Sprachklang – Satz-Rhythmik

jon

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"Zu lange Sätze!" ist ein häufiger Kritikpunkt. Der bezieht sich aber meist auf die Verständlichkeit bei Schachtelsätzen, seltener auf das "Atemlos werden beim Lesen". "Zu kurze Sätze" werden selten angemerkt. Dabei ist der Satzbau ein ganz starker Träger für die Stimmung eines Textes.

Die Regel „Kurze Sätze = Aktion, lange Sätze = Ruhe“ stimmt dabei auch nur bedingt. Die Interpunktion entscheidet – sie schreibt den Rhythmus vor, das „Atmen" beim Lesen. Jeder Punkt ist ein deutliches Atemholen, jedes Komma ein kleines Atemholen. Eine Szene, bei der man atemlos wird, ist mit einem Kettensatz also durchaus gut zu vermitteln. Oder mit so vielen kurzen Sätzen, dass man zu hyperventilieren beginnt…

Auch wenn es darum geht, dem Text eine innere Dynamik zu geben, damit das Lesen nicht ermüdet oder gar langweilt, ist die Rhythmik entscheidend. Denn selbst wenn der Plot turbulent ist – wenn er in monotonem Klang dahinerzählt wird, schläfert es ein.


AUFGABE:
Schreibt ein Szene, in der sich entweder eine Spannung aufbaut oder in der "Action" anschwillt.
Wer eine weiterreichende Plot-Idee hat kann gern ein "Auf und Ab", ein "wiederholtes An- und Entspannen" schreiben.
 

atemholz

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Versuch

Durchlassen! Bitte, lassen sie mich durch.
Ich habe es eilig. Au! Mein Brustbein. Wo kommen all die Menschen her. Verzeihung, darf ich mal. Danke. Weiter. Vorwärts. Treppen, Schaufenster, eine rote Ampel, egal! Jetzt noch die letzten Straßen, Gassen, da, ich sehe schon das Wasser. Meine Tasche! Wo ist meine Tasche geblieben? In der Bahn, das Gedränge, da muss doch jemand...
Ich stolpere auf die Anlegebrücke. Halt! Ich muss mit. Haaalt! Aaaanhaaaalteeen!
Gurgelnde Geräusche (des abdampfenden Kutters).

Zu spät. Das war die letzte Fähre. Es wird dunkel. Ich sehe die Lichter über das Wasser gleiten.
 

jon

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Michaela lehnte sich auf ihrem Stuhl weit zurück und sog den Duft der Zentrale ein. Es roch nach Frische und ein bisschen nach Metall. Natürlich roch Metall nach nichts, aber Michaela wollte kein anderes Wort dafür finden. Es tat gut, einfach so zu sitzen, das leise Rumoren der Crew um sich herum, ab und zu ein Klicken oder Summen oder das Rascheln von Stoff. Nachtschichtatmosphäre.
Michaela unterdrückte ein Gähnen und schaute auf den Hauptbildschirm. Sterne glommen im Schwarz. Hier draußen waren die Lichter dünn gesät, fast so dünn wie am irdischen Nachthimmel. Nur flimmerten sie hier nicht, sie waren starr und strahlenlos. Beruhigend ruhig. Selbst der runde gelbrötliche Fleck in der Mitte des Bildschirms, auf den die "Explorer" zuhielt, schien reglos. Michaelas Gedanken begannen, um diesen Fleck zu kreisen, ganz langsam, ganz stetig. Wie hypnotisiert. Am Rande ihrer Wahrnehmung spürte sie Leonard in die Zentrale treten, sie wandte sich nicht um.
„Er ist tot.“
Michaela schaute auf. „… was?"
Leonard sah auf den Hauptbildschirm und wiederholte: „Er ist tot."
Sie stand auf, viel zu langsam wie ihr schien. „Boor?"
Er nickte.
Das Klicken irgeneiner Anzeige fiel in die erstarrte Zentrale.
„Aber…", suchte Michaela nach Worten. „Wieso um Himmels Willen?"
„Keine Ahnung.“
„… keine …" Sie sog tief und scharf Luft ein.
„Ich weiß es nicht!", rief Leonard. „Ich weiß es einfach nicht!"
Jemand in der Zentrale schluckte hart. Michaela sah sich nicht um. Sie legte Leonard die Hand auf den Arm, sagte "Komm!" und ging mit ihm ihren Bereitschaftsraum.
„Also", begann sie, als Leonard sich in den großen Sesseln gesetzt hatte, und reichte ihm ein Glas Bourbon. „Was ist passiert?"
Er atmete tief durch „Ich habe keine Ahnung, Micha. Er dürfte nicht tot sein, er hatte nur eine Marsgrippe."
„Kann es mit der Prügelei zusammenhängen?"
„Ach was!", winkte Leo ab. „Da wären kaum blaue Flecken geblieben, geschweige denn ernsthafte Schäden. Nein."
„Also doch die Grippe …?"
„Die Viren sind nicht anders als sie immer sind. Ich habe das schon bei den ersten Grippesymptomen gecheckt."
„War es… Herzversagen, etwas Neurales oder … Herrgott du bist der Arzt, was genau ist denn passiert?"
„Ich bin nicht sicher."
„Leo, bitte …"
„Ich weiß es doch nicht! Das…" er stellte das Glas so heftig auf den Tisch, dass der Whiskey überschwappte, "… das dürfte es gar nicht geben!"
„Was verdammt noch mal dürfte es nicht geben?!"
Er senkte den Kopf, sichtbar um Sammlung bemüht. „Die Aufzeichnungen sagen, dass die Gehirnaktivität erlosch, das Herz aussetzte und die vegetativen Impulse in Milz und Nieren verschwanden."
„… in dieser Reihenfolge?"
„Gleichzeitig.“
„Wie: Gleichzeitig?"
„Im selben Bruchteil einer Sekunde."
Michaela nahm das Glas und setzte sich Leonard gegenüber auf die Couch. Sie lehnte sich zurück und musterte ihn. „Das ist nicht sehr logisch, oder?"
„Nein", sagt er, „ist es nicht.“
 



 
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