Spezialeffekte

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brain

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„Es ist phantastisch“, sagte Harvey begeistert. „Genau so hab´ ich es mir vorgestellt!“
Phil nickte. Er hatte wochenlang an dem Bild gearbeitet und während dieser Zeit keinen anderen Auftrag angenommen, was sich nicht gerade positiv auf seine Finanzen ausgewirkt hatte, doch das Ergebnis entschädigte ihn mehr als ausreichend. Der Scheck, den Harvey ihm gegeben hatte, natürlich noch mehr.
Die Malerei war oftmals eine brotlose Kunst, diese Lektion hatte Phil schnell gelernt. Daher hatte er sein Talent kommerzialisiert und malte nun Muskelmänner, Blondinen, Monster und Gangstervisagen für die großen Filmstudios der Traumfabrik. Handgemalte Plakate kamen wieder in Mode, so wie Schlaghosen und Fonduesets, die man heutzutage nicht mehr „altmodisch“ oder „kitschig“ nannte, sondern „Retro“.
Harvey nippte an seinem Whiskey und grinste über das ganze Gesicht.
Er produzierte gerade „An American Werewolf in New-York“. Der Film, der mittlerweile schon die zweite Fortsetzung des legendären Klassikers von John Landis war, stand schon vor den Dreharbeiten unter extrem hohem Erfolgsdruck. Für die damalige Zeit waren die Spezialeffekte visionär gewesen. Eine solch realistische Verwandlung in einen Werwolf hatte vergeblich Seinesgleichen gesucht, und genau das erwartete man auch vom „New-Yorker Werwolf“, wie ihn die Presse bei ihren Vorankündigungen nannte.
„Echt“, betonte Harvey noch einmal. „Ganz genau so hab´ ich ihn mir vorgestellt!“
„Na ja“, entgegnete Phil achselzuckend, „besonders viel Spielraum hatte ich ja nicht. Schließlich sollte das Vieh genau so aussehen, wie es im Film aussehen wird. Ich hab´ mich nur an die Vorlagen gehalten.“
„Ach, nur nicht so bescheiden, Philly-Boy! Du bist´n echter Künstler! Ich mein´ … Scheiße! Das Ding sieht gruseliger aus, als auf den Fotos vom Winston-Team. Und die Jungs verstehen ihr Handwerk!“
„Ich weiß. Stan ist ein Genie. Wer kennt sie nicht, die Monsterklassiker, die er erschaffen hat, angefangen bei den legendären Remakes der Lon Chaney Jr. Filme und seinen Wolfmännern, denen das Haar über´s Gesicht wuchs, ohne dass man C.G.I. oder so´n Computerscheiß hatte. Genial war das.“
Harvey seufzte tief und hob sein Glas.
„Du sagst es, Mann! Auf Stan!“
Er nahm einen Schluck und schwenkte gedankenverloren das Glas in der Hand.
Dabei sah er sich das Bild an.
Es zeigte einen Werwolf mit fast anmutig zu nennenden Gesichtszügen; einer Eigenart, die nur wahrlich erhabenen Raubtieren vorbehalten ist. Eine zottige, wilde Mähne bildete eine Fellkorona um die rot glühenden Augen des Monsters, dessen Gesicht beherrscht wurde von einem weit aufgerissenen Maul mit schier gigantischen Reißzähnen, von denen das Blut seiner unglücklichen Opfer tropfte.
Der Wolf streckte eine seiner Pranken drohend nach hinten, als wolle er einen tödlichen Schlag ausführen, während die andere stark vergrößert in Richtung des Betrachters wies und so zwingend den Eindruck erweckte, als würden die Krallen die Leinwand durchstoßen und aus dem Bild heraus greifen.
Um die Illusion der Dreidimensionalität noch zu verstärken, hatte Phil die nach vorne gestreckte Klaue ein wenig verwischt, was zusätzlich die Bewegung der Pranke andeuten sollte und so die Wirkung eines realen Körpers, dessen Behaarung man förmlich wallen sehen konnte, unterstrich.
„Ein Meisterwerk, ganz ohne Zweifel! Besonders geil find´ ich die Jeans!“
„War auch abgesprochen. Man soll ja den Mann im Tier noch erkennen können.“
„Ja, ja, ich weiß“, unterbrach ihn Harvey. „Bist trotzdem ´n verdammter Künstler!“
Harvey war in Gönnerlaune. Der Zeitplan der Dreharbeiten schien aufzugehen, das Budget würde sich höchstens verdoppeln und die Vorarbeit für die Werbung war im Kasten, samt Trailer, Radiospot und der Webpage, die heutzutage schon Pflicht für jeden neuen Film war. Das Plakat war die Kür, aber es waren die kleinen Dinge, die aus einem Film einen Klassiker machten und sowohl die Erwartungen der Fangemeinde als auch die der Kritiker befriedigte.
„Wenn wir jetzt noch Danny Elfman für die Musik kriegen, dann kann gar nichts mehr schief gehen. Für die MTV-Generation haben wir schon ein paar Nu-Metal-Bands am Haken. Die sorgen dafür, dass das Ganze ordentlich rockt. Und … Mann, Scheiße! Du solltest echt diesen Christian Bale beim Dreh sehen. Der Hammer ist das! Der braucht gar keine Maske und du kaufst ihm trotzdem den Wolf ab, Philly-Boy! Echt der Hammer ist das!“
Phil grinste, nickte dümmlich vor sich hin und schwieg.
Er hasste es, wenn Harvey ihn „Philly-Boy“ nannte. Diese ganze Ich-bin-doch-dein-Kumpel-und-die-Welt-ist-doch-echt-geil-Masche, die Harvey anzog und wieder ablegte, wie ein Bankräuber seine Skimaske, ging ihm tierisch auf den Sack. Aber das waren alles Dinge, die Phil wegstecken konnte und die sich irgendwo zwischen „Small-Talk“ und „Scheiß drauf“ abspielten und ihn nicht persönlich berührten.
Dass Harvey Phils Ex-Frau Sally vögelte berührte ihn allerdings sehr.
Und er nahm es extrem persönlich.
„Schade“, meinte Harvey, wobei er ein wenig lallte und ein paar Tropfen Jack Daniel´s auf sein Armanihemd sabberte. „Echt schade, dass die Twin-Towers futsch sind! Das wär´ echt ´ne geile Skyline für den Hintergrund gewesen!“ Er lachte kopfschüttelnd und goss sich noch einen Whiskey ein.
„Wusstest du, dass Sam Raimi ´ne Szene im zweiten Spiderman-Streifen hatte, wo Spidey ein Netz zwischen den World-Trade-Centre-Türmen gespannt hat, mit dem er einen Hubschrauber einfängt?“
„Nein“, entgegnete Phil, „wusste ich nicht.“
„War aber so. Die Szene mussten sie raus schneiden. War nach dem elften September nich´ mehr koscher so was zu machen, will sagen: political incorrect.“
Harvey schüttelte entrüstet den Kopf und kippte das Glas auf Ex. „Scheiß Al Quaida! Scheiß Bin Laden!“
Phil schmunzelte. Das klang, als ob Harvey sich wirklich für die Opfer des Terroranschlags interessieren würde, was natürlich gequirlte Kacke war. Diese Selbstmordfuzzis hatten ihm den Background seines Filmplakats versaut, das war alles.
„Also …“, begann Phil, „… ich finde, die Brooklyn-Bridge macht sich doch ganz gut.“
Sie standen vor der riesigen Staffelei und begutachteten das Bild, wobei Harvey tat, als sei er der Kunstexperte des Louvre und würde gerade die passenden Worte suchen, um die Schönheit der Mona Lisa in Kategorien der Technik, Farbgebung, Perspektive und Proportionen zu bewerten.
„Das Blut kommt geil“, meinte Harvey nickend, als müsste er sich selbst zustimmen. „Sieht richtig echt aus!“
„Is´ echt.“
„Im Ernst?“
Phil hob seine rechte Hand und zeigte Harvey eine Schnittwunde auf der Handfläche, die schon fast wieder verheilt war.
„In dem Bild steckt mein Herzblut. Wortwörtlich.“
Harvey lachte gackernd und klopfte Phil auf die Schulter.
„Sag´ ich doch, Mann! Bist´n gottverdammter Künstler, mit Leib und Seele! Wenn einer mit der Muse rumknutscht und das Miststück bändigt, dann isses mein Philly-Boy!“
Phil grinste und schwieg. Sie plauderten noch über ein paar Belanglosigkeiten, bis er sich schließlich verabschiedete und Harveys Wohnung verließ.
Kaum war er alleine, schlenderte Harvey zurück zur Mini-Bar und füllte sein Glas erneut. Grinsend hob er es an die Lippen und blickte auf die Staffelei.
Er blinzelte.
Die Leinwand zeigte die Brooklyn-Bridge unter einem perfekt proportionierten Vollmond.
Ungläubig durchquerte Harvey den Raum und ging auf das Bild zu, wobei er Schwierigkeiten hatte nicht zu torkeln.
Der Wolf war weg!
Ein Gefühl der Unwirklichkeit überkam ihn. Das Whiskeyglas fiel ihm aus der Hand und rollte über den Teppichboden. Und während er fassungslos auf die Leinwand starrte und verzweifelt versuchte, das Zittern in seinen Händen zu ignorieren, hörte er hinter sich ein Geräusch, das wie ein Knurren klang.
 

IDee

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Hallo,

gefällt mir sehr gut. Tolle Wortwahl, spritzige Dialoge und gute Beschreibung, sowie treffendes Ende.

Beste Grüße

IDee
 



 
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