Stammgast bei Ernestine's

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Amadis

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Diese Story ist eine Variation meiner Ganesian-Geschichte. Vielleicht gefällt sie trotzdem ...

Stammgast bei Ernestine's

Wayne MacMurray war bester Laune, als er aus dem Empfangsbereich des Ferntransmitters von Lake Monroe, British Columbia, trat. Immerhin hatte er einen einwöchigen Angelurlaub in dieser wilden Bergregion vor sich. Bei sich trug er seine beiden besten Angelruten, eine Kunststoffbox mit Ködern, Haken und anderen Utensilien, sowie eine kleine Reisetasche, in der er seine Kleidung verstaut hatte.
„Guten Morgen, Sir“, schnarrte der Begrüßungsrob.
Es war ein älteres Modell aus einer Serie, die Wayne nicht kannte, wie überhaupt alles im Terminal recht altmodisch wirkte. „Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise.“
Der Rob hielt Wayne einen Flyer hin, der auf die Sehenswürdigkeiten der Region sowie einige Restaurants und Hotels hinwies. Wayne nahm den Flyer entgegen, grüßte gutgelaunt und verließ das kleine Transmitter-Terminal.
Draußen blieb er einen Moment stehen, betrachtete das Bergpanorama mit dem See im Vordergrund. Die fernen Gipfel trugen ihre ganzjährigen weißen Kappen, der See glänzte in der Morgensonne. Wayne inhalierte die saubere Bergluft. Nach dem Smog von Los Angeles war das allein schon die Reise wert.
Direkt neben dem Terminal gab es einen kleinen Laden, der in einem flachen Holzhaus untergebracht war. Zwischen Angelruten und Cashern saß auf der schmalen Veranda vor dem Laden ein uralter Mann in einem Schaukelstuhl.
„Na, wiedermal hier!“, grüßte der Alte winkend und entblößte eine lückenhafte Zahnreihe. Wayne grinste und winkte zurück. Es stimmte schon, was man sich in der Stadt über die Leute aus den Bergen erzählte: sie waren etwas verschroben.
Ein einziges Gleitertaxi wartete vor dem Transmitter-Terminal auf Passagiere. Der Fahrer lehnte gelangweilt an seinem Fahrzeug und kaute auf einem Grashalm.
„Sind Sie frei?“, erkundigte sich Wayne.
„Wie der Wind“, gab der Fahrer undeutlich zurück und setzte sich langsam in Richtung des Kofferraums in Bewegung. Allerdings machte er keine Anstalten, seinem Fahrgast die Gepäckstücke abzunehmen. Wayne quittierte diesen Mangel an Dienstbeflissenheit mit einem schiefen Grinsen und verstaute sein Gepäck im Kofferraum des Prallfeldgleiters. Dann nahm er im Fond des Fahrzeugs Platz.

„Ernestine’s?“, brummte der Fahrer gelangweilt.
„Wie bitte?“, fragte Wayne.
„Möchten Sie zu Ernestine’s?“, wiederholte er etwas deutlicher. „Issen Restaurant.“
„Ach so. Kann man da gut essen?“, wollte Wayne wissen.
„Sicher“, war die einsilbige Antwort.
„Dann bringen Sie mich zu ... Ernestine’s“, bestimmte Wayne und lehnte sich zurück. ‚Wahrscheinlich bekommt er Provision’, dachte er und musste grinsen.

Nach etwa fünf Minuten erreichte das Gleitertaxi sein Ziel. Wayne zahlte, nahm sein Gepäck aus dem Kofferraum und schaute sich um. Drei Jungen im Alter von etwa zwölf Jahren kamen auf alten, klapprigen Fahrrädern die Straße herunter, lachten und winkten ihm zu, bevor sie um die nächste Ecke verschwanden.
„Ernestine’s Diner & Grill“ stand in altmodischen Neonbuchstaben über dem Eingang des zweistöckigen Holzgebäudes. Die Gaststätte wirkte rustikal und gemütlich, ein Eindruck, der sich bestätigte, als Wayne den Schankraum betrat.
Wie es sich für ein gutes altes Diner gehörte, gab es eine lange Theke mit einer Reihe von Barhockern. Am Fenster entlang, durch das man einen wunderbaren Blick auf den See hatte, standen kleine Tische mit Sitzbänken. Gäste waren zu dieser frühen Stunde noch keine da. Wayne suchte sich einen Tisch aus, legte sein Gepäck ab und setzte sich.

Nach einer Weile kam eine Kellnerin an seinen Tisch. Sie war Mitte zwanzig, hatte braunes, kurz geschnittenes Haar. Ein frischer, natürlicher Typ, der Wayne sofort sympathisch war. „Beatrice“ stand auf dem Namensschild an ihrer adretten weißen Schürze.
„Guten Morgen“, grüßte sie mit einem freundlichen Lächeln. „Sie sind aber früh dran heute!“
„Hm, ja, ich bin gerade mit dem Transmitter aus Los Angeles gekommen.“
„Angelurlaub“, mutmaßte Beatrice.
„Wie haben Sie das nur erraten?“, erkundigte sich Wayne mit einem Blick auf seine Angelausrüstung. Beatrice lachte hell. „Bringen Sie mir doch bitte einen großen Kaffee, schwarz und ohne Zucker.“
„Gern“, sagte Beatrice und wandte sich zum Gehen.
„Trinken Sie einen Kaffee mit mir?“, fragte Wayne. „Es ist ja noch nicht sehr viel zu tun, oder?“
„Natürlich, sehr gerne! Vielen Dank!“
Wayne schaute ihr nach, wie sie mit wiegendem Gang hinter der langen Theke verschwand. Dann richtete er den Blick aus dem Fenster und genoss den Anblick von See und Gebirge.
„So, ein großer Kaffee, schwarz ohne alles.“
Wayne hatte die Rückkehr der hübschen jungen Frau gar nicht bemerkt. Sie stellte zwei große Tassen auf den Tisch und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Wayne nahm einen Schluck. Der Kaffee war heiß und ziemlich stark. Genau das Richtige am frühen Morgen.
„Sehr viel scheint am Lake Monroe nicht los zu sein“, versuchte er, ein Gespräch in Gang zu bringen.
„Deswegen kommen die meisten Leute hierher.“ Sie lächelte. „Viele sind es nicht, aber wir sind auch für Massentourismus nicht eingerichtet.“
„Aber Sie kommen zurecht hier ... ich meine, rentiert sich eine Gaststätte hier überhaupt?“
„Sicher. Wir haben unsere Stammgäste, die immer wieder kommen. Besonders ein Gast kehrt regelmäßig bei uns ein. Wir haben auch einige Fremdenzimmer.“ Sie deutete nach oben.
„Dann bin ich ja hier genau richtig!“, freute sich Wayne und nahm einen weiteren Schluck aus seiner Tasse.
„Wir haben noch ein Zimmer frei. Das können Sie gerne haben.“
„Das passt mir wunderbar. Dann kann ich nachher gleich zum See hinunter gehen und mal schauen, ob die Fische beißen.“ Er grinste. „Sie erwähnten einen Gast, der regelmäßig wiederkommt. Ist das ein besonderer Gast – ich meine nur, weil sie ihn extra erwähnt haben?“
„Das kann man schon sagen“, meinte Beatrice. „Es ist ein ganz besonderer Mann.“
„Erzählen Sie mir von ihm – nur wenn Sie wollen natürlich.“
„Warum nicht. Er war vor etwa zehn Jahren zum ersten Mal hier. Er kam wie die meisten Touristen mit dem Transmitter an. Allerdings ging bei seinem Transport etwas schief. Der Mann wurde auf unerklärliche Weise dupliziert, als er durch den Transmitter ging. Es entstand eine bisher nicht bekannte Anzahl von Duplikaten und diese Duplikate kommen jetzt nach und nach aus dem Empfangsgerät hier in Lake Monroe. Manchmal kommen mehrere Versionen des Mannes an einem Tag, manchmal auch nur alle paar Wochen einer. Aber er trifft immer wieder hier ein und übernachtet dann in unserem Haus. Das ist für uns natürlich eine stetige Einnahmequelle, die man nicht verachten sollte.“ Sie lächelte wieder ihr bezauberndes Lächeln.
„Sie nehmen mich auf den Arm!“, behauptete Wayne und schaute sie unsicher an.
„Es klingt phantastisch, ich weiß, aber es ist tatsächlich so passiert – und passiert immer noch.“
„Unglaublich“, murmelte Wayne. Er trank noch etwas Kaffee, der aber inzwischen beinahe kalt war.
„Das ist es“, bestätigte Beatrice.
Wayne wechselte das Thema.
„Ich würde gerne möglichst bald meine Angel auswerfen. Ist Ihre Küche bereits geöffnet?“
„Natürlich, das ist kein Problem. Der Koch ist sowieso schon da.“
„Prima, dann hätte ich gerne ein großes Steak ...“
„... gut durch, mit viel Zwiebeln und einer großen Portion Bratkartoffeln. Dazu einen grünen Salat mit Yoghurt Dressing“, unterbrach ihn Beatrice.
Wayne schaute sie verblüfft an.
„Woher wissen Sie das?“, erkundigte er sich.
„Na, überlegen Sie mal, Wayne!“, sagte sie und verschwand lächelnd in Richtung Küche.
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Vielleicht gefällt sie trotzdem ...
Nicht trotzdem - deshalb!
Und besser noch dazu.
Weil Charakteren und Historie glaubwürdiger sind.

Im Kleinklein könntest Du noch ein wenig feilen.
z. B. hier:
„Sagen Sie“, wandte sich Wayne an den Fahrer, nachdem dieser den Gleiter in Bewegung gesetzt hatte. „Wo kann man hier gut essen?“
Können die nicht schlicht losfahren, ohne erst mühsam den Gleiter in Bewegung zu setzen?
Oder hier:
Ernestine’s“, brummte der Mann mit gelangweilter Stimme.
Ich nehme doch an, dass nicht nur seine Stimme gelangweilt war.
Und hier:
...und diese Duplikate kommen jetzt nach und nach aus dem Empfangsgerät hier in Lake Monroe.
Du schreibst über Transmitter und nicht von Übermittlungsgeräten, dann mach doch aus dem Empfngsgerät wenigstens einen Receiver.

Sag mal... Du bist nicht zufällig ein Perry Rhodan Fan? Oder zumindest Ex?
Das Ambiente hat so wohlige Erinnerungen geweckt.;-))

Hat sich partikuliert und ist disperdiert
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Der Plot ist in der Tat runder – man merkt aber, dass du beim Schreiben nicht "eingetaucht" bist. Du steuerst so schnell auf die Pointe zu, dass man kaum etwas spürt. Sicher wäre es effektvoller, wenn Wayne so richtig in Urlaubsstimmung kommt, ehe "die Bombe platzt". Vielleicht grüßt ihn ja jemand am Empfangsterminal, einige Leute begegnen ihm und er stellt fest, wie freundlich hier alle sind. Oder so …




Es sind Köder (, die haben nichts mit Codes zu tun ;) ).

Manchmal kommen Trends ja wieder, aber sollte das Ankunftsterminal auf Wayne nicht nur "fremd" statt "altmodisch" wirken? (Wenn er nämlich "rückwärts kopiert" wird, dann bedarf es einiger Sätze mehr durch Beatrice…)

Der Taxifahrer ist wohl neu? Sonst würde er doch sicher "Zu Ernestines?" fragen (oder was Ähnliches, was im Nachhinein als "Routine" erkennbar ist, tun)

Bei einem "klassischen Diner" mit langer Theke stehen die allermeisten Tische an einer gemeinsamen Fensterfornt – man hat also von (fast) überall Sicht auf den See (, denn von Bäumen vor'm Diner ist keine Rede).

Sieben oder acht Tische… entweder Wayne zählt (instinktiv) nach, dann weiß er es genau, oder er zählt nicht, dann lass die Zahl weg.
 

Amadis

Mitglied
perry rhodan? ICH? na klar! :)

habe sogar vor zwei oder drei jahren nach etwa fünfzehnjähriger pr-pause nochmal mit den silberbänden von vorn angefangen. das war wie eine reise in die vergangenheit oder besser: in die eigene jugendzeit. auch wenn einiges, was in den frühen bänden geschildert wird, heute etwas angestaubt und überholt erscheint. hat mich sicherlich beeinflusst. vielleicht gelingt es mir ja irgendwann, ein pr-taschenbuch zu veröffentlichen. das würde mich stolz machen.

deine anmerkungen habe ich überdacht und zumindest mal den gelangweilten gleiterchauffeur geändert. ansonsten freue ich mich, dass der text gefällt.

gruß
amadis
 

Amadis

Mitglied
@jon

Der Plot ist in der Tat runder – man merkt aber, dass du beim Schreiben nicht "eingetaucht" bist. Du steuerst so schnell auf die Pointe zu, dass man kaum etwas spürt. Sicher wäre es effektvoller, wenn Wayne so richtig in Urlaubsstimmung kommt, ehe "die Bombe platzt". Vielleicht grüßt ihn ja jemand am Empfangsterminal, einige Leute begegnen ihm und er stellt fest, wie freundlich hier alle sind. Oder so …
habe ein paar änderungen vorgenommen. schau doch mal rein :)

Es sind Köder (, die haben nichts mit Codes zu tun ;) ).
kleiner peinlicher legasthenischer anfall ...

Manchmal kommen Trends ja wieder, aber sollte das Ankunftsterminal auf Wayne nicht nur "fremd" statt "altmodisch" wirken? (Wenn er nämlich "rückwärts kopiert" wird, dann bedarf es einiger Sätze mehr durch Beatrice…)
die geschichte mit der altmodischen einrichtung war nicht so zu verstehen, dass er "rückwärts kopiert" wurde, sondern einfach um eine stimmung zu erzeugen und darzustellen, dass in dieser gegend die uhren etwas langsamer gehen und eben nicht alles auf dem neuesten stand ist.

Der Taxifahrer ist wohl neu? Sonst würde er doch sicher "Zu Ernestines?" fragen (oder was Ähnliches, was im Nachhinein als "Routine" erkennbar ist, tun)
ebenfalls geändert ...

Bei einem "klassischen Diner" mit langer Theke stehen die allermeisten Tische an einer gemeinsamen Fensterfornt – man hat also von (fast) überall Sicht auf den See (, denn von Bäumen vor'm Diner ist keine Rede).

Sieben oder acht Tische… entweder Wayne zählt (instinktiv) nach, dann weiß er es genau, oder er zählt nicht, dann lass die Zahl weg.
ebenfalls geändert ...

vielen dank für die verbesserungsvorschläge.

grüße
amadis
 

Prospero

Mitglied
Hallo Amadis!

Eine wirklich prima Geschichte, auch gut erzählt.

Zwei Fragen hätte ich allerdings:

1. Der Transmitter ist offenbar seit zehn Jahren defekt und jeder weiß das. Warum wird er dann nicht abgeschaltet und auseinander genommen?

2. Als Wayne MacMurray ankommt, wirkt alles um ihn herum altmodisch. Wieso? Müsste es nicht vielmehr modern wirken? Denn: Der originale MacMurray ist vor zehn Jahren in den Transmitter gegangen, die Kopie, um die es hier geht, muss
also die gleiche Zeitspanne in die Zukunft gereist sein.

Oder habe ich da was falsch verstanden?


Gruß,

Prospero
 

Amadis

Mitglied
hallo pros,

dank für lektüre und kommentar!

was deine fragen angeht: es handelte sich um eine fehlfunktion, die beim versenden auftrat und durch reparatur (die natürlich erfolgte) in ihrer auswirkung nicht rückgängig zu machen war. die zweite frage habe ich jon bereits beantwortet: gemeinhin ist man in derart abgelegenen winkeln nicht auf dem technisch neuesten stand. so kommt es, dass sogar für den zehn jahre verspäteten ankömmling das ambiente altmodisch wirkt (weil es vielleicht schon zwanzig oder dreißig jahre auf dem buckel hat). siehe oben!

gruß
amadis
 
S

Sandra

Gast
Hallo Amadis,
eine gute und spannende Geschichte. Stilistisch sicher geschrieben. Der Inhalt fesselnd. Nach dem Lesen beschäftigte mich die Frage, was mit diesen ganzen Dublikaten passiert? Diese Frage halte ich auch für die Geschichte wichtig. Wenn mehrere Kopien am Tag eintreffen, wäre es wahrscheinlich gewesen, dass mittlerweile das ganze Dorf von ihnen bevölkert wird. Reisen sie jedoch wieder ab, dann müssten sie auch in der Zukunft mehrmals ankommen. Dennoch - sehr gern gelesen.
LG
Sandra
 

jon

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Teammitglied
@Sandra

Was mit den Kopien passiert, war auch mein zweiter Gedanke – es ist allerdings weniger paradox, als es im ersten Moment wirkt. Der Kunstkniff besteht darin, dass es aus Waynes Sicht gechrieben ist:

Jeder einzelne Wayne ist bei Abreise am Tag „X" identisch mit „Wayne Original“ – er kommt also als "Wayne Kopie" gänzlich unbeleckt an. Diese Kopie hier (nennen wir sie 10J) kommt 10 Jahre nach dem Tag X an – alle anderen Wayne-Kopien vorher können also gut und gerne längst nach Hause gefahren sein (oder woanders hin) und sich sogar immer wieder treffen. Nur findet/fand das alles statt, während „Wayne 10J“ nicht existierte – er weiß von nüscht und deshalb muss es die Story auch nicht erzählen.

Natürlich könnte man die Story auch so enden lassen, dass ein Vorgänger-Wayne just bei "Wayne 10J"s entscheidender Frage die Treppe runter kommt – das würde dann aber regelrecht nach einem Gespräch so von Wayne zu Wayne schreien, das wiederrum „verlangt“ das Aufdröseln, was mit den Waynes passiert und das wiederrum ist Stoff für eine deutlich größere Erzählung (, die sich mit der Frage der Identität und Individualität einer Person beschäftigt). Und deshalb – um den Gedanken endlich zum Schluss zu führen – ist diese "er weiß von nüscht"-Perspektive für die "Größe" der Story m.E. perfekt.
 



 
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