Spiegelzeichen

3,00 Stern(e) 2 Bewertungen

para_dalis

Mitglied
sPiEgeLzEicHeN
.

Ich zeichnete heute morgen Spiegel.

Ich atmete den Geruch der vergangenen Liebesnacht auf meiner Haut, in meinem Haar und auf meinen Lippen.

Und ich war glücklich, endlich erwacht zu sein.
Denn in meinen Träumen verfolgte ich einen Mörder, fasste ihn und er erzählte mir, wie er sein Opfer tötete.
Der Mörder aus meinen Träumen, ja, glauben Sie es ruhig, ich träumte es wirklich, war ein winziges Männchen, mager, die Rippen hervorstechend und sein Bauch wie nach innen gestülpt. Seine Haut war faltig, er hatte einen kleinen, alten Kopf. Er war nur halb so groß wie sein Opfer, welches er auf eine besonders gemeine Art und Weise erledigte. Sein Opfer war eine Frau, die an der Perversion einer, seiner oralen Befriedigung erstickte. Sie wehrte sich nicht, als er sie tötete. Sie wehrte sich nicht. Sie hätte nach ihm greifen und ihn verletzen können, sie hätte ihre Zähne in sein orales Fleisch schlagen können. Sie wehrte sich nicht. Ich verstand nicht, wieso sie sich nicht wehrte. Sie war doppelt so groß wie er. Er war mager, sie kräftig. Sie wehrte sich nicht.
Man fand ihre Leiche in einem Tümpel. Mit offenem Mund. Alle jagten den Mörder, ich fasste ihn. Ich versteckte ihn in meinem Haus. Ich verriegelte die Tür und verhängte alle Fenster. Ich wollte in Erfahrung bringen, ich wollte genau wissen, ich wollte nachvollziehen können, ich wollte den Mord erleben, den der Mörder seinem Opfer angetan hatte. Eine weitere Person, ich weiß nicht mehr, meine Freundin? Mein Freund? durfte neben der Liegestatt sitzen, worauf ich den Mörder bettete. Diese andere Person sollte Zeugin sein, sollte das Geschehen mit verfolgen. Durch die Hetzjagd war der Mörder geschwächt. Ein kleines Männchen, halb so groß, halb so stark wie sein Opfer. Er begann zu erzählen. Er erzählte, er raubte dem Opfer das Bewusstsein. Das Bewusstsein des Opfers weilte während der Tat nicht im Körper des Opfers. Die Augen des Opfers weit geöffnet und ohne den Willen sich zu wehren. Tötete der Mörder sein Opfer. Fragen Sie mich nicht. Bitte fragen Sie mich nicht, wieso das Opfer bei Bewusstsein war. Und doch auch wieder nicht. Das Opfer erlebte, wie es getötet wurde. Und ließ es geschehen. Und wehrte sich nicht.
Es war ein Hohlraum, in dem der Mörder seine orale Lust zu befriedigen suchte.
Ein Hohlraum, mit Zähnen ausgestattet. Zähne, die sich nicht in das orale Fleisch des Mörders schlugen. Ein Hohlraum.
Kein Hirn. Keine Empfindungen. Keine Zähne. Keine Kraft.
Der Mörder sah sein Opfer und erkannte die Möglichkeit. Er setzte das Bewusstsein, die Empfindungen, das Denken außer Kraft. Er stahl während seiner grausigen Tat die Seele seines Opfers. Es war ein Leichtes für ihn, sein Opfer zu ersticken.
Es wehrte sich nicht.
Es hatte kein Bewusstsein.
Es hatte keinen Willen.
Es hatte keine Kraft.
Es hatte kein Hirn.
Es hatte
NICHTS.
Es öffnete seinen Mund und ließ die grausige Tat geschehen. Ich hörte die Schilderung des Mörders. Ich hörte seine Worte. Ich sah dieses kleine Männchen wortlos an. Ich sah die hervorstechenden Rippen unter seinem Synthetikpullover. Ich sah den nach innen gezogenen Bauch. Ich sah dünne Beinchen auf der Liegestatt. Ich würde das Sofa wegwerfen. Ich würde das Haus abbrennen. Ich würde ihn töten. Ich schlug ohne Bewusstsein in sein hageres Gesicht. Ich schlug ohne Bewusstsein in seinen Magen. Ich schlug ohne Bewusstsein auf sein orales Fleisch. Ich schlug und schlug und schlug. Er war ohne Bewusstsein. Er war tot.
Kennen Sie das Gefühl, etwas unwiderrufliches, unwiederbringliches getan zu haben? Etwas getan zu haben, was nicht zu verhindern gewesen wäre? Etwas getan zu haben, ohne Reue zu empfinden? Ich empfand keine Reue. Der Mörder war er. Er tötete das Opfer. Er raubte dem Opfer das Bewusstsein, machte es hilflos und schwach.
Ich lauschte seinen Worten. Und tötete ihn bei vollem Bewusstsein.
Dann erwachte ich, betrat das Bad meines Freundes und malte Spiegelzeichen.


Spiegelzeichen.
 
K

kaffeehausintellektuelle

Gast
grausig irgendwie.

also, was mir aufgefallen ist, dass die zeiten ein bisschen durcheinanderkommen. das, was der mörder erzählt, was er mit seinem opfer gemacht hat, gehört in die gute alte vorvergangenheit.
ja, und der geruch der liebesnacht, vermischt mit dem geruch des todes, der schreckt mich schon ab. und dass da nach dem traum die distanzierung davon nur stattfindet, indem er spiegel malt. ein bisschen kommt es so rüber, als hätte man das recht, mörder zu töten.

und mit dem begriff "orales fleisch" für den schwanz, da kann ich auch nix anfangen.

trotz all dieser kritik ist es dir gelungen, zu fesseln, wenn auch auf eine sehr abstoßende art.

die kaffeehausintellektuelle
 

para_dalis

Mitglied
@Barbara

...wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein...

Weißt Du,
man kann natürlich alles "auseinanderpflücken".
Man kann natürlich auf genaue Regeln achten.
Man kann
aber
man muss nicht.

Und mir kam es auf die Emotionen an,
auf ein "Fesseln des Lesers".
Auch bin ich der Ansicht,
ein wenig Fantasie kann ruhig jeder Leser selbst entwickeln.
Was könnte beispielsweise im Spiegel zu sehen sein?
Danke für Deinen Kommentar.
Gruß
Heike
 

Zefira

Mitglied
Ich finde es durchaus fesselnd - vieleicht weil ich solche Träume auch öfter mal habe. Trotzdem stört mich der Widerspruch

>Ich würde das Haus abbrennen. Ich würde ihn töten. Ich schlug ohne Bewusstsein in sein hageres Gesicht. Ich schlug ohne Bewusstsein in seinen Magen.<
usw. und dann unmittelbar darauf
>Ich lauschte seinen Worten. Und tötete ihn bei vollem Bewusstsein. <

Ein ähnlich unklarer Umgang mit dem Begriff "Bewußtsein" findet sich auch schon weiter oben, als der Mörder den Mord schildert. Natürlich will und kann der Text nicht logisch sein, aber ich empfinde derart ins Auge springende Diskrepanzen als störend. Es scheint, als ob der Schreiberin hier einfach die treffenden Worte gefehlt haben.
 

Andrea

Mitglied
Du arbeitest sehr stark und sehr gut mit Wiederholungen, so daß sich die Gedanken beim Lesen richtig einfressen. Das ist sehr geschickt – und zwar auf sprachlicher Ebene. Aber ich will es jetzt nicht „auseinanderpflücken“, denn das magst du ja anscheinend nicht.. Trotzdem eine (auch oder gerade sprachlich) gute Arbeit.
Übrigens schließe ich mich Zefira an. Der Widerspruch mit und ohne Bewußtsein ist störend.
 

para_dalis

Mitglied
@Andrea

Nein Nein! Nicht falsch verstehen. Konstruktive Kritik muss natürlich sein. Und der Widerspruch... Für mich war es beim Schreiben keiner. Ich träumte so und hatte nur den Wunsch, es auf die Tastatur und von da auf den Monitor zu bringen. Es los zu werden. Mich davon zu befreien.
;o)
Gruß
Heike
 



 
Oben Unten