Spielst Du

3,80 Stern(e) 5 Bewertungen

Walther

Mitglied
Spielst Du


Spielst Du auf Deiner Lyra, Verseschmied?
Wie Finger über schmale Saiten gleiten
Und Melodien mit den Worten reiten!
Spielst Du mir, Lieber, heut ein kleines Lied?

Lass Dich von alten Zauberkünsten leiten,
Damit der Rhythmus in den Bann uns zieht.
Wie will ich, dass das Dumpfe von uns flieht
Und sanft die Segel sich im Tonwind spreiten!

Umhüllen soll dies Tuch der Illusion
Die Zeiten, die uns tief hinunter ziehn,
Und Klarheit tauche in die Konfusion,

Der Wahrheit weis den Weg zur Sonne hin:
Im Lied sei Leichtigkeit und Konklusion,
Und Liebe sei, was Tod und Dürre schien.
 

AlexT

Mitglied
Kunst als Mittel, dem rauen Stumpfsinn des Alltags zu entfliehen, wenn ich's recht verstehe. Gut geschrieben! Ich freue mich außerdem an der Tatsache, dass es sich um ein Sonett handelt - ich bin also nicht der einzige in diesem Forum, der so wa snoch schreibt :)
 

Walther

Mitglied
Lieber Alex,

das Sonett, das Diskursgedicht: Es soll Blicke öffnen, ein wenig Lehrgedicht sein, gerne über die Liebe, diesmal über's Lied, die Lyrik und die Kunst als Unterhaltung, die aus dem Alltag, dem drögen (manchmal jedenfalls), entführen soll.

Es ist die Beschwörung der alten Wurzeln des Gedichts: des durch Instrumente begleiteten Sprechgesangs. Die Lyra, daher Lyrik, begleitete die griechischen Dichter, Trommeln und Zimbeln die Minnesänger des Mittelalters.

Es lohnt sich auch heute noch, diese Wurzeln in Erinnerung zu rufen. Von Schaden wäre es jedenfalls nicht, sich ihrer gelegentlich zu bemächtigen. Der Dichtung eine Bresche, schrieb ich anderer Stelle http://www.leselupe.de/lw/showthread.php?threadid=76059.

Warum nicht auch dem Lied an ihrem Ursprung. Rhythmus, Drive, Beat, Groove: Das ist Dichtung. Auch. Manchmal scheinen wir das vergessen zu haben. Schade eigentlich.

Die Sprache zum Tanz führen: Das will dieses Sonett. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Sonnige Grüße an alle Sonettisten und alle anderen Dichterinnen und Dichter

W.
 
S

Saurau

Gast
hallo Walther!

bin beeindruckt. schön, laut zu lesen. die verse schmeicheln sich von den lippen. pathetisch aber souverän, eine gute mischung!

lg daniel

ps: um nicht nur zu loben (kritikzwang): ich finds wirklich gut.
 

Walther

Mitglied
Hallo Daniel,

dieses Gedicht ist eigentlich eine Replik auf dieses hier: http://www.berlinerzimmer.de/cgi-bin/gm/archives/00001204.htm#comments

Dichten ist häufig Dialog mit anderen Dichtern. Wir machen nur zu wenig Gebrauch davon. Manchmal gelingt ein Werk, das danach alleine stehen kann. Nehme ich das Lob von Dir auf, dann ist das vielleicht in diesem Falle gelungen.

Das Gedicht selbst spiegelt sich in seinem Inhalt. Es will daran erinnern, daß auch die alten Formen ihren Reiz haben. Letztlich war es noch im 19. Jahrhundert Brauch, Gedichte zu rezitieren, sich selbst also laut vorzulesen.

Meine Gedichte haben daher immer Rhythmus, auch die, die sich nicht "reimen". Reimen ist kein konstitutiver Baustein von Dichtung, Rhythmen aber schon. Auch Hölderlin ist rhythmisch, hat Metrum, hat einen eigentümlichen drängenden Zwang in seiner Sprache, sich deklamierend vorwärts zu bewegen.

Soweit zum Thema, ob man Dichtung Qualität anmerken kann, die über den Inhalt, das individuelle Gefallen hinausgeht. Die Antwort lautet: Ja, man kann. Egal wie oft und wie lautstark das Gegenteil von wem auch immer behauptet wird.

Dank und Sonnengruß

W.
 



 
Oben Unten