Sonne für die Ego Doria

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Anna Marie

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Keine Ahnung, was ausgerechnet ich auf diesem Schiff sollte!
Ich war weder Steuermann noch Kapitän, auch kein Matrose und als Schiffsjunge wollte ich sowieso nie anfangen.
Man hatte mich losgeschickt, mit dem Auftrag, die Entstehung von Tornados zu erforschen.
Deshalb sollte ich zusehen, das Schiff sobald wie möglich mitten ins Zentrum eines solchen zu steuern. Sehr lustig! Haha. Aberwitzig! Ich wusste nicht einmal, auf welchem Meer ich unterwegs war.
Woran sollte ich es erkennen? Land war keines in Sicht. Keine charakteristischen Gebirgszüge, keine Inseln, nichts, woran das Auge sich klammern und das Gehirn hätte erinnern können, um eine geographische Lagebestimmung vorzunehmen.
Eins wusste ich jedoch mit Sicherheit: Hier gehörte ich nicht her! Hier wollte ich nicht sein!
Wenigstens die See lag ruhig vor mir, mein schwimmender Untersatz trieb so vor sich hin und ich saß grollend an Deck und sah den Wolken am Himmel zu, wie sie zogen. Wobei mir nicht ganz klar wurde, ob meine Sicht einer langsamen, langweiligen Bewegung von der gemächlichen Fahrgeschwindigkeit beeinflußt wurde. Logisch wär’s schon. Dummerweise hatte ich keinesfalls vor, über solche Kleinigkeiten nachzudenken. Weil ich nicht da sein wollte.
Am ersten Vormittag ging ich über und durch das Schiff.
Nicht, dass es mich sonderlich interessiert hätte. Einfach so, um die Zeit totzuschlagen.
Viel gab es nicht zu sehen. Jede Menge komische Planen ...“wofür?“, irgendwelche Stricke ... „Was tun, wenn alle Stricke reißen? – Hähä – Spruch meines Vaters“.
Das einzig Wichtige fand ich in einem kleinen Raum im Bauch des Ungetüms – eine Art Küche und daneben angrenzend eine Vorratskammer.
So verbrachte ich dann doch noch ein paar angenehme Stunden mit dem Studium der Aufdrucke auf diversen Fleisch- und Gemüsebüchsen. Zwei davon bereitete ich gleich mal zu.
„Nicht schlecht, Herr Specht!“ Die Kantine der KBW-Werke, wo ich zwanzig Jahre gerne malochte, hatte mich bislang nicht gerade verwöhnt.
Trotzdem hätte ich zehn Jahre meines Lebens gegeben um wieder dorthin zurückzukehren. Und zwar auf der Stelle. Verdammt noch mal, ich war einfacher Fließbandarbeiter und überhaupt, was sollte das? Wie zum Teufel war ich hier gelandet?
Ratlos schüttelte ich den Kopf, in dem sich keine Erinnerung an den Grund für diese miesliche Lage regte. Einzig der Auftrag mit dem Tornado, der war mir noch im Gedächtnis geblieben. Ha! Da war ich ja genau der Richtige dafür! Wenn zu Hause der Wind ging, schloss ich die Fenster und Türen, wie jeder normale Mensch. Das Wetter war einfach, so wie ich einfach war, warum hätte ich mich je genauer damit befassen sollen?
Wozu gab es Meteorologen? Oder, wer auch immer sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen hatte.
Mein Fuß kickte die leeren, schmutzigen Blechbüchsen entlang der niedrigen Höhlengänge des Kutters. Was kümmerte mich der Dreck?
Auf dem ganzen verfluchten Koloss war ich der einzige Mensch! Keine Mannschaft! Was sollte das? Nicht einmal ich war so blöd, anzunehmen, ich hätte auch nur die geringste Chance hier längere Zeit zu überleben.
„Oh Scheiße, Scheiße, Scheiße, warum? Warum ich? Warum? Ich will zurück! Einfach zurück in mein altes Leben! Oh bitte! Oh – Scheiße!“
Ich fluchte, ich tobte, ich weinte und schrie, ich lag auf dem Schiffsbodens und meine Fingernägel ritzten lange, verwackelte Striche in die Holzbretter.
Erst Stunden später nahm ich es wieder wahr. Das gleichmäßige Schaukeln, die eintönige Vorwärtsbewegung, die gleichmütige Umgebung. Mein dämliches, nutzloses Gewinsel ging mir plötzlich auf die Nerven.
Ich drehte mich auf den Rücken und sah wieder zum Himmel. Der hatte sich nicht wesentlich verändert. Immer noch grau-weiße Wolkenfetzen in sanftem Vorwärtsstreben.
Möglich, dass sie sich vermehrt hatten. Na und.
Ich fühlte mich leer. Ruhig und leer. Leer und verbraucht. Am Ende. Gelassen am Ende.
In diesem Zustand verblieb ich die nächsten Tage. Oder Wochen. Keine Ahnung. Egal.
Von Zeit zu Zeit raffte ich mich zu einem erneuten Rundgang auf.
Betrat auch den Ort, den man vielleicht Kontrollraum nannte.
Strich mit vorsichtiger Hand über unbekannte Geräte. Umgriff das Steuerrad. Ließ den Kopf darauf sinken und überlegte.
Ob es Sinn ergäbe, eine Richtung einzuschlagen?
Der Blick durch eine Art Fernrohr schien mich eines Besseren zu belehren.
Vor mir –Wasser. Links – Wasser. Rechts – Wasser. Hinter mir – die Sintflut – Haha!
Genausogut konnte ich das Schiff sich selbst einen Weg bahnen lassen.
Ich wußte zwar, es gab Instrumente zur Lagebestimmung, aber welche, wie sahen die aus?
Außerdem, mein Interesse an einer Änderung meines ausgesetzten Zustands erlahmte immer mehr. Selbst, wenn ich diese Geräte irgendwie zu bedienen lernte, die Wahrscheinlichkeit, dabei Fehler zu machen erschien mir viel zu hoch. Die Bereitschaft zum Risiko sank gegen Null. Ungefähr.

Irgendwann entdeckte ich den Alkohol. Wein. Schnaps. Rum.
Danach schwankte das Schiff zwar heftiger, meine starre Gefühlswelt dafür nicht mehr.

Deshalb dachte ich gar nichts, als ich aufwachte und etwas wie ein starkes Schlingern spürte. Erst, als es sich wiederholte. Und gleich noch mal. Und es tropfte auf mein Gesicht.
Ich schlief immer unter freiem Himmel. Meine lächerliche Art, sich gegen eine totale
Vereinnahmung des ungeliebten Gefährts zu wehren, mutmaße ich mal.
Mir war kalt.
Ich stand auf und ging über Deck zur Reling.
Stand ruhig am Heck und hörte Stille. Eine Stille, die ich noch nie so erlebt hatte.
Als ich am Horizont die Wellenfront erblickte.
Ich dachte: Die Gleichgültigkeit in mir gab es schon vorher. Vor diesem unseligen Trip.
Dann traf mich bereits die weiße, hochaufschäumende Gischt.
Ein heftiger Windstoß ließ die Rahsegel sich knatternd blähen. Und mir plötzlich bewußt werden:.
Das Schiff war mir gar nicht so unbekannt. Es war ein Fünfmaster wie die berühmte Victory der Engländer. Ein Gigant. Und Schiffsräume hatten doch eigene Namen: Kajüte, Kombüse, Steuerraum...Und ich hätte die Segel raffen sollen. Haha, ich allein! Vor dem Sturm! Der mich nun überfiel. Mich und das Segelmonster.
Von einem Moment auf den nächsten war das sausende, brausende Geräusch des Windes in ein Heulen und Pfeifen übergegangen, das mir in den Ohren dröhnte und mich bewog, loszulaufen. Nur, dass ich nicht weit kam. Überdimensionale Wellen klatschend donnernd gegen die Bordwand, brachen und verströmten einen Gutteil ihres Wassers aufs Verdeck. Es warf mich mehr oder weniger auf die glatten, nassen Planken. Verzweifelt schlitterte ich dahin und überlegte angestrengt, wo die Taue lagen. Um mich irgendwo anzubinden, und so vor dem Überbordgespültwerden sicher zu sein. An eine Flucht ins Innere des Schiffes dachte ich nicht. Wollte trotz allem nicht eingesperrt sein. Schon gar nicht, wenn das Ungetüm unterginge. Das nun in all seinen Fugen zu zittern und zu beben schien.
Vielleicht konnte ich ja doch das eine oder andere Segel retten. Zwischen den Blitzen aus einem grau-schwarzem sehr nahem Himmel. Zwischen den Wassergüssen. Zwischen den Böen.
Die mittlerweile die starken Kiefermasten zu biegen vermochten. „Lass sie nicht brechen, lass sie nicht brechen!“ Ich schrie es in einem fort, eine verzweifelte Beschwörungsformel.
Und kroch, sooft es ging, ein Stück vorwärts, auf der Suche nach einem geschützterem Platz.
Einen zum Sterben! „Ich will nicht sterben! Gestern wollte ich’s vielleicht! Heute nicht mehr! Hörst du? Hörst du Sturm? Hörst du Tod? Keine Chance! Hörst du verdammtes Meer? Ihr habt keine Chance gegen mich!“ So und ähnlich brüllte ich in die Schwärze, in das salzige Nass, in die Unerbittlichkeit der wirbelnden Luft. Und wieder: „Lass sie nicht brechen! Lass sie nicht brechen!“ Als ob davon alles abhinge.
Währenddessen das Schiff immer schneller wurde. Und ich mich zwischen irgendwelche kistenähnliche Aufbauten duckte vor herumwirbelnden Holz- und Tuch- und Tauteilen.

Wo ich endlich keuchend Luft holte,
wieder wuchs und überlegte. In rasender Hast und doch klar wie selten zuvor.
Es war alles ganz einfach. Kein Grund für Angst. Oder Panik.
Es lag allein an mir. Was werden würde. Ob wir untergingen oder davonkamen.
Ich war das Schiff. Ich musste mich retten. Das Schiff ergab sich bedingungslos dem Unwetter. Ohne aufzugeben. Meine Untermarssegel gingen soeben in Fetzen und über Bord. Darüber brach der oberste Teil des Fockmastes krachend weg.
Vorne die Galionsfigur war ich. Sie lachte.
Ich konnte fliegen. Und abstürzen. Es war das Gleiche.
Gleich erregend. Gleich lebendig. Gleich tödlich. Früher oder später.


Ich kauere auf dem Mitteldeck, niedergedrückt von der grausam-schönen Wut und Stärke des Orkans und weiß: Es wird vorbeigehen. Egal wann. Egal wo.
Das nahezu seitlich liegende, dahinrasende Schiff wird zum Stillstand kommen.
Irgendwann. Ich werde angekommen sein.
 
H

HFleiss

Gast
Ich muss dir ehrlich sagen, mir fällt es bei deinem Text wirklich schwer, den Sinn des Ganzen herauszufiltern. Jemand ist auf einem Schiff, soll etwas tun, wozu er nicht befähigt
ist, besäuft sich vor Verzweiflung, nirgendwo eine Schiffsbesatzung, am Ende der Untergang vor Augen. Alles nass.
Ein Alptraum? Eine Vision auf der Suche nach einem neuen Job? Ein Film? Horrorgeschichte? Was? Ich verstehe ehrlich nicht, wohin du mit diesem Text willst, zumal ich auch so etwas wie eine Aussage nirgends finde. Reiner Ablauf, irreal. Mir scheint, wie dem Helden fehlt deiner Geschichte der feste Boden unter den Füßen. Vielleicht benötigt der Leser so etwas wie einen Wink mit dem Zaunpfahl.

Gruß
Hanna
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja,

du bringst deine leser echt in eine miesliche lage.
schönes wort. auch treffend, wird aber "misslich" geschrieben.
lg
 

Anna Marie

Mitglied
Hallo Hanna!
Erstmals danke für's Lesen und die ehrliche Kritik.
Die auf jeden FaLL zum Nachdenken anregt.
Du findest, die Geschichte hätte einen irrealen Ablauf - das war zumindest eine meiner Absichten.
Auch, dass dem Helden der Boden unter den Füßen fehlen soll.

Viele Grüße, Marie
 

Anna Marie

Mitglied
Hallo flammarion!

Na, da sind wir ja einer Meinung, was meine Geschichte betrifft. Natürlich ist sie misslich! Was mich aber nicht hindert, weitere zu schreiben - weitere missliche ...
Auch wenn ich nicht gerne Leser in eine miesliche Lage bringe - na, vielleicht schaffe ich ja mal das Gegenteil.
Lieben Gruß, Marie
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
yep!

nischt dagegen, dass du weiter schreibst. aber obiges scheint mir keine erzählung im klassischen sine zu sein. stell es bei fatasy ein, und du wirst größeren erfolg haben.
(mieslich finde ich echt klasse, ist viel verständlicher als misslich).
lg
 

Anna Marie

Mitglied
Mieslich oder misslich, das ist hier die Frage?! :)

Und wie kriege ich das Ding jetzt rüber zu fantasy?
Zweimal gepostet soll's ja auch nicht sein?
Marie Mieslich
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
na,

hier löschen und dort neu einstellen, ganz einfach.
und korrigiere vorher auch noch "lag auf dem Schiffsbodens", das s am ende ist zuviel.
lg
 

GabiSils

Mitglied
Ich halte das nicht für eine Fantasystory. Die Erzählung bringt die Krise, die ausweglose Situation in starken Bildern zum Ausdruck. Man könnte das Ganze nun psychologisch zu deuten versuchen; ich neige hier eher dazu, es nachzufühlen, und rätsle auch ein wenig, insbesondere wegen des Titels.

Interessanter, ungewöhnlicher Text. Wenn es keine klassische Erzählung ist, könnte ich auch Kurzprosa anbieten.

Gruß,
Gabi
 

Anna Marie

Mitglied
Hallo Gabi!
Der Titel ist eine Anspielung auf das untergegangene Schiff "Andrea Doria".
Dass Du nachzufühlen versuchst, finde ich grossartig.

LG, Anna Marie
 

GabiSils

Mitglied
Die Anspielung auf Andrea Doria hatte ich verstanden. Ein wenig mysteriös ist eher die Sonne.
"Ego Doria" verrät ja schon ziemlich, worauf der Text hinausläuft.

Gruß,
Gabi
 

Anna Marie

Mitglied
Die Sonne! Eigentlich gibt's die Geschichte ja nur, weil mir mal jemand schrieb, er hätte auf dem Schiff seines Lebens nie das Steuer in der Hand gehabt. Und irgendwie sehnte der sich immer nach Sonne. Dabei, so fand ich, würde ein Sturm ihn viel eher dazu verleiten, das Steuer endlich mal an sich zu reißen.

LG, Anna Marie
 



 
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