Spieltag

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Vagant

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Spieltag

Und wieder fummelten Hände über meiner Schulter. Sie griffen nach dem Bier auf dem Tresen, stellten das Bier zurück, legten Kippen im Aschenbecher ab und fingerten nach dem Stapel Eurostücken für die Automaten, die hinter mir an der Wand des 'Crow's Nest' hingen. In meinem Rücken piepste es, als wäre dort 'ne Schar Spatzen mit der Aufzucht ihrer Jungen beschäftigt. Herrgott nochmal, tut das Not, dachte ich mir, und war mir nicht sicher, was mir gerade mehr an die Nieren ging, der Zustand, dass wir Null-zwei hinten lagen, oder der, dass trotz Europa-League-Spieltag die Automaten gefüttert werden, als gelte es ein verstoßenes Eisbärbaby durch den Winter zu bringen. Bleib ruhig Charly, bleib ruhig. Ich blickte kurz über meine Schulter und erkannte zwei Südländer. Südländer; was'n schönes Wort, dachte ich. Sonnenblume, Badewetter, Schirmchendrinks, Südländer – nein, passt net. Südländer ist negativ besetzt, kannste nix machen; nicht mal den Worten kannste noch trauen. Der eine von beiden war jung und schmal, halt wie alle dort im Süden, der andere war nicht viel größer, aber älter und dicker. Vielleicht sein Vater. Er hatte sein Haar pomadig in den Nacken gekämmt, und seine pechschwarzen Koteletten reichten ihm fast bis in die Mundwinkel; Typ später Elvis.

Ich winkte nach Giovanni, der gerade hinterm Tresen stand.
„Che succede?“, kramte ich nach ein paar Brocken Italienisch.
Giovanni fuchtelte mit seinen spaghettidürren Armen wild in der Luft.
„Non lo so.“
„Giovanni, tu was, bitte! Ist ja nicht zum aushalten.“
„Sinne Albaner, kanne tue nixe.“
„Ach, du kennst die?“
„Si si.“
Giovanni winkte mich zu sich, legte seine Lippen an mein Ohr und sagte: „Du wisse, in meine Dorfe man sage, du treffe eine Albaner un eine Wolfe, du erschieße Albaner, lasse die Wolfe laufen.“
„Und, wann schießt du?“
„Ach, sinne scheiße Gesetze inne Deutschlande.“
„Dann gib mir noch'n paar Nüsse, die beruhigen.“
„Vabbene.“

Ich schaute wieder auf den Bildschirm überm Tresen. Der Automat in meinem Rücken stimmte eine jämmerlich einstimme Version des Yankee-Doodle an; wahrscheinlich um irgend einen Gewinn anzukündigen. Drei Bananen, vier Kirschen, 'nen Obstteller. Wen kümmerts? Meiner Elf wird’s heute Abend auch nicht mehr helfen. Null-zwei hinten, im eigenen Stadion, das muss man sich mal vorstellen. Giovanni stellte mir ein neues Schälchen Nüsse hin und schob einen stumpfschwarzen Espresso daneben.
„Aufe die Hause, Charly.“
„Grazie.“
Hinter mir klingelte es, als kippte jemand 'ne Kiste Schrauben auf die Badezimmerfliesen. Jackpot. Die Hand des Albaners langte wieder über meine Schulter und warf ein paar Zwei-Euro-Stücke auf den Tresen. Der späte Elvis sagte noch etwas in irgendeinem süditalienischen Dialekt, den wohl nur Giovanni verstehen konnte. Dann war Ruhe.

Ich kippte den Espresso. Als ich nach den Nüssen griff hörte ich eine Stimme neben mir.
„Darf ich?“
Neben mir saß nun eine Frau, so um die vierzig, klein und zierlich, mit frecher Kurzhaarfrisur. Steht ihr gut, dachte ich.
„Bitte“, und ich schob die Schale ein Stück zu ihr.
„Und was meinst du, packen sie's noch? Ich denke, die reißen's noch rum.“
Ich schaute hinauf zum Bildschirm. Abwehrschlacht.
„Nee“, sagte ich, „nur noch zwanzig Minuten. Da geht nix mehr.“
„Ja, denk' ich auch.“
Wir lachten. Giovanni stellte uns noch ein Bier und eine Weinschorle vor die Nase.
„Denen fehlt einfach der letzte Pass“, sagte ich. „Bis zum Strafraum geht’s ja noch, aber dann …“
„Hätten halt nicht den Dingsdavic …“
„ ... Ivanovic?“
„Genau den, den hätten sie nicht verkaufen dürfen, die Nulpen.“
„Sag ich doch.“
Sie griff nach ihrer Schorle und prostete mir zu.
„Na dann, katastrowje.“
Ich nickte zurück. Wir tranken, unterhielten uns, aßen Nüsse und schauten nebenbei zu, wie das Null-drei fiel. Abpfiff.
„Null-drei, zu hause. 'brauchen gar nicht erst zum Rückspiel fahren“, sagte ich.
Sie nickte, schaute mich an und sagte: „Komm, lass uns gehen. Hier ist ja 'ne Stimmung wie zum Fasching auf der Wolfsschanze.“

Wir traten hinaus und gingen bis zur Promenade. Still und träge schleppte sich der Main wie ein schwarzes Band durch die Nacht. Bei 'Elviras-Büdchen' bogen wir wieder nach links in die Gassen, und nach drei Ecken standen wir vor ihrer Tür.
„Da wär'n wir“, sagte sie.
„Und nun?“
„Weiß net.“
„... mh...“
Sie schaute mich an, gab mir einen Kuss auf die Wange und sagte: „Na vielleicht willst du ...“
„... mir deine Briefmarkensammlung an schau'n?“
„Nee, vielleicht noch auf'n Kaffee?“
„Gern'.“

Das Licht der Schreibtischlampe tauchte ihr Wohnzimmer in zartes Karamell. Wir saßen nackt auf dem Sofa, atmeten ruhig und tief, schauten uns an und küssten uns wie zwei verspielte Teenager.
„Schön war's“, sagte sie.
„Ja, fand ich auch.“
Und ob's schön war. Klasse war's, Charly, einfach klasse. Sag's ihr doch, du Memme.
Ich blickte mich verlegen um. Sie griff nach einer Schachtel, die in der Zeitungsablage des Tisches lag, öffnete sie und hielt sie mir hin. Fünf Joints, einer so schön wie der andere. Konfektionsware, Herstellerabfüllung; jedenfalls nicht selbst gebaut, dachte ich mir.
„Was'n das", fragte ich.
„Schwarzer Afghane. Wollen wir?“
„Ich weiß nicht. Hab' schon ewig nicht.“
„Haste Angst?“
„Das nicht, ist halt wie beim Folkloreabend im Nudistencamp.“
„Kannst's dir ja noch überlegen.“
Sie zündete den Joint an, nahm einen tiefen Zug und reichte ihn dann zu mir. Es war bestimmt zwanzig Jahre her, als ich das letzte mal an einem Joint gezogen hatte. Ich nahm einen flachen Zug und sah zu, dass ich den Rauch wieder heraus bekam, bevor sich meine Bronchien meldeten.
„'machst wohl einen auf Clinton?“
Wir lachten. Sie saugte lang und tief, ließ den Rauch eine Ewigkeit in ihren Lungen, formte dann den Mund zu einem O und stieß den Rauch langsam wieder aus.
„Ohne zu husten, Respekt“, sagte ich.
„Husten ist kindisch. Wer husten muss, der sollte beim Brausepulver bleiben.“
„Ahoi“, sagte ich und übernahm den Joint ein weiteres mal.
So saßen wir nackt, reichten uns die Tüte hin und her, begannen manchmal einfach so zu kichern und fummelten albern am anderen herum. Mensch Charly, so schön kann's sein, das Leben. 'n bisschen Sex, 'n bisschen Dope und 'en Loch in die Gegend gucken. Gibt’s was schöneres auf der Welt?
„Haste denn öfter mal 'en Joint am Start“, fragte ich.
„Manchmal, so zum entspannen, rein therapeutisch, versteht sich.“
„Dumme Frage, aber wo kriegsten das Zeug her?“
„Die Albaner.“
„Nee.“
„Doch.“
„Und Giovanni?“
„Der tut so, als bekomme er's nicht mit. Denke aber, der kauft selbst bei denen.“
„Che Bastardo, und mir schiebt er den ganzen Abend die Nüsse über'n Tresen.“

Aber nun war keine Zeit dafür, sich den Kopf über Giovanni zu zerbrechen. Ich zog noch ein paar mal am Joint. Es ging nun besser. Husten ist kindisch; ich hielt mich dran. Und in meinen Gedanken flog ich nun über zinnoberrote Mohnfelder, die sich vom hintersten Zipfel Afghanistans bis zum 'Crow's Nest' erstreckten. In der Tür des 'Crow's Nest' stand Giovanni und winkte mit einem Joint von der Größe einer Calzone. Ich kicherte. Abgefahren, wirklich abgefahren. Ich legte mein Kinn auf ihre Schulter.
„Ich würd' gern die Nacht bei dir bleiben.“ Ich schaute ihr zu, wie sie den Rauch ausstieß.
„Oh, iss keine gute Idee.“
„Schade.“
Wir kicherten wieder.
„Aber vielleicht können wir ja am Samstag mal 'ne Runde mit den Rädern machen“, sagte sie.
„Un' wohin?“
„Nix Bestimmtes. 'n bisschen am Main entlang. Vielleicht bis Miltenberg, dort 'ne Pizza, un' dann zurück.“
Sie schaute mich an, küsste mich auf die Wange und sagte: „Mich würd's freuen.“
Ich werd's Derby verpassen, dachte ich. Ja verdammt, Charly, du verpasst das Derby. Aber alle Jahre gibt’s 'n Derby, zwei sogar. Also, wen kümmert's, dachte ich.
„Ich bin dabei“, sagte ich.
„Schön.“
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Vagant, bevor ich begründe, wieso ich das gerne gelesen habe, ein paar handwerkliche Sachen:
eine jämmerlich einstimme Version des Yankee-Doodle an;
eine jämmerlich einstimmige Version...

Gibt’s was schöneres auf der Welt?
„Haste denn öfter mal 'en Joint am Start“, fragte ich.
„Manchmal, so zum entspannen, rein therapeutisch, versteht sich.“
Gibt's was Schöneres auf der Welt?
"Haste denn öfter mal 'nen Joint am Start?", fragte ich.
"Manchmal, so zum Entspannen, rein therapeutisch, versteht sich."


Du hast die Stimmungsbilder, die in dieser Kurzgeschichte vorherrschen, sehr gut eingefasst: Die nervigen Albaner, die Kneipenatmosphäre, das Fußballspiel, das Kennenlernen der Frau an der Theke, die Begegnung mit ihr in ihrer Wohnung - ausgedehnt auf alle zwischenmenschlichen Bereiche. Ich konnte beim Lesen alles vor mir sehen. Sehr gut.

Das Konsumieren des Joints wird mir dann allerdings allzu verherrlichend dargestellt, zu positiv. Immerhin geht es hier um Drogenkonsum.

Am Schluss greifst Du sehr geschickt den Titel "Spieltag" wieder auf, denn das Verabreden mit der Frau behält Spielcharakter, da sie eine Übernachtung ausschließt und nur einen Fahrradausflug vorschlägt. Ob wirklich mehr draus wird, bleibt so offen. Vielleicht eben doch nur ein Spiel ihrerseits.

Danke für die gute Unterhaltung sagt mit lG,
Doc
 

Vagant

Mitglied
Spieltag

Und wieder fummelten Hände über meiner Schulter. Sie griffen nach dem Bier auf dem Tresen, stellten das Bier zurück, legten Kippen im Aschenbecher ab und fingerten nach dem Stapel Eurostücken für die Automaten, die hinter mir an der Wand des 'Crow's Nest' hingen. In meinem Rücken piepste es, als wäre dort 'ne Schar Spatzen mit der Aufzucht ihrer Jungen beschäftigt. Herrgott nochmal, tut das Not, dachte ich mir, und war mir nicht sicher, was mir gerade mehr an die Nieren ging, der Zustand, dass wir Null-zwei hinten lagen, oder der, dass trotz Europa-League-Spieltag die Automaten gefüttert werden, als gelte es ein verstoßenes Eisbärbaby durch den Winter zu bringen. Bleib ruhig Charly, bleib ruhig. Ich blickte kurz über meine Schulter und erkannte zwei Südländer. Südländer; was'n schönes Wort, dachte ich. Sonnenblume, Badewetter, Schirmchendrinks, Südländer – nein, passt net. Südländer ist negativ besetzt, kannste nix machen; nicht mal den Worten kannste noch trauen. Der eine von beiden war jung und schmal, halt wie alle dort im Süden, der andere war nicht viel größer, aber älter und dicker. Vielleicht sein Vater. Er hatte sein Haar pomadig in den Nacken gekämmt, und seine pechschwarzen Koteletten reichten ihm fast bis in die Mundwinkel; Typ später Elvis.

Ich winkte nach Giovanni, der gerade hinterm Tresen stand.
„Che succede?“, kramte ich nach ein paar Brocken Italienisch.
Giovanni fuchtelte mit seinen spaghettidürren Armen wild in der Luft.
„Non lo so.“
„Giovanni, tu was, bitte! Ist ja nicht zum aushalten.“
„Sinne Albaner, kanne tue nixe.“
„Ach, du kennst die?“
„Si si.“
Giovanni winkte mich zu sich, legte seine Lippen an mein Ohr und sagte: „Du wisse, in meine Dorfe man sage, du treffe eine Albaner un eine Wolfe, du erschieße Albaner, lasse die Wolfe laufen.“
„Und, wann schießt du?“
„Ach, sinne scheiße Gesetze inne Deutschlande.“
„Dann gib mir noch'n paar Nüsse, die beruhigen.“
„Vabbene.“

Ich schaute wieder auf den Bildschirm überm Tresen. Der Automat in meinem Rücken stimmte eine jämmerlich einstimmige Version des Yankee-Doodle an; wahrscheinlich um irgend einen Gewinn anzukündigen. Drei Bananen, vier Kirschen, 'nen Obstteller. Wen kümmerts? Meiner Elf wird’s heute Abend auch nicht mehr helfen. Null-zwei hinten, im eigenen Stadion, das muss man sich mal vorstellen. Giovanni stellte mir ein neues Schälchen Nüsse hin und schob einen stumpfschwarzen Espresso daneben.
„Aufe die Hause, Charly.“
„Grazie.“
Hinter mir klingelte es, als kippte jemand 'ne Kiste Schrauben auf die Badezimmerfliesen. Jackpot. Die Hand des Albaners langte wieder über meine Schulter und warf ein paar Zwei-Euro-Stücke auf den Tresen. Der späte Elvis sagte noch etwas in irgendeinem süditalienischen Dialekt, den wohl nur Giovanni verstehen konnte. Dann war Ruhe.

Ich kippte den Espresso. Als ich nach den Nüssen griff hörte ich eine Stimme neben mir.
„Darf ich?“
Neben mir saß nun eine Frau, so um die vierzig, klein und zierlich, mit frecher Kurzhaarfrisur. Steht ihr gut, dachte ich.
„Bitte“, und ich schob die Schale ein Stück zu ihr.
„Und was meinst du, packen sie's noch? Ich denke, die reißen's noch rum.“
Ich schaute hinauf zum Bildschirm. Abwehrschlacht.
„Nee“, sagte ich, „nur noch zwanzig Minuten. Da geht nix mehr.“
„Ja, denk' ich auch.“
Wir lachten. Giovanni stellte uns noch ein Bier und eine Weinschorle vor die Nase.
„Denen fehlt einfach der letzte Pass“, sagte ich. „Bis zum Strafraum geht’s ja noch, aber dann …“
„Hätten halt nicht den Dingsdavic …“
„ ... Ivanovic?“
„Genau den, den hätten sie nicht verkaufen dürfen, die Nulpen.“
„Sag ich doch.“
Sie griff nach ihrer Schorle und prostete mir zu.
„Na dann, katastrowje.“
Ich nickte zurück. Wir tranken, unterhielten uns, aßen Nüsse und schauten nebenbei zu, wie das Null-drei fiel. Abpfiff.
„Null-drei, zu hause. 'brauchen gar nicht erst zum Rückspiel fahren“, sagte ich.
Sie nickte, schaute mich an und sagte: „Komm, lass uns gehen. Hier ist ja 'ne Stimmung wie zum Fasching auf der Wolfsschanze.“

Wir traten hinaus und gingen bis zur Promenade. Still und träge schleppte sich der Main wie ein schwarzes Band durch die Nacht. Bei 'Elviras-Büdchen' bogen wir wieder nach links in die Gassen, und nach drei Ecken standen wir vor ihrer Tür.
„Da wär'n wir“, sagte sie.
„Und nun?“
„Weiß net.“
„... mh...“
Sie schaute mich an, gab mir einen Kuss auf die Wange und sagte: „Na vielleicht willst du ...“
„... mir deine Briefmarkensammlung an schau'n?“
„Nee, vielleicht noch auf'n Kaffee?“
„Gern'.“

Das Licht der Schreibtischlampe tauchte ihr Wohnzimmer in zartes Karamell. Wir saßen nackt auf dem Sofa, atmeten ruhig und tief, schauten uns an und küssten uns wie zwei verspielte Teenager.
„Schön war's“, sagte sie.
„Ja, fand ich auch.“
Und ob's schön war. Klasse war's, Charly, einfach klasse. Sag's ihr doch, du Memme.
Ich blickte mich verlegen um. Sie griff nach einer Schachtel, die in der Zeitungsablage des Tisches lag, öffnete sie und hielt sie mir hin. Fünf Joints, einer so schön wie der andere. Konfektionsware, Herstellerabfüllung; jedenfalls nicht selbst gebaut, dachte ich mir.
„Was'n das", fragte ich.
„Schwarzer Afghane. Wollen wir?“
„Ich weiß nicht. Hab' schon ewig nicht.“
„Haste Angst?“
„Das nicht, ist halt wie beim Folkloreabend im Nudistencamp.“
„Kannst's dir ja noch überlegen.“
Sie zündete den Joint an, nahm einen tiefen Zug und reichte ihn dann zu mir. Es war bestimmt zwanzig Jahre her, als ich das letzte mal an einem Joint gezogen hatte. Ich nahm einen flachen Zug und sah zu, dass ich den Rauch wieder heraus bekam, bevor sich meine Bronchien meldeten.
„'machst wohl einen auf Clinton?“
Wir lachten. Sie saugte lang und tief, ließ den Rauch eine Ewigkeit in ihren Lungen, formte dann den Mund zu einem O und stieß den Rauch langsam wieder aus.
„Ohne zu husten, Respekt“, sagte ich.
„Husten ist kindisch. Wer husten muss, der sollte beim Brausepulver bleiben.“
„Ahoi“, sagte ich und übernahm den Joint ein weiteres mal.
So saßen wir nackt, reichten uns die Tüte hin und her, begannen manchmal einfach so zu kichern und fummelten albern am anderen herum. Mensch Charly, so schön kann's sein, das Leben. 'n bisschen Sex, 'n bisschen Dope und 'en Loch in die Gegend gucken. Gibt’s was schöneres auf der Welt?
„Haste denn öfter mal 'nen Joint am Start“, fragte ich.
„Manchmal, so zum entspannen, rein therapeutisch, versteht sich.“
„Dumme Frage, aber wo kriegsten das Zeug her?“
„Die Albaner.“
„Nee.“
„Doch.“
„Und Giovanni?“
„Der tut so, als bekomme er's nicht mit. Denke aber, der kauft selbst bei denen.“
„Che Bastardo, und mir schiebt er den ganzen Abend die Nüsse über'n Tresen.“

Aber nun war keine Zeit dafür, sich den Kopf über Giovanni zu zerbrechen. Ich zog noch ein paar mal am Joint. Es ging nun besser. Husten ist kindisch; ich hielt mich dran. Und in meinen Gedanken flog ich nun über zinnoberrote Mohnfelder, die sich vom hintersten Zipfel Afghanistans bis zum 'Crow's Nest' erstreckten. In der Tür des 'Crow's Nest' stand Giovanni und winkte mit einem Joint von der Größe einer Calzone. Ich kicherte. Abgefahren, wirklich abgefahren. Ich legte mein Kinn auf ihre Schulter.
„Ich würd' gern die Nacht bei dir bleiben.“ Ich schaute ihr zu, wie sie den Rauch ausstieß.
„Oh, iss keine gute Idee.“
„Schade.“
Wir kicherten wieder.
„Aber vielleicht können wir ja am Samstag mal 'ne Runde mit den Rädern machen“, sagte sie.
„Un' wohin?“
„Nix Bestimmtes. 'n bisschen am Main entlang. Vielleicht bis Miltenberg, dort 'ne Pizza, un' dann zurück.“
Sie schaute mich an, küsste mich auf die Wange und sagte: „Mich würd's freuen.“
Ich werd's Derby verpassen, dachte ich. Ja verdammt, Charly, du verpasst das Derby. Aber alle Jahre gibt’s 'n Derby, zwei sogar. Also, wen kümmert's, dachte ich.
„Ich bin dabei“, sagte ich.
„Schön.“
 

Vagant

Mitglied
Spieltag

Und wieder fummelten Hände über meiner Schulter. Sie griffen nach dem Bier auf dem Tresen, stellten das Bier zurück, legten Kippen im Aschenbecher ab und fingerten nach dem Stapel Eurostücken für die Automaten, die hinter mir an der Wand des 'Crow's Nest' hingen. In meinem Rücken piepste es, als wäre dort 'ne Schar Spatzen mit der Aufzucht ihrer Jungen beschäftigt. Herrgott nochmal, tut das Not, dachte ich mir, und war mir nicht sicher, was mir gerade mehr an die Nieren ging, der Zustand, dass wir Null-zwei hinten lagen, oder der, dass trotz Europa-League-Spieltag die Automaten gefüttert werden, als gelte es ein verstoßenes Eisbärbaby durch den Winter zu bringen. Bleib ruhig Charly, bleib ruhig. Ich blickte kurz über meine Schulter und erkannte zwei Südländer. Südländer; was'n schönes Wort, dachte ich. Sonnenblume, Badewetter, Schirmchendrinks, Südländer – nein, passt net. Südländer ist negativ besetzt, kannste nix machen; nicht mal den Worten kannste noch trauen. Der eine von beiden war jung und schmal, halt wie alle dort im Süden, der andere war nicht viel größer, aber älter und dicker. Vielleicht sein Vater. Er hatte sein Haar pomadig in den Nacken gekämmt, und seine pechschwarzen Koteletten reichten ihm fast bis in die Mundwinkel; Typ später Elvis.

Ich winkte nach Giovanni, der gerade hinterm Tresen stand.
„Che succede?“, kramte ich nach ein paar Brocken Italienisch.
Giovanni fuchtelte mit seinen spaghettidürren Armen wild in der Luft.
„Non lo so.“
„Giovanni, tu was, bitte! Ist ja nicht zum aushalten.“
„Sinne Albaner, kanne tue nixe.“
„Ach, du kennst die?“
„Si si.“
Giovanni winkte mich zu sich, legte seine Lippen an mein Ohr und sagte: „Du wisse, in meine Dorfe man sage, du treffe eine Albaner un eine Wolfe, du erschieße Albaner, lasse die Wolfe laufen.“
„Und, wann schießt du?“
„Ach, sinne scheiße Gesetze inne Deutschlande.“
„Dann gib mir noch'n paar Nüsse, die beruhigen.“
„Vabbene.“

Ich schaute wieder auf den Bildschirm überm Tresen. Der Automat in meinem Rücken stimmte eine jämmerlich einstimmige Version des Yankee-Doodle an; wahrscheinlich um irgend einen Gewinn anzukündigen. Drei Bananen, vier Kirschen, 'nen Obstteller. Wen kümmerts? Meiner Elf wird’s heute Abend auch nicht mehr helfen. Null-zwei hinten, im eigenen Stadion, das muss man sich mal vorstellen. Giovanni stellte mir ein neues Schälchen Nüsse hin und schob einen stumpfschwarzen Espresso daneben.
„Aufe die Hause, Charly.“
„Grazie.“
Hinter mir klingelte es, als kippte jemand 'ne Kiste Schrauben auf die Badezimmerfliesen. Jackpot. Die Hand des Albaners langte wieder über meine Schulter und warf ein paar Zwei-Euro-Stücke auf den Tresen. Der späte Elvis sagte noch etwas in irgendeinem süditalienischen Dialekt, den wohl nur Giovanni verstehen konnte. Dann war Ruhe.

Ich kippte den Espresso. Als ich nach den Nüssen griff hörte ich eine Stimme neben mir.
„Darf ich?“
Neben mir saß nun eine Frau, so um die vierzig, klein und zierlich, mit frecher Kurzhaarfrisur. Steht ihr gut, dachte ich.
„Bitte“, und ich schob die Schale ein Stück zu ihr.
„Und was meinst du, packen sie's noch? Ich denke, die reißen's noch rum.“
Ich schaute hinauf zum Bildschirm. Abwehrschlacht.
„Nee“, sagte ich, „nur noch zwanzig Minuten. Da geht nix mehr.“
„Ja, denk' ich auch.“
Wir lachten. Giovanni stellte uns noch ein Bier und eine Weinschorle vor die Nase.
„Denen fehlt einfach der letzte Pass“, sagte ich. „Bis zum Strafraum geht’s ja noch, aber dann …“
„Hätten halt nicht den Dingsdavic …“
„ ... Ivanovic?“
„Genau den, den hätten sie nicht verkaufen dürfen, die Nulpen.“
„Sag ich doch.“
Sie griff nach ihrer Schorle und prostete mir zu.
„Na dann, katastrowje.“
Ich nickte zurück. Wir tranken, unterhielten uns, aßen Nüsse und schauten nebenbei zu, wie das Null-drei fiel. Abpfiff.
„Null-drei, zu hause. 'brauchen gar nicht erst zum Rückspiel fahren“, sagte ich.
Sie nickte, schaute mich an und sagte: „Komm, lass uns gehen. Hier ist ja 'ne Stimmung wie zum Fasching auf der Wolfsschanze.“

Wir traten hinaus und gingen bis zur Promenade. Still und träge schleppte sich der Main wie ein schwarzes Band durch die Nacht. Bei 'Elviras-Büdchen' bogen wir wieder nach links in die Gassen, und nach drei Ecken standen wir vor ihrer Tür.
„Da wär'n wir“, sagte sie.
„Und nun?“
„Weiß net.“
„... mh...“
Sie schaute mich an, gab mir einen Kuss auf die Wange und sagte: „Na vielleicht willst du ...“
„... mir deine Briefmarkensammlung an schau'n?“
„Nee, vielleicht noch auf'n Kaffee?“
„Gern'.“

Das Licht der Schreibtischlampe tauchte ihr Wohnzimmer in zartes Karamell. Wir saßen nackt auf dem Sofa, atmeten ruhig und tief, schauten uns an und küssten uns wie zwei verspielte Teenager.
„Schön war's“, sagte sie.
„Ja, fand ich auch.“
Und ob's schön war. Klasse war's, Charly, einfach klasse. Sag's ihr doch, du Memme.
Ich blickte mich verlegen um. Sie griff nach einer Schachtel, die in der Zeitungsablage des Tisches lag, öffnete sie und hielt sie mir hin. Fünf Joints, einer so schön wie der andere. Konfektionsware, Herstellerabfüllung; jedenfalls nicht selbst gebaut, dachte ich mir.
„Was'n das", fragte ich.
„Schwarzer Afghane. Wollen wir?“
„Ich weiß nicht. Hab' schon ewig nicht.“
„Haste Angst?“
„Das nicht, ist halt wie beim Folkloreabend im Nudistencamp.“
„Kannst's dir ja noch überlegen.“
Sie zündete den Joint an, nahm einen tiefen Zug und reichte ihn dann zu mir. Es war bestimmt zwanzig Jahre her, als ich das letzte mal an einem Joint gezogen hatte. Ich nahm einen flachen Zug und sah zu, dass ich den Rauch wieder heraus bekam, bevor sich meine Bronchien meldeten.
„'machst wohl einen auf Clinton?“
Wir lachten. Sie saugte lang und tief, ließ den Rauch eine Ewigkeit in ihren Lungen, formte dann den Mund zu einem O und stieß den Rauch langsam wieder aus.
„Ohne zu husten, Respekt“, sagte ich.
„Husten ist kindisch. Wer husten muss, der sollte beim Brausepulver bleiben.“
„Ahoi“, sagte ich und übernahm den Joint ein weiteres mal.
So saßen wir nackt, reichten uns die Tüte hin und her, begannen manchmal einfach so zu kichern und fummelten albern am anderen herum. Mensch Charly, so schön kann's sein, das Leben. 'n bisschen Sex, 'n bisschen Dope und 'en Loch in die Gegend gucken. Gibt’s was schöneres auf der Welt?
„Haste denn öfter mal 'nen Joint am Start“, fragte ich.
„Manchmal, so zum Entspannen, rein therapeutisch, versteht sich.“
„Dumme Frage, aber wo kriegsten das Zeug her?“
„Die Albaner.“
„Nee.“
„Doch.“
„Und Giovanni?“
„Der tut so, als bekomme er's nicht mit. Denke aber, der kauft selbst bei denen.“
„Che Bastardo, und mir schiebt er den ganzen Abend die Nüsse über'n Tresen.“

Aber nun war keine Zeit dafür, sich den Kopf über Giovanni zu zerbrechen. Ich zog noch ein paar mal am Joint. Es ging nun besser. Husten ist kindisch; ich hielt mich dran. Und in meinen Gedanken flog ich nun über zinnoberrote Mohnfelder, die sich vom hintersten Zipfel Afghanistans bis zum 'Crow's Nest' erstreckten. In der Tür des 'Crow's Nest' stand Giovanni und winkte mit einem Joint von der Größe einer Calzone. Ich kicherte. Abgefahren, wirklich abgefahren. Ich legte mein Kinn auf ihre Schulter.
„Ich würd' gern die Nacht bei dir bleiben.“ Ich schaute ihr zu, wie sie den Rauch ausstieß.
„Oh, iss keine gute Idee.“
„Schade.“
Wir kicherten wieder.
„Aber vielleicht können wir ja am Samstag mal 'ne Runde mit den Rädern machen“, sagte sie.
„Un' wohin?“
„Nix Bestimmtes. 'n bisschen am Main entlang. Vielleicht bis Miltenberg, dort 'ne Pizza, un' dann zurück.“
Sie schaute mich an, küsste mich auf die Wange und sagte: „Mich würd's freuen.“
Ich werd's Derby verpassen, dachte ich. Ja verdammt, Charly, du verpasst das Derby. Aber alle Jahre gibt’s 'n Derby, zwei sogar. Also, wen kümmert's, dachte ich.
„Ich bin dabei“, sagte ich.
„Schön.“
 

Vagant

Mitglied
Hallo Frau Schneider, nur mal schnell vielen Dank für's Zeigen der Fehler. Wird ja langsam peinlich, aber ich hab's nicht gesehen (gerade die fehlende Silbe beim 'einstimmig' ?? bin mir aber sicher , dass die irgendwann auch mal auf dem Papier war) , na ja, ich hab's gleich geändert.
Der Text war ja mehr so ein Schnellschuß. Ich hatte mir, in meiner gestrigen Mittagspause, mal ein paar Notizen gemacht, (Personal, Szene, Dialoge - nur grob umrissen), und das Ding nach Feierabend schnell eingetippt. Danach; nix mehr dran gemacht. Keinen Satz verschoben, nix hinzu gefügt, gar nichts. Das bisschen Korrektur habe ich aus Zeitgründen auch erst kurz nach dem hochladen gemacht. Wollte einfach mal testen, was so völlig ungefiltert dabei raus kommt, und wollte mich einfach mal ein bisschen in Dialogen üben. Wahrscheinlich werde ich in Zukunft ein paar mehr solcher Sachen machen, und vielleicht erfährst du ja irgendwann, wie es mit den beiden weiter geht. Ich denke, die mögen sich schon ein bisschen. Könnte was werden. Denn,ich mag sie ja auch. Ich mag eigentlich alle meine Protagonisten, und wenn ich mal keinen Zugang zu einem finde, dann wird auch die Geschichte nichts. Und was die Sache mit dem Joint betrifft; einer geht schon mal. Ist halt wie so'n kleiner Obstler, den braucht's ja auch nicht jeden Tag.
 

Vagant

Mitglied
Ach so Doc, ich nochmal. Ich hatte etwas vergessen. Das ist nicht unbedingt ein Spiel das sie da mit Charly spielt. Sie möchte ihn nicht bei sich übernachten lassen, weil sie ihn vielleicht erst mal etwas besser kennen lernen möchte, bevor sie ihn in so intime private Bereiche wie das Schlafzimmer, Bad, und und und lassen möchte. Ab einem gewissen Alter sehnt sich der Mensch zwar immer noch nach Nähe und Berührung, aber er achtet auch peinlichst genau darauf, dass die Nähe dann nicht zu nah gerät, und dass die gewohnten privaten Freiräume nicht angetastet werden. Ich denke, du verstehst was ich sagen wollte.
Und der Vorschlag für einen gemeinsamen Wochenendausflug zeigt ja deutlich, dass sie ihn näher kennenlernen mäöchte.
LG Vagant
 
U

USch

Gast
Hallo Vagant,
sehr gelungen, dein spontaner Dialogexzess. Die Stimmungen kommen gut rüber.
Eine Kleinigkeit:
Wir lachten. Sie saugte lang und tief, ließ den Rauch eine Ewigkeit in ihren Lungen, formte dann den Mund zu einem O und stieß [strike]den Rauch[/strike] [blue]ihn [/blue]langsam wieder aus.
[blue]wegen der Doppelung, die nicht so gut klingt.[/blue]
LG USch
 

Vagant

Mitglied
Spieltag

Und wieder fummelten Hände über meiner Schulter. Sie griffen nach dem Bier auf dem Tresen, stellten das Bier zurück, legten Kippen im Aschenbecher ab und fingerten nach dem Stapel Eurostücken für die Automaten, die hinter mir an der Wand des 'Crow's Nest' hingen. In meinem Rücken piepste es, als wäre dort 'ne Schar Spatzen mit der Aufzucht ihrer Jungen beschäftigt. Herrgott nochmal, tut das Not, dachte ich mir, und war mir nicht sicher, was mir gerade mehr an die Nieren ging, der Zustand, dass wir Null-zwei hinten lagen, oder der, dass trotz Europa-League-Spieltag die Automaten gefüttert werden, als gelte es ein verstoßenes Eisbärbaby durch den Winter zu bringen. Bleib ruhig Charly, bleib ruhig. Ich blickte kurz über meine Schulter und erkannte zwei Südländer. Südländer; was'n schönes Wort, dachte ich. Sonnenblume, Badewetter, Schirmchendrinks, Südländer – nein, passt net. Südländer ist negativ besetzt, kannste nix machen; nicht mal den Worten kannste noch trauen. Der eine von beiden war jung und schmal, halt wie alle dort im Süden, der andere war nicht viel größer, aber älter und dicker. Vielleicht sein Vater. Er hatte sein Haar pomadig in den Nacken gekämmt, und seine pechschwarzen Koteletten reichten ihm fast bis in die Mundwinkel; Typ später Elvis.

Ich winkte nach Giovanni, der gerade hinterm Tresen stand.
„Che succede?“, kramte ich nach ein paar Brocken Italienisch.
Giovanni fuchtelte mit seinen spaghettidürren Armen wild in der Luft.
„Non lo so.“
„Giovanni, tu was, bitte! Ist ja nicht zum aushalten.“
„Sinne Albaner, kanne tue nixe.“
„Ach, du kennst die?“
„Si si.“
Giovanni winkte mich zu sich, legte seine Lippen an mein Ohr und sagte: „Du wisse, in meine Dorfe man sage, du treffe eine Albaner un eine Wolfe, du erschieße Albaner, lasse die Wolfe laufen.“
„Und, wann schießt du?“
„Ach, sinne scheiße Gesetze inne Deutschlande.“
„Dann gib mir noch'n paar Nüsse, die beruhigen.“
„Vabbene.“

Ich schaute wieder auf den Bildschirm überm Tresen. Der Automat in meinem Rücken stimmte eine jämmerlich einstimmige Version des Yankee-Doodle an; wahrscheinlich um irgend einen Gewinn anzukündigen. Drei Bananen, vier Kirschen, 'nen Obstteller. Wen kümmerts? Meiner Elf wird’s heute Abend auch nicht mehr helfen. Null-zwei hinten, im eigenen Stadion, das muss man sich mal vorstellen. Giovanni stellte mir ein neues Schälchen Nüsse hin und schob einen stumpfschwarzen Espresso daneben.
„Aufe die Hause, Charly.“
„Grazie.“
Hinter mir klingelte es, als kippte jemand 'ne Kiste Schrauben auf die Badezimmerfliesen. Jackpot. Die Hand des Albaners langte wieder über meine Schulter und warf ein paar Zwei-Euro-Stücke auf den Tresen. Der späte Elvis sagte noch etwas in irgendeinem süditalienischen Dialekt, den wohl nur Giovanni verstehen konnte. Dann war Ruhe.

Ich kippte den Espresso. Als ich nach den Nüssen griff hörte ich eine Stimme neben mir.
„Darf ich?“
Neben mir saß nun eine Frau, so um die vierzig, klein und zierlich, mit frecher Kurzhaarfrisur. Steht ihr gut, dachte ich.
„Bitte“, und ich schob die Schale ein Stück zu ihr.
„Und was meinst du, packen sie's noch? Ich denke, die reißen's noch rum.“
Ich schaute hinauf zum Bildschirm. Abwehrschlacht.
„Nee“, sagte ich, „nur noch zwanzig Minuten. Da geht nix mehr.“
„Ja, denk' ich auch.“
Wir lachten. Giovanni stellte uns noch ein Bier und eine Weinschorle vor die Nase.
„Denen fehlt einfach der letzte Pass“, sagte ich. „Bis zum Strafraum geht’s ja noch, aber dann …“
„Hätten halt nicht den Dingsdavic …“
„ ... Ivanovic?“
„Genau den, den hätten sie nicht verkaufen dürfen, die Nulpen.“
„Sag ich doch.“
Sie griff nach ihrer Schorle und prostete mir zu.
„Na dann, katastrowje.“
Ich nickte zurück. Wir tranken, unterhielten uns, aßen Nüsse und schauten nebenbei zu, wie das Null-drei fiel. Abpfiff.
„Null-drei, zu hause. 'brauchen gar nicht erst zum Rückspiel fahren“, sagte ich.
Sie nickte, schaute mich an und sagte: „Komm, lass uns gehen. Hier ist ja 'ne Stimmung wie zum Fasching auf der Wolfsschanze.“

Wir traten hinaus und gingen bis zur Promenade. Still und träge schleppte sich der Main wie ein schwarzes Band durch die Nacht. Bei 'Elviras-Büdchen' bogen wir wieder nach links in die Gassen, und nach drei Ecken standen wir vor ihrer Tür.
„Da wär'n wir“, sagte sie.
„Und nun?“
„Weiß net.“
„... mh...“
Sie schaute mich an, gab mir einen Kuss auf die Wange und sagte: „Na vielleicht willst du ...“
„... mir deine Briefmarkensammlung an schau'n?“
„Nee, vielleicht noch auf'n Kaffee?“
„Gern'.“

Das Licht der Schreibtischlampe tauchte ihr Wohnzimmer in zartes Karamell. Wir saßen nackt auf dem Sofa, atmeten ruhig und tief, schauten uns an und küssten uns wie zwei verspielte Teenager.
„Schön war's“, sagte sie.
„Ja, fand ich auch.“
Und ob's schön war. Klasse war's, Charly, einfach klasse. Sag's ihr doch, du Memme.
Ich blickte mich verlegen um. Sie griff nach einer Schachtel, die in der Zeitungsablage des Tisches lag, öffnete sie und hielt sie mir hin. Fünf Joints, einer so schön wie der andere. Konfektionsware, Herstellerabfüllung; jedenfalls nicht selbst gebaut, dachte ich mir.
„Was'n das", fragte ich.
„Schwarzer Afghane. Wollen wir?“
„Ich weiß nicht. Hab' schon ewig nicht.“
„Haste Angst?“
„Das nicht, ist halt wie beim Folkloreabend im Nudistencamp.“
„Kannst's dir ja noch überlegen.“
Sie zündete den Joint an, nahm einen tiefen Zug und reichte ihn dann zu mir. Es war bestimmt zwanzig Jahre her, als ich das letzte mal an einem Joint gezogen hatte. Ich nahm einen flachen Zug und sah zu, dass ich den Rauch wieder heraus bekam, bevor sich meine Bronchien meldeten.
„'machst wohl einen auf Clinton?“
Wir lachten. Sie saugte lang und tief, ließ den Rauch eine Ewigkeit in ihren Lungen, formte dann den Mund zu einem O und stieß ihn langsam wieder aus.
„Ohne zu husten, Respekt“, sagte ich.
„Husten ist kindisch. Wer husten muss, der sollte beim Brausepulver bleiben.“
„Ahoi“, sagte ich und übernahm den Joint ein weiteres mal.
So saßen wir nackt, reichten uns die Tüte hin und her, begannen manchmal einfach so zu kichern und fummelten albern am anderen herum. Mensch Charly, so schön kann's sein, das Leben. 'n bisschen Sex, 'n bisschen Dope und 'en Loch in die Gegend gucken. Gibt’s was schöneres auf der Welt?
„Haste denn öfter mal 'nen Joint am Start“, fragte ich.
„Manchmal, so zum Entspannen, rein therapeutisch, versteht sich.“
„Dumme Frage, aber wo kriegsten das Zeug her?“
„Die Albaner.“
„Nee.“
„Doch.“
„Und Giovanni?“
„Der tut so, als bekomme er's nicht mit. Denke aber, der kauft selbst bei denen.“
„Che Bastardo, und mir schiebt er den ganzen Abend die Nüsse über'n Tresen.“

Aber nun war keine Zeit dafür, sich den Kopf über Giovanni zu zerbrechen. Ich zog noch ein paar mal am Joint. Es ging nun besser. Husten ist kindisch; ich hielt mich dran. Und in meinen Gedanken flog ich nun über zinnoberrote Mohnfelder, die sich vom hintersten Zipfel Afghanistans bis zum 'Crow's Nest' erstreckten. In der Tür des 'Crow's Nest' stand Giovanni und winkte mit einem Joint von der Größe einer Calzone. Ich kicherte. Abgefahren, wirklich abgefahren. Ich legte mein Kinn auf ihre Schulter.
„Ich würd' gern die Nacht bei dir bleiben.“ Ich schaute ihr zu, wie sie den Rauch ausstieß.
„Oh, iss keine gute Idee.“
„Schade.“
Wir kicherten wieder.
„Aber vielleicht können wir ja am Samstag mal 'ne Runde mit den Rädern machen“, sagte sie.
„Un' wohin?“
„Nix Bestimmtes. 'n bisschen am Main entlang. Vielleicht bis Miltenberg, dort 'ne Pizza, un' dann zurück.“
Sie schaute mich an, küsste mich auf die Wange und sagte: „Mich würd's freuen.“
Ich werd's Derby verpassen, dachte ich. Ja verdammt, Charly, du verpasst das Derby. Aber alle Jahre gibt’s 'n Derby, zwei sogar. Also, wen kümmert's, dachte ich.
„Ich bin dabei“, sagte ich.
„Schön.“
 

Vagant

Mitglied
Hallo Uwe, danke für's Lesen und Kommentieren. Deinen Vorschlag habe ich sofort übernommen. Der Satz klingt nun wirklich besser. Bei so einer spontanen Sache gäbe es wahrscheinlich 1000 Baustellen. Hier etwas konkreter machen, dort etwas streichen, eine schönere Formulierung finden; na ja, du kennst das sicher, die Sache mit der nicht enden wollenden Textarbeit. Ich wollte das Ergebnis so pur wie möglich lassen. Aber dein Vorschlag für die kleine Änderung konnte ich dann doch nichts entgegen setzen.
Muss ich in solch einem Fall eine Co-Autorenschaft anbieten?

Vielleicht noch eine Frage: Der Text lohnt ja eigentlich keiner weiteren Betrachtung. Also hier muss man nicht nach Sinn oder Unsinn fragen, man wird vergeblich zwischen den Zeilen suchen - da ist nix, ist halt einfach nur ein bisschen trashige Unterhaltung. Aber eine Sache hat mir beim Schreiben dann doch etwas Kopfschmerzen bereitet. Mein Versuch, das gebrochene Deutsch von Giovanni quasi in Lautschrift wieder zu geben. Ist das in diesem Fall vielleicht zu viel in Richtung Comedy, oder passt es so in den Kontext, in den Erzählton? Ich würde mich über eine Rückmeldung freuen.
LG Vagant
 
U

USch

Gast
Hallo Vagant,
Aber eine Sache hat mir beim Schreiben dann doch etwas Kopfschmerzen bereitet. Mein Versuch, das gebrochene Deutsch von Giovanni quasi in Lautschrift wieder zu geben. Ist das in diesem Fall vielleicht zu viel in Richtung Comedy, oder passt es so in den Kontext, in den Erzählton? Ich würde mich über eine Rückmeldung freuen.
Das ist immer sehr problematisch als Lesetext, denn als Leser holperts dann immer, da es eine "Rechtschreibung" ist, die nicht gewohnt ist. Man muß die Sätze oft zweimal lesen, um sie zu verstehen. Als Text, der vom Autor vorgetragen wird, funktioniert das besser.
LG USch
 

Vagant

Mitglied
Ok Uwe, danke. ist wahrscheinlich wie beim Lesen von Dialektgeschichten. Ist auch immer schwierig.
Vagant
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Vagant, bin gespannt, wie sich die beiden weiterentwickeln. Ich lese es derzeit so: Wenn sie offenbar schon intim geworden sind - Szene auf dem Sofa - bedeutet eine Fahrradtour ein Rückschritt. Und wieso verweigert sie ihm Schlafzimmer und Bad, wenn er nackt auf dem Sofa sitzen darf? Ein bisschen unlogisch in meinen Augen.

Das andere hat mir aber alles sehr gut gefallen, schrieb ich ja schon, und die lautschriftliche Sprache macht den Text lebendig, auch wenn man ihn dann am besten laut liest. :) So etwas ist immer ein Gradwanderung.

Es ist nicht nötig, den Entstehenszusammenhang zu nennen, das Ergebnis macht's. Und nur wer nichts tut, macht keine Fehler.

LG Doc
 

Vagant

Mitglied
Hallo Doc, es ist so wie es sich liest. Ich habe da, ähnlich wie in einem Film, einen Schnitt gemacht, diese Stelle nicht geschrieben und bin erst in der "Nachbetrachtung" wieder eingestiegen. Natürlich sind sie schon intim geworden. Ich sehe es halt so; zwei selbstbestimmte Menschen, beide um die 40, er vielleicht ein paar Jährchen älter, trinken etwas zusammen, unterhalten sich, finden sich sympathisch, und dann passiert es halt. Ist ein Teil des großen Plans, Teil des Spiels (Spieltag). Ob dies nun so für jeden Ok ist, darf nicht mein Problem sein. Da kämen wir in den Bereich der moralischen Wertung, ähnlich der Joint-Episode, und da kann ich es als Autor ohnehin nicht jedem recht machen. Man hätte sagen können: gut, es war schön, aber ich habe da keine Lust auf mehr. Hat sie aber nicht. Ich sehe den Vorschlag für einen gemeinsamen Ausflug eigentlich eher als Versuch an, aus dem anfänglichen erotischen Abenteuer vielleicht etwas Festes, etwas mit Substanz wachsen zu lassen. Also mehr Fortschritt als Rückschritt. Ich denke, dass jeder diese Situation irgendwie kennt, oder jemanden kennt der einen kennt, der ...
Ob es nun irgendwann mal weitergeht? Ich kann's nicht versprechen.
LG Vagant
 

pseudodelic

Mitglied
Hi Vagant,

obwohl ich überhaupt kein Interesse an Fußball habe, gefällt mir deine Kurzgeschichte richtig gut.
Sehr reale Dialoge, Charaktere mit Potenzial und eine flüssige Schreibe.

Mir hätte es noch besser gefallen, wenn du etwas detailreicher auf die Situation, nachdem sie die Bar verlassen hatten, eingegangen wärst und die Gesprächsthemen der beiden etwas angeschnitten hättest, um als Leser zu erkennen, auf welcher Ebene die beiden „Fremden“ sich unterhalten- also; ihre Sympathie füreinander sollte deutlicher erkennbar sein.

Aber schlussendlich: eine schöne, einfach gehaltene und lebensnahe Geschichte.

Alex
 

Vagant

Mitglied
Hallo Alex, ich möchte dir auch noch kurz antworten. Erstmal Danke für diene Meinung. Also, ich bin da auch kein eigefleischter Fußballjunky, gehe aber zur Championsleague schon mal zum Sky schauen in eine Bar auf der Nachbarschaft. Also die Bar gibt es (heißt anders), Goivanni gibt es auch(heißt aber Toni), und die Speilautomaten kleben einem dort auch gleich im Rücken. Alles andere ist Autorenfantasie - und hier ist dann auch das Problem. Als Autor hat man ja ein konkretes Bild von seinen Protagonisten. Und da kann es passieren, das man zwar bis zur Farbe der Unterwäsche alles über seine Prots weiß, aber es vergisst, den Lesern die nötigen Sachen zu erzählen. Weil man meint, wenn ich es weiß, dann wird's der Leser wohl auch wissen. Also ich gebe dir da Recht. An der Stelle an der sie die Bar verlassen, genau dort bin ich zu ungenau gewesen, dort wäre der richtige Platz dafür geswesen, das Verhältnis der beiden näher zu beschreiben. Aber ich wollte es auch möglichst kurz halten. Sätze wie 'Wir lachten.' kommen sonst auch nicht so einfach aus meinen Fingern. Also, hier ist einiges der Form geschuldet die ich angestrebt hatte.
LG Vagant
 

Vagant

Mitglied
Spieltag

Und wieder fummelten Hände über meiner Schulter. Sie griffen nach dem Bier auf dem Tresen, stellten das Bier zurück, legten Kippen im Aschenbecher ab und fingerten nach dem Stapel Eurostücken für die Automaten, die hinter mir an der Wand des 'Crow's Nest' hingen. In meinem Rücken piepste es, als wäre dort 'ne Schar Spatzen mit der Aufzucht ihrer Jungen beschäftigt. Herrgott nochmal, tut das Not, dachte ich mir, und war mir nicht sicher, was mir gerade mehr an die Nieren ging, der Zustand, dass wir Null-zwei hinten lagen, oder der, dass trotz Europa-League-Spieltag die Automaten gefüttert werden, als gelte es ein verstoßenes Eisbärbaby durch den Winter zu bringen. Bleib ruhig Charly, bleib ruhig. Ich blickte kurz über meine Schulter und erkannte zwei Südländer. Südländer; was'n schönes Wort, dachte ich. Sonnenblume, Badewetter, Schirmchendrinks, Südländer – nein, passt net. Südländer ist negativ besetzt, kannste nix machen; nicht mal den Worten kannste noch trauen. Der eine von beiden war jung und schmal, halt wie alle dort im Süden, der andere war nicht viel größer, aber älter und dicker. Vielleicht sein Vater. Er hatte sein Haar pomadig in den Nacken gekämmt, und seine pechschwarzen Koteletten reichten ihm fast bis in die Mundwinkel; Typ später Elvis.

Ich winkte nach Giovanni, der gerade hinterm Tresen stand.
„Che succede?“, kramte ich nach ein paar Brocken Italienisch.
Giovanni fuchtelte mit seinen spaghettidürren Armen wild in der Luft.
„Non lo so.“
„Giovanni, tu was, bitte! Ist ja nicht zum aushalten.“
„Sinne Albaner, kanne tue nixe.“
„Ach, du kennst die?“
„Si si.“
Giovanni winkte mich zu sich, legte seine Lippen an mein Ohr und sagte: „Du wisse, in meine Dorfe man sage, du treffe eine Albaner un eine Wolfe, du erschieße Albaner, lasse die Wolfe laufen.“
„Und, wann schießt du?“
„Ach, sinne scheiße Gesetze inne Deutschlande.“
„Dann gib mir noch'n paar Nüsse, die beruhigen.“
„Vabbene.“

Ich schaute wieder auf den Bildschirm überm Tresen. Der Automat in meinem Rücken stimmte eine jämmerlich einstimmige Version des Yankee-Doodle an; wahrscheinlich um irgend einen Gewinn anzukündigen. Drei Bananen, vier Kirschen, 'nen Obstteller. Wen kümmerts? Meiner Elf wird’s heute Abend auch nicht mehr helfen. Null-zwei hinten, im eigenen Stadion, das muss man sich mal vorstellen. Giovanni stellte mir ein neues Schälchen Nüsse hin und schob einen stumpfschwarzen Espresso daneben.
„Aufe die Hause, Charly.“
„Grazie.“
Hinter mir klingelte es, als kippte jemand 'ne Kiste Schrauben auf die Badezimmerfliesen. Jackpot. Die Hand des Albaners langte wieder über meine Schulter und warf ein paar Zwei-Euro-Stücke auf den Tresen. Der späte Elvis sagte noch etwas in irgendeinem süditalienischen Dialekt, den wohl nur Giovanni verstehen konnte. Dann war Ruhe.

Ich kippte den Espresso. Als ich nach den Nüssen griff hörte ich eine Stimme neben mir.
„Darf ich?“
Neben mir saß nun eine Frau, so um die vierzig, klein und zierlich, mit frecher Kurzhaarfrisur. Steht ihr gut, dachte ich.
„Bitte“, und ich schob die Schale ein Stück zu ihr.
„Und was meinst du, packen sie's noch? Ich denke, die reißen's noch rum.“
Ich schaute hinauf zum Bildschirm. Abwehrschlacht.
„Nee“, sagte ich, „nur noch zwanzig Minuten. Da geht nix mehr.“
„Ja, denk' ich auch.“
Wir lachten. Giovanni stellte uns noch ein Bier und eine Weinschorle vor die Nase.
„Denen fehlt einfach der letzte Pass“, sagte ich. „Bis zum Strafraum geht’s ja noch, aber dann …“
„Hätten halt nicht den Dingsdavic …“
„ ... Ivanovic?“
„Genau den, den hätten sie nicht verkaufen dürfen, die Nulpen.“
„Sag ich doch.“
Sie griff nach ihrer Schorle und prostete mir zu.
„Na dann, katastrowje.“
Ich nickte zurück. Wir tranken, unterhielten uns, aßen Nüsse und schauten nebenbei zu, wie das Null-drei fiel. Abpfiff.
„Null-drei, zu hause. 'brauchen gar nicht erst zum Rückspiel fahren“, sagte ich.
Sie nickte, schaute mich an und sagte: „Komm, lass uns gehen. Hier ist ja 'ne Stimmung wie zum Fasching auf der Wolfsschanze.“

Wir traten hinaus und gingen bis zur Promenade. Still und träge schleppte sich der Main wie ein schwarzes Band durch die Nacht. Bei 'Elviras-Büdchen' bogen wir wieder nach links in die Gassen, und nach drei Ecken standen wir vor ihrer Tür.
„Da wär'n wir“, sagte sie.
„Und nun?“
„Weiß net.“
„... mh...“
Sie schaute mich an, gab mir einen Kuss auf die Wange und sagte: „Na vielleicht willst du ...“
„... mir deine Briefmarkensammlung an schau'n?“
„Nee, vielleicht noch auf'n Kaffee?“
„Gern'.“

Das Licht der Schreibtischlampe tauchte ihr Wohnzimmer in zartes Karamell. Wir saßen nackt auf dem Sofa, atmeten ruhig und tief, schauten uns an und küssten uns wie zwei verspielte Teenager.
„Schön war's“, sagte sie.
„Ja, fand ich auch.“
Und ob's schön war. Klasse war's, Charly, einfach klasse. Sag's ihr doch, du Memme.
Ich blickte mich verlegen um. Sie griff nach einer Schachtel, die in der Zeitungsablage des Tisches lag, öffnete sie und hielt sie mir hin. Fünf Joints, einer so schön wie der andere. Konfektionsware, Herstellerabfüllung; jedenfalls nicht selbst gebaut, dachte ich mir.
„Was'n das", fragte ich.
„Schwarzer Afghane. Wollen wir?“
„Ich weiß nicht. Hab' schon ewig nicht.“
„Haste Angst?“
„Das nicht, ist halt wie beim Folkloreabend im Nudistencamp.“
„Kannst's dir ja noch überlegen.“
Sie zündete den Joint an, nahm einen tiefen Zug und reichte ihn dann zu mir. Es war bestimmt zwanzig Jahre her, als ich das letzte mal an einem Joint gezogen hatte. Ich nahm einen flachen Zug und sah zu, dass ich den Rauch wieder heraus bekam bevor sich meine Bronchien meldeten.
„'machst wohl einen auf Clinton?“
Wir lachten. Sie saugte lang und tief, ließ den Rauch eine Ewigkeit in ihren Lungen, formte dann den Mund zu einem O und stieß ihn langsam wieder aus.
„Ohne zu husten, Respekt“, sagte ich.
„Husten ist kindisch. Wer husten muss, der sollte beim Brausepulver bleiben.“
„Ahoi“, sagte ich und übernahm den Joint ein weiteres mal.
So saßen wir nackt, reichten uns die Tüte hin und her, begannen manchmal einfach so zu kichern und fummelten albern am anderen herum. Mensch Charly, so schön kann's sein, das Leben. 'n bisschen Sex, 'n bisschen Dope und 'en Loch in die Gegend gucken. Gibt’s was schöneres auf der Welt?
„Haste denn öfter mal 'nen Joint am Start“, fragte ich.
„Manchmal, so zum Entspannen, rein therapeutisch, versteht sich.“
„Dumme Frage, aber wo kriegsten das Zeug her?“
„Die Albaner.“
„Nee.“
„Doch.“
„Und Giovanni?“
„Der tut so, als bekomme er's nicht mit. Denke aber, der kauft selbst bei denen.“
„Che Bastardo, und mir schiebt er den ganzen Abend die Nüsse über'n Tresen.“

Aber nun war keine Zeit dafür, sich den Kopf über Giovanni zu zerbrechen. Ich zog noch ein paar mal am Joint. Es ging nun besser. Husten ist kindisch; ich hielt mich dran. Und in meinen Gedanken flog ich nun über zinnoberrote Mohnfelder, die sich vom hintersten Zipfel Afghanistans bis zum 'Crow's Nest' erstreckten. In der Tür des 'Crow's Nest' stand Giovanni und winkte mit einem Joint von der Größe einer Calzone. Ich kicherte. Abgefahren, wirklich abgefahren. Ich legte mein Kinn auf ihre Schulter.
„Ich würd' gern die Nacht bei dir bleiben.“ Ich schaute ihr zu, wie sie den Rauch ausstieß.
„Oh, iss keine gute Idee.“
„Schade.“
Wir kicherten wieder.
„Aber vielleicht können wir ja am Samstag mal 'ne Runde mit den Rädern machen“, sagte sie.
„Un' wohin?“
„Nix Bestimmtes. 'n bisschen am Main entlang. Vielleicht bis Miltenberg, dort 'ne Pizza, un' dann zurück.“
Sie schaute mich an, küsste mich auf die Wange und sagte: „Mich würd's freuen.“
Ich werd's Derby verpassen, dachte ich. Ja verdammt, Charly, du verpasst das Derby. Aber alle Jahre gibt’s 'n Derby, zwei sogar. Also, wen kümmert's, dachte ich.
„Ich bin dabei“, sagte ich.
„Schön.“
 

sonah

Mitglied
Hallo Vagant,

mir gefällt diese Geschichte sehr gut und ich musste eine Weile überlegen, was genau mir daran gefällt. So ganz schlüssig bin ich mir immer noch nicht.

Zuerst ein paar Eindrücke von mir:

Mir gefällt der Einstieg gut, sehr lebendig, der Protagonist und damit auch der Autor ist (zumindest mir) sofort sympathisch, weil er so authentisch rüberkommt in seinem Genervtsein. Ich fühle mich mitten drin, im Geschehen. Gegen Ende flacht es für mich etwas ab, die Eindrücke werden weniger intensiv. Das mag am Tempo liegen und den Dialogen.

Ich lese als Leserin mehr Intimität in der "Beziehung" zwischen Charly und Giovanni, sie sind sich vertraut, sie verstehen ohne viel Worte, was der andere meint. Ich glaube, der Prot ist jemand, der nicht sofort mit Menschen warm wird.

Charakterisierung der Frau bleibt etwas oberflächlich, da wäre ich sehr gespannt auf eine Fortsetzung, wäre nett, wenn Du sie hier in diesem Thread ankündigen könntest

Man kann jedoch ganz gut herauslesen, dass sie es dem Protagonisten wirklich angegetan hat.

Ich kann das gut verstehen, mit dem nicht die Nacht verbringen. Dass es der Frau zuviel Intimität von jetzt auf gleich ist, auch wenn sie vorher miteinander geschlafen haben.

Auch die politische Korrektheit, darf man das überhaupt aussprechen, dass "Südländer" negativ besetzt ist. Ja, man darf, aber hier in der Geschichte wird es sehr geschickt gemacht, es wird nämlich eine Aussage Giovanni - selbst ein "Südländer" - in den Mund gelegt.

Die Szene mit dem Joint finde ich fast zu lang, aber dann wird der Bogen geschlagen zu Giovanni, dem Bastardo: gut gelungen.

"Und in meinen Gedanken flog ich nun über zinnoberrote Mohnfelder, die sich vom hintersten Zipfel Afghanistans bis zum 'Crow's Nest' erstreckten."
Das ist sehr schön, da hast Du - nur für einen klitzekleinen Augenblick - Deine poetische Seite - wenn auch cannabisumnebelt - gezeigt.

Wenn Du diesen Text ohne viele Korrekturen mal so eben in die Tastatur gehauen hast, hast Du damit meinen Neid und auch meine Bewunderung geweckt.

Insgesamt würde ich an der Geschichte - so wie sie jetzt ist - nichts ändern.

Sybille
 

Vagant

Mitglied
hallo sybille,
danke fürs lesen, kommentieren und bewerten.

ich beginne mal in wahlloser reihenfolge zu den einzelnen punkten stellung zu nehmen.

SPONTANTEXT / FORTSETZUNG:
ja. in der frühstückspause den plot skiziert, in der mittagspause ein paar dialoge versucht, abends getippt, dann hochgeladen, und danach - man sieht es an den vielen versionen – ewig daran herum geschraubt. was ich damit sagen möchte: vorsicht bei spontantexten. Ich denke, dass das nicht der richtige weg ist. je nach talent gelingt dies vielleicht ein mal, bei talentierteren autoren vielleicht noch ein zweites mal, aber nach wie vor gilt das alte hemingwayzitat 'die erste version ist immer scheiße' (entschuldige den harten ausdruck, aber so ist es überliefert). Schon die darauf folgende geschichte ( ''am fluss'', hier zu lesen), eine woche später, war schon nicht mehr nur eine freitags-geschichte, sondern eine mittwoch-bis-freitag-geschichte; und ich hätte besser einen montag-bis-freitag-geschichte daraus machen sollen. sprich hemingway. eigentlich wollte ich dort die geschichte der beiden weiter spinnen. ich bin dann aber zu lange beim protagonisten hängengeblieben, habe noch eine figur aus einer älteren storie mit ins boot genommen und mich dabei völlig im plot verfranst. zwei weiterführende stories zum thema wurden noch vor der entbearbeitung von mir verworfen. Fazit: neid ist hier fehl am platz.

POLITISCHE KORREKTHEIT: ich denke, die angst vor kitsch und klischees ist die mutter aller langweiligen texte. Es ist so, wie du es sagst; es kommt drauf an, wer in einem text etwas sagt. und wenn ich einer figur gerecht werden will, darf ich auch keine angst vor eine eventuellen moralischen entrüstung des lesers haben. also: moralinsaure gedanken und ein ausgeprägter hang zur pc sind beim schreiben ein schlechter ratgeber.

CHARAKTERISIERUNG DER FRAU: da hast du recht. das war in der storie allerdings auch nie angelegt. ich denke, dass es in einer shortstorie immer figuren, szenen und sets geben wird die einfach so da sind, die ich als leser einfach mal so hinnehmen muss, da für dessen erklärung in einer kurzgeschichte einfach nicht die zeit ist. aber das ist nur die halbe wahrheit. frauencharakter liegen mir nicht besonders. oft geraten sie mir zu eindimensional, zu holzschnittartig. mag sein, dass mir da ein wenig der zugang fehlt.

CHARLIE / GIOVANNI: man versteht sich ohne viel bla-bla. quasie männerding – vorsicht klischee. dann ist da noch diese spezielle konstellation; wirt – kunde. du findest keinen wirt, der dir seinen freundschaft verweigern wird; selbst wenn du nur auf der durchreise bist. die beziehung der beiden funktioniert wohl auf verschiedenen ebenen, auf der einen seite eine geschäftliche, auf der andern eine freundschaftliche. männer analysieren solche dinge nicht bis ins kleinste detail, und zwischen charlie und giovanni scheint es genau auf dieser basis ja gut zu funktionieren.

...AM ENDE FLACHT ES AB...:ich denke, dass es uns allen immer ganz gut gelingt stimmungen und atmosphäre zu erzeugen, und die probleme immer erst dann beginnen, wenn es darum geht die handlung nach vorn zu treiben. die falsche gewichtung der einzelnen textelemente ist sicher einer fehlenden überarbeitung geschuldet – das hätte man mit etwas mehr sorgfalt sicher 'runder' machen können.

MEINE POETISCHE SEITE: das hast du aber schön gesagt. aber mal im ernst: die poetischen ausflüge sind in meinen texten sicher seltener zu finden. trotzdem versuche ich immer mehrere sprachebenen zu finden: vom nüchternen erzählbericht, über poetisch atmosphärische eindrücke, bis zu oralen, also wirklichkeitsnahen dialogen. Ich mag es, wenn ein text mehreren sprachlichen diktionen folgt, und nicht nur auf einer sprachebene dahin plätschert. dies lässt einen text lebendiger erscheinen. bei guten autoren spricht man dann wohl von einer ausgefeilten stilistik, bei uns minderbemittelnden heißt es dann: netter versuch;-)

das solls nun gewesen sein. nochmal danke für die beschäftigung mit dem text, und vielleicht nehme ich das thema ja nochmal auf, schaun wir mal.

lg vagant.
 

sonah

Mitglied
Hallo Vagant,

danke für die ausführliche Antwort. Und ich glaube auch, man kommt um das Überarbeiten nicht herum, das war nicht nur Hemingway, der sich mit seinem ersten Entwurf den Hintern abgewischt hat (jetzt nicht wörtlich zu nehmen!).

Und trotz meinen ausführlichen Anmerkungen bleibt noch zu betonen: mir hat die Geschichte gefallen.

Wegen "Im Nebel". Hmm, da hab ich wohl geschlafen. Hätte mir Deine gesammelten Werke durchlesen sollen, bevor ich so schlaumeierhaft kommentiere, aber ich freue mich, dass es noch weiteren "Lesestoff" gibt.

Sybille
 



 
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