Sportler und Zuschauer

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Kafkarules

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Sportler und Zuschauer

Bahn, Zeit, Spiel und Ziel sitzen schlecht rasiert auf ihrem Dach in ungebügelter Kleidung. Sie tragen bunte Hüte, denn die Sonne steht tief und der Wind pfeift unbarmherzig über die Dächer. Braun und rot ist ihre Haut, denn ihre weißen Kostüme schützen nur ungenügend vor der Sonne.
Neben ihnen stehen gut gefüllte Körbe mit Wein, Käse, Brot, Oliven und Trauben. Nicht benötigter Proviant wird hinter Holztüren gelagert, doch bisher gab es immer Essen im Überfluss und Bahn, Zeit, Spiel und Ziel verfolgen den Wettkampf mit einem nicht zu ignorierenden Völlegefühl im Bauch, dick und fett geworden sind sie im Laufe der Jahre.
Im Sommer sind die Tage grau und stickig und manchmal trägt der Wind den Kot- und Uringeruch von den anderen Dächern herüber, der sich schnell mit Schweißgeruch der Zuschauer vermischt und als stinkende Rauchsäule über ihren Köpfen entlädt, die sich trotz flirrender Hitze nur selten die weißen Kostüme vom Leib reißen.
Im Winter fährt ein eisiger Wind wie ein verstörter Engel unter ihre Kleidung und klopft an den durchs Zuschauen mumifizierten Körpern.
„Schön dünn müssen sie sein!“ beginnt Bahn, nimmt eine Olive zwischen zwei Finger, wirft sie fast waagerecht in die Luft, beugt den Kopf etwas zurück und fängt sie auf mit dem Mund, „ausgemergelt am besten“, fährt Ziel fort „was sie leisten soll sichtbar sein,“ Spiel nickt mit dem Kopf zur Bekräftigung, „Haut und Knochen“, unterbricht ihn Sieg, „ich sage immer, gebt ihnen nicht viel“. In diesem Moment entdecken sie die Silhouette eines Sportlers am Horizont.

Der Sportler nimmt die Zuschauer nicht sofort wahr, denn vielen steht der Schweiß im Gesicht, die Luft schmerzt, die Geräusche sausen in den Ohren und an Armen und Beinen die eigenen Bewegungen wie Ketten. Der Kopf ein flüchtendes Nichts, das eigene Leben ist von der Welt getrennt, vor den Augen die Konturen der Landschaft - schwankend, Häuser und Straßen ein bewegliches Ende, flüchtend und kalt.
Lieber tot liegenbleiben jetzt, nichts lieber als das, leicht wäre es, eine Bewegung nur, loslassen, der Körper ist längst soweit. Doch dann wischt sich der Sportler doch wieder den Schweiß aus dem Gesicht. Es ist meine Natur, denkt er, ein Sportlerleben soll so nicht enden, Sportler auf zum Streite, tretet in den Richtweg - Kraft und Mut geleite euch.
Eine feste Burg ist ihr Körper, treu hat sie gedient, die alte Maschine. Herz und Lungen scheinen anders geformt, die Blutgefäße atypisch, Füße und Beine gestählt, laufen fast wie von selbst.
Der Sportler tut, was er kann. Unbarmherzig glaubt er davonzukommen jeden Tag, obwohl die Sportler häufig schneller laufen als notwendig, um den Zuschauern einen Gefallen zu tun. So sind sie die Sportler, sie überlasten den Kreislauf, doch Zusammenbrüche sind selten geworden und sollte ein Sportler doch einmal liegenbleiben und nicht mehr aufstehen, so glauben die Zuschauer, dass sich ein notwendiges Schicksal an ihm vollzieht.

Bahn, Zeit, Spiel und Ziel scheinen bewegungslos, fast tot auf den Dächern zu verharren, doch haben sie ein untrügliches Gespür für den Wettkampf entwickelt und auch wenn tagelang kein Sportler am Horizont erscheint, so regen sie sich doch in Sekunden. Blitzschnell springen sie dann auf wie jetzt, bemühen Fernglas und Feldstecher, schwenken die Hüte und tanzen in ihren weißen Gewändern mit großen Schritten über das Dach, stelzen breitbeinig oder heben ihre Füße graziös in die Luft, was wie sie genau wissen, für die Sportler in einiger Entfernung aussieht wie fliegende Engel und für einen Moment erscheint dem Sportler dann so, als sei er angekommen, das Ziel endlich in Sicht.
Auch die anderen Zuschauer haben nun die ersten Anfeuerungsrufe begonnen. Die Luft ist explodiert, vielstimmig, hundertfach und sprachverwirrt treibt der Wind sein eigenes Spiel mit den Haaren der Zuschauer.
Die Wege sind weit in dieser Stadt, Schleichwege und Abkürzungen gibt es nicht. Unbekanntes Hinterland wird täglich erschlossen, Ödnis und Leere nutzbar gemacht, auch wenn niemand weiß wie weit noch gebaut werden kann. Der Hunger nach Leistung ist groß, was die Nachfrage nach Wohnraum unaufhörlich emportreibt. Delikatess- und Spirituosenhändler drängen auf Mehraufträge und auch die Sportler wollen von einer täglich wachsenden Menge angefeuert werden. So entwickelt sich die Stadt mit den Leistungen der Sportler und jeden Tag ist ein längerer Weg zu bewältigen. Gelaufen wird nicht über die Stadt hinaus – so ist die Regel. Niemand kennt die gesamte Strecke und selbst wenn sie einem Zuschauer bekannt wäre, so würde sein Leben nicht ausreichen, die gesamte Strecke zu gehen, so groß ist die Stadt mit den Jahren geworden.

Als der Sportler schnell näherkommt, verdoppeln Bahn, Zeit, Spiel und Ziel ihre Anstrengungen. Sie trampeln, werfen das erste Papier, rudern mit ihren Armen immer wieder. „Leistung! Leistung“ skandieren sie jetzt, springen in die Höhe, recken die Faust gen Himmel. Aufstampfen und noch lauter schreien müssen sie jetzt, damit der Sportler sie hört. Sichtkontakt ist wichtig, so haben sie es immer gehalten und manchmal haben sie schon geglaubt, dem Sportler in die Augen gesehen zu haben, obwohl das auf die Entfernung kaum möglich ist und der Sportler längere Zeit den Kopf nach oben richten müßte, denn meist schauen die Zuschauer auf die glattrasierten Köpfe der Sportler und sehen auf dem kahlen Haupt eine ausgestreckte Hand, ein lachendes Gesicht oder Blumen - Tätowierungen als Gruß des Sportlers an die Zuschauer.

Die Augen des Sportlers sind wäßrig und eng, Schweiß oder Tränen trüben den Blick. Der Körper ist gestählt von der Luft, gefällt von den Winden und gestrafft vom unerbittlichen Untergrund. Vorbei ist die Zeit der Schimären, näher kommen die Dächer, näher die weißen Gewänder, dicke Körper in weißen Gewändern, übergewichtig - tanzend und schreiend, Flasche und Glas in der Hand.

Wenn Zeit wäre, würde der Sportler auch Bahn, Zeit, Spiel und Ziel zuwinken, die in diesem Moment werfen mit Gläsern, mit vollen. „Wir geben! Wir geben!“ schreien sie, der Sportler hält unten den Mund auf, um zu kosten das edle Naß. Er muss schnell schlucken, denn Zeit darf nicht verloren werden.
Gern würde er ihre goldenen Zähne sehen, die sie sich manchmal herausreißen und wie zum Spaß nach unten schleudern, auf dass die Sportler ihnen nachjagen, sich vielleicht überschlagen, während ihnen vor lauter Glück der Speichel aus dem Mund tropft. Doch unerbittlich ticken die Sekunden, seine eigenen Bewegungen peitschen den Sportler vorwärts. Er ist unterwegs, er bleibt in Bewegung, es ist seine Natur.

Schließlich dreht der Sportler Bahn, Zeit, Spiel und Ziel den Rücken zu, unspektakulärer Abschied, eine Handbewegung, die mühelos erscheint. Er verschwindet jetzt aus dem Blickfeld, einen Moment ist noch der muskulöse Rücken zu bewundern, Staub wirbelt er auf und dann ist er in eine Seitengasse eingebogen und fast schon nicht mehr zu sehen.

Bahn, Zeit, Spiel und Ziel sitzen bereits wieder, sind zurück in ihre Kissen gesunken und ruhen sich aus. Sie verschränken die Arme hinter den Köpfen. Eine Olive liegt zwischen ihren Lippen und sie haben längst ein neues Glas Wein in der Hand. Die Körbe werden leerer, Weinflaschen werden entkorkt und manchmal steht einer von ihnen auf, um ein paar Anchovis, ein Glas Sekt oder eine Dose mit Hummercreme zu holen.

Vielleicht erscheint in ein paar Stunden oder morgen ein anderer Sportler am Horizont. Hoffentlich verpassen wir nicht den nächsten, kommt es ihnen in den Sinn, als sie sich über ihren gut gefüllten Bauch streichen und feststellen, wie müde sie inzwischen geworden sind.
 
hallo Kafkarules

Im Sommer sind die Tage grau und stickig und manchmal trägt der Wind den Kot- und Uringeruch von den anderen Dächern herüber, der sich schnell mit Schweißgeruch
Wenn du hier "Kot- und Uringestank schreiben würdest, dann könntest du den doppelten Geruch umgehen.

„was sie leisten[blue]Komma[/blue] soll sichtbar sein,“ Spiel
die Geräusche sausen in den Ohren[blue]Komma[/blue] und an [blue]den[/blue] Armen und Beinen[blue]Komma[/blue] die eigenen Bewegungen wie Ketten.
Ohne den Kommas, ist der Satz schwierig-stolpernd zu lesen.

So sind sie[blue]Komma[/blue] die Sportler, sie überlasten den Kreislauf,
Blitzschnell springen sie dann auf[blue]Komma[/blue] wie jetzt, bemühen Fernglas und Feldstecher, schwenken die Hüte und tanzen in ihren weißen Gewändern mit großen Schritten über das Dach, stelzen breitbeinig oder heben ihre Füße graziös in die Luft, was[blue]Komma[/blue] wie sie genau wissen, für die Sportler in einiger Entfernung aussieht wie fliegende Engel und für einen Moment erscheint dem Sportler dann so, als sei er angekommen, das Ziel endlich in Sicht.
auch wenn niemand weiß[blue]Komma[/blue] wie weit noch gebaut werden kann.
Wenn Zeit wäre, würde der Sportler auch Bahn, Zeit, Spiel und Ziel zuwinken, die in diesem Moment [strike]werfen[/strike] mit Gläsern [blue]werfen[/blue], mit vollen.
Die Körbe [strike]werden leerer[/strike][blue]leeren sich[/blue], Weinflaschen werden entkorkt und manchmal steht einer von ihnen auf, um ein paar Anchovis, ein Glas Sekt oder eine Dose mit Hummercreme zu holen.
um 2x mal werden zu umgehen.

Hat mir gut gefallen. Die Idee, sehr sogar.

schöne grüße
gernot
 
B

bluefin

Gast
lieber @kafkarules, nicht alles publikum eignet sich zur beschimpfung. das von dir verächtlich gemachte hauste so noch nie in den stadien der welt, sondern fläzt auf dem kanapee, und es delektiert sich nicht an rebsaft und hummercrèmes, sondern an flaschenbier und kartoffelchips...*burp*...

ins stadion eilt der so genannte "fan", egal, ob's um fußball, handball oder leichtathletik geht. er ist nie unzureichend gekleidet, sommers nicht wie winters, und er ist meist ziemlich sachverständig, oder glaubt es wenigstens zu sein. mitunter spalten sich die stadien in lager, und es kommt vor, dass diese vor leidenschaft aneinander geraten.

eine (bösartige) satire sitzt nur, wenn sie auf dem boden der tatsachen keimt. stimmen die fakten nicht oder wird sie zu weit an der wirklichkeit vorbei geschrieben, lahmt sie.

ganz schrecklich finde ich den schwulst, der hier dem "sportler" angedichtet wird. solche phrasen waren vor langer zeit mal im gebrauch, aber auch (oder gerade) da waren sie falsch. ein wettkämpfer arbeitet nie für das publikum, sondern gegen sich, gegen den konkurrenten und gegen die uhr oder das maßband. ihn beherrscht nicht das publikum, wie du schreibst, sondern ein system, das alle miteinander missbraucht: den zuschauer genauso wie den sportler.

insoweit halte ich, bei allem sprachlichen geschick, das du zeigst, diesen versuch für missraten. ein bisschen zu sehr die simple "es lebe der sport"-nummer, wobei der fendrich sein publikum in der tat vor den color-tv platzierte.

tipp: besser reflektieren, was einen fan in die eishalle und eine frau pechstein so weit brächte, bei der unterzeichnung eines vertrags mit dem teufel die feder ins eigene blut zu tauchen.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 
O

Open Mike

Gast
Der Sportler nimmt die Zuschauer nicht sofort wahr, denn vielen steht der Schweiß im Gesicht, die Luft schmerzt, die Geräusche sausen in den Ohren und an Armen und Beinen die eigenen Bewegungen wie Ketten.
Derlei Unstimmigkeiten lassen vermuten, dass auch anderes (wie "nimmt eine Olive zwischen zwei Finger, wirft sie fast waagerecht in die Luft, beugt den Kopf etwas zurück und fängt sie auf mit dem Mund") nicht wirklich durchdacht ist.

om
 



 
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