Studentenleben - und dann?

murmeltier

Mitglied
Studentenleben - und dann? 12. 6. 79 (aus "Tourtagebuch")

Ein letzter Monat harter Arbeit lag noch vor Klaus, dann würde er es geschafft haben. Sein Wirtschaftswissenschft-Studium ging dem Ende entgegen. Klaus war ziemlich sicher, das Examen gut hinter sich zu bringen. Er war nicht der Typ, der kurz vorm Examen den großen Rappel bekam und plötzlich an sich und seinen Fähigkeiten zu zweifeln begann. Er war während der Studienzeit mehr oder weniger bei der Lehrstoffstange geblieben, hatte nicht zu viel, aber auch bestimmt nicht zu wenig getan. Die Klausuren waren entsprechend durchschnittlich oder darüber ausgefallen, das reichte ihm.
Jetzt hielt er schon seit einiger Zeit Ausschau nach einem Job nach dem Examen. Er hatte da eine Stelle in Aussicht. Ja, und noch einen gut bezahlten Job, den sein Vater ihm immmer anprieß, sein Vater hatte einige gute Beziehungen.
Klaus war während der Studienzeit wie die meisten seiner Kollegen politisch sehr aktiv gewesen - natürlich links. So hatte er auch immer lautstark auf die vorberechtete Klasse geschimpft. Auch auf seine Eltern, die zu dieser Klasse zählten. Bis auf den monatlichen Scheck hatte er so gut wie nichts von seinen Eltern angenommen, erst Recht keine wie auch immer gearteten Ratschläge. Seine Eltern waren Angehörige jener Klasse, die er mit seinen Freunden beschimpfte, anprangerte, fast haßte. Dies allein war schon oft genug ein Grund für ihn gewesen, die Worte seiner Eltern in den Wind zu schreiben.
Klaus saß so, wie oft an den letzten Abenden, über seinen Büchern. Er hörte kaum das Klopfen an der Tür und schreckte erst aus seiner Arbeit auf, als er zwei Hände auf seinen Augen spürte.
"Ach, Susanne, mußt du einen immer zu Tode erschrecken," sagte er in einem scherzhaft ernsten Ton. Dann drehte er sich um und nahm sie zärtlich in die Arme. Klaus war nun schon seit zwei Jahren eng befreundet. Er hatte sie an der Uni kennengelernt. Sie studierte dasselbe wie Klaus und hatte auch nur noch das Examen vor sich.
"Ach Klaus, warum arbeitest du immer bis spät in die Nacht?" fragte Susanne, auf Klaus´ Schoß sitzend und in seinen Heften blätternd.
"Es ist ja nicht mehr lange, dann ist ein für allemal Schluß damit. Dann haben wir mehr Zeit füreinander."
Nach dem Studium wollten sie heiraten und sich eine schöne, große Wohnung suchen. Wenn beide einen Job finden würden, wäre die finanzielle Seite kein Problem. Sie turtelten miteinander, als es wieder an der Tür klopfte und gleich darauf Henry im Raum stand. Das Anklofpen war eigentlich nur Formsache, denn in der Wohngemeinschaft gab´s sowas wie verschlossene Türen nicht.
"Hey, ihr beiden Liebesknochen, wolltet ihr nicht zur Beratschlagung der Aktivitäten gegen die studentischen Neonazis mitkommen? Es ist Zeit, in ´ner Viertelstunde geht´s da los."
Klaus zog eine krause Stirn, deutete mit der Hand auf die aufgeschlagenen Bücher und meinte: "Nee, Henry, ich hab noch´s bißchen was zu tun. Werde danach wohl wie ein Stein ins Bett fallen, bin echt müde."
"Und du, Susanne, schlileßt du dich wieder mal dem Urteil deines baldigen Göttergatten an?" fragte Henry. Seitdem in der WG klar war, daß die beiden heiraten würden, wurde bei jeder nur möglichen Gelegenheit dies entsprechend stark herausgestrichen.
"Nein, mein lieber Heinrich, ich werde meinem Göttergatten in spe untreu und eine berauschende Nacht mit dir erleben. Ich muß nur noch meine Tasche holen, dann können wir abdüsen." Sie drückte Klaus noch einen dicken Kuß auf die Stirn und schloß leise die Tür hinter sich und Henry.
Klaus konnte nicht sofort zu seinen Studien zurückkehren. Henry´s Worte hatten ihn nachdenklich gemacht. Klaus stellte fest, daß er in letzter Zeit kaum noch was in Sachen Politik machte. Woran konnte das liegen? Diese Frage hatte er sich oft in den letzten Wochen gestellt.
Klar, er hatte mehr Arbeit als sonst um die Ohren. Das Examen war schließlich nicht aus Pappe, allerdings auch nicht sehr viel schwerer als die Klausuren. Und vor den Klausuren hatte er oft genug Studium Studium sein lassen, um zu allen möglichen politischen Treffs zu gehen. Er hatte immer gesagt, daß die politische Arbeit was für´s Leben sei und man daher hier eher auf dem Laufenden bleiben mußte als bei diesem Uni-Studium, daß mit dem Examen enden würde. Und nun handelte er eher umgekehrt. Als wenn sein Studium sein ein und alles wäre und die politischen Aktivitäten mit dem Examen enden würden. Ein Examen war wohl doch was anderes als die Klausuren, sagte er sich schließlich und beugte sich wieder über die Bücher.
...ein paar Monate später...
Klaus ging mit suchendem Blick durch die schon an sich fertig eingerichtete Wohnung. Entsprechend schwer war es für ihn, noch einen Platz für die Gebirgslandschaft zu finden, die er vorsichtig in einer Hand hielt.
"Susanne, komm doch mal," hörte man ihn nach seiner nun Angetrauten rufen. Susanne erschien in der Tür. Sie strich sich mit dem Handrücken der mehligen linken Hand eine Haarsträhne aus den Augen. Sie war gerade dabei, den ersten Kuchen im neuen Heim zu backen.
"Na, hast du einen Platz für die Matterhorn-Imitation gefunden," scherzte sie. Sie wußte, daß Klaus das Bild schön fand und zog ihn gerne damit auf.
"Matterhorn-Imitation," brummelte er und hielt dann probeweise das Bild an die Stelle, die er sich ausgeguckt hatte, "na, wie findest du´s, wenn wir´s hier aufhängen?"
Susanne ging ein paar Schritte zurück, um die Wand mit dem Bild als Gesamtheit begutachten zu können. Sie legte den Kopf auf die Seite, linste gen Bild und meinte dann: "Ja, das macht sich ganz gut da, allerdings würde es reichen, wenn du nur den Rahmen aufhängst. Das gäbe dem Bild einen sehr verwegenen abstrakten Zug."
Kaum hatte sie´s gesagt, war sie auch schon aus dem Zimmer verschwunden. Sie hörte Klaus noch etwas von "Kunstbanausen" und "keine Ahnung" brabbeln, während er den Nagel in die Wand schlug. Als er fertig war, kam er in die Küche.
"Also wirklich," meinte er zu Susanne, "erst das Bild gibt dem Zimmer eine gemütliche Atmosphäre. Ehrlich, wenn´s nicht da hängen würde, wäre das Zimmer nur halb so schön."
Susanne erwiderte nichts außer ein Lächeln. Sie schob gerade die Kuchenform in den Ofen, als es an der Tür klingelte.
"Wer kann das denn sein," sagte Klaus unwillkürlich, als er zur Tür ging, um zu öffnen. Vorher guckte er durch den Spion und öffnete dann.
"Henry, altes Scheißhaus," hörte man ihn tönen, "Mann, daß sich mal einer von euch hier sehen läßt, find ich ja dufte. Steh nicht so rum, komm rein."
Es folgte eine herzliche Begrüßung mit Schulterklopfen und leuchtenden Augen. Man ging ins Wohnzimmer, wo bald jeder seine Flasche Bier vor sich hatte.
"Willst du ´n Glas?" fragte Klaus.
"Du weißt doch, daß ich keins brauch," antwortete Henry und schaute sich im Zimmer um. Alles neue Sachen, neuer Schrank, Fernseher, neue Sitzgarnitur.
"Ihr habt ja mächtig in die Tasche gegriffen," stellte er fest und nahm einen tiefen Zug aus der Flasche.
"Sieht schlimmer aus, als es ist," meinte Susanne, "wenn man erstmal verdient, dann man sich das schon bequem leisten."
Sie hatten beide einen guten Job gefunden. Klaus hatte nach kurzem hin und her doch den Job angenommen, den sein Vater ihm freigehalten hatte. Beziehungen hin, Beziehungen her, hatte er sich gesagt, es wäre Schwachsinn, die Stelle auszuschlagen. Nicht nur die Bezahlung war besser, auch die Aufstiegsmöglichkeiten.
Es war nicht schwer für die drei, Gesprächsstoff zu finden. Sie sprachen über alte Zeiten, über Pauker, ob diese nach dem Beginn des neuen Semesters die alten geblieben waren. Es hätte wohl lange so in diesem Plauderton weitergehen können, wenn nicht Henry plötzlich das Gespräch mehr oder weniger abgewürgt hätte.
"Ja, ich habe leider nicht viel Zeit, will noch zu einer Anti-Atomkraft Arbeitsgemeinschaft. Ihr habt wohl nicht zufällig Zeit und Lust, mitzukommen?"
Klaus und Susanne schauten sich ratlos an, schließlich ergriff Susanne das Wort.
"Also, ich kann hier nicht weg, hab ´nen Kuchen im Ofen. Mein erster, den ich hier mache, und ich will ihn nicht gerne anbrennen lassen."
"Und du, Klaus?" fragte Henry lauernd.
"Tja, Zeit hätte ich schon, aber weißt du, ich bin nicht mehr so in der ganzen Sache drin, nicht mehr auf dem Laufenden. Habe auch kaum noch Zeit, mich damit zu beschäftigen."
Klaus fühlte sich nicht sehr wohl in seiner Haut, als er das sagte. Er hatte auch Bammel vor Henry´s Entgegnung, die sicherlilch kommen würde. Er kannte ihn, Henry war einer, der klar und eindeutig den Sachen auf den Grund gehen wollte, um zu wissen, woran er war.
"Ach ja, und ich glaube, da kommt noch ein netter Spielfilm im Fernsehen - Farbfernseher?"
Klaus nickte nur als Antwort.
"Klaus, ich erinnere mich da an einen Satz von dir, den du in der Vergangenheit öfters gebraucht hast: Politische Arbeit ist was fürs Leben, ein Studium endet mit dem Examen." Henry ließ den Satz so im Raum stehen und schaute eindringlich Klaus an.
"Ich weiß, das hab ich gesagt," engegnete Klaus und nahm nervös einen Schluck von seinem Bier," aber weißt du, das ist jetzt nicht mehr so wie früher für mich. Gut, die Studienzeit war gut mit allem, was gewesen ist. Aber damit ist´s jetzt für mich vorbei. Ich hab jetzt den Job, die Wohnung, bald eine Familie - ein Heim. In irgendwelchen politischen Arbeitsgemeinschaften würde ich mir jetzt fehl am Platz vorkommen. Vielleicht habe ich mich früher so auf die Politik gestürzt, weil da nichts anderes war, womit ich mich beschäftigen konnte. Jetzt willl ich mir ein gemütliches Heim schaffen, meine Ruhe haben, um mich nach der Arbeit zu entspannen."
Als er den Blick hob und Henry ansah, fügte er hinzu:
"Das ist doch ganz natürlich, oder? Das wird doch nicht verboten sein. Warte ab, bis du dein Examen in der Tasche hast, einen Job, eine Wohnung, vielleicht verstehst du´s dann!"
Klaus hatte sich zunehmend in Wut geredet, als er Henry´s spöttisch-mißachtenden Blick bemerkt hatte.
"Ich glaube, ich werd´s nie verstehen, ich glaube auch nicht, daß ich je so ein Heim haben werde."
Es folgte ein betretenes Schweigen, Henry erhob sich und verließ das Zimmer.
"Warte, ich bring dich zur Tür," sagte Klaus schnell und war auch schon aufgesprungen.
"Nicht nötig," antwortete Henry, "ich find auch so meinen Weg. Mach´s gut, Überläufer."
 

klara

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März 1978

Mein schönes Kleid. Selbst genäht. Keine Nähmaschine. Aber zwei gesunde Hände und hanwerkliches Geschick.

"Wie kannst du denn sowas anziehen? Ich hatte keine Ahnung von deiner kleinbürgerlichen Ambitionen."

Mai 1978

sehr schöner Morgen. Mit der Arife, Reiningunsfrau des Mädchenheims, gefrühstückt. Ihr blindes Auge schaut mich an. Es ist schön, dass sie mir nicht nur ihre "sehende" Gesichtshälfte zeigt.
Sie schickt mich in die Schule.

Zurück aus der Schule. Bin als "Boykottbrecher" beschimpft worden. (Von der, die mein Kleid als kleinbür... sie war gerade aufgestanden)
Arife, die bereits 6 Stunden-Tag hinter sich hat, fragte mich ob ich hunger habe.

August 1978
Neue Lernprogramme sind genehmigt worden.Es gibt Amnasty für alle Studenten. So einer Art "Schnellkurs". Beginnend im September, in 3 Monaten werde ich an Gymnasien unterrichten können. Wie? Wir hatten doch kaum Unterricht?
Ich habe mich entschieden meine Ausbildung nicht in 3 Monaten zu machen.
"Du bist soo dumm!" sagte sie. Die, die durch langes Schlafen das Boykott unterstützt, anstatt vor den Türen der Schule. Die, die mein Kleid...

Dezember 1978
ich habe es nicht bereut, meine päd. Ausbildung "unterbrochen" zu haben.

April 1983
Unser Land hat inzwischen noch einen Ausnahmezustand hinter sich. Doch ich spüre noch den Geruch von Schießpulver. Es sind noch Geister von Panzern auf den Straßen. Mittendrin begegnete ich "sie".
Sie schimpfte erneut. Die lage sei furchtbar. Als Lehrerin verdiene man zu wenig. Und die Schüler!! Sie seien so desinteressiert. Wir hatten ja schlieslich für etwas gekämpft.
Da fragt man sich, warum man soo lange Jahre studiert hat.
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Hallo,
Dein Thema berührt mich.
Gerade bei diesem Thema gibt es unzählige Möglichkeiten, die Konflikte zwischen "richtig und richtig/ falsch und falsch" aufzuzeigen. Was du nicht getan hast. Mit Absicht? Wenn, warum?
Ungebeten, sende ich dir einige Zeilen aus meinen Eintragungen. Weil...
Wie gesagt, dein Thema berührt mich.
Grüße.
 

gladiator

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Hallo murmeltier...

eine eigentlich gute Idee, die Relativierung jugendlicher politischer Ansichten vor dem Hintergrund des beginnenden Berufslebens, finde ich ein wenig trocken und zu lapidar abgehandelt.

Der ganze erste Teil ließe sich viel lebendiger in einem Dialog darstellen, als es so langatmig zu erzählen. Vielleicht während eines tatsächlichen politischen Treffens...

Überhaupt fehlt es der Geschichte an Ereignissen...Was passiert denn genau? Ein Typ hockt hinter seinem Schreibtisch und kann nicht mit zu einem Treffen, weil er lernen muß...zweite Szene: Ein junges Paar richtet sich seine Wohnung ein, ein alter Kumpel kommt vorbei und alle stellen fest, daß sich irgendwie im Lauf des Lebens die Prioritäten ändern...So weit, so alltäglich...

Mir fehlen die Dramatik, die Konflikte. Warum ist es am Ende kein ehemaliger Freund, der wegen diverser, ordnungsstörender Delikte Hilfe sucht und abgewiesen wird? Das würde die Sache spannend machen...

Gruß
Gladiator
 

murmeltier

Mitglied
Klammerzusatz "aus Tourtagebuch"

Die Story hab ich während einer 6-monatigen Europa-Tramptour quasi zwischen Straße und Kneipe/Café bei einer längeren Erholungspause zur eigenen Beschäftigung einfach so runtergeschrieben. Ist mir jetzt bei Veröffentlichung des Tourtagebuchs auf einer gemeinsamen Homepage (www.murmeltier-net.de)unter die Augen und Finger gekommen. Fange im übrigen erst an, Beiträge an die Leselupe zu schicken. Man wird bald öfters von mir hören und lesen. Wohl mehr Gedichte, da bin ich eh besser als beim Schreiben erfundener Geschichten.
Danke für eure Kritik, war über eure schnelle Meinugsäußerung überrascht. Werde jetzt gelasssen abwarten, bevor ich mich wieder zu möglichen anderen Antworten zu Wort melde.
Bis dann
Murmeltier
 



 
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