Stand by me

Svalin

Mitglied
Es gibt Abende, an denen all diese kleinen vorwitzigen Apparate, die im Dunkel mit kleinen Lebenslichtern vor sich hinschlummern, beruhigend zu sagen scheinen: „Hey ... ich bin für dich da, wenn du mich brauchst.“ Spätestens da könnte ich immer heulen. So rührend ist das.
Heute aber spüre ich ihre argwöhnischen Blicke, die mir beim Auf- und Abgehen folgen, als wäre ihnen erst jetzt aufgefallen, daß ich der einzige von uns bin, der im Dunkeln nicht leuchtet.
„Wohin ist dein Licht gegangen?“ fragt mich plötzlich der Equalizer. „Welches Licht?“ frage ich etwas erstaunt zurück. War ich doch bisher immer der Meinung, nur durch meinen immensen Zigarettenkonsum zu ihresgleichen zählen zu dürfen. Er sagte: “In all den letzten Monaten schien in deinem Gesicht ein Leuchten. Wenn du e-mails geschrieben hast, konnten es die grünen Lichter sehen. Wenn du telefoniert hast, die roten. Wir haben uns eingehend darüber beraten. Wir glauben, du bist verliebt.“ Da konnte ich nur schlucken. Viel zu perplex, um den Technikrüpel über die Verletzung meiner Privatsphäre in Kenntnis setzen, sage ich: „Hm ... Sonnenbrand?“ - wohl nicht überzeugend genug. Ein ärgerliches Aufflackern rauscht über die gesamte Frequenzbandbreite. „Temporärer Stromausfall!“ versuche ich ihn daraufhin zu beruhigen. Da lachen auf einmal alle: „Du hast doch Notstromaggregate!“ ereifert sich Wecker Nr.1, der nach jedem Stromausfall immer lustig bei Null blinkend, auf Neueinstellung warten mußte, weil ich ihm -geizig wie ich bin- den 9 Volt-Block vorenthielt. „Und das schnellste Resynchronisationssystem von uns allen“ pflichtet ihm der Funkwecker bei. „Und einen Programmspeicher der länger hält als meiner“ schimpft das etwas überalterte Telefon. Sehr scharfsinnig. Raffinierte Biester. Und eine etwas gehässige Ungläubigkeit, finde ich.
„Was also ist mit dem Licht?“ „Ok“ sage ich „ich habe geliebt, in all den Wochen und Monaten. Ehrlich und von ganzem Herzen. Aber es war aussichtslos. Nur noch eine Liebe im Stand by.“ „Und nun ist das Licht gegangen?“ fragt bedächtig der große Fernseher. Ich sage zu ihm: „Dein Stand by kostet im Jahr 12 DM. Bei Menschen läßt sich das nicht in Zahlen ausdrücken. Wenn keine Hoffnung mehr besteht, ist es ein unerträglicher Luxus .... ich habe es ausgeschaltet, endgültig den Stecker rausgezogen."

Schweigen im Raum.
Nur ein leises Knirschen, als würden sie sich fester in ihre Steckdosen krallen.

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E

ElsaLaska

Gast
standby

hallo svalin,
ich mag deine texte sehr gerne. habe sie schon gelesen und gemocht, bevor ich mich hier registriert hatte.
lust zu lesen habe ich aber wegen dem titel stand by me nicht gehabt, aus dem grund: es gab mal so einen blöden film, der den titel hatte, und der war damals KULT, ich glaube in den glorreichen achtzigern.....
ich schlage als titel standby vor... auch wenn es vielleicht nicht auf dein einverständnis trifft....
unser netzwerkspezialist hat uns mal einen drucker installiert, der hatte nichtmal mehr ein grünes lämpchen, bzw. der war auf standby ohne lämpchen. der ansonsten sehr prosaisch wirkende techniker mit obligatorischer dicker brille meinte zu mir: der schläft, wenn sie ihn nicht brauchen....
der schläft.....
und frisst nebenher strom, das sagt einem ja keiner, diese verfluchten techniker, aufpassen, wenn sie poetisch werden!
beste grüsse
elsa
ps: den film sleepers gabs ja auch schon :)
 

Svalin

Mitglied
Hallo ElsaLaska

zuerst dachte ich, da wäre mir mal wieder einer meiner zahlreichen Bildungslücken zum Verhängnis geworden, denn ich kenne diesen Film nicht ;-) Jetzt weiß ich aber, daß ich schlichtweg zu jung war damals (1986) ... ein kleines Generationsphänomen, das mich so unbedarft zu diesem Titel greifen ließ ;-)
An meinen Titeln hänge ich in keinster Weise. Sie sind wirklich das allerletzte ... :) ... was ich meinen Texten verpasse. Insofern können wir gerne jede Umbennenung vornehmen, die gewünscht ist. Leider müßte ich dazu den Thread (samt deines netten Kommentars. Danke!) löschen und neu posten. Auf meiner Homepage werde ich jedoch (demnächst) deinem Vorschlag folgen. Ach ...und ein spätes >Herzlich Willkommen in Lupianien!< an dieser Stelle.

Liebe Grüße
Martin
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
einfach

super, deine geschichte. da stimmt wirklich alles. anrührend und feinfühlig und nahezu utopisch, alles, was ich liebe. kommt in meine sammlung. ganz lieb grüßt
 
J

Jasmin

Gast
Suess!!

Hallo Svalin!

Dieser Text ist wirklich suess. Anders kann ich ihn nicht charakterisieren... Du beschreibst da eigentlich etwas sehr Trauriges, eine aussichtslose Liebe, ein Verliebtsein ohne Hoffnung, ohne Zukunft. Und trotzdem keine Spur von Sentimentalitaet , Kitsch oder Larmoyanz (oh, wo hab ich das jetzt hergezaubert...). Also, was ich sagen will - der Text gefaellt mir!
Uebrigens, diese Beseelung der eigentlich leblosen Gegenstaende, erinnert mich an die Oper "L'enfant et le sortilege" - Das Kind und der Zauber. Da geht es allerdings um verzauberte Teekannen und Tassen, die ploetzlich sprechen koennen.

Ganz liebe Gruesse
Jasmin

P.S. Den Stecker kann man uebrigens jederzeit wieder in die Steckdose stecken.;)
 

Svalin

Mitglied
Hi ihr!

Ich liebe es, ungewöhnliche Sichtweisen auf die Welt einzunehmen und unbelebtes zum Leben zu erwecken. Das kommt sehr dem Teil Kind in mir entgegen, der noch immer eine starke Affinität zu den "Mythologien des Alltags" entwickelt ;-) Ich finde, daß wir uns leider eine sehr nüchterne (weil erklärbare) Sicht auf die Dinge angewöhnt haben. Manchmal muß man das einfach auf den Kopf stellen und schon ist nichts mehr so, wie es scheint :) Schön, daß euch das gefallen hat.

Grüße Martin

P.S.: @Jasmin: >Den Stecker kann man uebrigens jederzeit wieder in die Steckdose stecken.< - Ich weiß ;-) Könnte durchaus Teil einer der nächsten Geschichten werden :)
 
Hallo Svalin,

der erste Absatz ist dir sehr schön und sinnlich gelungen. Und das Ende - genial !!! Jetzt sollte es noch "mittig" dem Anfang und dem Ende angemessen sein, dann wäre es für mich persönlich eine sehr schöne Geschichte gewesen.

Birgit
 

lara_star

Mitglied
Hi Svalin,
mir gefällt Deine Geschichte wirklich sehr gut.
Mir ist echt beim Schlußsatz ein kleiner Schauer über den Rücken gelaufen, sehr klasse! Ich find auch den Titel nicht so verkehrt, aber ich mag auch den Film (und sogar das Lied). Lief aber erst kürzlich on TV, also hättest Du auch schon gesehen haben können.
Lieben Gruß,
Lara
 

Svalin

Mitglied
Ja wie denn nun? :))

Sammle ich alle Stimmen zu diesem Text, stehe ich vor einem leicht konträren Bild der Wahrnehmung ;-) Wie so oft scheint es auch hier so zu sein, als würden sich viele Aspekte in den Bereichen persönlicher Vorlieben "zerstreuen". Wie also damit umgehen? Leider muß ich allzugroße Erwartungen an (vielleicht erforderliche) Umarbeitungen enttäuschen. Wie ich schon an anderer Stelle anmerkte, entstehen viele meiner Texte an einem Abend in einem "Guß", entsprechender Feinschliff einbegriffen. Nur tut es mir bei späteren Veränderungen oft sehr leid, eine gewachsene Struktur in gewisser Weise zu "zerstören". Deshalb verzichte ich auch zumeist darauf. Es sei denn, es haben sich grobe Schnitzer eingeschlichen. Nach meinem Empfinden liegt das, soweit ich es erkennen kann, hier nicht vor. Allerdings ist mein Auge auch nicht professionell geschult ;-)
Herzlichen Dank, Birgit und lara_star, für eure Anmerkungen.

Grüße Martin
 

gladiator

Mitglied
hihi

Ich bin auch über den Titel gestolpert. Vor allem, weil die dazugehörige Geschichte von einem meiner Lieblingsautoren, Stephen King, stammt.
Aber nach dem Lesen finde ich doch, daß der Titel irgendwie paßt und deshalb springe ich über den Schatten meiner Jugend :).

Viel zu perplex, um den Technikrüpel über die Verletzung meiner Privatsphäre in Kenntnis setzen, sage ich:

Dieser Satz gefällt mir nicht. Er schwingt nicht so phantasievoll wie die anderen, sondern steht platt und breit in der Gegend herum und wirkt wie der unbeholfene Versuch eines Autors, seinen Protagonisten an dem, was um ihn herum passiert, anzuzweifeln. Aber das muß ja gar nicht sein.

"Die fabelhafte Welt der Amélie" hat eindrucksvoll bewiesen, daß der Leser/Zuschauer solche Dinge ohne weiteres schluckt.

Gruß
Gladiator
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Martin,

ich hoffe, ich komme nicht zu spät, um dir zu diesem wirklich gelungenem Werk [ein echter Svalin :))] zu gratulieren.
"Leider muß ich allzu große Erwartungen an (vielleicht erforderliche) Umarbeitungen enttäuschen."
Recht so. Laß den Text, wie er ist, denn er ist (um es mit Jasmins treffenden Worten zu sagen) einfach süß. Neben einem Schuß Melancholie steckt ne Menge hintergründiger Humor darin und der letzte Satz: Einfach Spitze!

Gruß Ralph
 



 
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