Sparsam

jorunn

Mitglied
Eine durchwachte Nacht lag hinter mir.
Deshalb hatte ich mir den Tag auch frei genommen und gammelte zur Mittagszeit noch im Nachthemd herum, zu müde, um mehr zu tun als auf der Couch zu liegen, zu aufgewühlt, um schlafen zu können.
Doch die ins Schloß knallende Haustür weckte meine Lebensgeister. Ich sprang mit beiden Beinen gleichzeitig von der Couch und rauschte hinaus in die Diele. Mein Sohn hatte die dicke Jacke wie immer neben dem Garderobenständer auf den Boden geworfen und war gerade dabei, die Schuhe von den Füßen zu treten.
"Häng die Jacke auf.", sagte ich automatisch.
Er guckte ziemlich betreten drein, als er bemerkte, dass ich zu Hause war.
"Was ist denn mit dir? Bist du krank?" lautete seine lauwarme Begrüßung
Die Frage war zugegebenermassen nicht unberechtigt. Schließlich setzen sich in diesem Hause nur die Minderjährigen im Nachtgewand zum Mittagessen nieder, während ich meistens morgens um sieben schon fertig angezogen herum wirtschaftete. Trotzdem reagierte ich nicht auf seine Frage, stemmte beide Arme in die Hüfte und musterte ihn von Kopf bis Fuß.
"Wo kommst du jetzt her?"
"Ach, Mutter.", sagte er genervt, "Wie alt bin ich denn?"
"Das weiß ich ganz genau. Ich war bei deiner Geburt persönlich zugegen. Und die war exakt vor 17 Jahren und drei Monaten. Also bin ich noch erziehungsberechtigt. Also, wo kommst du jetzt her?"
Er verdrehte die Augen zur decke. "Stell dich doch nicht so an wegen den paar Monaten. Aber bitte, wenn's dich glücklich macht: ich war in Paris."
"Paris.", wiederholte ich wie ein Papagei, und erst nach einigen Sekunden fiel mir ein: "Was hast du denn da gemacht?"
"Ach, herrje. Was soll ich schon in Paris gemacht haben? Was man da halt so macht. Wir waren auf dem Eiffelturm, haben in der Rue de Rivoli einen Cafe au lait getrunken und ein Croissant gegessen. Und auf dem Montmatre waren wir auch. Willst du noch mehr wissen?"
"Werd bloß nicht frech! Wie bist du dorthin gekommen? Etwa mit dem Moped?"
"Dann wäre ich wahrscheinlich noch auf dem Hinweg. Mit Holger. Der hat doch seit einer Woche ein Auto."
"Ach.", sagte ich schwach, "und wer war sonst noch dabei?"
"Na, Holger, Mischa, Nicole, Saskia und Jasmin. Und ich." zählte er auf und gähnte herzhaft.
Sechs Leute. In Holgers altersschwachem Mini, der nur noch von Rost und Gebeten zusammen gehalten wurde. Niemand außer Holger hatte in dieser Truppe die Erlaubnis, ein Auto zu fahren. Also war dieser Junge Samstag abend los gefahren, den ganzen Tag in Paris herum gelaufen und hatte anschließend seine Freunde wieder nach Hause chauffiert. Holgers Führerschein war so alt wie sein Status als Autobesitzer. Dazu hatten wir Januar, und der Winter zeigte sich in diesem Jahr von seiner frostigen Seite. Die Verkehrsdurchsagen im Radio dauerten länger als die Nachrichten. Jeden Abend zeigten sie im Fernsehen neue Autowracks, deren Lenker auf Glatteis die Herrschaft über ihr Gefährt verloren hatten. Und dieser Grünschnabel ohne jedwede Erfahrung am Steuer ... mich überlief es eiskalt.
"Jetzt halt mir bloss keinen Vortrag über das, was alles hätte passieren können. Es ist nichts passiert." unterbrach Sven meine Gedanken.
Ich dachte an jenen spontanen Ausflug nach Alassio in einem verregneten Juli, den mir meine Mutter bis zum heutigen Tag nicht verziehen hat. Drei Tage Sommer, Sonne, Strand und Meer, und zu Hause telefonierte meine Mutter mit allen Freunden und Verwandten und suchte mich. Sogar eine Vermißtenanzeige gab sie auf.
Bei dem, was ich als nächstes schrie, hörte ich deutliche Echos aus meiner Jugend.
"Bist du schon mal auf die Idee gekommen, dass ich mir Sorgen mache, wenn du tage- und nächtelang nicht nach Hause kommst? Ich habe kein Auge zugemacht! Hättst du nicht wenigstens anrufen können?"
Er schaute mich an, als sei ich von Sinnen.
"Anrufen? Mit dem Handy? Aus dem Ausland? Aber das ist doch viel zu teuer!"
 
S

Sansibar

Gast
Bengel

Hallo jorunn,
habe deinen Beitrag erst heute gelesen.Es ist als hätten wir uns abgesprochen vom Thema her. Liegt wohl in der Luft. Romane könnte man schreiben "über die unvernünftige" Jugend.
Lieben Gruß
Sansibar
 

jorunn

Mitglied
Vielen Dank

für Eure Reaktionen. Tja, Sansibar, aber ab einem gewissen Alter ergibt der Stoff doch eher altgriechische Dramen, mit einem klagenden Chor im Hintergrund (der die ständig vom Brüllen heiseren Eltern wenigstens stimmlich unterstützt.) Aber Du hast schon Recht - irgendwas muss ich für diese rotzigen Lümmel schon empfinden, denn sonst hätte ich sie allesamt schon lange vor die Tür gesetzt..
Ein schönes Wochenende!
Jorunn
 



 
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