher ein physiologischer Zustand. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß er auch, sozusagen im Nebenberuf, ein listiger Jäger ist, der in seiner Gier auch nicht vor Artgenossen zurückschreckt. Kannibalismus unterliegt bei ihm keiner Hemmschwelle, sein Beuteverhalten ist, entgegen ersten Forschungsergebnissen eher im umgekehrten Verhältnis zum Angebot an Frischscheiße zu sehen. Dies liegt daran, daß er sich seinem Wirt gegenüber zwar eher symbiontisch verhält, aber Konkurrenten gegenüber kein Pardon kennt. Möglicherweise ist dies Verhalten auch eine Methode der Geburtenkontrolle, obwohl die rasante Zunahme der Bestände seit Urzeiten eine ungebrochene Tendenz aufweist.
Er imitiert fleißig seinen Wirt, wohl wissend, daß er dessen Bewußtseinsstufe niemals erreichen wird. Aber das scheint ihn nicht zu stören. Besonders wohl fühlt er sich in einem konstant mit mäßiger Geschwindigkeit dahinströmenden Darminhalt, der ihm das Gefühl vermittelt, es ginge nach oben.
Gefährlich macht ihn außer der Infektiosität auch noch seine Gefräßigkeit. Er ist, wie alle mucorectalen Mollusken ein natürlicher Feind jeglichen intelligenten Lebens, und er hat in dieser Hinsicht schon Verheerendes geleistet.
Einen gewissen Bekanntheitsgrad hat auch eine regionale Subspezies, der grüne Glibberling erreicht, auch Rectomuculis kabenordiens vibrans geheißen. Er tritt häufig in weniger besiedelten Recten auf, in denen die Lebensbedingungen für andere mucorectale Mollusken noch nicht für eine massenhafte Besiedlung in Frage kommen. Hat er sich erst einmal akklimatisiert, wird er rasch von den anderen Arten verdrängt oder gefressen. Er ist ein sogenannter Indikator für Recten, die der Neubesiedlung harren. Sein Organisationsgrad ist sehr niedrig, wohingegen die anderen Arten bevorzugt in hochentwickelten sozioökonomischen Systemen leben, was ihnen einerseits die Vorteile der schieren Übermacht durch Masse, andererseits auch alle Nachteile der Überbevölkerung, von Streß bis hin zum Kannibalismus beschert. Das soll nicht heißen, daß R. kabenordiens vibrans etwa friedlicher oder weniger schädlich ist, er ist halt meist nur Wegbereiter für Schlimmeres.
Vergleichbares leistet ebenfalls sein Vetter, der braune Glitschling, Rectomuculis brunus militans, der sich am wohlsten in Recten fühlt, deren Besitzer von extremer rhythmischer Flatulenz geplagt werden. Sein bevorzugtes Kommunikationsschema ist der 4/4 Takt, aber auch 2/4 sind recht verbreitet, und vereinzelt findet man sogar Exemplare, die einen Flatulationsrhythmus von 6/4 bevorzugen. Sein Vokabular ist ziemlich beschränkt, wie auch seine kognitiven Fähigkeiten. Wörter wie "JAWOLL", "ZU BEFEHL" oder "HEIL", speziell in einem charakteristischen Stakkato gebrüllt, bilden den Grundstock seiner Kommunikation. Er ist völlig blind und sein Gehör ist so schwach ausgebildet, daß man schon laut brüllen muß, um überhaupt eine Reaktion zu erhalten. Er ist vollständig auf seinen Wirt als Führer angewiesen.
Seine Eigenfarbe ist braun, aber das ist nicht das Einzige, was ihn vom farblosen Schleimling und vom grünen Glibberling unterscheidet. Er ernährt sich auch vom Blut seines Wirtes, so daß er sich damit auch als echter Parasit demaskiert. Wenn er einen seiner periodischen Vermehrungsschübe erlebt, kann er seinen Wirt durchaus so schädigen, daß der daraufhin ins Gras beißt. Diese Ernährungsumstellung scheint den braunen Glitschling in seiner Vermehrungsfreudigkeit derart zu beeinträchtigen, daß man daraufhin über Jahre hinweg nur wenig von ihm hört und sieht. Ein gewisser Bodensatz überwintert, meistens unbeachtet im Dunkel irgendeiner Schublade, aus der er dann plötzlich umso zahlreicher wieder hervorquillt.
Als Einzelexemplar ist er relativ scheu, was ihm den Ruf eingebracht hat beherrschbar zu sein, aber wenn er in Massen auftritt ist er nicht mehr zu kontrollieren. Seine Vermehrungsschübe haben in der Vergangenheit schon gewaltige Katastrophen ausgelöst, und völligen Schutz gibt es vor ihm auch heute noch nicht. Die einzige Methode ihn einzudämmen besteht in der konsequenten Trockenlegung der von ihm befallenen Recten, eine überaus mühsame und aufwendige Angelegenheit, die nicht gerade dadurch erleichtert wird, daß er seine bevorzugten Speisen periodisch wechselt, je nach Angebot. Alles Fremde ist ihm zuwider und was er nicht kennt, bekämpft er noch vehementer als sein farbloser Vetter. Dafür ist sein Hang zum Kannibalismus nicht so extrem ausgeprägt, jedoch unzweifelhaft vorhanden.
Regionale Unterarten der beiden großen Gruppen sind vorhanden, auch Mischformen beider sind bekannt. Einige Forscher postulieren eine Umwandelbarkeit beider Gruppen ineinander, was von uns bisher weder bewiesen noch widerlegt werden konnte, da dies aufgrund massiver Vergesellschaftung der Vorkommen beider Rassen in ein und denselben Recten erschwert wird.
Interessant ist auch, daß die Larvenformen beider Arten einander so ähneln, daß man sie äußerlich nicht voneinander unterscheiden kann. Juvenile und adoleszente mucorectale Mollusken bewegen sich wie die ausgewachsenen Formen ausschließlich kriechend fort und haben ebenfalls ihr Maul am Körperende, was ihnen das charakteristische senkrechte Lächeln verleiht. Hier lassen sich manchmal Rudimente einer Chorda nachweisen, die allerdings im Verlaufe ihrer Entwicklung und Reifung vollständig zurückgebildet wird, lange bevor sie das Erwachsenenalter erreichen. Dies Kriterium ist die einzige Handhabe, die ihnen den Zugang zum Reich der Chordatae ermöglicht, aber in unserem Arbeitskreis sind daran erhebliche Zweifel entstanden, die bisher noch nicht ausgeräumt werden konnten. Uns erscheint eine Verwandtschaft zu bestimmten Nacktschnecken wahrscheinlicher, obwohl es auch nicht unwahrscheinlich ist, daß die mucorectalen Mollusken eine Verirrung auf dem langen Weg der Evolution vom Mollusken zum Chordaten darstellen, sozusagen ein frühdegenerativer Seitensprung der Schöpfung.
Die Verwandtschaft zu den Nacktschnecken ergibt sich schon allein aus der Konsistenz ihrer Körper: Die mucorectalen Mollusken bestehen zum größten Teil aus einem mucösen Corpus, der keine eigene Form besitzt, durch die allgemeinen Lebensumstände dem unbewehrten Auge jedoch meist spindelförmig ausgebildet erscheint. Auch entspricht die Art der Nahrungsaufnahme, ein kontinuierliches Schlucken, nur selten von gierigem Speichellecken unterbrochen, eher der Art der Schnecken als die sporadische Aufnahme diskreter Futterbrocken, zu der Chordatae und Vertebratae neigen. Auch macht ihre Gewohnheit, die Nahrung durch die Verdauung mehr in der Konsistenz als in der Zusammensetzung zu verändern (je öfter sie es wiederkäuen, desto schleimiger wird es), die Klassifikation problematisch. Speziell große Exemplare beider Arten zeigen ein in der gesamten Tierwelt bisher unbeobachtetes Verhalten: Im Zustande größter Gier können sie bidirektional gleichzeitig defaezieren und fressen. Allein die röhrenförmige Zunge ermöglicht dies, unterstützt von dem großen Viskositätsunterschied der Nahrung im Vergleich zu den Faeces, der durchaus die Größe von mehreren Dutzend Centipoise erreichen kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen, daß die mucorectalen Mollusken dem engagierten Forscher ein breites und in weiten Bereichen noch völlig unerschlossenes Betätigungsfeld bieten, das noch Stoff genug für intensive Erforschung einer Gattung enthält, die dem Menschen wie kein anderes Wesen während seiner gesamten Evolution ein, wenn auch ungeliebter, so doch extrem treuer Begleiter gewesen ist, und die ihn mit Sicherheit auch noch lange begleiten wird.

Rede eines bekannten Professors zur Eröffnung des internationalen Kongresses der Molluskenforscher am 1. April 1992 in Darmstadt / Bundesrepublik Deutschland
 

knychen

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als rede zur eröffnung eines internationalen kongresses der molluskenforscher sicherlich amüsant. dem ottonormalverbraucher erschliessen sich die humoristischen spitzfindigkeiten jedoch nur vage. das stört den lesefluss enorm. politisch korrekt ist der text allemal.
knychen
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hallo MD Spinoza,

Den Text find ich

sprachlich perfekt!

Er ist

ein Paradebeispiel für den gekonnt humoristischen Einsatz von Fachtermini und sonstigem "Fremdwortwerk".

Hatte viel Spaß beim Lesen...

LG

P.
 
Re: @ MDSpinoza

Ich geh mal davon aus, dass es sich bei der behandelten Molluskensorte um eine Spezies aus der weitverbreiteten taxonomischen Familie der Rectalschleimer oder zu Deutsch: der Arschkriecher handelt, bei denen aus einsehbaren Gründen zB die corda entweder nicht vorhanden oder sehr unterentwickelt ist.

Mir ist somit auch der Name des hier nicht genannten Profs. bekannt. Wundern muss ich mich, dass der Gelehrte nicht näher auf die eminente politische und soziale Relevanz dieses fakultativ schwer pathologischen Opportunisten eingegangen sein soll.
Eine versäumte Chance, zweifellos, die aber dem lediglich ja diesen Vortrag kolportierenden Autor nicht anzulasten oder gar vorzuwerfen ist.

Ich hätte den Text mit mehr logischen Unterteilungen und Absätzen gebracht, denn so ist er etwas leseunfreundlich. Inhaltlich und vom Entwurf her sehr gelungen!!, gerade, weil die Fachausdrücke gekonnt die Kernausssagen hinter scheinbar ganz anderen "wissenschaftlichen" Aussageintentionen dem unaufmerksamen Leser verbergen.
 

Fiondra

Mitglied
Hallo MDSpinoza,

ich hätte mir vielleicht hin und wieder ein paar Punkte mehr als Hinweis auf ein Satzende gewünscht, aber ansonsten fand ich Dein Werk wirklich ausgesprochen gut gelungen!! Ich las es mit einem breiten Grinsen im Gesicht!!!
Zweimal bist Du meiner Ansicht nach ein wenig von Deiner übrigen Sprachwahl abgekommen:

"....er ist halt meist nur Wegbereiter für Schlimmeres...."

".....daß der daraufhin ins Gras beißt........"

was aber mich persönlich wirklich nicht weiter stört.

LG Fiondra
 



 
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