Sowas von Frieden

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Federkiel

Mitglied
Wenn man bedenkt, dass ich erst 6 Wochen im neuen Ort wohne, kennen mich meine Nachbarn schon sehr gut… ich sie leider auch. Und hätte ich vorher von Familie Großdinkelsberg erfahren, wäre der Gartenzaun wahrscheinlich einen halben Mette höher geworden, aber jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Ein perfekter Sonntagmorgen beginnt doch erst dann, wenn man von einer kreischenden Höllenmaschine von Rasenmäher des Herrn Großdinkelsberg aus dem Bett gequält wird. Ich schleppe mich im Bademantel aus dem Haus, schlurfe zum Briefkasten, um meine geliebte Sonntagszeitung zu holen, und zucke zusammen, als ein schrilles „Guten Morgen“ aus dem Nachbarsgarten ertönt. Frau Großdinkelsberg winkt mir mit der Heckenschere in der Hand zu und flötet: „Wie sagt man so schön? Der frühe Vogel fängt den Wurm, nicht wahr?“
„Der frühe Vogel kann mich mal“, knurre ich leise.
Die liebe Nachbarin lässt ihren Blick durch meinen Vorgarten schweifen. Ich kenne diesen Ausdruck. Mit diesem hatte sie einmal meine neue Frisur bedacht und zuckersüß gefragt, ob „so etwas“ jetzt modern wäre.
„Sagen Sie, womit behandeln Sie Ihre Hecken, sie sehen sooo…“
„…naturbelassen aus?“, vollende ich ihren Satz und ergötze mich an ihrem verzogenen Gesicht.

Ja, Herr und Frau Großdinkelsberg sind Leute, ohne die das Leben doch gleich viel schöner… äh, ich meine, langweiliger wäre. Äußerst praktisch ist außerdem, dass ich mir eigentlich gar keinen Fernseher hätte anschaffen brauchen, denn die Familie hat die mittäglichen Talkshows auf solch einer Lautstärke laufen, dass ich auch in den Genuss komme. Der liebe Herr Großdinkelsberg erfreut sich doch jedes Mal mit lautstarkem Gegröle, das hin und wieder von Grunzen abgelöst wird, an dem mittelmäßigen Leben anderer, während er sich sein fünftes Bierchen genehmigen kann. Er ist doch eher etwas „naturbelassener“. Seine Frau zieht im Haus aber ebenfalls andere Seiten auf. Die abendliche Stille wird an manchen Tagen von einem lieblichen „Jan, beweg‘ deinen faulen Arsch in die Küche! Es gibt Essen, verdammt!“ durchbrochen.

Ach ja, den süßen Jan hätte ich fast vergessen. Der Junge ist ungefähr 18 und anscheinend immer in Weihnachtsstimmung: Manchmal entdecke ich ihn in einer Seitengasse, wie er an einer „Wunderkerze“ zieht und außerdem wünscht er sich den Weltfrieden.
„Ich wünsch‘ dir Frieden, Süße, echt ma‘: Frieden, ja?“
Diese Worte haben mich schon gerührt. Bei Jan bekommt der Begriff „Schlafzimmerblick“ eine ganz neue Bedeutung: Vom zweiten Stock hat er nämlich den perfekten Blick in meines…
Wo wir gerade beim Thema Schlafzimmer sind: Ich weiß nicht genau, was über mich erzählt wird, aber Frau Großdinkelsberg hatte sich einmal erkundigt, ob ich noch einer „anderen Tätigkeit“ nachginge, denn es sei ja doch nicht so einfach, ein Studium aus eigener Tasche zu finanzieren… Ihr Blick auf meine doch recht kurze Hose und das enge Top war natürlich vollkommen ohne Hintergedanken gewesen, da bin ich mir sicher!
Ich kann die Leute aber auch verstehen. In einem Dorf kommt manchmal Langeweile auf und dann ist Gerüchte-Frischfleisch gern gesehen.
Eigentlich wünsche ich mir wie Jan doch nur Frieden – und zwar meinen.
 
U

USch

Gast
Hallo Federkiel,

Kleine Korrektur:
Und hätte ich vorher von Familie Großdinkelsberg erfahren, wäre der Gartenzaun wahrscheinlich einen halben [strike]Mette[/strike] [red]Meter [/red]höher geworden, aber jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Ja, so prallen Lebenskonzepte von Nachbarn aufeinander. Kann ich auch ein Lied von singen.
Nett beschrieben.
LG USch
 

Federkiel

Mitglied
Wenn man bedenkt, dass ich erst 6 Wochen im neuen Ort wohne, kennen mich meine Nachbarn schon sehr gut… ich sie leider auch. Und hätte ich vorher von Familie Großdinkelsberg erfahren, wäre der Gartenzaun wahrscheinlich einen halben Meter höher geworden, aber jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Ein perfekter Sonntagmorgen beginnt doch erst dann, wenn man von einer kreischenden Höllenmaschine von Rasenmäher des Herrn Großdinkelsberg aus dem Bett gequält wird. Ich schleppe mich im Bademantel aus dem Haus, schlurfe zum Briefkasten, um meine geliebte Sonntagszeitung zu holen, und zucke zusammen, als ein schrilles „Guten Morgen“ aus dem Nachbarsgarten ertönt. Frau Großdinkelsberg winkt mir mit der Heckenschere in der Hand zu und flötet: „Wie sagt man so schön? Der frühe Vogel fängt den Wurm, nicht wahr?“
„Der frühe Vogel kann mich mal“, knurre ich leise.
Die liebe Nachbarin lässt ihren Blick durch meinen Vorgarten schweifen. Ich kenne diesen Ausdruck. Mit diesem hatte sie einmal meine neue Frisur bedacht und zuckersüß gefragt, ob „so etwas“ jetzt modern wäre.
„Sagen Sie, womit behandeln Sie Ihre Hecken, sie sehen sooo…“
„…naturbelassen aus?“, vollende ich ihren Satz und ergötze mich an ihrem verzogenen Gesicht.

Ja, Herr und Frau Großdinkelsberg sind Leute, ohne die das Leben doch gleich viel schöner… äh, ich meine, langweiliger wäre. Äußerst praktisch ist außerdem, dass ich mir eigentlich gar keinen Fernseher hätte anschaffen brauchen, denn die Familie hat die mittäglichen Talkshows auf solch einer Lautstärke laufen, dass ich auch in den Genuss komme. Der liebe Herr Großdinkelsberg erfreut sich doch jedes Mal mit lautstarkem Gegröle, das hin und wieder von Grunzen abgelöst wird, an dem mittelmäßigen Leben anderer, während er sich sein fünftes Bierchen genehmigen kann. Er ist doch eher etwas „naturbelassener“. Seine Frau zieht im Haus aber ebenfalls andere Seiten auf. Die abendliche Stille wird an manchen Tagen von einem lieblichen „Jan, beweg‘ deinen faulen Arsch in die Küche! Es gibt Essen, verdammt!“ durchbrochen.

Ach ja, den süßen Jan hätte ich fast vergessen. Der Junge ist ungefähr 18 und anscheinend immer in Weihnachtsstimmung: Manchmal entdecke ich ihn in einer Seitengasse, wie er an einer „Wunderkerze“ zieht und außerdem wünscht er sich den Weltfrieden.
„Ich wünsch‘ dir Frieden, Süße, echt ma‘: Frieden, ja?“
Diese Worte haben mich schon gerührt. Bei Jan bekommt der Begriff „Schlafzimmerblick“ eine ganz neue Bedeutung: Vom zweiten Stock hat er nämlich den perfekten Blick in meines…
Wo wir gerade beim Thema Schlafzimmer sind: Ich weiß nicht genau, was über mich erzählt wird, aber Frau Großdinkelsberg hatte sich einmal erkundigt, ob ich noch einer „anderen Tätigkeit“ nachginge, denn es sei ja doch nicht so einfach, ein Studium aus eigener Tasche zu finanzieren… Ihr Blick auf meine doch recht kurze Hose und das enge Top war natürlich vollkommen ohne Hintergedanken gewesen, da bin ich mir sicher!
Ich kann die Leute aber auch verstehen. In einem Dorf kommt manchmal Langeweile auf und dann ist Gerüchte-Frischfleisch gern gesehen.
Eigentlich wünsche ich mir wie Jan doch nur Frieden – und zwar meinen.
 

Federkiel

Mitglied
Hallo USch,

vielen Dank für den Hinweis :) Habe es abgeändert.
Ja, ich denke, solche oder ähnliche Szenen sind fast jedem schon einmal im wahren Leben begegnet.
Dankeschön.

LG
Federkiel
 



 
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