Staub

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wüstenrose

Mitglied
Hallo presque_rien,

Atmosphärisch erinnert mich dein Gedicht auch an Heines "Mein Kind, wir waren Kinder". Da mir die Erfahrung fehlt, dein Gedicht nach "handwerklichen" Maßstäben zu beurteilen, kann ich nur eine Rückmeldung über das Atmosphärische im Gedicht geben:
die Atmosphäre, die sich entfaltet, ist stark: die Sommer der Kindheit, die Ursprünglichkeit, die Kraft der Sinneseindrücke, die fühlbare Wärme...
Der letzte Sommer: ein Verlust; ein vergänglicher und geiziger Kerl, der keine Lust hat, über uns sein Füllhorn auszuschütten; er brachte keinen Segen; stattdessen brachte er uns auf den Trichter, dass uns eine Frist gesetzt ist und dass wir zum ersten Sommer nicht mehr werden zurück kehren können; wo steuern wir hin? - es ist der Staub, dem wir in diesen Tagen näher kommen: Erde zu Erde, Staub zu Staub.
Berührt mich!

lg wüstenrose
 

presque_rien

Mitglied
Liebe wüstenrose,

besser hätte ich den Sinn und Zweck meines Gedichts auch nicht ausdrücken können - vielen Dank fürs Lesen und Verstehen!

LG presque
 
A

AchterZwerg

Gast
Liebe Julia,
athmosphärisch ein sehr gelungenes Gedicht, das sich in einer Lesart sogar auf das angekündigte Weltende im Dezember 2012 beziehen lässt. ;)
Besonders gefallen mir die Klangspielereien, die dem Gedicht Musikalität verleihen.
Mein erster Sommer war mein halbes Leben
lang zog er alle Farben
rochen grell.
Der alte Kater rieb aus seinem Fell
uns Staub und Sonne in den Schoß.
Der erste Liebes- und Lebensommer war funkensprühend und erschien dem jungen LyrI unendlich.

Mein letzter Sommer ging schon schnell-
er blies ein Korn ins Auge bloß.
Ich rieb es wund
und wundert' mich
und weinte.
Für den letzten Sommer (das Alter?) blieb nicht viel.
Hier möchte ich dir drei kleine Veränderungen vorschlagen, nämlich:

Mein letzter Sommer ging zu schnell,
blies mir ein Korn ins Auge bloß.
Ich rieb es wund -
wunderte mich
und weinte.
Das "schon" passt inhaltlich nicht so gut, finde ich. Durch den verlegten Gedankenstrich erzeugst du eine zusätzlich Denkpause und vermeidest die Elision, schaffst dafür eine Alliteration.
Denkbar wäre auch:
Mein letzter Sommer lief zu schnell;
Was meinst du?
Achtfache Zwergengrüße
 
A

AchterZwerg

Gast
Huch! Eben sehe ich, dass du mit meinem Vorschlag aus dem Rhythmus fällst. Denkbar wäre:

Mein letzter Sommer ging zu schnell,
blies mir ein Korn ins Auge bloß.
Ich rieb es wund,
verwundert, still

und weinte.
Vielleicht fällt dir aber etwas Besseres ein. Du hast ja sicherlich selber längst gemerkt, wo die kleinen Schwachstellen des Gedichts liegen.
LG, Heidrun
 

presque_rien

Mitglied
Staub

Mein erster Sommer war mein halbes Leben
lang zog er alle Farben
rochen grell.
Der alte Kater rieb aus seinem Fell
uns Staub und Sonne in den Schoß.

Mein letzter Sommer ging viel schnell
er blies ein Korn ins Auge bloß.
Ich rieb es wund,
verwundert,
dass ich weinte.
 

presque_rien

Mitglied
Liebe Heidrun,

Vielen Dank fürs Lesen und deine berechtigte Kritik!

Ich habe den zweiten Teil jetzt verändert - allerdings weiß ich nicht, ob's dir gefallen wird ;). Anstatt den zweideutigen Bruch in den Versen 6 & 7 auszugleichen, habe ich ihn radikalisiert. Vers 6 endet unerwartet und unpassend, was dem Inhalt entspricht.

LG presque
 
A

AchterZwerg

Gast
Das ist die optimale Lösung, denke ich. :)
Beim "schnell" hast du noch ein "er" vergessen, was sich aber ebenso schnell nachbessern lässt. ;)
Dir einen schönen Tag. - Hoffentlich bleibst du ein Weilchen *seufz :cool:
Heidrun
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo, die Dichterinnen!
was schnell-er betrifft, so hab ich das von Anfang an so gelesen, dass das -er in die nächste Zeile rutscht und dort dann auf zweifache Weise Verwendung finden kann.
Ich persönlich mochte
Ich rieb es wund
und wundert' mich
und weinte.
Es hat was von alter Märchensprache oder alten Volkliedern und einen schönen elegischen Unterton. Aber die jetzige Version mag ich auch leiden.
lg wüstenrose
 
A

AchterZwerg

Gast
Ach sooho! Das "er" blieb mir unentdeckt, ist aber eine sehr witzige Idee! :)
 
Liebe presque rien,
dein Gedicht berührt, besonders, wenn man nicht mehr die Jüngste ist.
Zwar habe ich meine Augen nicht wund gerieben, doch eine kleine Träne hat sich aus ihnen gestohlen.

Es grüßt dich
Marie-Luise
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Mir gefallen die Mehrdeutigkeiten, die dadurch entstehen, dass Satzzeichen fehlen.

Beispiele:
(Mein erster Sommer war) (mein halbes Leben
lang zog er alle Farben)
(rochen grell)

(Mein erster Sommer war mein halbes Leben)
(lang zog er alle Farben)
(rochen grell).

(Mein erster Sommer) (war mein halbes Leben)
(lang zog er) (alle Farben
rochen grell).

Es gibt viele weitere Varianten, die zugleich selbstreferentiell sind, da sie den Sommer in seiner Vielheit zeigen.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo presque,

hat mir sehr gefallen,
alle doppeldeutigkeiten sind m.e. unmittelbar
da.
die sprachmelodie ist konturiert,

und vor allem ist dies stüch auf eine angenemehme weise:
weise...

kg
ralf
 

Pola Lilith

Mitglied
Ansprechend

dein Sommer-Resümee !

Ich würde das Wort "schnell" noch steigern.

Mein Vorschlag hierzu: ... - der verging
...

Der erste Sommer war ein halbes Leben
der zweite (upps) ist schon weg
und wie man es nimmt, vielleicht damit auch schon das ganze Leben (die zweite Hälfte, die wir gar nicht mit bekommen haben)

(beim "schnell" gehen wir noch mit - beim "vergangen" ist alles schon vorüber. Das ist ein kleiner Stolperstein zum Nachdenken, wie über die Farben, die so grell gerochen haben...)

Sehr schön - danke dafür.
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Da gibt es diesen mit allen Wassern gewaschenen Kater, der zum Kuscheln kurz nach Hause kommt, seinen Straßendreck in den Schoß pflanzt und wieder verschwindet.
Trotzdem ließ man ihn.

Doch das Korn im Auge stört.

Sehr spannendes Gedicht, das man auf vielfältige Art interpretieren kann.
 



 
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