Späte Eltern

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Nein. So einer wollte ich nie werden. Einer, der zu seiner alten Frau Mama sagt und sich von ihr mit Papa anreden lässt. Manche mögen das für Beweise zärtlicher Zuneigung halten. Für mich sind es Anzeichen miefigster Kleinbürgerlichkeit.
So alt könnte ich gar nicht werden, selbst wenn zunehmende Senilität und zu gesteigerter Kindlichkeit führen kann und eine senile Sehnsucht nach Mama und Papa auszulösen vermögen.
Ich bin jetzt siebzig und gebe mir größte Mühe, die mir seit Jahrzehnten angetraute Monika neben „eeh Du“, und (ironisch, versteht sich) „gnädige Frau“ stets bei ihrem Vornamen zu rufen.
Sie hingegen lässt sich gelegentlich peinliche Kosenamen einfallen. Zuletzt nannte sie mich wegen meines Diabetes Zuckerklümpchen. Um das zu ertragen, reicht mein Humor in der Regel noch gerade so. Ansonsten aber spricht sie mich strikt mit meinem Vornamen an.
Gemeinsam belächeln wir mit besonderer Vorliebe Paare, die sich jeweils Mutti und Vati nennen. Und die gehören durchaus nicht zu den selteneren Alterserscheinungen.
Im Gegenteil.
Außerdem bittet manche oft gar nicht so alte Dame ihren Mops oder Yorkshire Terrier: „Nun komm doch zu Mutti“. Und ältere Damen des waagerechten Gewerbes werden angeblich häufiger von sinnlich erregten Freiern stöhnend Mama genannt.
Neulich, so behauptete meine Frau, hätte sogar ich mitten in der Nacht in einem meiner Alpträume laut nach meiner Mama gerufen.
An diesem Morgen nach dem Traum kam Monika mir durchaus ein wenig eifersüchtig vor, da ich nicht nach ihr sondern nach ihrer Schwiegermutter gerufen hatte. Mühsam konnte ich sie damit beruhigen, dass es doch ein Alptraum gewesen sei.
Eigentlich lieben wir uns sehr, obwohl wir uns das nicht immer sagen und zeigen.
Kürzlich saßen wir in der Bergischen Regionalbahn zwischen Overath und Ründeroth einem sehr alten Paar gegenüber. Sie hielt seine zitternde Hand und ließ sie nur los, wenn sie sich ihre ständig tränenden Augen wischen musste. Das musste sie oft und immer, wenn sie ihrem ergrauten, faltenreichen und zu leichtem Speichelfluss neigenden Mann versichert, er, Papa sei der beste. Und Papa streichelte ihr immer wieder die Wange und murmelte: „Is ja schon jut, Mama. Is ja schon jut.“
„Die Beiden sind doch irgendwie niedlich, nicht Papa?“ flüsterte mir meine Frau zu, grinste und konnte ihre Rührung doch nicht verbergen. Schließlich rollte auch ihr eine Träne über die Wange. Kommentarlos wischte ich sie weg.
Der alte Mann mir gegenüber räusperte sich, sah mich an und sagte mit fester Stimme:
„Dass Frauen immer so sentimental sein müssen.“ Vorsichtig tätschelte er der seinen die Hand. „Nicht wahr, Mama.“
Und Mama nickte der meinen verständnisvoll zu.
 

stella.m. r.

Mitglied
hallo karl,
dein text gefaellt mir sehr gut und ich bin auch ganz deiner meinung. ich kenne es, aber zum glueck erlebte ich diese sonderbaren kosenamen bei ganz wenigen mir bekannten menschen. erstaunlicher weise waren die auch noch bedeutend juenger als ich.
in dieser ecke steht auch diese fuerchterliche babysprache. ich finde es schon erstaunlich, dass manche kinder ueberhaupt das reden lernen. viele muetter reden mit ihren kindern in der dritten person (oder, das moegen "wir" doch gar nicht).
der sinn von so etwas, blieb mir bis heute verborgen.

.....ach ja, du hast deine geschichte sehr gut verpackt, finde ich.
l.g. stella ;)
 
Liebe Stella,
herzlichen Dank für deinen anerkennenden Kommentar. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Ja, es ist immer erstaunlich, wie gern Menschen nicht altersentsprechend reden und miteiander umgehen. Die Babysprache finde ich auch albern...
Gruß
Karl
 

Charmaine

Mitglied
Hallo Karl,

mir gefällt an deinem Text die vorsichtige Annäherung an die vom Erzähler zuvor vehement bestrittene Gewohnheit älterer Ehepaare. Jedenfalls lese ich das aus dem Wegwischen der Träne am Schluss. Die empfundene Peinlichkeit liegt wohl auch in dem sehr rührenden Moment.

So alt könnte ich gar nicht werden, selbst wenn zunehmende Senilität und zu gesteigerter Kindlichkeit führen kann und eine senile Sehnsucht nach Mama und Papa auszulösen vermögen.
Hier ist ein "und" zu viel.

LG
Charmaine
 
Nein. So einer wollte ich nie werden. Einer, der zu seiner alten Frau Mama sagt und sich von ihr mit Papa anreden lässt. Manche mögen das für Beweise zärtlicher Zuneigung halten. Für mich sind es Anzeichen miefigster Kleinbürgerlichkeit.
So alt könnte ich gar nicht werden, selbst wenn zunehmende Senilität zu gesteigerter Kindlichkeit führen und eine senile Sehnsucht nach Mama und Papa auslösen kann.
Ich bin jetzt siebzig und gebe mir größte Mühe, die mir seit Jahrzehnten angetraute Monika neben „eeh Du“, und (ironisch, versteht sich) „gnädige Frau“ stets bei ihrem Vornamen zu rufen.
Sie hingegen lässt sich gelegentlich peinliche Kosenamen einfallen. Zuletzt nannte sie mich wegen meines Diabetes Zuckerklümpchen. Um das zu ertragen, reicht mein Humor in der Regel noch gerade so. Ansonsten aber spricht sie mich strikt mit meinem Vornamen an.
Gemeinsam belächeln wir mit besonderer Vorliebe Paare, die sich jeweils Mutti und Vati nennen. Und die gehören durchaus nicht zu den selteneren Alterserscheinungen.
Im Gegenteil.
Außerdem bittet manche oft gar nicht so alte Dame ihren Mops oder Yorkshire Terrier: „Nun komm doch zu Mutti“. Und ältere Damen des waagerechten Gewerbes werden angeblich häufiger von sinnlich erregten Freiern stöhnend Mama genannt.
Neulich, so behauptete meine Frau, hätte sogar ich mitten in der Nacht in einem meiner Alpträume laut nach meiner Mama gerufen.
An diesem Morgen nach dem Traum kam Monika mir durchaus ein wenig eifersüchtig vor, da ich nicht nach ihr sondern nach ihrer Schwiegermutter gerufen hatte. Mühsam konnte ich sie damit beruhigen, dass es doch ein Alptraum gewesen sei.
Eigentlich lieben wir uns sehr, obwohl wir uns das nicht immer sagen und zeigen.
Kürzlich saßen wir in der Bergischen Regionalbahn zwischen Overath und Ründeroth einem sehr alten Paar gegenüber. Sie hielt seine zitternde Hand und ließ sie nur los, wenn sie sich ihre ständig tränenden Augen wischen musste. Das musste sie oft und immer, wenn sie ihrem ergrauten, faltenreichen und zu leichtem Speichelfluss neigenden Mann versichert, er, Papa sei der beste. Und Papa streichelte ihr immer wieder die Wange und murmelte: „Is ja schon jut, Mama. Is ja schon jut.“
„Die Beiden sind doch irgendwie niedlich, nicht Papa?“ flüsterte mir meine Frau zu, grinste und konnte ihre Rührung doch nicht verbergen. Schließlich rollte auch ihr eine Träne über die Wange. Kommentarlos wischte ich sie weg.
Der alte Mann mir gegenüber räusperte sich, sah mich an und sagte mit fester Stimme:
„Dass Frauen immer so sentimental sein müssen.“ Vorsichtig tätschelte er der seinen die Hand. „Nicht wahr, Mama.“
Und Mama nickte der meinen verständnisvoll zu.
 
Nein. So einer wollte ich nie werden. Einer, der zu seiner alten Frau Mama sagt und sich von ihr mit Papa anreden lässt. Manche mögen das für Beweise zärtlicher Zuneigung halten. Für mich sind es Anzeichen miefigster Kleinbürgerlichkeit.
So alt könnte ich gar nicht werden, selbst wenn zunehmende Senilität zu gesteigerter Kindlichkeit führen und eine senile Sehnsucht nach Mama und Papa auslösen kann.
Ich bin jetzt siebzig und gebe mir größte Mühe, die mir seit Jahrzehnten angetraute Monika neben „eeh Du“, und (ironisch, versteht sich) „gnädige Frau“ stets bei ihrem Vornamen zu rufen.
Sie hingegen lässt sich gelegentlich peinliche Kosenamen einfallen. Zuletzt nannte sie mich wegen meines Diabetes Zuckerklümpchen. Um das zu ertragen, reicht mein Humor in der Regel noch gerade so. Ansonsten aber spricht sie mich strikt mit meinem Vornamen an.
Gemeinsam belächeln wir mit besonderer Vorliebe Paare, die sich jeweils Mutti und Vati nennen. Und die gehören durchaus nicht zu den selteneren Alterserscheinungen.
Im Gegenteil.
Außerdem bittet manche oft gar nicht so alte Dame ihren Mops oder Yorkshire Terrier: „Nun komm doch zu Mutti“. Und ältere Damen des waagerechten Gewerbes werden angeblich häufiger von sinnlich erregten Freiern stöhnend Mama genannt.
Neulich, so behauptete meine Frau, hätte sogar ich mitten in der Nacht in einem meiner Alpträume laut nach meiner Mama gerufen.
An diesem Morgen nach dem Traum kam Monika mir durchaus ein wenig eifersüchtig vor, da ich nicht nach ihr sondern nach ihrer Schwiegermutter gerufen hatte. Mühsam konnte ich sie damit beruhigen, dass es doch ein Alptraum gewesen sei.
Eigentlich lieben wir uns sehr, obwohl wir uns das nicht immer sagen und zeigen.
Kürzlich saßen wir in der Bergischen Regionalbahn zwischen Overath und Ründeroth einem sehr alten Paar gegenüber. Sie hielt seine zitternde Hand und ließ sie nur los, wenn sie sich ihre ständig tränenden Augen wischen musste. Das musste sie oft und immer, wenn sie ihrem ergrauten, faltenreichen und zu leichtem Speichelfluss neigenden Mann versichert, er, Papa sei der beste. Und Papa streichelte ihr immer wieder die Wange und murmelte: „Is ja schon jut, Mama. Is ja schon jut.“
„Die Beiden sind doch irgendwie niedlich, nicht Papa?“ flüsterte mir meine Frau zu, grinste und konnte ihre Rührung doch nicht verbergen. Schließlich rollte auch ihr eine Träne über die Wange. Kommentarlos wischte ich sie weg.
Der alte Mann mir gegenüber räusperte sich, sah mich an und sagte mit fester Stimme:
„Dass Frauen immer so sentimental sein müssen.“ Vorsichtig tätschelte er der seinen die Hand. „Nicht wahr, Mama.“
Und Mama nickte der meinen verständnisvoll zu.
 
U

USch

Gast
Hallo Karl,

ein sehr schön formulierter Text und so gut beobachtete Realitäten. Schrecklich, wenn Partner sich so anreden. Es bleibt da nichts als leben und leben lassen, auch in unserem Alter oder sich einfach nur amüsieren (fällt schwer).

LG Uwe
 
Hallo Karl,

eine schöne, sehr kompakte Geschichte. Es gefällt mir, dass Du Dich nicht nur über die unsägliche Sitte, sich unter mehr oder weniger betagten Eltern mit Mama und Papa anzureden, mokierst, sondern gleichzeitig ein bewegendes Beispiel für wirklich alte Eltern aufführst, bei denen die seltsame Titulierung nicht deplaziert wirkt, sondern den Leser rührt.

Mein fürchterlicher Filius, inzwischen stramme 24 Jahre alt, pflegt "MUTTTTTI !!!!!!!" ins Telefon zu brüllen, wenn er mich anruft. Da diese Aussage zutrifft, antworte ich stets mit "Stimmt!", bevor das eigentliche Gespräch beginnt. Das ist ja so gesehen noch in Ordnung, aber dass sich meine Eltern seinerzeit mit "Mami" und "Papi" anredeten, tat mit Sicherheit nicht nur meinen kindlichen Ohren weh.

Lieben Gruß
Bakenfalter
 
Hallo Balkenfalter,
danke für deinen zustimmenden Kommentar.
Ich könnte weder meine Frau später mit Mama oder Mutti anreden, noch hätte ich es ertragen, wenn meine Eltern sich so angesprochen hätten. Und wenn meine Frau mich mit Papa oder Vati anreden würde, muss ich in unserer Ehe etwas falsch gemacht haben. Dennoch kann ich mir vorstellen, dass es für manche Paare stimmig sein könnte.
Herzliche Grüße
Karl
 



 
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