Straciatella-Superstar

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STRACIATELLA-SUPERSTAR


Es ist schon erstaunlich und manchmal sogar richtig interessant und spaßig mit anzusehen, welch unterschiedliche Auffassungen doch die unterschiedlichsten Menschen zu unterschiedlichsten Gegebenheiten und Personen haben.
Erst kürzlich meinte eine gute Bekannte zu mir, sie könne mich im Grunde, also eigentlich schon recht gut leiden, nur erwecke ich des öfteren bei ihr den Eindruck eines Pseudorevoluzzers und geltungssüchtigen Querulanten. „Au contraire“, entfleuchte es mir flugs frankophon und dann auf fränkisch: „Des stimmt fei net!“ Vielmehr sei ich depressiv und würde mich schon regelmäßig mit meinem T-Shirt unterhalten.
Das wäre dann das nächste Extrem, welches sie bei mir zu ihrem Leidwesen festgestellt hätte und ich solle mir nicht einbilden, ich sei der einzige Mensch, dem es schlecht ginge. Bei soviel Selbstmitleid würde ihr die Galle hochkommen und woher ich mir das Recht nähme, et cetera bla Föhn. Dieser fast schon vernichtenden Aussage folgte das übliche esoterikbehaftete Heile Welt- und Ewig-Gutmensch Trallala, gegen Ende dessen die These weichgespült wurde, ich solle mal wiederanfangen, den kleinen Dingen des Lebens mit Wertschätzung zu entgegnen und etwas mehr dem Positiven am Da- und Hiersein ehrfeil gebieten.
Autsch, das hatte gesessen! Folgerichtige Reaktion eines Pseudorevoluzzers und geltungssüchtigen Querulanten wäre nun wohl völliger Affront gegen solch einen Angriff auf mein unumstößliches Recht auf miese Laune gewesen. Aber man will ja nicht obendrein noch als zickig gelten und somit fiel meine Reaktionswahl auf feiges Beenden des Gespräches. Dennoch ließen mich ihre Worte nicht mehr los. ’Think positive’, sollte da wirklich etwas dran sein? Hatte dieses kleine freundschaftliche Wachrütteln eben etwa schon seine Spuren bei mir hinterlassen? Immerhin hatte ich bis dato noch nie in meinem Leben das Wort ehrfeil benutzt und das empfinde ich schon als eine gewisse Veränderung!
Bei aller Emotionalität und Melancholie sehe ich mich dennoch als ein recht rationales und selbstreflexives Wesen an und eine solch verinnerlichte Selbstauffassung sollte schon mit einer gewissen Offenheit gegenüber Ratschlägen jedweder Art einhergehen, egal wie dick er auch sein mag, der Haarschopf, an dem diese letztendlich herbeigezogen wurden. Der Tag war noch jung und so beschloss ich, der Sache mal etwas genauer auf den Zahn zu fühlen. Denn wer weiß, vielleicht hatte sie ja recht und auch ich konnte zur Abwechslung wieder etwas anderes erfühlen, als gähnend langweilige Dental-Metapher? Wäre doch wirklich mal wieder Zeit für ein kleines bisschen Gelassen- und Zufriedenheit, Geborgenheit und Liebe...
Ach, die Liebe! Wie viele midlife-kreisende Schnulzenbarden und schamhaarlose Retorten-Boygroups sich wohl schon alleine um des schnöden Mammons Willen dieses schönsten aller Mysterien bedient und ihn bis an die Schmerzgrenze zu Tode uh-uh-t und sha-la-la-t haben mögen? Ich kann mich noch ganz genau an Step by step erinnern, diesen großen von der Teenywelt damals Ende der 80er Jahre ekstatisch gefeierten Hit einer der ersten US- und UK-Petriglasknabenchören, welche später zu uns en masse über den großen Teich gespült wurden...
Mein erster Schritt auf dem Weg in eine neue Ära war nun der ins Badezimmer, denn wo sonst lassen sich Veränderungen augenscheinlicher erreichen, als in diesem Hort der Tausend Seifen und Duftwässerchen? Natürlich wird hier nur an der Oberfläche gekratzt, die Seele bleibt da völlig unberührt und ungewaschen. Wenn ich aber schon investigativen Emotionalismus betreibe, dann sollte das auch ruhig jeder mitkriegen. Und falls man bei diesem Unterfangen versagen oder einfach keine Lust mehr darauf haben sollte, ist selbst das Aussitzen aller Probleme an diesem Ort ein viel angenehmeres: Wir haben Fußbodenheizung!
Ein kurzer Blick in den Spiegel und das erste Übel ist schon ausgemacht: Zwölf Tage sind genug, der Bart muss ab! Und Schnipp Schnapp Schnippeldischnapp, nach zwanzig Minuten wüstestem Geschäume und Klingengefecht blicke ich in das Antlitz eines scheinbar völlig neuen Menschen. Zwar zeugen dunkelste Saturnringe um die Augen immer noch nicht von hochjauchzender Glückseeligkeit, aber wenigstens schau ich jetzt dabei um ein paar Jährchen jünger aus und könnte fast wieder als knackig-frischer mega-hipper Super-Twen durchgehen. Und welch Wunder: Diesmal nur drei mal geschnitten, also keines der üblichen Freddy Krüger-Gemetzel. So kann das durchaus weitergehen mit meinem neuen Leben. Schnell noch die Ohrläppchen vom Flaum befreit, dann raus mit dem Stöpsel, runter die Klamotten und ab unter die Dusche!
Im Selbstbescheißen war ich noch nie sonderlich gut und das hat auch durchaus seine Vorteile. So lief ich zum Beispiel nie großartig Gefahr, mir einzureden, dass es etwas bringen würde, meinen Bauch einzuziehen. Ich gehöre einfach zu jener Sorte von Mensch, die angezogen attraktiver als nackt sind, wieso sollte ich mir da irgendwas vormachen, oder mich gar aufregen darüber? Geltungssüchtige Querulanten und Pseudorevoluzzer müssen so etwas locker wegstecken! Trotzdem muss es ihnen erlaubt sein, in einem Moment völliger Unangezogenheit festzustellen, dass da um den Nabel herum schon eine kleine Kugel gewachsen ist, seitdem man kein geregeltes Sexualleben mehr hat.
Zum Glück ist heute „Tag der Veränderung“ und somit komm ich gar nicht erst großartig in die Verlegenheit, mich der Sehnsucht und dem Vermissen alter Liebschaften hinzugeben; es kommt nur eklig kaltes Nass aus der – ich nenne sie der Gleichberechtigung jetzt einfach mal salopp - Wasserhenne, mit dem Resultat, dass die eisigen Temperaturen jegliche traurige Erinnerung an amouröses Vergangenes sofort erfrieren lassen. Super! Ganzkörperliches Reinemachen in zwei Minuten und dreizehn Sekunden, neuer Rekord. Und das alles ohne selbst zerstörerisches Exbeziehungsrekapitulieren! Dass man sich bei solch einer Aktion aber durchaus mal den sprichwörtlichen Tod holen kann, wird stillschweigend übergangen und unter den Badvorleger gekehrt, schließlich gilt es heute positiv zu denken.
Schlotternd bis zum Gehtnichtmehr und bibbernd vor Lebensfreude husch ich aus der Dusche und rubbele mir mit einem Die-Welt-ist-dufte-Frottehandtuch die letzten Depressionspartikelchen von der eben schocktherapierten Haut. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass die Sache mit den Good Vibrations so prima klappen würde. Da fühlt sich das jeansstoffene Beinkleid, in welches ich soeben steige, doch gleich viel besser an. Als ich mich nun anschickte, das übliche Badezimmerzeremoniell mit Haarprachttrocknen, Zähneputzen und Kontaktlinsen auf die Augen Pappen zu einem glorreichen Ende zu bringen, fällt mir etwas auf, was mich vor Verzücken zunächst aus allen Wolken, und dann sanft auf Nummer Sieben fallen lässt.
Um nämlich ein angenehmes Wohlfühlgefühl beim Putzen seiner Beißerchen und dem Einsetzen seiner Haftschalen zu erreichen, ist es unabdingbar das Waschbecken vorher von den am Beckenrand kleben gebliebenen Schaum- und Barthaarresten zu befreien. War dies bis dato lediglich automatischer Bestandteil einer schon millionenfach vollführten Handlung gewesen, so sah ich diese jetzt mit ganz anderen Augen aus einem völlig anderen Blickwinkel heraus. Hatte es vorhin geheißen, ich solle endlich damit anfangen, wieder die schönen Dinge im Leben zu sehen, war damit garantiert solch romantischer Krimskrams wie Vögelgezwitscher, ein Spaziergang durch verträumte Winterlandschaft oder das Rauschen des Windes in sternenklarer Nacht gemeint. Nun aber blickte ich ins vom Rasieren besudelte Waschbecken und erkannte zum ersten Mal, wie schön sogar dieses Gemisch von reinstem Rasierschaumweiß und dunklen Barthaarflecken doch ist. Schaut genauso aus wie Straciatella-Eiscreme, einfach wunderbar! Und spätestens jetzt wusste ich, Benigni hatte recht: Das Leben ist schön! „Meine Shirt hat ausgedient, ab sofort wird sich nur noch mit Fortuna höchstpersönlich unterhalten“, denk ich mir, schnür mein Hans-im-Glück-Bündel der positiven Energien und mache mich auf, es in die große weite Welt zu tragen.
Wie eine schier unendlich lange, flureszensierende Lichterkette unschuldigsten Kinderlächelns ziehen all die Häuserzeilen, Menschen und Vehikel an mir vorbei und mich selbst – eingehüllt in dieses wonnige Band der Wärme und Güte – direkt in den Puls der vor Liebe überschäumenden Stadt hinein. Ich trage eine blinde, taube, stumme– Well, eine obviously ziemlich hilfebedürftige – alte Frau über die dichtbefahrene Hauptstraße, schenke einem bittere Elefantentränen weinenden Vorschulmädchen einen bordeauxroten Heliumballon in Herzform, den wir gemeinsam in den azurblauen Himmel steigen lassen und finde mich schließlich in einem kleinen chicen, abseits allen Trubels in einem verwinkelten Gässchen gelegenen, Bistro wieder, in dem der Geist von Amelie zu wohnen scheint. Bar jeglicher eines von mir sehr geschätzten Kabarettisten, Kolumnisten und Entertainers einst geäußerten Häme, uns Germanen fehle die italienische Eleganz des Zucker in den Cappuccino Streuens, winke ich die adrette Serveuse an meinen Tisch, um mir eben solches südländisches Flair versprechendes Kaffeegebräu zu bestellen.
Halb tanzend, halb schwebend gleitet sie grazil herbei mit langem Bein, bei jedem Ballerinaschritt das dunkele Haar im Rhythmus ihrer Hüfte wallend und die himmlisch dezent wippenden Brüste sanft den dünnen Stoff ihrer Bluse liebkosend. Mit ihren schlanken, jeden Wunderknabenpianisten dieser Welt auf rutschenden Knien in orgastischem Verzücken dieser feingliedrigen Muse tausend Rosenkränze vorbeten lassenden Fingern stützt sie sich federleicht zu mir gebeugt auf meinen Tisch, um meine Bestellung aufzunehmen und gewährt mir durch leicht geöffnetes Dekollete einen innigen Blick auf ihren pulsierenden und wohlgeformten Herzschlag.
Ich hätte etwas unwiderstehliches Verführerisches in meinen Augen – wispert sie in mein begieriges Ohr - etwas ganz Spezielles und Besonderes, das sie magisch anziehe und sie zu einem willenlosen Opfer grenzenloser Faszination und Leidenschaft mache.
„Der magische Glanz von Straciatella!?“ geb ich keck zur Antwort und prompt fallen wir übereinander her und lieben uns hemmungslos stöhnend und schwitzend auf dem eichenhölzernen Bar-Tresen.
„Bitteschön, Ihr Cappuccino!“ reißt es mich aus meinem Traum und zaubert mir blankes Entsetzen in meine Miene. Beleidigt blicke ich zu Boden: Ich bin doch eigentlich Teetrinker! Zufälligerweise hat die alte - an diesem Tage nur noch positiv denkende - Leseratte von Welt und heute einen wahren Bestseller einstecken, hinter dessen Einband sie nun ihre peinliche Verlegenheit verstecken kann. Bar jeglicher eines von mir sehr geschätzten Kabarettisten, Kolumnisten und Entertainers einst geäußerten und vorhin schon erwähnten Häme, greife ich zum Zuckerstreuer, füge meinem italienisches Flair versprechenden Koffeingebräu akkurat-teutonisch die nötigen Süßwerte bei und versinke in die verschachtelte Satzkonstruktwelt des Spaniers Javiers Marias. Mein Herz so weiss, eines jener Bücher, welche man nur aus dem Grund zu Ende liest, um im Nachhinein gelangweilt um die Erkenntnis reicher zu sein, dass sich auch ein Reich-Ranicki mal täuschen kann.
Empfand ich Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins schon ziemlich unerträglich und musste sie folglich als das einzige Werk huldigen, dessen letzte Seiten niemals auch nur im Anflug von meinen haftbeschalten, Straciatellaeisglanz versprühenden Äuglein liebkost worden sind, quäle ich mich nun durch bis zum Umfallen kunstvoll hingezüchtetes Wortgut, bis endlich die Schatten der einsetzende Dämmerung meine Schamesröte überdecken und ich von diesem grauenvollen Schinken ablassen kann.
„Zeit für das große Finale!“ meldet sich mein kleiner Felix im Hinterstübchen zu Wort und ruft mir ins Gedächtnis zurück, dass heute ja eigentlich gute Laune auf dem Programm steht.
„Klirr“ machen die Münzen, die ich zum Abschied aufs glänzende Silbertablett werfe – Trinkgeld gibt’s keines – und „Knack“ die Tür beim Öffnen, durch welche ich nun hinaus in die milde Abendluft stolziere – Welch liebliches Lüftchen! Ich blicke nach oben: Das kleine Vorschulmädchen hatte vergessen den herzförmigen Heliumballon loszulassen und schwebt nun etwas ungelenk durchs Abendrot – Wir winken uns zu!
Auf dem Nachhauseweg rette ich noch tapfer ein halbwaises Eichhörnchen vor dem Ertrinken und erreiche endlich merklich ausgemergelt mein heimisches Gefilde. Es war ein harter Tag gewesen. Erschöpft vom andauernden Durch-die-rosarote-Brille-Schauen falle ich ins Bett, schalte noch gedankenverloren die Glotze ein und bleibe beim einsam Singlezappen bei allsonntäglichem Tatort hängen. Klasse: Batic und Leitmeyr; die Münchner hab ich am liebsten!
Vorm Einschlafen weint man noch fix die üblichen paar Tränen für seine längst Verflossene ins Kopfkissen und wirft sich dann ausgezehrt in Morpheus ausgestreckte Arme. Positives Denken? Es funktioniert! Ich könnte auch Krebs haben! Und gleich nach dem Aufstehen werde ich im Morgenstuhl lesen, was mir der nächste Tag so bringen wird... Ich freu mich drauf!

Dennis Petsch März 2005
 



 
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