Sturmtänzer

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xavia

Mitglied
Grease, der Tanzfilm-Klassiker aus den Siebzigern mit John Travolta und Olivia Newton-John, läuft im Programmkino. Lisa und ich waren noch Kinder, als dieser Film ein großer Erfolg war. Unser erster Kino-Besuch ohne Begleitung Erwachsener. Wir waren damals schon Freundinnen. Ich warte auf Lisa, stehe am Fenster im Foyer des Kinos und blicke auf einen Hof, der umgeben ist von hohen Gebäuden. Ein Sturm zieht auf. Eine leere Limonadendose rollt scheppernd über den gepflasterten Platz, verschwindet unter einem der geparkten Autos. Überall parken Autos, auch hier, am Rand des Platzes. Der Sturm nimmt zu, er wirbelt zwischen den Mauern herum und ein paar lose Blätter wirbeln mit ihm.

Auf einmal sehe ich ihn, wie er über den Platz tanzt, sich scheinbar schwerelos bewegt, ein munteres Auf und Ab. Er dreht eine Runde, die Blätter verharren seitwärts, als wollten sie dem großen Tänzer die Bühne überlassen. Wie gebannt sehe ich ihm zu. Seine Bewegungen sind so natürlich, so fröhlich, wie eigentlich nur Kinder sein können und längst vergessen geglaubte Gefühle keimen in mir auf, seine Lebenslust steckt mich an. Ich bin er, tanze über den Platz, drehe wilde Pirouetten, wage halsbrecherische Sprünge. Und dann wieder bin ich eines der Blätter, die sich wieder hervorgewagt haben, um sich an seinem wilden Tanz zu beteiligen. Mal sieht es so aus, als würde er die Blätter verfolgen, die angstvoll vor ihm fliehen, dann wieder ist die muntere Schar hinter ihm her, wie eine Horde von Fans hinter einem großen Star. Musik erklingt in meinem Kopf, laut, wild und ungestüm wie der Sturmtanz dort draußen vor dem Fenster. Die Klänge branden dramatisch auf, um dann unvermittelt leiser zu werden, als der Tänzer den Pfahl einer Laterne ergreift, ihn umtanzt und mit seinem ganzen Körper umwickelt, leidenschaftlich, voller Hingabe, ja liebevoll und graziöser als jemals eine Tänzerin auf der Bühne das getan hat. Die Musik ist von einer Lieblichkeit und Süße, dass ich weinen möchte, weinen vor Glück.

Traurigkeit wallt in mir auf: Wann ist mir diese Zärtlichkeit abhanden gekommen, diese Natürlichkeit, dieses Leben, diese Liebe? Aber dann löst der Tänzer sich von dem Pfahl und die Musik, komponiert von seinen Bewegungen, wird wieder lauter, als die Blätter ihn abholen und er zu einem neuen wilden Reigen ansetzt. Ich grübele nicht weiter, folge ihm dankbar und froh und es ist mir, als flöge ich selbst über den Platz, schwerelos, unbeschwert. Der Sturm nimmt alles mit sich fort, was mich belastet hat. Der Glückliche, der Glückbringende, dessen Bewegungen in vollkommener Harmonie mit dem Sturm sind, tanzt mir mir über den Platz, wir erheben uns hoch in die Lüfte, Schwindel erregend und wunderbar.

Die Musik ist von spielerischer Leichtigkeit, ebenso wie unsere Körper und ein Ausspruch von Mark Twain kommt mir in den Sinn:

»Arbeite, als bräuchtest du kein Geld,
liebe, als seist du nie verletzt worden
und tanze, als sähe dir niemand zu.«

Plötzlich steht Lisa neben mir. Ich möchte sie teilhaben lassen an meinem Glück, finde aber keine Worte, deute nur sprachlos mit ehrfurchtsvollem Blick aus dem Fenster und Lisa schaut hinaus.

In dem Moment hat sich das kleine blaue Tütengespenst, dessen ungestümem Treiben ich zugesehen hatte, wieder um den Pfahl gewickelt und winkt nur ganz heimlich mit einem seiner Eckenzipfel, ist ansonsten reglos.

»Ja, was ist denn da? Ein Parkplatz, oh, wie wunderbar« spottet meine Freundin, die Missgestimmte.

Ich versuche, in die Realität zurückzukehren, atme noch einmal tief durch und erkläre es ihr:

»Diese kleine blaue Plastiktüte da draußen, sieh' doch, die hat eben ganz zauberhaft getanzt.«

Noch einmal schaut Lisa aus dem Fenster, sieht die Tüte, die sich stur an den Pfahl klammert.

Lisa sieht mich an, als zweifelte sie an meinem Verstand: »Der Film fängt gleich an, lass uns gehen.«

Ich werfe einen letzten sehnsuchtsvollen Blick nach draußen, während meine Freundin, die Ungeduldige, sich schon langsam in Bewegung setzt. Da reißt er sich los von dem Pfahl, schraubt sich in ungeahnte Höhen. Ich muss noch einmal dichter an das Fenster herantreten, um ihn da oben noch zu sehen. Sogleich setzt er zu einem halsbrecherischen Sturzflug an, fängt sich erst knapp über dem Boden wieder, um mir nach einem wunderbaren Wirbel um den Platz noch einmal fröhlich zuzuwinken und mir ist, als hätte er mir verschwörerisch zugezwinkert, als er dem Fenster ganz nah war und ich habe ihm lächelnd zugewunken.
 
Liebe Xavia,

Liebe Xavia,

wieder ein schöner Text, den ich mit Genuss gelesen habe, sogar mehrmals!

Dabei ist mir aufgefallen, dass du das Wort „Sturm“ in deinem Text fünfmal benutzt hast.

Ich denke, dass man sich hier Gedanken um Synonyme für „Sturm“ machen sollte, gerade um zu zeigen, dass sich eine laue Brise so langsam in einem Sturm aufschaukelt und unseren Sturmtänzer mit zunehmender Stärke aller Ehre geben kann.

heftiger/starker Wind, Wirbelsturm, Orkan, Unwetter, Sturmwind, Blizzard, Hurrikan, Tornado, Windsbraut; Briese, Lüftchen, Hauch, Windhose, Luftstrom, ...

Was meinst du?

Dein Tintenkleckser
 

xavia

Mitglied
Lieber Tintenkleckser,

ja, du hast Recht! Ich habe bei dieser Geschichte so sehr mit den Gefühlen gerungen, dass mir das gar nicht aufgefallen ist. Dabei sollte ich als Norddeutsche doch einiges über die Winde wissen, ebenso wie die Eskimos, die so viele Wörter haben für die Farbe weiß.

Schön, dass dir der Text gefallen hat, ich werde den Sturm in der nächsten Version wortreicher wehen lassen, vielen Dank für den Hinweis.

Liebe Grüße Xavia.
 

HorstK

Mitglied
Schöne Stimmung

Liebe Xavia,

Deine Geschichte hat viel Stimmung, viel Gefühl ... und die Assoziation Tanzfilm "Grease" zum wahren Tanz der blauen Tüte finde ich sehr originell. Ich musste unweigerlich an einen Film "Lügen, Sex und Video" oder so ähnlich denken, in dem der Video-besessene Filmer zum Schluss seinen Lieblings-Clp vorspielt: Den Tanz einer Plastiktüte im Wind, wirklich beeindruckend. So auch Deine Geschichte, die bei mir diese Bilder aufleben lies. Gratuliere!
 

xavia

Mitglied
Vielen Dank, lieber HorstK, für deine freundliche Rückmeldung!
Als ich neulich im Netz nach einem Foto einer solchen Tüte gesucht habe, ist mir der Clip mit der tanzenden Tüte begegnet und ich fand ihn sehr schön. Es gibt auch eine Horror-Version davon mit einer bösen Tüte:
http://www.mediasteak.com/american-beauty-2/
 

xavia

Mitglied
Grease, der Tanzfilm-Klassiker aus den Siebzigern mit John Travolta und Olivia Newton-John, läuft im Programmkino. Lisa und ich waren noch Kinder, als dieser Film ein großer Erfolg war. Unser erster Kino-Besuch ohne Begleitung Erwachsener. Wir waren damals schon Freundinnen. Ich warte auf Lisa, stehe am Fenster im Foyer des Kinos und blicke auf einen Hof, der umgeben ist von hohen Gebäuden. Eine steife Briese zieht auf, es hatte eine Sturmwarnung gegeben. Eine leere Limonadendose rollt scheppernd über den gepflasterten Platz, verschwindet unter einem der geparkten Autos. Überall parken Autos, auch hier, am Rand des Platzes. Der Wind nimmt zu, er wirbelt zwischen den Mauern herum und ein paar lose Blätter wirbeln mit ihm.

Auf einmal sehe ich ihn, wie er über den Platz tanzt, sich scheinbar schwerelos bewegt, ein munteres Auf und Ab. Er dreht eine Runde, die Blätter verharren seitwärts, als wollten sie dem großen Tänzer die Bühne überlassen. Wie gebannt sehe ich ihm zu. Seine Bewegungen sind so natürlich, so fröhlich, wie eigentlich nur Kinder sein können und längst vergessen geglaubte Gefühle keimen in mir auf, seine Lebenslust steckt mich an. Ich bin er, tanze über den Platz, drehe wilde Pirouetten, wage halsbrecherische Sprünge. Und dann wieder bin ich eines der Blätter, die sich wieder hervorgewagt haben, um sich an seinem wilden Tanz zu beteiligen. Mal sieht es so aus, als würde er die Blätter verfolgen, die angstvoll vor ihm fliehen, dann wieder ist die muntere Schar hinter ihm her, wie eine Horde von Fans hinter einem großen Star. Musik erklingt in meinem Kopf, laut, wild und ungestüm wie der Sturmtanz dort draußen vor dem Fenster. Die Klänge branden dramatisch auf, um dann unvermittelt leiser zu werden, als der Tänzer den Pfahl einer Laterne ergreift, ihn umtanzt und mit seinem ganzen Körper umwickelt, leidenschaftlich, voller Hingabe, ja liebevoll und graziöser als jemals eine Tänzerin auf der Bühne das getan hat. Die Musik ist von einer Lieblichkeit und Süße, dass ich weinen möchte, weinen vor Glück.

Traurigkeit wallt in mir auf: Wann ist mir diese Zärtlichkeit abhanden gekommen, diese Natürlichkeit, dieses Leben, diese Liebe? Aber dann löst der Tänzer sich von dem Pfahl und die Musik, komponiert von seinen Bewegungen, wird wieder lauter, als die Blätter ihn abholen und er zu einem neuen wilden Reigen ansetzt. Ich grübele nicht weiter, folge ihm dankbar und froh und es ist mir, als flöge ich selbst über den Platz, schwerelos, unbeschwert. Alles, was mich belastet hat, wird einfach fortgeweht. Der Glückliche, der Glückbringende, dessen Bewegungen in vollkommener Harmonie mit den wilden Lüften sind, tanzt mit mir über den Platz, wir erheben uns hoch in die Lüfte, Schwindel erregend und wunderbar.

Die Musik ist von spielerischer Leichtigkeit, ebenso wie unsere Körper und ein Ausspruch von Mark Twain kommt mir in den Sinn:

»Arbeite, als bräuchtest du kein Geld,
liebe, als seist du nie verletzt worden
und tanze, als sähe dir niemand zu.«

Plötzlich steht Lisa neben mir. Ich möchte sie teilhaben lassen an meinem Glück, finde aber keine Worte, deute nur sprachlos mit ehrfurchtsvollem Blick aus dem Fenster und Lisa schaut hinaus.

In dem Moment hat sich das kleine blaue Tütengespenst, dessen ungestümem Treiben ich zugesehen hatte, wieder um den Pfahl gewickelt und winkt nur ganz heimlich mit einem seiner Eckenzipfel, ist ansonsten reglos.

»Ja, was ist denn da? Ein Parkplatz, oh, wie wunderbar« spottet meine Freundin, die Missgestimmte.

Ich versuche, in die Realität zurückzukehren, atme noch einmal tief durch und erkläre es ihr:

»Diese kleine blaue Plastiktüte da draußen, sieh' doch, die hat eben ganz zauberhaft getanzt.«

Noch einmal schaut Lisa aus dem Fenster, sieht die Tüte, die sich stur an den Pfahl klammert.

Lisa sieht mich an, als zweifelte sie an meinem Verstand: »Der Film fängt gleich an, lass uns gehen.«

Ich werfe einen letzten sehnsuchtsvollen Blick nach draußen, während meine Freundin, die Ungeduldige, sich schon langsam in Bewegung setzt. Da reißt er sich los von dem Pfahl, schraubt sich in ungeahnte Höhen. Ich muss noch einmal dichter an das Fenster herantreten, um ihn da oben noch sehen zu können. Sogleich setzt er zu einem halsbrecherischen Sturzflug an, fängt sich erst knapp über dem Boden wieder, um mir nach einem wunderbaren Wirbel um den Platz noch einmal fröhlich zuzuwinken und mir ist, als hätte er mir verschwörerisch zugezwinkert, als er dem Fenster ganz nah war und ich habe ihm lächelnd zugewunken.
 
E

eisblume

Gast
Hallo xavia,

ich finde deine Geschichte sehr schön geschrieben, mein Kopfkino springt an, ich kann mir das Bild der tanzenden Tüte sehr gut vorstellen.
Ich habe die Geschichte jetzt schon x-mal gelesen. Doch ich komme einfach nicht damit zurecht, wie sehr diese Plastiktüte männlich personifiziert ist. Es heißt ständig er, er, DER Tänzer und dann kommt DIE Plastiktüte. Das bring ich irgendwie nicht zusammen.

Ich meine, es ist ja klar, dass es sich bei dem Tänzer nicht um einen realen Mann handelt, daher dachte ich, warum nicht gleich schreiben, dass es sich eben um eine Tüte handelt und dann die Fantasie mit dem Ich durchgehen lassen.
Vielleicht mangelt es aber schlicht an meiner Fantasie, vielleicht würde es auch reichen, den Tänzer anders als mit „Auf einmal sehe ich ihn, wie er über den Platz tanzt, ..." einzuführen; ich weiß nicht.
Im Moment hat das Ganze für mich einfach etwas von falscher Fährte, die sich nicht wirklich befriedigend auflöst.

Sprachlich finde ich gleich den ersten Satz ein wenig holperig und würde ihn umstellen:
Grease, der Tanzfilm-Klassiker aus den Siebzigern mit John Travolta und Olivia Newton-John, läuft im Programmkino.
Im Programmkino läuft (heute) Grease, der Tanzfilm-Klassiker aus den Siebzigern mit John Travolta und Olivia Newton-John.

herzlichst
eisblume
 

xavia

Mitglied
Liebe Eisblume,

den ersten Satz stelle ich um, danke schön!

Die Sache mit dem Tänzer ist schwieriger. Über die falsche Fährte möchte ich deutlich machen, dass es schwierig ist, eine andere am eigenen Traum teilhaben zu lassen, wenn diese sich nicht darauf einlässt. Ich habe beim Schreiben ein "sie" erwogen, aber das ging gar nicht für mich. Diese Geschichte ist im wesentlichen (bis auf das Programmkino) so passiert, meine Schwester hatte mir davon berichtet, ich habe ihn vor mir gesehen. Für sie war es immer ein Tänzer und für mich auch, für Lisa allerdings nie. Vielleicht würde die Geschichte besser sein, wenn ich mit offenen Karten spielte, aber dann wäre es nicht mehr die, die ich erzählen wollte.

Liebe Grüße Xavia.
 

xavia

Mitglied
Im Programmkino läuft heute Grease, der Tanzfilm-Klassiker aus den Siebzigern mit John Travolta und Olivia Newton-John. Lisa und ich waren noch Kinder, als dieser Film ein großer Erfolg war. Unser erster Kino-Besuch ohne Begleitung Erwachsener. Wir waren damals schon Freundinnen. Ich warte auf Lisa, stehe am Fenster im Foyer des Kinos und blicke auf einen Hof, der umgeben ist von hohen Gebäuden. Eine steife Briese zieht auf, es hatte eine Sturmwarnung gegeben. Eine leere Limonadendose rollt scheppernd über den gepflasterten Platz, verschwindet unter einem der geparkten Autos. Überall parken Autos, auch hier, am Rand des Platzes. Der Wind nimmt zu, er wirbelt zwischen den Mauern herum und ein paar lose Blätter wirbeln mit ihm.

Auf einmal sehe ich ihn, wie er über den Platz tanzt, sich scheinbar schwerelos bewegt, ein munteres Auf und Ab. Er dreht eine Runde, die Blätter verharren seitwärts, als wollten sie dem großen Tänzer die Bühne überlassen. Wie gebannt sehe ich ihm zu. Seine Bewegungen sind so natürlich, so fröhlich, wie eigentlich nur Kinder sein können und längst vergessen geglaubte Gefühle keimen in mir auf, seine Lebenslust steckt mich an. Ich bin er, tanze über den Platz, drehe wilde Pirouetten, wage halsbrecherische Sprünge. Und dann wieder bin ich eines der Blätter, die sich wieder hervorgewagt haben, um sich an seinem wilden Tanz zu beteiligen. Mal sieht es so aus, als würde er die Blätter verfolgen, die angstvoll vor ihm fliehen, dann wieder ist die muntere Schar hinter ihm her, wie eine Horde von Fans hinter einem großen Star. Musik erklingt in meinem Kopf, laut, wild und ungestüm wie der Sturmtanz dort draußen vor dem Fenster. Die Klänge branden dramatisch auf, um dann unvermittelt leiser zu werden, als der Tänzer den Pfahl einer Laterne ergreift, ihn umtanzt und mit seinem ganzen Körper umwickelt, leidenschaftlich, voller Hingabe, ja liebevoll und graziöser als jemals eine Tänzerin auf der Bühne das getan hat. Die Musik ist von einer Lieblichkeit und Süße, dass ich weinen möchte, weinen vor Glück.

Traurigkeit wallt in mir auf: Wann ist mir diese Zärtlichkeit abhanden gekommen, diese Natürlichkeit, dieses Leben, diese Liebe? Aber dann löst der Tänzer sich von dem Pfahl und die Musik, komponiert von seinen Bewegungen, wird wieder lauter, als die Blätter ihn abholen und er zu einem neuen wilden Reigen ansetzt. Ich grübele nicht weiter, folge ihm dankbar und froh und es ist mir, als flöge ich selbst über den Platz, schwerelos, unbeschwert. Alles, was mich belastet hat, wird einfach fortgeweht. Der Glückliche, der Glückbringende, dessen Bewegungen in vollkommener Harmonie mit den wilden Lüften sind, tanzt mit mir über den Platz, wir erheben uns hoch in die Lüfte, Schwindel erregend und wunderbar.

Die Musik ist von spielerischer Leichtigkeit, ebenso wie unsere Körper und ein Ausspruch von Mark Twain kommt mir in den Sinn:

»Arbeite, als bräuchtest du kein Geld,
liebe, als seist du nie verletzt worden
und tanze, als sähe dir niemand zu.«

Plötzlich steht Lisa neben mir. Ich möchte sie teilhaben lassen an meinem Glück, finde aber keine Worte, deute nur sprachlos mit ehrfurchtsvollem Blick aus dem Fenster und Lisa schaut hinaus.

In dem Moment hat sich das kleine blaue Tütengespenst, dessen ungestümem Treiben ich zugesehen hatte, wieder um den Pfahl gewickelt und winkt nur ganz heimlich mit einem seiner Eckenzipfel, ist ansonsten reglos.

»Ja, was ist denn da? Ein Parkplatz, oh, wie wunderbar« spottet meine Freundin, die Missgestimmte.

Ich versuche, in die Realität zurückzukehren, atme noch einmal tief durch und erkläre es ihr:

»Diese kleine blaue Plastiktüte da draußen, sieh' doch, die hat eben ganz zauberhaft getanzt.«

Noch einmal schaut Lisa aus dem Fenster, sieht die Tüte, die sich stur an den Pfahl klammert.

Lisa sieht mich an, als zweifelte sie an meinem Verstand: »Der Film fängt gleich an, lass uns gehen.«

Ich werfe einen letzten sehnsuchtsvollen Blick nach draußen, während meine Freundin, die Ungeduldige, sich schon langsam in Bewegung setzt. Da reißt er sich los von dem Pfahl, schraubt sich in ungeahnte Höhen. Ich muss noch einmal dichter an das Fenster herantreten, um ihn da oben noch sehen zu können. Sogleich setzt er zu einem halsbrecherischen Sturzflug an, fängt sich erst knapp über dem Boden wieder, um mir nach einem wunderbaren Wirbel um den Platz noch einmal fröhlich zuzuwinken und mir ist, als hätte er mir verschwörerisch zugezwinkert, als er dem Fenster ganz nah war und ich habe ihm lächelnd zugewunken.
 
E

eisblume

Gast
Hallo xavia,

den Tütentanz kann ich mir sehr gut vorstellen, das Bild läuft rund. Mir ist es nur zu viel, wie massiv darin ein richtiger (männlicher) Tänzer gesehen werden soll.

Ich fürchte, ich kann es nicht wirklich und schon gar nicht gut erklären. Daher schlage ich vor, du vergisst meinen Einwand wieder :) Noch dazu, wenn du das so erlebt hast; da hast du von Haus aus schon einen ganz anderen Bezug dazu.

herzlichst
eisblume
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Xavia,

zum Inhalt ist ja schon einiges gesagt worden, zu Stil und Rechtschreibung leider noch nicht. Ich finde, diese hübsche Geschichte hätte es verdient, dass Du sie noch einmal überarbeitest.

[red]Briese[/red] – [blue]Brise[/blue]
[red]zugewunken[/red] – [blue]zugewinkt[/blue]
Lisa und ich waren noch Kinder, als dieser Film ein großer Erfolg war. Unser erster Kino-Besuch ohne Begleitung Erwachsener. Wir waren damals schon Freundinnen.
Vorschlag:
Lisa und ich waren noch Kinder, aber schon Freundinnen, als dieser Film ein großer Erfolg war. Unser erster Kino-Besuch ohne Begleitung Erwachsener.
Und dann wieder bin ich eines der Blätter, [red]die[/red] [blue]das[/blue] sich wieder hervorgewagt [red]haben[/red] [blue]hat[/blue], um sich an seinem wilden Tanz zu beteiligen. Mal sieht es so aus, als würde er die Blätter verfolgen, die angstvoll vor ihm fliehen, dann wieder ist die muntere Schar hinter ihm her,
Ich muss noch einmal [red]dichter[/red] [blue]nähe[/blue]r an das Fenster herantreten, um ihn da oben noch sehen zu können. Sogleich setzt er zu einem halsbrecherischen Sturzflug an, fängt sich erst knapp über dem Boden wieder, um mir nach einem wunderbaren Wirbel um den Platz noch einmal fröhlich zuzuwinken
Vielleicht hast Du Lust, noch ein wenig an dieser Geschichte zu feilen.

Gruß Ciconia
 

xavia

Mitglied
Im Programmkino läuft heute Grease, der Tanzfilm-Klassiker aus den Siebzigern mit John Travolta und Olivia Newton-John. Lisa und ich waren noch Kinder, als dieser Film ein großer Erfolg war. Unser erster Kino-Besuch ohne Begleitung Erwachsener. Wir waren damals schon Freundinnen.

Jetzt warte ich auf Lisa, stehe am Fenster im Foyer des Kinos und blicke auf einen Hof, der umgeben ist von hohen Gebäuden. Eine steife Briese zieht auf, es hatte eine Sturmwarnung gegeben. Eine leere Limonadendose rollt scheppernd über den gepflasterten Platz, verschwindet unter einem der geparkten Autos. Überall parken Autos, auch hier, am Rand des Platzes. Der Wind nimmt zu, er wirbelt zwischen den Mauern herum und eine Horde loser Blätter wirbeln mit ihm.

Ich beobachte, wie sie sich seitwärts zurückziehen, als wollten sie die Bühne freigeben. Stille. Scheinbar aus dem Nichts taucht er auf, tanzt über den Platz, schwerelos. Dreht eine Runde, die Blätter verharren an der Seite, wie gebannt. Atemlos staune auch ich: Seine Bewegungen sind so natürlich, so fröhlich, wie eigentlich nur Kinder sein können. Längst vergessen geglaubte Gefühle keimen in mir auf, seine Lebenslust steckt mich an. Ich bin er, tanze über den Platz, drehe wilde Pirouetten, wage halsbrecherische Sprünge. Und dann wieder bin ich eines der Blätter, die sich wieder hervorgewagt haben, um sich an seinem wilden Tanz zu beteiligen. Mal sieht es so aus, als würde er die Blätter verfolgen, die angstvoll vor ihm fliehen, dann wieder ist die muntere Schar hinter ihm her, wie eine Horde von Fans hinter einem großen Star. Musik erklingt in meinem Kopf, laut, wild und ungestüm wie der Sturmtanz dort draußen vor dem Fenster. Die Klänge branden dramatisch auf, um dann unvermittelt leiser zu werden, als der Tänzer den Pfahl einer Laterne ergreift, ihn umtanzt und mit seinem ganzen Körper umwickelt, leidenschaftlich, voller Hingabe, ja liebevoll und graziöser als jemals eine Tänzerin auf der Bühne das getan hat. Die Musik ist von einer Lieblichkeit und Süße, dass ich weinen möchte, weinen vor Glück.

Traurigkeit wallt in mir auf: Wann ist mir diese Zärtlichkeit abhanden gekommen, diese Natürlichkeit, dieses Leben, diese Liebe? Aber dann löst der Tänzer sich von dem Pfahl und die Musik, komponiert von seinen Bewegungen, wird wieder lauter, als die Blätter ihn abholen und er zu einem neuen wilden Reigen ansetzt. Ich grübele nicht weiter, folge ihm dankbar und froh und es ist mir, als flöge ich selbst über den Platz, schwerelos, unbeschwert. Alles, was mich belastet hat, wird einfach fortgeweht. Der Glückliche, der Glückbringende, dessen Bewegungen in vollkommener Harmonie mit den wilden Lüften sind, tanzt mit mir über den Platz, wir erheben uns hoch in die Lüfte, Schwindel erregend und wunderbar.

Die Musik ist von spielerischer Leichtigkeit, ebenso wie unsere Körper und ein Ausspruch von Mark Twain kommt mir in den Sinn:

»Arbeite, als bräuchtest du kein Geld,
liebe, als seist du nie verletzt worden
und tanze, als sähe dir niemand zu.«

Plötzlich steht Lisa neben mir. Ich möchte sie teilhaben lassen an meinem Glück, finde aber keine Worte, deute nur sprachlos mit ehrfurchtsvollem Blick aus dem Fenster und Lisa schaut hinaus.

In dem Moment hat sich das kleine blaue Tütengespenst, dessen ungestümem Treiben ich zugesehen hatte, wieder um den Pfahl gewickelt und winkt nur ganz heimlich mit einem seiner Eckenzipfel, ist ansonsten reglos.

»Ja, was ist denn da? Ein Parkplatz, oh, wie wunderbar« spottet meine Freundin, die Missgestimmte.

Ich versuche, in die Realität zurückzukehren, atme noch einmal tief durch und erkläre es ihr:

»Diese kleine blaue Plastiktüte da draußen, sieh' doch, die hat eben ganz zauberhaft getanzt.«

Noch einmal schaut Lisa aus dem Fenster, sieht die Tüte, die sich stur an den Pfahl klammert.

Lisa sieht mich an, als zweifelte sie an meinem Verstand: »Der Film fängt gleich an, lass uns gehen.«

Ich werfe einen letzten sehnsuchtsvollen Blick nach draußen, während meine Freundin, die Ungeduldige, sich schon langsam in Bewegung setzt. Da reißt er sich los von dem Pfahl, schraubt sich in ungeahnte Höhen. Ich muss noch einmal dichter an das Fenster herantreten, um ihn da oben noch sehen zu können. Sogleich setzt er zu einem halsbrecherischen Sturzflug an, fängt sich erst knapp über dem Boden wieder, um mir nach einem wunderbaren Wirbel um den Platz noch einmal fröhlich zuzuwinken und mir ist, als hätte er mir verschwörerisch zugezwinkert, als er dem Fenster ganz nah war und ich habe ihm lächelnd zugewunken.
 

xavia

Mitglied
Im Programmkino läuft heute Grease, der Tanzfilm-Klassiker aus den Siebzigern mit John Travolta und Olivia Newton-John. Lisa und ich waren noch Kinder, als dieser Film ein großer Erfolg war. Unser erster Kino-Besuch als Freundinnen, ohne Begleitung Erwachsener.

Jetzt warte ich auf Lisa, stehe am Fenster im Foyer des Kinos und blicke auf einen Hof, der umgeben ist von hohen Gebäuden. Es zieht eine steife Brise auf, ich denke an die Sturmwarnung heute morgen im Radio. Eine leere Limonadendose rollt scheppernd über den gepflasterten Platz, verschwindet unter einem der geparkten Autos. Überall parken Autos, auch hier, am Rand des Platzes. Der Wind nimmt zu, er wirbelt zwischen den Mauern herum und eine Horde loser Blätter wirbeln mit ihm.

Ich beobachte, wie sie sich seitwärts zurückziehen, als wollten sie die Bühne freigeben. Stille. Scheinbar aus dem Nichts taucht er auf, tanzt über den Platz, schwerelos. Dreht eine Runde, die Blätter verharren an der Seite, wie gebannt. Atemlos staune auch ich: Seine Bewegungen sind so natürlich, so fröhlich, wie eigentlich nur Kinder sein können. Längst vergessen geglaubte Gefühle keimen in mir auf, seine Lebenslust steckt mich an. Ich bin er, tanze über den Platz, drehe wilde Pirouetten, wage halsbrecherische Sprünge. Und dann bin ich eines der Blätter: Sie haben sich hervorgewagt, um seinen wilden Tanz zu begleiten. Mal sieht es aus, als würde er sie verfolgen, die angstvoll vor ihm fliehen, dann wieder ist die muntere Schar hinter ihm her, wie eine Horde von Fans hinter einem großen Star. Wir jubeln ihm zu, feuern ihn an. Musik erklingt in meinem Kopf, laut, wild und ungestüm wie der Sturmtanz dort draußen vor dem Fenster. Die Klänge branden dramatisch auf, um dann unvermittelt leiser zu werden, als der Tänzer den Pfahl einer Laterne ergreift, ihn umtanzt und mit seinem ganzen Körper umwickelt, leidenschaftlich, voller Hingabe, ja liebevoll und graziöser als jemals eine Tänzerin auf der Bühne das getan hat. Die Musik ist von einer Lieblichkeit und Süße, dass ich weinen möchte, weinen vor Glück.

Traurigkeit wallt in mir auf: Wann ist mir diese Zärtlichkeit abhanden gekommen, diese Natürlichkeit, dieses Leben, diese Liebe? Aber dann löst der Tänzer sich von dem Pfahl und die Musik, komponiert von seinen Bewegungen, wird wieder lauter, als die Blätter ihn abholen und er zu einem neuen wilden Reigen ansetzt. Ich grübele nicht weiter, folge ihm dankbar und froh und es ist mir, als flöge ich selbst über den Platz, schwerelos, unbeschwert. Alles, was mich belastet hat, wird einfach fortgeweht. Der Glückliche, der Glückbringende, dessen Bewegungen in vollkommener Harmonie mit den wilden Lüften sind, tanzt mit mir über den Platz, wir erheben uns hoch in die Lüfte, Schwindel erregend und wunderbar.

Die Musik ist von spielerischer Leichtigkeit, ebenso wie unsere Körper und ein Ausspruch von Mark Twain kommt mir in den Sinn:

»Arbeite, als bräuchtest du kein Geld,
liebe, als seist du nie verletzt worden
und tanze, als sähe dir niemand zu.«

Plötzlich steht Lisa neben mir. Ich möchte sie teilhaben lassen an meinem Glück, finde aber keine Worte, deute nur sprachlos mit ehrfurchtsvollem Blick aus dem Fenster und Lisa schaut hinaus.

In dem Moment hat sich das kleine blaue Tütengespenst, dessen ungestümem Treiben ich zugesehen hatte, wieder um den Pfahl gewickelt und winkt nur ganz heimlich mit einem seiner Eckenzipfel, ist ansonsten reglos.

»Ja, was ist denn da? Ein Parkplatz, oh, wie entzückend« spottet meine Freundin, die Missgestimmte.

Ich versuche, in die Realität zurückzukehren, atme noch einmal tief durch und erkläre es ihr:

»Diese kleine blaue Plastiktüte da draußen, sieh' doch, die hat eben ganz zauberhaft getanzt.«

Noch einmal schaut Lisa aus dem Fenster, sieht die Tüte, die sich stur an den Pfahl klammert. Sie sieht mich an, als zweifelte sie an meinem Verstand: »Der Film fängt gleich an, lass uns gehen.«

Ich werfe einen letzten sehnsuchtsvollen Blick nach draußen, während meine Freundin, die Ungeduldige, sich schon langsam in Bewegung setzt. Da reißt er sich los von seinem Pfahl, schraubt sich in ungeahnte Höhen. Ich muss näher an das Fenster herantreten, um ihn da oben sehen zu können. Sogleich setzt er zu einem halsbrecherischen Sturzflug an, fängt sich erst knapp über dem Boden wieder, um mir nach einem wunderbaren Wirbel um den Platz noch einmal fröhlich zuzuwinken. Mir ist, als hätte er mir verschwörerisch zugezwinkert, als er dem Fenster ganz nah war und ich habe ihm lächelnd zugewunken.
 

xavia

Mitglied
Liebe Ciconia,

ich danke dir sehr für deine Hinweise! Mit Freuden habe ich sie umzusetzen versucht, um daran zu lernen. So lange es jemanden gibt, der oder die etwas zu einer Geschichte von mir sagt, habe ich Lust, sie zu überarbeiten. Dass ich die Brise falsch geschrieben habe, obwohl Tintenkleckser sie mir doch richtig hingeschrieben hat, deutet zwar auf Lernresistenz hin, aber es geschah nicht absichtlich und ich arbeite daran, aufmerksamer zu werden.

Das Wort „gewunken“ habe ich nicht in „gewinkt“ geändert, das widerstrebt meinem Sprachgefühl und der Duden gibt mir (noch) die Erlaubnis, es so zu lassen: http://www.duden.de/rechtschreibung/winken
Wahrscheinlich wird es irgendwann abgeschafft :)

Herzliche Grüße Xavia.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Xavia,

freut mich, dass Du diese Geschichte noch einmal überarbeitet hast – sie hat dadurch definitiv gewonnen.

Gewunken kann man sicher sagen, aber für mich ist das (regional) umgangssprachlich. Für einen literarischen Text würde ich immer gewinkt wählen. Aber das ist Deine Entscheidung, wenn es für Dich so besser passt.

Gruß Ciconia
 

xavia

Mitglied
Im Programmkino läuft heute Grease, der Tanzfilm-Klassiker aus den Siebzigern mit John Travolta und Olivia Newton-John. Lisa und ich waren noch Kinder, als dieser Film ein großer Erfolg war. Unser erster Kino-Besuch als Freundinnen, ohne Begleitung Erwachsener.

Jetzt warte ich auf Lisa, stehe am Fenster im Foyer des Kinos und blicke auf einen Hof, der umgeben ist von hohen Gebäuden. Es zieht eine steife Brise auf, ich denke an die Sturmwarnung heute morgen im Radio. Eine leere Limonadendose rollt scheppernd über den gepflasterten Platz, verschwindet unter einem der geparkten Autos. Überall parken Autos, auch hier, am Rand des Platzes. Der Wind nimmt zu, er wirbelt zwischen den Mauern herum und eine Horde loser Blätter wirbeln mit ihm.

Ich beobachte, wie sie sich seitwärts zurückziehen, als wollten sie die Bühne freigeben. Stille. Scheinbar aus dem Nichts taucht er auf, tanzt über den Platz, schwerelos. Dreht eine Runde, die Blätter verharren an der Seite, wie gebannt. Atemlos staune auch ich: Seine Bewegungen sind so natürlich, so fröhlich, wie eigentlich nur Kinder sein können. Längst vergessen geglaubte Gefühle keimen in mir auf, seine Lebenslust steckt mich an. Ich bin er, tanze über den Platz, drehe wilde Pirouetten, wage halsbrecherische Sprünge. Und dann bin ich eines der Blätter: Sie haben sich hervorgewagt, um seinen wilden Tanz zu begleiten. Mal sieht es aus, als würde er sie verfolgen, die angstvoll vor ihm fliehen, dann wieder ist die muntere Schar hinter ihm her, wie eine Horde von Fans hinter einem großen Star. Wir jubeln ihm zu, feuern ihn an. Musik erklingt in meinem Kopf, laut, wild und ungestüm wie der Sturmtanz dort draußen vor dem Fenster. Die Klänge branden dramatisch auf, um dann unvermittelt leiser zu werden, als der Tänzer den Pfahl einer Laterne ergreift, ihn umtanzt und mit seinem ganzen Körper umwickelt, leidenschaftlich, voller Hingabe, ja liebevoll und graziöser als jemals eine Tänzerin auf der Bühne das getan hat. Die Musik ist von einer Lieblichkeit und Süße, dass ich weinen möchte, weinen vor Glück.

Traurigkeit wallt in mir auf: Wann ist mir diese Zärtlichkeit abhanden gekommen, diese Natürlichkeit, dieses Leben, diese Liebe? Aber dann löst der Tänzer sich von dem Pfahl und die Musik, komponiert von seinen Bewegungen, wird wieder lauter, als die Blätter ihn abholen und er zu einem neuen wilden Reigen ansetzt. Ich grübele nicht weiter, folge ihm dankbar und froh und es ist mir, als flöge ich selbst über den Platz, schwerelos, unbeschwert. Alles, was mich belastet hat, wird einfach fortgeweht. Der Glückliche, der Glückbringende, dessen Bewegungen in vollkommener Harmonie mit den wilden Lüften sind, tanzt mit mir über den Platz, wir erheben uns hoch in die Lüfte, Schwindel erregend und wunderbar.

Die Musik ist von spielerischer Leichtigkeit, ebenso wie unsere Körper und ein Ausspruch von Mark Twain kommt mir in den Sinn:

»Arbeite, als bräuchtest du kein Geld,
liebe, als seist du nie verletzt worden
und tanze, als sähe dir niemand zu.«

Plötzlich steht Lisa neben mir. Ich möchte sie teilhaben lassen an meinem Glück, finde aber keine Worte, deute nur sprachlos mit ehrfurchtsvollem Blick aus dem Fenster und Lisa schaut hinaus.

In dem Moment hat sich das kleine blaue Tütengespenst, dessen ungestümem Treiben ich zugesehen hatte, wieder um den Pfahl gewickelt und winkt nur ganz heimlich mit einem seiner Eckenzipfel, ist ansonsten reglos.

»Ja, was ist denn da? Ein Parkplatz, oh, wie entzückend« spottet meine Freundin, die Missgestimmte.

Ich versuche, in die Realität zurückzukehren, atme noch einmal tief durch und erkläre es ihr:

»Diese kleine blaue Plastiktüte da draußen, sieh' doch, die hat eben ganz zauberhaft getanzt.«

Noch einmal schaut Lisa aus dem Fenster, sieht die Tüte, die sich stur an den Pfahl klammert. Sie sieht mich an, als zweifelte sie an meinem Verstand: »Der Film fängt gleich an, lass uns gehen.«

Ich werfe einen letzten sehnsuchtsvollen Blick nach draußen, während meine Freundin, die Ungeduldige, sich schon langsam in Bewegung setzt. Da reißt er sich los von seinem Pfahl, schraubt sich in ungeahnte Höhen. Ich muss näher an das Fenster herantreten, um ihn da oben sehen zu können. Sogleich setzt er zu einem halsbrecherischen Sturzflug an, fängt sich erst knapp über dem Boden wieder, um mir nach einem wunderbaren Wirbel um den Platz noch einmal fröhlich zuzuwinken. Mir ist, als hätte er mir verschwörerisch zugezwinkert, als er dem Fenster ganz nah war und ich habe ihm lächelnd zugewinkt.
 

xavia

Mitglied
Sturmtänzer

Im Programmkino läuft heute Grease, der Tanzfilm-Klassiker aus den Siebzigern mit John Travolta und Olivia Newton-John. Lisa und ich waren noch Kinder, als dieser Film ein großer Erfolg war. Unser erster Kino-Besuch als Freundinnen, ohne Begleitung Erwachsener.

Jetzt warte ich auf Lisa, stehe am Fenster im Foyer des Kinos und blicke auf einen Hof, der umgeben ist von hohen Gebäuden. Es zieht eine steife Brise auf, ich denke an die Sturmwarnung heute morgen im Radio. Eine leere Limonadendose rollt scheppernd über den gepflasterten Platz, verschwindet unter einem der geparkten Autos. Überall parken Autos, auch hier, am Rand des Platzes. Der Wind nimmt zu, er wirbelt zwischen den Mauern herum und eine Horde loser Blätter wirbeln mit ihm.

Ich beobachte, wie sie sich seitwärts zurückziehen, als wollten sie die Bühne freigeben. Stille. Scheinbar aus dem Nichts taucht er auf, tanzt über den Platz, schwerelos. Dreht eine Runde, die Blätter verharren an der Seite, wie gebannt. Atemlos staune auch ich: Seine Bewegungen sind so natürlich, so fröhlich, wie eigentlich nur Kinder sein können. Längst vergessen geglaubte Gefühle keimen in mir auf, seine Lebenslust steckt mich an. Ich bin er, tanze über den Platz, drehe wilde Pirouetten, wage halsbrecherische Sprünge. Und dann bin ich eines der Blätter: Sie haben sich hervorgewagt, um seinen wilden Tanz zu begleiten. Mal sieht es aus, als würde er sie verfolgen, die angstvoll vor ihm fliehen, dann wieder ist die muntere Schar hinter ihm her, wie eine Horde von Fans hinter einem großen Star. Wir jubeln ihm zu, feuern ihn an. Musik erklingt in meinem Kopf, laut, wild und ungestüm wie der Sturmtanz dort draußen vor dem Fenster. Die Klänge branden dramatisch auf, um dann unvermittelt leiser zu werden, als der Tänzer den Pfahl einer Laterne ergreift, ihn umtanzt und mit seinem ganzen Körper umwickelt, leidenschaftlich, voller Hingabe, ja liebevoll und graziöser als jemals eine Tänzerin auf der Bühne das getan hat. Die Musik ist von einer Lieblichkeit und Süße, dass ich weinen möchte, weinen vor Glück.

Traurigkeit wallt in mir auf: Wann ist mir diese Zärtlichkeit abhanden gekommen, diese Natürlichkeit, dieses Leben, diese Liebe? Aber dann löst der Tänzer sich von dem Pfahl und die Musik, komponiert von seinen Bewegungen, wird wieder lauter, als die Blätter ihn abholen und er zu einem neuen wilden Reigen ansetzt. Ich grübele nicht weiter, folge ihm dankbar und froh und es ist mir, als flöge ich selbst über den Platz, schwerelos, unbeschwert. Alles, was mich belastet hat, wird einfach fortgeweht. Der Glückliche, der Glückbringende, dessen Bewegungen in vollkommener Harmonie mit den wilden Lüften sind, tanzt mit mir über den Platz, wir erheben uns hoch in die Lüfte, Schwindel erregend und wunderbar.

Die Musik ist von spielerischer Leichtigkeit, ebenso wie unsere Körper und ein Ausspruch von Mark Twain kommt mir in den Sinn:

»Arbeite, als bräuchtest du kein Geld,
liebe, als seist du nie verletzt worden
und tanze, als sähe dir niemand zu.«

Plötzlich steht Lisa neben mir. Ich möchte sie teilhaben lassen an meinem Glück, finde aber keine Worte, deute nur sprachlos mit ehrfurchtsvollem Blick aus dem Fenster und Lisa schaut hinaus.

In dem Moment hat sich das kleine blaue Tütengespenst, dessen ungestümem Treiben ich zugesehen hatte, wieder um den Pfahl gewickelt und winkt nur ganz heimlich mit einem seiner Eckenzipfel, ist ansonsten reglos.

»Ja, was ist denn da? Ein Parkplatz, oh, wie entzückend« spottet meine Freundin, die Missgestimmte.

Ich versuche, in die Realität zurückzukehren, atme noch einmal tief durch und erkläre es ihr:

»Diese kleine blaue Plastiktüte da draußen, sieh' doch, die hat eben ganz zauberhaft getanzt.«

Noch einmal schaut Lisa aus dem Fenster, sieht die Tüte, die sich stur an den Pfahl klammert. Sie sieht mich an, als zweifelte sie an meinem Verstand: »Der Film fängt gleich an, lass uns gehen.«

Ich werfe einen letzten sehnsuchtsvollen Blick nach draußen, während meine Freundin, die Ungeduldige, sich schon langsam in Bewegung setzt. Da reißt er sich los von seinem Pfahl, schraubt sich in ungeahnte Höhen. Ich muss näher an das Fenster herantreten, um ihn da oben sehen zu können. Sogleich setzt er zu einem halsbrecherischen Sturzflug an, fängt sich erst knapp über dem Boden wieder, um mir nach einem wunderbaren Wirbel um den Platz noch einmal fröhlich zuzuwinken. Mir ist, als hätte er mir verschwörerisch zugezwinkert, als er dem Fenster ganz nah war und ich habe ihm lächelnd zugewinkt.
 



 
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