Sonne

neo

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Du hattest mir den Wecker gestellt und ich bin jeden Morgen zu seinem Schellen aufgewacht. Ich fragte dich, ob du Licht machen könntest, und du knipstest den Schalter an. Auf meinem Nachttisch lag dein Herz. Es fühlte sich nicht an und wenn ich hinein biss, konnte ich nichts schmecken.

Ob du meine Hände sehen könntest, hatte ich dich gefragt. Doch du konntest nicht antworten. Du warst nicht mehr da. Deine blauen Augen waren verschwunden und dein Kopf war kahl geworden. Die langen grauen Haare hatten sich im Uhrwerk verstrickt und die Zeit sterben lassen.

Weißt du noch, als du versprachst, dass du mir einen Weg suchen würdest und ich dir glaubte, dass es wirklich einen Weg gäbe?



Es war Vollmond und wir standen auf der Veranda. Du sagtest, die Sichel wäre in den Himmel gemeißelt. Schlaftrunken schaute ich in die Nacht und sah ihn leuchten.



Dann tat sich der Himmel auf.
Der Regen peitschte die dicken Tropfen gegen mein Auge und mein Blick verschwamm. Es war kalt geworden und ich wollte in deinen Arm.
Doch ich konnte nicht, je mehr ich es versuchte, desto fester griffen die Wurzeln meine Knöchel und zwangen mich zur Aufgabe.
Ich bat dich um Hilfe. Ich fragte dich, ob du nicht die Wurzeln mit der Schere zerschneiden könntest, mit der du auch die Hecken vor deinem Fenster stutztest, um hinaus schauen zu können. Doch du sagtest, dass du sie verlegt hättest. Sie war nicht mehr da. In deiner Stimme lag etwas Unruhiges, so als ob du mehr sagen wolltest, aber nicht konntest.

Als ich schlafen gehen wollte, gingen wir rein. Aber durch eine Tür, die ich nicht kannte. Ich legte mich in mein Bett und wollte noch einmal aus meinem Fenster schauen. Doch plötzlich begannst du zu zittern und dein Kopf warf sich von einer Seite zur anderen. Ich bekam Angst und wollte dir helfen, doch mein Fuß hatte sich in den Lattenrosten verfangen. Die Kissen begannen aufzuplatzen und ich verschluckte mich an den Federn. Langsam verlief die Farbe in deinem Gesicht und die Türen polterten laut. Du fingst an zu wimmern und gingst auf die Knie. Ich flehte dich an, lauter zu sprechen, weil ich deine Worte nicht verstand und ich sah, dass dein Kopf rot wurde. Du versuchtest die Laute durch deine Lippen zu pressen, die sich langsam zusammen zu ziehen begannen. Dann warfst du dich auf den Boden und endlich konnte ich hören, was du sagtest. Du flehtest mich an, nicht noch einmal aus dem Fenster zu schauen, doch wie aus Reflex tat ich das Gegenteil. Ich blickte durch das Glas und erfror.

Der Mond war nur beleuchtet und das von einer Sonne, die ich “ich” nannte.

Du knipstest noch das Licht an und der Weg war zu ende.
 



 
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