Sternennacht

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Sternennacht

Wenn ich damals gewusst hätte, dass es das letzte Mal sein sollte, dass wir uns so nahe waren...Nein, ich hätte nichts anders gemacht. Machen können. Wie auch?
Denke ich heute an dich werden meine Augen dunkel und mir das Herz ein bisschen schwerer. Denke ich an dich fallen mir sofort die Sternschnuppen ein. Dann der Steinbruch, der wie hingeworfen sich mitten in der Landschaft fand, hinter dem kleinen Wald, umgeben von Feldern. Der Tag war so heiß gewesen, dass man sich nicht traute das Haus zu verlassen und ausharrte bis hin zu den kaum merklich kühleren Abendstunden. Nur ein zartes Lüftchen wehte, eine sanfte Brise.
Ich war noch niemals zuvor an diesem Ort gewesen.

Wir hatten uns erst spät entschlossen, diesen Abend gemeinsam draußen zu verbringen und so begann es schon zu dämmern als wir uns aufmachten. Der Weg war weit, und als wir die Stadt hinter uns gelassen hatten und nur noch durch entlegene kleine Dörfer fuhren, die manchmal nicht einmal eine Kirche aufwiesen, bedauerten wir es keine Kerzen mitgenommen zu haben. Obwohl es erst August war, wurde es rasch immer finsterer und mir bange.
Draußen flogen die Felder nur so vorbei. Schon abgeerntet muteten sie recht herbstlich an. Durch die Fenster strömten tausend Gerüche herein, wie nach Erde, Blumen, Wäldern, Ernte.
Die Apfelbäume an den Straßenrändern trugen schon goldene Früchte und auch die Pflaumen prangten bläulich in den Ästen.

Jetzt, da ich hier bin, in der Stadt, erdrückt mich der Lärm und die Enge. Erstickt vom Dunst der Zivilisation, schleicht sich die Sehnsucht heran und ich muss mich sehr anstrengen, sie nicht von mir Besitz ergreifen zu lassen. Dann würde ich mich in einen der nächsten Züge setzen und gen Heimat fahren. Dorthin, wo auch du bist.
War unsere Begegnung zufällig gewesen?

Unsere Angst vor der Finsternis hatte sich als überflüssig erwiesen. Denn der Mond schien voll. Und mit ihm Tausende von Sternen. Überwältigt hatten wir uns einfach ins Gras nahe des Ufers gelegt und der Stille gelauscht. Das Wasser des Sees schimmerte golden. Hinter uns die Weite des Feldes. Die Stille sollte im Verlaufe dieser Nacht fast unerträglich werden.
Was dachtest du? Ich hatte dich gefragt und du gabst zu Antwort, dich zu freuen den Augenblick wieder genießen zu können. Was in mir vorging wolltest du nicht wissen.
Dann schwirrten die ersten Sternschnuppen über das Himmelszelt. Wie kleine Raketen. Es gab langsame, dann wieder schnellere. Die langsamen gefielen mir besser; sie schienen keine Eile zu haben und waren meist heller, sichtbarer.
Es waren derer so viele, dass wir bald lachend feststellten, keine Wünsche mehr zu haben. Was hast du dir gewünscht? Das darf man nicht verraten, meintest du abergläubisch, sonst geht der Wunsch nicht in Erfüllung!
Meine Sehnsucht trage ich noch immer in mir.

Würdest du dein Leben anders leben, wenn du noch einmal von vorn anfangen könntest? Fragtest du mich plötzlich, vollkommen unvermittelt. Noch bevor ich ein Wort erwidern konnte, begannst du zu erzählen. Dass du zwar nicht alles richtig gemacht hättest, aber Erfahrungen, auch schlechte, zum Leben gehörten. Und dass du aus allem einen Nutzen für dich ziehen könntest, für irgend etwas würde es schon gut gewesen sein. Ob ich an Schicksal glaubte?
Doch, antwortete ich endlich, ich würde einiges anders leben. Und ich berichte dir, wie verzweifelt ich gewesen bin. Früher. Zerfressen vom Selbstzweifel, mich im Selbstmitleid badend. Mir hatte der Mut gefehlt zu leben. Ich war sehr unglücklich damals, weißt du. So möchte ich nie wieder sein. Und diese Zeit bereue ich. Um meiner selbst willen.
Der Sternenhimmel wurde immer voller und voller und hinter uns im Osten war der Mars zu sehen. Viel größer und purer als die anderen Sterne prangte er am Himmel, beinahe rötlich schimmernd. Was war zuerst da, der Mythos oder die Bezeichnung dieses Planeten? Oder ist der Himmelskörper der Mythos?
Man kann Dinge bereuen die man getan hat, aber auch Sachen die man nicht getan hat, hobst du ebenso plötzlich an wie kurze Zeit zuvor. Und dabei beliest du es. Deine Aussage stand im Raum. Was sollte ich damit anfangen? Auf mich beziehen, doch ich wollte nicht! Besonders der letztere Teil wog schwer; wie oft hatte ich schon verpassten Gelegenheiten hinterher getrauert, mich schwarz geärgert wegen meiner eigenen Unzulänglichkeit aus Ermangelung des Mutes! Ich wand meinen Blick ab von dir, ich wollte niemandem in die Augen sehen müssen. Deine Stimme streichelte mich wie zur Beruhigung, als du mir sachte erklärtest dieses Gefühl zu kennen und ihm genau so ausgeliefert zu sein wie ich. Manchmal sind wir nun einmal schwach, sagtest du, ich konnte dein Gesicht nicht erkennen, ernst oder mit dem Anflug eines Lächelns? Zu dunkel war nun die Nacht, der Mond ging langsam unter, die Sonne jedoch noch lange nicht auf.
Aber es ist schön in einer Illusion zu leben. Ich will an das Schicksal glauben. Doch das verbietet mir die Vernunft.

Die Zahl der Sterne hatte sich kaum merklich verringert.
Ich hing schwer meinen Gedanken nach, schloss die Augen, lauschte der Stille. Wünschte, diese Nacht mit dir, hier an dieser wunderbaren Stelle der Erde würde ewig währen. Befürchtete, du würdest bald aufbrechen wollen. Wenn ich die Augen schließe spüre ich noch immer, wie die laue Nachtluft mich umfängt.
Was hatte ich mit diesem Treffen beabsichtigt? Ich konnte keine klare Antwort darauf geben. Einerseits hatte ich mich nach den Wochen der Großstadt auf das Land gefreut und wollte so gerne an einen Ort wie diesen. Doch warum mit dir?
Jahre hatten wir uns nicht gesehen. Und dann dieses Zusammentreffen in dem Lokal. Zufällig. Unser vertrautes Gespräch weit über Mitternacht hinaus, als die Bekannten schon längst zu Hause in den Betten träumten.
Und jetzt lagen wir hier.
Ich habe nicht von dir geträumt.
Ich hatte mich kaum von dir trennen können. Die Sehnsucht, die sich dann einstellte, war körperlich.
„Die Sehnsucht, o die Sehnsucht! Warum haben wir die eigentlich? Wer hat uns die heimlich in die Westentasche gesteckt? Vielleicht ein Engel oder sonst eine trübe Null.“ Grübelte schon Walser. Ja, schmerzlich sei sie zu Zeiten, überlegtest du laut, doch hat sie auch einen gewissen Fortschritt inne. Fortschritt? Was für ein technisches Wort für ein Gefühl der Erstarrung, der Zuversicht, der Trauer, der Versenkung.
Ich will noch einmal durch die Felder fahren, mit dir. Im Grase liegen, dich neben mir spüren. Mit dir erzählen, staunen, die Nacht träumen.
Der Mond hängt schwer über der Stadt. Ich habe dich immer noch nicht angerufen.
 



 
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