Sturmtoben

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Sina

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Stumtoben​

„Irgendwie werden wir schon nach Hause kommen.“ Zweifelnd sah Angelika ihren Mann an. Der Wind zerzauste ihre Haare. Unter zahlreichen Beteuerungen, einander baldmöglichst wiederzusehen, hatte sie auf Stefans Drängen hin, die spontane Party ihrer Freundin nur ungern so früh verlassen. Stefans Entscheidung, den Heimweg früher als üblich anzutreten, erwies sich als goldrichtig: Orkanartige Böen schlugen ihr harten Regen ins Gesicht und zerrten an Jacken und Kapuzen. Beide Kinder waren müde, quengelten und kamen auf kurzen Beinen kaum gegen den Gegenwind an.
„Ich hab’s Dir ja gesagt, aber Du musstest ja noch einen Moment länger mit Sabine sprechen als nötig.“ Angelika seufzte. Das schien in letzter Zeit typisch für Stefan zu sein: Er suchte die Schuld bei ihr: Als ob sie Sturm bestellte, um ihn zu ärgern. „Tut mir leid, dass ich das nicht so ernst genommen habe. Im Partykeller war von dem Sturm auch nichts zu bemerken. Durch Sabines Leben fegt auch gerade eine Art Sturm, weißt Du. “ Angelikas Stimme nahm einen schrillen Ton an – wie meistens, wenn sie sich rechtfertigte. Die mögliche Diagnose „Epilepsie“ hing wie ein Damoklesschwert über ihrem Patenkind. Da brauchte Sabine jeden Zuspruch, den sie bekommen konnte. Angelika wollte der jungen Mutter beistehen, so gut sie es aufgrund eigener Erfahrungen eben konnte. „Sabine ist alleinerziehend, Stefan. Da bricht ein Sturm über ihr Leben herein, der sie leicht überfordert.“ Angelika konnte gut nachempfinden, wie sich ihre Freundin fühlte. „Alles gut. Gleich kommt die S-Bahn. Das schaffen die Kids.“ Stefan blieb zuversichtlich und nahm Angelika einen Teil ihrer Sorgen ab. Die Kinder waren es gewohnt, die Fahrt in der S-Bahn zurückzulegen.

„Mir ist kalt.“ Der kleine Marko jammerte und Angelika rieb ihm sanft über Rücken und Arme. Auf einem der Plastiksitze saß der achtjährige Elias und schaukelte mit dem Oberkörper vor- und zurück. Ein eigenartiger Rhythmus, fand Angelika. „Oh, nein! Das darf doch nicht wahr sein! Was machen wir jetzt?“ Angelika wurde panisch. Alleine oder mit Stefan, so meinte sie, wäre eine Nacht in einer fremden Stadt auszuhalten. Mit den Kindern jedoch wurde sie bereits bei der Vorstellung von Angst gepackt. Eine Laufschrift auf der Anzeigetafel über dem Bahnsteig stellte unmissverständlich klar, dass die S-Bahnen bis auf weiteres ausfielen. Verzweifelt strich Angelika sich erneut die Haare aus der Stirn. Ihren Kindern gegenüber riss sie sich zusammen und ließ sich nicht anmerken: Angst und Sorge stürmten auf sie ein. Einen klaren Gedanken konnte sie nicht fassen. Es war Stefan, der vorschlug, mit dem Bus zum Hauptbahnhof zu fahren. Von dort aus, nahm er an, könne man mit der Regionalbahn nach Duisburg fahren. Angelika lächelte. Sie war dankbar, dass ihr Mann mitten im Sturm die Ruhe bewahrte. „Ach, dann ist ja alles gut. Es ist wirklich etwas ganz anderes, ob ich mit Dir nicht weiß, wie ich nach Hause komme, oder ob ich mit den Kindern im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehe.“

Der Linienbus trotzte Wind und Starkregen. Sicher erreichte er den Hauptbahnhof. Mit je einem Kind an der Hand durchquerte das Ehepaar die überfüllte Bahnhofshalle. „Mama, sieh mal. Der sieht aber komisch aus!“ Niko zerrte an ihrer Hand und Angelika hielt ihn davon ab, auf einen der Punker vor ihr zu zeigen. Von allen Seiten wurde Angelika angestoßen, zur Seite geschoben oder angepflaumt. „Stefan, ich will nur nach Hause.“ Angelika fing an zu jammern. Das Stimmengeschwirr, die quengelnden Kinder und die schlechte Luft überforderten sie. „Der Regionalverkehr ist zusammengebrochen, aber wir können den ICE benutzen.“ Stefan deutete auf die Anzeigetafel. Angelika atmete erleichtert auf. „Gut, ich würde sagen, wir nehmen den nächsten ICE, der nach Duisburg fährt. Kommt mit, Ihr beiden.“ Fest behielt Angelika die kleine Kinderhand in ihrer. Vor ihr bahnte Stefan sich mit Niko einen Weg durch das Gewimmel, auf dem Angelika mit Elias folgen konnte.

„Kommen Sie. Setzen Sie sich.“ Eine indische Familie rückte im Abteil des ICEs zusammen. Ihren Jüngsten nahm Angelika auf den Schoß und hieß Elias, sich zu setzen. Eine Reisende saß zwischen ihnen. Direkt im Auge hatte sie Elias nicht mehr, aber sie hörte ihn leise mit sich selbst quasseln. Angelika sah hinaus auf die Anzeigetafel über dem Nachbargleis. Der ICE nach Norddeich schien seit Stunden überfällig zu sein. Da war doch hoffentlich die Uhr kaputt! Unruhe machte sich unter den Mitreisenden breit und auch Angelika war verwundert. Längst hätte ihr ICE abfahren sollen. Draußen auf dem Gang drängte sich ein Schaffner an Stefan vorbei in das Abteil. Den Schwerbehindertenausweis ihres Sohnes aus ihrer Tasche kramend, fragte Angelika, warum ihr ICE noch im Bahnhof stand. „Wir haben keinen Lokführer. Er hängt im Regionalverkehr fest.“ Das war eine Antwort, die Angelika im ersten Moment die Sprache verschlug. „Kein Lokführer? Nun, dann kann der Zug in der Tat nicht fahren.“ Allen widrigen Umständen zum Trotz musste Angelika lachen. Es war nicht leicht für sie, mitten in diesem Sturm die Ruhe zu bewahren und gelassen abzuwarten. „Bitte? Ich kann Sie nicht verstehen.“ Verzweifelt versuchte Angelika aus dem Gestammel und Gesten der ihr gegenüber Sitzenden schlau zu werden. „Was braucht Sie? Eine Bescheinigung vielleicht?“ Angelika wandte sich an die Inderin, die eifrig nickend einen Zettel beschrieb. Verneinend den Kopf schüttelnd gab die junge Frau den Zettel zurück. Mit unverständlichen Lauten und Gebärden sprach sie auf ihre Sitznachbarin ein. In gebrochenem Deutsch versuchte diese vergeblich, die verstandenen Worte zusammenzufassen. Inzwischen versuchte ein weiterer Reisender zu intervenieren, aber auch er scheiterte am mangelnden Sprachvermögen. „Vielleicht weiß der Schaffner Rat.“ Auf dem Gang entstand erwartungsvolle Unruhe, als sich die Türen schlossen.

Endlich setzte der Zug sich in Bewegung. Aufgeregt fuchtelte Niko mit einer Hand und zeigte auf die Hochspannungsmasten, die scheinbar am Fenster vorüberglitten. „Ja, es geht los. Bald sind wir zu Hause.“ Besänftigend strich Angelika ihm über den blonden Haarschopf und hielt gleichzeitig nach dem Schaffner Ausschau. Angelika hoffte im Stillen, dass dieser über genug Erfahrung verfügte, um helfen zu können. Gefühlt dauerte es noch Stunden bis der Schaffner kurz vor Mülheim an der Ruhr das Abteil erreichte. „Bitte, können Sie der jungen Frau nicht helfen? Wir verstehen nicht, was diese benötigt.“ „Sie arbeitet wohl in Düsseldorf, aber ...“ Hilflos zuckte die indische Mitreisende mit den Achseln. „Ich werde mit ihr in Düsseldorf aussteigen, damit ihr geholfen wird. Ich komme wieder, wenn ich den Zug abgepfiffen habe.“

Fassungslos sah die junge Frau dem Schaffner nach. Angelika konnte ihr den empfundenen Ärger darüber vom Gesicht ablesen. Tränen standen in den Augen ihres Gegenübers.
Die Stimme der Bandansage kündigte Mühlheim an der Ruhr erst an, als der Zug bereits im Bahnhof stand. „Der Sturm hat bei der ganzen Bahn für Durcheinander gesorgt.“ Angelikas Bemerkung galt ihrem Mann, der in dem Gedränge im Gang kein Durchkommen fand. „Na, los. Wir müssen gleich aussteigen. Geh‘ schon mal zu Papa, ja?“ An der Tür des Abteils nahm ihr Mann seinen Sohn in Empfang. Angelika erhob sich und nahm Elias an die Hand. Dieser unterbrach sein gestenreiches und nur für ihn verständliches Selbstgespräch. Er zerrte so sehr an ihr, dass Angelika ihn schließlich kurz los ließ. Verdutzt sah sie zu, wie Elias zielstrebig auf die taubstumme Frau am Fenster zuging. Es war Angelika ein bisschen unangenehm, wie unvoreingenommen ihr Sohn dieser mit der Hand auf die Brust tippte. Irritiert wandten Mitreisende ihre Köpfe und musterten Elias ebenso mitleidig wie verärgert. Mit vor Überraschung geöffnetem Mund verfolgte Angelika die Gebärden ihres Sohnes. Zu ihrer Verwunderung schien Elias deren Unsicherheit und Ärger über den weggegangenen Schaffner verstanden zu haben. Mit seiner freien Hand vollführte Elias die Gebärde für „Freund“. Das Gesicht der ihm Fremden strahlte auf: Sie verstand die Gebärdensprache, mit deren Hilfe Elias sprechen lernte. „Elias“ war das einzige lautsprachliche Wort, das der Junge herausbrachte. Angelika staunte, als ihr Sohn die Worte des Schaffners in Gebärdensprache übersetzte. Tränen der Freude rannen der eben noch die Hände ringenden Frau über die Wangen. Während der Zug anfuhr, verließ Angelika mit Elias das Abteil. Es half ja nichts: Bis zum nächsten Halt mussten sie die Tür erreicht haben, um aussteigen zu können. Ein- oder zweimal drehte Elias sich nach dem Abteil um und winkte fröhlich zum Abschied.

Bis sie in Duisburg ausstiegen, ließen Regen und Wind nach. Obwohl die Kinder zunehmend müde wurden und ihr die Ohren voll quengelten, legte sich die Unruhe in Angelika Bald würden sie es geschafft haben und die Kinder ins Bett bringen können. „Das war ein schönes Erleben, Stefan. Ich bin so dankbar dafür.“ Angelika versuchte, ihre Gefühle zusammenzufassen. Stumm nickte Stefan zu ihren Worten. „So ein Sturm hat eben auch sein Gutes. Hoffentlich konnte der Schaffner wirklich helfen.“ Angelika lächelte in der Erinnerung an die Gesichter der Mitreisenden.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Sina, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Eine schöne Geschichte, die das besondere Verhalten von Elias noch mehr in den Vordergrund stellen sollte. Den letzten Satz habe ich entfernt, damit der Schluss etwas offener bleibt und besser zu einer Kurzgeschichte passt.

Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 

Sina

Mitglied
Es freut mich, dass meine Geschichte gefällt. Natürlich will sie in erster Linie unterhalten.

Ich habe das besondere Verhalten Elias' aus zwei Gründen nicht weiter ausgeführt oder mehr herausgestellt:

Zum Einen ist es für den Verlauf der Geschichte und den Leser nicht wichtig zu erfahren, welche Verhaltensweisen ein solches Kind ausser den beschriebenen an den Tag legt. In einer Kurzgeschichte beschränkt man sich ja im Schreiben auf das Nötigste - so habe ich es im Kurs für Autoren jedenfalls gelernt. Diese Verhaltensweisen haben den gleichen Stellenwert in der Geschichte wie andere Eigenschaften oder das Aussehen des Kindes. Sie werden erwähnt, brauchen aber nicht als besonders herausgestellt zu werden.

Ein weiterer Grund dafür ist, dass diese Geschichte ein wenig von der Normalität im Umgang mit Menschen mit Förderbedarf widerspiegelt. Diese Verhaltensweisen sind für Elias völlig normal und werden deshalb nicht besonders beachtet.
Insgesamt erzählt die Geschichte ja mehr von dem Umgang mit Konflikten durch Stürme im Wortsinn und im übertragenen Sinne, in denen sich ungeahnt im Kind schlummernde Fähigkeiten zeigen, als von den Verhaltensweisen und Einschränkungen, die mit einer geistigen Behinderung einhergegen.

Hätte ich Letzteres herausstellen wollen oder sogar einen Konflikt dadurch heraufbeschwören wollen, hätte ich eine andere Geschichte geschrieben - denk' ich.

Ich verstehe aber, dass es dazu viele andere Meinungen gibt und manch einer, hätte diese Geschichte sicher anders - und auch gut - geschrieben. Es ist eben auch immer eine Frage des persönlichen Geschmacks, ob sie gefällt oder nicht.


Schade finde ich es, dass der letzte Satz meines Textes ohne vorherige Rücksprache gelöscht wurde. Als Grund habe ich nämlich verstanden, dass ein offener Schluss besser gefällt, weil er besser zu einer Kurzgeschichte passte.

Meiner Meinung nach ist es auch Geschmackssache, ob eine Kurzgeschichte einen offenen Schluss, eine Pointe oder eine Aussicht auf Zukünftiges als Schluss beinhalten darf.
"Die Katze im Regen" von Hemingway zum Beispiel hat ebenfalls kein offenes Ende, sondern der Schlusssatz löst einen inneren Konflikt der Protagonisien auf.

Kurzgeschichten können mit einer Pointe enden, mit der Lösung eines Konfliktes oder schlagen gedanklich den Bogen zum Anfang der Geschichte. Manche lassen den Nachleser nachdenklich zurück, wiel sie im Schlussatz einen Konflikt überraschend anders beleuchten, statt diesen aufzulösen.

Obwohl meine Geschichte durch Löschung des Satzes und den dadurch offeneren Schluss gewonnen hat, war der Satz doch nicht unwichtig: Er war eine Möglichkeit auszudrücken, wie sehr diese Erleben Angelika bewegt.

Ich denke, dass es erlaubt ist, meine Geschichte nicht offen, sondern mit einem kurzen Ausblick auf die Wichtigkeit des Erlebens enden zu lassen. Auch wenn dies dem einen oder anderen Leser nicht gefallen hätte, machte es aus einer guten keine schlechte Kurzgeschichte.

Andererseits gefällt mir der offenere Schluss ebenso gut - und vielleicht ließe sich der Schlussgedanke anders einbringen - nicht als Schlussatz sondern als Gedanke Angelikas oder in wörtlicher Rede. Viellleicht gelingt es mir sogar in dieser dann den Bogen zum Sturm im übertragenen Sinne der Freundin zu schlagen.

Ich will mir das auf jeden Fall noch durch den Kopf gehen lassen. Vielleicht lässt sich die Geschichte durch wenige Änderungen noch verbessern.
 

Sina

Mitglied
Stumtoben​

„Irgendwie werden wir schon nach Hause kommen.“ Zweifelnd sah Angelika ihren Mann an. Der Wind zerzauste ihre Haare. Unter zahlreichen Beteuerungen, einander baldmöglichst wiederzusehen, hatte sie auf Stefans Drängen hin, die spontane Party ihrer Freundin nur ungern so früh verlassen. Stefans Entscheidung, den Heimweg früher als üblich anzutreten, erwies sich als goldrichtig: Orkanartige Böen schlugen ihr harten Regen ins Gesicht und zerrten an Jacken und Kapuzen. Beide Kinder waren müde, quengelten und kamen auf kurzen Beinen kaum gegen den Gegenwind an.
„Ich hab’s Dir ja gesagt, aber Du musstest ja noch einen Moment länger mit Sabine sprechen als nötig.“ Angelika seufzte. Das schien in letzter Zeit typisch für Stefan zu sein: Er suchte die Schuld bei ihr: Als ob sie Sturm bestellte, um ihn zu ärgern. „Tut mir leid, dass ich das nicht so ernst genommen habe. Im Partykeller war von dem Sturm auch nichts zu bemerken. Durch Sabines Leben fegt auch gerade eine Art Sturm, weißt Du. “ Angelikas Stimme nahm einen schrillen Ton an – wie meistens, wenn sie sich rechtfertigte. Die mögliche Diagnose „Epilepsie“ hing wie ein Damoklesschwert über ihrem Patenkind. Da brauchte Sabine jeden Zuspruch, den sie bekommen konnte. Angelika wollte der jungen Mutter beistehen, so gut sie es aufgrund eigener Erfahrungen eben konnte. „Sabine ist alleinerziehend, Stefan. Da bricht ein Sturm über ihr Leben herein, der sie leicht überfordert.“ Angelika konnte gut nachempfinden, wie sich ihre Freundin fühlte. „Alles gut. Gleich kommt die S-Bahn. Das schaffen die Kids.“ Stefan blieb zuversichtlich und nahm Angelika einen Teil ihrer Sorgen ab. Die Kinder waren es gewohnt, die Fahrt in der S-Bahn zurückzulegen.

„Mir ist kalt.“ Der kleine Marko jammerte und Angelika rieb ihm sanft über Rücken und Arme. Auf einem der Plastiksitze saß der achtjährige Elias und schaukelte mit dem Oberkörper vor- und zurück. Ein eigenartiger Rhythmus, fand Angelika. „Oh, nein! Das darf doch nicht wahr sein! Was machen wir jetzt?“ Angelika wurde panisch. Alleine oder mit Stefan, so meinte sie, wäre eine Nacht in einer fremden Stadt auszuhalten. Mit den Kindern jedoch wurde sie bereits bei der Vorstellung von Angst gepackt. Eine Laufschrift auf der Anzeigetafel über dem Bahnsteig stellte unmissverständlich klar, dass die S-Bahnen bis auf weiteres ausfielen. Verzweifelt strich Angelika sich erneut die Haare aus der Stirn. Ihren Kindern gegenüber riss sie sich zusammen und ließ sich nicht anmerken: Angst und Sorge stürmten auf sie ein. Einen klaren Gedanken konnte sie nicht fassen. Es war Stefan, der vorschlug, mit dem Bus zum Hauptbahnhof zu fahren. Von dort aus, nahm er an, könne man mit der Regionalbahn nach Duisburg fahren. Angelika lächelte. Sie war dankbar, dass ihr Mann mitten im Sturm die Ruhe bewahrte. „Ach, dann ist ja alles gut. Es ist wirklich etwas ganz anderes, ob ich mit Dir nicht weiß, wie ich nach Hause komme, oder ob ich mit den Kindern im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehe.“

Der Linienbus trotzte Wind und Starkregen. Sicher erreichte er den Hauptbahnhof. Mit je einem Kind an der Hand durchquerte das Ehepaar die überfüllte Bahnhofshalle. „Mama, sieh mal. Der sieht aber komisch aus!“ Niko zerrte an ihrer Hand und Angelika hielt ihn davon ab, auf einen der Punker vor ihr zu zeigen. Von allen Seiten wurde Angelika angestoßen, zur Seite geschoben oder angepflaumt. „Stefan, ich will nur nach Hause.“ Angelika fing an zu jammern. Das Stimmengeschwirr, die quengelnden Kinder und die schlechte Luft überforderten sie. „Der Regionalverkehr ist zusammengebrochen, aber wir können den ICE benutzen.“ Stefan deutete auf die Anzeigetafel. Angelika atmete erleichtert auf. „Gut, ich würde sagen, wir nehmen den nächsten ICE, der nach Duisburg fährt. Kommt mit, Ihr beiden.“ Fest behielt Angelika die kleine Kinderhand in ihrer. Vor ihr bahnte Stefan sich mit Niko einen Weg durch das Gewimmel, auf dem Angelika mit Elias folgen konnte.

„Kommen Sie. Setzen Sie sich.“ Eine indische Familie rückte im Abteil des ICEs zusammen. Ihren Jüngsten nahm Angelika auf den Schoß und hieß Elias, sich zu setzen. Eine Reisende saß zwischen ihnen. Direkt im Auge hatte sie Elias nicht mehr, aber sie hörte ihn leise mit sich selbst quasseln. Angelika sah hinaus auf die Anzeigetafel über dem Nachbargleis. Der ICE nach Norddeich schien seit Stunden überfällig zu sein. Da war doch hoffentlich die Uhr kaputt! Unruhe machte sich unter den Mitreisenden breit und auch Angelika war verwundert. Längst hätte ihr ICE abfahren sollen. Draußen auf dem Gang drängte sich ein Schaffner an Stefan vorbei in das Abteil. Den Schwerbehindertenausweis ihres Sohnes aus ihrer Tasche kramend, fragte Angelika, warum ihr ICE noch im Bahnhof stand. „Wir haben keinen Lokführer. Er hängt im Regionalverkehr fest.“ Das war eine Antwort, die Angelika im ersten Moment die Sprache verschlug. „Kein Lokführer? Nun, dann kann der Zug in der Tat nicht fahren.“ Allen widrigen Umständen zum Trotz musste Angelika lachen. Es war nicht leicht für sie, mitten in diesem Sturm die Ruhe zu bewahren und gelassen abzuwarten. „Bitte? Ich kann Sie nicht verstehen.“ Verzweifelt versuchte Angelika aus dem Gestammel und Gesten der ihr gegenüber Sitzenden schlau zu werden. „Was braucht Sie? Eine Bescheinigung vielleicht?“ Angelika wandte sich an die Inderin, die eifrig nickend einen Zettel beschrieb. Verneinend den Kopf schüttelnd gab die junge Frau den Zettel zurück. Mit unverständlichen Lauten und Gebärden sprach sie auf ihre Sitznachbarin ein. In gebrochenem Deutsch versuchte diese vergeblich, die verstandenen Worte zusammenzufassen. Inzwischen versuchte ein weiterer Reisender zu intervenieren, aber auch er scheiterte am mangelnden Sprachvermögen. „Vielleicht weiß der Schaffner Rat.“ Auf dem Gang entstand erwartungsvolle Unruhe, als sich die Türen schlossen.

Endlich setzte der Zug sich in Bewegung. Aufgeregt fuchtelte Niko mit einer Hand und zeigte auf die Hochspannungsmasten, die scheinbar am Fenster vorüberglitten. „Ja, es geht los. Bald sind wir zu Hause.“ Besänftigend strich Angelika ihm über den blonden Haarschopf und hielt gleichzeitig nach dem Schaffner Ausschau. Angelika hoffte im Stillen, dass dieser über genug Erfahrung verfügte, um helfen zu können. Gefühlt dauerte es noch Stunden bis der Schaffner kurz vor Mülheim an der Ruhr das Abteil erreichte. „Bitte, können Sie der jungen Frau nicht helfen? Wir verstehen nicht, was diese benötigt.“ „Sie arbeitet wohl in Düsseldorf, aber ...“ Hilflos zuckte die indische Mitreisende mit den Achseln. „Ich werde mit ihr in Düsseldorf aussteigen, damit ihr geholfen wird. Ich komme wieder, wenn ich den Zug abgepfiffen habe.“

Fassungslos sah die junge Frau dem Schaffner nach. Angelika konnte ihr den empfundenen Ärger darüber vom Gesicht ablesen. Tränen standen in den Augen ihres Gegenübers.
Die Stimme der Bandansage kündigte Mühlheim an der Ruhr erst an, als der Zug bereits im Bahnhof stand. „Der Sturm hat bei der ganzen Bahn für Durcheinander gesorgt.“ Angelikas Bemerkung galt ihrem Mann, der in dem Gedränge im Gang kein Durchkommen fand. „Na, los. Wir müssen gleich aussteigen. Geh‘ schon mal zu Papa, ja?“ An der Tür des Abteils nahm ihr Mann seinen Sohn in Empfang. Angelika erhob sich und nahm Elias an die Hand. Dieser unterbrach sein gestenreiches und nur für ihn verständliches Selbstgespräch. Er zerrte so sehr an ihr, dass Angelika ihn schließlich kurz los ließ. Verdutzt sah sie zu, wie Elias zielstrebig auf die taubstumme Frau am Fenster zuging. Es war Angelika ein bisschen unangenehm, wie unvoreingenommen ihr Sohn dieser mit der Hand auf die Brust tippte. Irritiert wandten Mitreisende ihre Köpfe und musterten Elias ebenso mitleidig wie verärgert. Mit vor Überraschung geöffnetem Mund verfolgte Angelika die Gebärden ihres Sohnes. Zu ihrer Verwunderung schien Elias deren Unsicherheit und Ärger über den weggegangenen Schaffner verstanden zu haben. Mit seiner freien Hand vollführte Elias die Gebärde für „Freund“. Das Gesicht der ihm Fremden strahlte auf: Sie verstand die Gebärdensprache, mit deren Hilfe Elias sprechen lernte. „Elias“ war das einzige lautsprachliche Wort, das der Junge herausbrachte. Angelika staunte, als ihr Sohn die Worte des Schaffners in Gebärdensprache übersetzte. Tränen der Freude rannen der eben noch die Hände ringenden Frau über die Wangen. Während der Zug anfuhr, verließ Angelika mit Elias das Abteil. Es half ja nichts: Bis zum nächsten Halt mussten sie die Tür erreicht haben, um aussteigen zu können. Ein- oder zweimal drehte Elias sich nach dem Abteil um und winkte fröhlich zum Abschied.

Bis sie in Duisburg ausstiegen, ließen Regen und Wind nach. Obwohl die Kinder zunehmend müde wurden und ihr die Ohren voll quengelten, legte sich die Unruhe in Angelika Bald würden sie es geschafft haben und die Kinder ins Bett bringen können. „Das war ein schönes Erleben, Stefan. Ich bin so dankbar dafür.“ Angelika versuchte, ihre Gefühle zusammenzufassen. „Das war bewegend und so ermutigend, dass ich es bestimmt nicht so bald vergesse.“ Stumm nickte Stefan zu ihren Worten. „So ein Sturm hat eben auch sein Gutes. Hoffentlich konnte der Schaffner wirklich helfen.“ Angelika lächelte in der Erinnerung an die Gesichter der Mitreisenden.
 

Wipfel

Mitglied
Hi Sina,

Doc hat geschrieben:
Den letzten Satz habe ich entfernt, damit der Schluss etwas offener bleibt und besser zu einer Kurzgeschichte passt.
Und du hast geantwortet:
Schade finde ich es, dass der letzte Satz meines Textes ohne vorherige Rücksprache gelöscht wurde.
Echt jetzt? Ich kann nicht glauben, dass Doc das ohne Absprache macht. Der Redakteur streicht doch nicht in fremden Geschichten rum, nur damit sie ihm besser gefallen, oder?

Grüße von wipfel
 

Sina

Mitglied
@Wipfel: Tja- davon ausgehend, das Doc nicht schwindelt und mit dem Wissen, dass in der ersten Version dieser Geschichte der letzte Satz definitiv fehlte, muss ich wohl antworten: "Ja, echt jetzt." Vorher abgesprochen wurde diese Löschung mit mir nicht. Ob das Rechtens ist? Weiß ich nicht zu sagen.

LG Sina
 

Wipfel

Mitglied
Wie lautet denn der letzte Satz? Vielleicht verstehe ich ja dann die Zensur...

Grüße von wipfel

PS: Du kannst übrigens den Text überarbeiten und dann mit dem letzten Satz erneut einstellen. Funktioniert.
 
A

aligaga

Gast
Im Deutschunterricht der Mittelstufe hätte ein guter Leerer in einem bemühten Hausaufsatz wie diesem das
„Irgendwie werden wir schon nach Hause kommen.“ Zweifelnd sah Angelika ihren Mann an. Der Wind zerzauste ihre Haare. Unter zahlreichen Beteuerungen, einander baldmöglichst wiederzusehen, hatte sie auf Stefans Drängen hin, die spontane Party ihrer Freundin nur ungern so früh verlassen. Stefans Entscheidung, den Heimweg früher als üblich anzutreten, erwies sich als goldrichtig: Orkanartige Böen schlugen ihr harten Regen ins Gesicht und zerrten an Jacken und Kapuzen. Beide Kinder waren müde, quengelten und kamen auf kurzen Beinen kaum gegen den Gegenwind an.
auf ein
„Irgendwie werden wir schon nach Hause kommen.“ Orkanartige Böen schlugen ihr harten Regen ins Gesicht und zerrten an Jacken und Kapuzen. Beide Kinder waren müde, quengelten und kamen auf kurzen Beinen kaum gegen den [strike][red]Gegen[/red][/strike]wind an.
zusammengestrichen und zu den Streichungen in roter Tinte "[red]Quatsch mit Fransen![/red]" dazugeschrieben.

Sorry - das hier ist keine Kurzgeschichte, sondern ein Langweiler, bei dem man vor lauter nebensächlichem Geschwätz Mühe hat, den ohnehin haardünnen Faden nicht zu verlieren.

Die Idee, dass ein sprechbehindertes Kind einen ebensolchen Erwachsenen besser verstehen könnte als Nichtbehinderte, wäre ja gar nicht schlecht. "Zünden" kann eine solche Pointe aber nur, wenn sich die Leser nicht durch Berge von Sprachmüll wühlen müssten, um bis dorthin zu gelangen. Die meisten geben wohl schon nach dem zweiten Absatz auf.

TTip: Entschlacken und entkrampfen!

Heiter

aligaga
 

Sina

Mitglied
Ich wollte nur gesagt haben, dass man einen Text nicht ohne Rücksprache mit dem Autor ändern oder gar ersatzlos streichen sollte - schon gar nicht ohne vorherige Rücksprache mit dem Autor. Vorher darüber zu sprechen, wäre auch bei einem Text, der hier als Bewerbung gilt, netter gewesen. In diesem Fall bin ich dennoch dankbar für den Gedankenanstoß DocSchneiders - so habe ich die Wichtigkeit des Erlebens für Angelika besser unterbringen können, als in einem auch für mich nicht zu 100% geglückten Schlusssatz.

@ Wipfel: Um diesen Satz ging es:

Von dieser Zugfahrt würde sie noch berichten, wenn Elias die Schule als Erwachsener verließe!
Ich weiß, dass ich das könnte: Ihn wieder anfügen. Das will ich aber gar nicht. Durch die Ergänzung der wörtlichen Rede Angelikas, ist er überflüssig geworden. Der Text ist tatsächlich besser geworden.

Ihre Texte ggf. selbst überarbeiten könnend und mit
lieben Grüßen

Sina
 

Sina

Mitglied
Stumtoben​

„Irgendwie werden wir schon nach Hause kommen.“ Zweifelnd sah Angelika ihren Mann an. Der Wind zerzauste ihre Haare. Unter zahlreichen Beteuerungen, einander baldmöglichst wiederzusehen, hatte sie auf Stefans Drängen hin, die spontane Party ihrer Freundin nur ungern so früh verlassen. Stefans Entscheidung, den Heimweg früher als üblich anzutreten, erwies sich als goldrichtig: Orkanartige Böen schlugen ihr harten Regen ins Gesicht und zerrten an Jacken und Kapuzen. Beide Kinder waren müde, quengelten und kamen auf kurzen Beinen kaum gegen den Wind an.
„Ich hab’s Dir ja gesagt, aber Du musstest ja noch einen Moment länger mit Sabine sprechen als nötig.“ Angelika seufzte. Das schien in letzter Zeit typisch für Stefan zu sein: Er suchte die Schuld bei ihr: Als ob sie Sturm bestellte, um ihn zu ärgern. „Tut mir leid, dass ich das nicht so ernst genommen habe. Im Partykeller war von dem Sturm auch nichts zu bemerken. Durch Sabines Leben fegt auch gerade eine Art Sturm, weißt Du. “ Angelikas Stimme nahm einen schrillen Ton an – wie meistens, wenn sie sich rechtfertigte. Die mögliche Diagnose „Epilepsie“ hing wie ein Damoklesschwert über ihrem Patenkind. Da brauchte Sabine jeden Zuspruch, den sie bekommen konnte. Angelika wollte der jungen Mutter beistehen, so gut sie es aufgrund eigener Erfahrungen eben konnte. „Sabine ist alleinerziehend, Stefan. Da bricht ein Sturm über ihr Leben herein, der sie leicht überfordert.“ Angelika konnte gut nachempfinden, wie sich ihre Freundin fühlte. „Alles gut. Gleich kommt die S-Bahn. Das schaffen die Kids.“ Stefan blieb zuversichtlich und nahm Angelika einen Teil ihrer Sorgen ab. Die Kinder waren es gewohnt, die Fahrt in der S-Bahn zurückzulegen.

„Mir ist kalt.“ Der kleine Marko jammerte und Angelika rieb ihm sanft über Rücken und Arme. Auf einem der Plastiksitze saß der achtjährige Elias und schaukelte mit dem Oberkörper vor- und zurück. Ein eigenartiger Rhythmus, fand Angelika. „Oh, nein! Das darf doch nicht wahr sein! Was machen wir jetzt?“ Angelika wurde panisch. Alleine oder mit Stefan, so meinte sie, wäre eine Nacht in einer fremden Stadt auszuhalten. Mit den Kindern jedoch wurde sie bereits bei der Vorstellung von Angst gepackt. Eine Laufschrift auf der Anzeigetafel über dem Bahnsteig stellte unmissverständlich klar, dass die S-Bahnen bis auf weiteres ausfielen. Verzweifelt strich Angelika sich erneut die Haare aus der Stirn. Ihren Kindern gegenüber riss sie sich zusammen und ließ sich nicht anmerken: Angst und Sorge stürmten auf sie ein. Einen klaren Gedanken konnte sie nicht fassen. Es war Stefan, der vorschlug, mit dem Bus zum Hauptbahnhof zu fahren. Von dort aus, nahm er an, könne man mit der Regionalbahn nach Duisburg fahren. Angelika lächelte. Sie war dankbar, dass ihr Mann mitten im Sturm die Ruhe bewahrte. „Ach, dann ist ja alles gut. Es ist wirklich etwas ganz anderes, ob ich mit Dir nicht weiß, wie ich nach Hause komme, oder ob ich mit den Kindern im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehe.“

Der Linienbus trotzte Wind und Starkregen. Sicher erreichte er den Hauptbahnhof. Mit je einem Kind an der Hand durchquerte das Ehepaar die überfüllte Bahnhofshalle. „Mama, sieh mal. Der sieht aber komisch aus!“ Niko zerrte an ihrer Hand und Angelika hielt ihn davon ab, auf einen der Punker vor ihr zu zeigen. Von allen Seiten wurde Angelika angestoßen, zur Seite geschoben oder angepflaumt. „Stefan, ich will nur nach Hause.“ Angelika fing an zu jammern. Das Stimmengeschwirr, die quengelnden Kinder und die schlechte Luft überforderten sie. „Der Regionalverkehr ist zusammengebrochen, aber wir können den ICE benutzen.“ Stefan deutete auf die Anzeigetafel. Angelika atmete erleichtert auf. „Gut, ich würde sagen, wir nehmen den nächsten ICE, der nach Duisburg fährt. Kommt mit, Ihr beiden.“ Fest behielt Angelika die kleine Kinderhand in ihrer. Vor ihr bahnte Stefan sich mit Niko einen Weg durch das Gewimmel, auf dem Angelika mit Elias folgen konnte.

„Kommen Sie. Setzen Sie sich.“ Eine indische Familie rückte im Abteil des ICEs zusammen. Ihren Jüngsten nahm Angelika auf den Schoß und hieß Elias, sich zu setzen. Eine Reisende saß zwischen ihnen. Direkt im Auge hatte sie Elias nicht mehr, aber sie hörte ihn leise mit sich selbst quasseln. Angelika sah hinaus auf die Anzeigetafel über dem Nachbargleis. Der ICE nach Norddeich schien seit Stunden überfällig zu sein. Da war doch hoffentlich die Uhr kaputt! Unruhe machte sich unter den Mitreisenden breit und auch Angelika war verwundert. Längst hätte ihr ICE abfahren sollen. Draußen auf dem Gang drängte sich ein Schaffner an Stefan vorbei in das Abteil. Den Schwerbehindertenausweis ihres Sohnes aus ihrer Tasche kramend, fragte Angelika, warum ihr ICE noch im Bahnhof stand. „Wir haben keinen Lokführer. Er hängt im Regionalverkehr fest.“ Das war eine Antwort, die Angelika im ersten Moment die Sprache verschlug. „Kein Lokführer? Nun, dann kann der Zug in der Tat nicht fahren.“ Allen widrigen Umständen zum Trotz musste Angelika lachen. Es war nicht leicht für sie, mitten in diesem Sturm die Ruhe zu bewahren und gelassen abzuwarten. „Bitte? Ich kann Sie nicht verstehen.“ Verzweifelt versuchte Angelika aus dem Gestammel und Gesten der ihr gegenüber Sitzenden schlau zu werden. „Was braucht Sie? Eine Bescheinigung vielleicht?“ Angelika wandte sich an die Inderin, die eifrig nickend einen Zettel beschrieb. Verneinend den Kopf schüttelnd gab die junge Frau den Zettel zurück. Mit unverständlichen Lauten und Gebärden sprach sie auf ihre Sitznachbarin ein. In gebrochenem Deutsch versuchte diese vergeblich, die verstandenen Worte zusammenzufassen. Inzwischen versuchte ein weiterer Reisender zu intervenieren, aber auch er scheiterte am mangelnden Sprachvermögen. „Vielleicht weiß der Schaffner Rat.“ Auf dem Gang entstand erwartungsvolle Unruhe, als sich die Türen schlossen.

Endlich setzte der Zug sich in Bewegung. Aufgeregt fuchtelte Niko mit einer Hand und zeigte auf die Hochspannungsmasten, die scheinbar am Fenster vorüberglitten. „Ja, es geht los. Bald sind wir zu Hause.“ Besänftigend strich Angelika ihm über den blonden Haarschopf und hielt gleichzeitig nach dem Schaffner Ausschau. Angelika hoffte im Stillen, dass dieser über genug Erfahrung verfügte, um helfen zu können. Gefühlt dauerte es noch Stunden bis der Schaffner kurz vor Mülheim an der Ruhr das Abteil erreichte. „Bitte, können Sie der jungen Frau nicht helfen? Wir verstehen nicht, was diese benötigt.“ „Sie arbeitet wohl in Düsseldorf, aber ...“ Hilflos zuckte die indische Mitreisende mit den Achseln. „Ich werde mit ihr in Düsseldorf aussteigen, damit ihr geholfen wird. Ich komme wieder, wenn ich den Zug abgepfiffen habe.“

Fassungslos sah die junge Frau dem Schaffner nach. Angelika konnte ihr den empfundenen Ärger darüber vom Gesicht ablesen. Tränen standen in den Augen ihres Gegenübers.
Die Stimme der Bandansage kündigte Mühlheim an der Ruhr erst an, als der Zug bereits im Bahnhof stand. „Der Sturm hat bei der ganzen Bahn für Durcheinander gesorgt.“ Angelikas Bemerkung galt ihrem Mann, der in dem Gedränge im Gang kein Durchkommen fand. „Na, los. Wir müssen gleich aussteigen. Geh‘ schon mal zu Papa, ja?“ An der Tür des Abteils nahm ihr Mann seinen Sohn in Empfang. Angelika erhob sich und nahm Elias an die Hand. Dieser unterbrach sein gestenreiches und nur für ihn verständliches Selbstgespräch. Er zerrte so sehr an ihr, dass Angelika ihn schließlich kurz los ließ. Verdutzt sah sie zu, wie Elias zielstrebig auf die taubstumme Frau am Fenster zuging. Es war Angelika ein bisschen unangenehm, wie unvoreingenommen ihr Sohn dieser mit der Hand auf die Brust tippte. Irritiert wandten Mitreisende ihre Köpfe und musterten Elias ebenso mitleidig wie verärgert. Mit vor Überraschung geöffnetem Mund verfolgte Angelika die Gebärden ihres Sohnes. Zu ihrer Verwunderung schien Elias deren Unsicherheit und Ärger über den weggegangenen Schaffner verstanden zu haben. Mit seiner freien Hand vollführte Elias die Gebärde für „Freund“. Das Gesicht der ihm Fremden strahlte auf: Sie verstand die Gebärdensprache, mit deren Hilfe Elias sprechen lernte. „Elias“ war das einzige lautsprachliche Wort, das der Junge herausbrachte. Angelika staunte, als ihr Sohn die Worte des Schaffners in Gebärdensprache übersetzte. Tränen der Freude rannen der eben noch die Hände ringenden Frau über die Wangen. Während der Zug anfuhr, verließ Angelika mit Elias das Abteil. Es half ja nichts: Bis zum nächsten Halt mussten sie die Tür erreicht haben, um aussteigen zu können. Ein- oder zweimal drehte Elias sich nach dem Abteil um und winkte fröhlich zum Abschied.

Bis sie in Duisburg ausstiegen, ließen Regen und Wind nach. Obwohl die Kinder zunehmend müde wurden und ihr die Ohren voll quengelten, legte sich die Unruhe in Angelika Bald würden sie es geschafft haben und die Kinder ins Bett bringen können. „Das war ein schönes Erleben, Stefan. Ich bin so dankbar dafür.“ Angelika versuchte, ihre Gefühle zusammenzufassen. „Das war bewegend und so ermutigend, dass ich es bestimmt nicht so bald vergesse.“ Stumm nickte Stefan zu ihren Worten. „So ein Sturm hat eben auch sein Gutes. Hoffentlich konnte der Schaffner wirklich helfen.“ Angelika lächelte in der Erinnerung an die Gesichter der Mitreisenden.
 

Sina

Mitglied
Lehrer schreiben sich vielleicht mit "h", weil sie in aller Regel lehren und nicht mit "ee" - es sei denn, sie sind "leer", was dann Vieles erklären könnte, nicht? Mein engagierter Lehrer hätte vermutlich "doppeltgemoppelt" an den Rand geschrieben - und das zu Recht. Für den Hinweis vielen Dank.

Mit einem Augenzwinkern

Sina
 

Sina

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Stumtoben​

„Irgendwie werden wir schon nach Hause kommen.“ Zweifelnd sah Angelika ihren Mann an. Der Wind zerzauste ihre Haare. Orkanartige Böen schlugen ihr harten Regen ins Gesicht und zerrten an Jacken und Kapuzen. Beide Kinder waren müde, quengelten und kamen auf kurzen Beinen kaum gegen den Wind an. „Ich hab’s Dir ja gesagt, aber Du musstest ja noch einen Moment länger mit Sabine sprechen als nötig.“ Angelika seufzte. Das schien in letzter Zeit typisch für Stefan zu sein: Er suchte die Schuld bei ihr: Als ob sie Sturm bestellte, um ihn zu ärgern. „Tut mir leid, dass ich das nicht so ernst genommen habe. Im Partykeller war von dem Sturm auch nichts zu bemerken. Durch Sabines Leben fegt auch gerade eine Art Sturm, weißt Du. “ Angelikas Stimme nahm einen schrillen Ton an – wie meistens, wenn sie sich rechtfertigte. Die mögliche Diagnose „Epilepsie“ hing wie ein Damoklesschwert über ihrem Patenkind. Da brauchte Sabine jeden Zuspruch, den sie bekommen konnte. Angelika wollte der jungen Mutter beistehen, so gut sie es aufgrund eigener Erfahrungen eben konnte. „Sabine ist alleinerziehend, Stefan. Da bricht ein Sturm über ihr Leben herein, der sie leicht überfordert.“ Angelika konnte gut nachempfinden, wie sich ihre Freundin fühlte. „Alles gut. Gleich kommt die S-Bahn. Das schaffen die Kids.“ Stefan blieb zuversichtlich und nahm Angelika einen Teil ihrer Sorgen ab. Die Kinder waren es gewohnt, die Fahrt in der S-Bahn zurückzulegen.

„Mir ist kalt.“ Niko jammerte und Angelika rieb ihm sanft über Rücken und Arme. Auf einem der Plastiksitze saß Elias schaukelte mit dem Oberkörper vor- und zurück. Ein eigenartiges Verhalten für einen Achtjährigen, fand Angelika. „Oh, nein! Das darf doch nicht wahr sein! Was machen wir jetzt?“ Angelika wurde panisch. Alleine oder mit Stefan, so meinte sie, wäre eine Nacht in einer fremden Stadt auszuhalten. Mit den Kindern jedoch wurde sie bereits bei der Vorstellung von Angst gepackt. Eine Laufschrift auf der Anzeigetafel über dem Bahnsteig stellte unmissverständlich klar, dass die S-Bahnen bis auf weiteres ausfielen. Verzweifelt strich Angelika sich die Haare aus der Stirn. Ihren Kindern gegenüber riss sie sich zusammen und ließ sich nicht anmerken: Angst und Sorge stürmten auf sie ein. Einen klaren Gedanken konnte sie nicht fassen. Es war Stefan, der vorschlug, mit dem Bus zum Hauptbahnhof zu fahren. Von dort aus, nahm er an, könne man mit der Regionalbahn nach Duisburg fahren. Angelika lächelte. Sie war dankbar, dass ihr Mann mitten im Sturm die Ruhe bewahrte. „Ach, dann ist ja alles gut. Es ist wirklich etwas ganz anderes, ob ich mit Dir nicht weiß, wie ich nach Hause komme, oder ob ich mit den Kindern im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehe.“

Der Linienbus trotzte Wind und Starkregen. Sicher erreichte er den Hauptbahnhof. Mit je einem Kind an der Hand durchquerte das Ehepaar die überfüllte Bahnhofshalle. „Mama, sieh mal. Der sieht aber komisch aus!“ Niko zerrte an ihrer Hand und Angelika hielt ihn davon ab, auf einen der Punker vor ihr zu zeigen. Von allen Seiten wurde Angelika angestoßen, zur Seite geschoben oder angepflaumt. „Stefan, ich will nur nach Hause.“ Angelika fing an zu jammern. Das Stimmengeschwirr, die quengelnden Kinder und die schlechte Luft überforderten sie. „Der Regionalverkehr ist zusammengebrochen, aber wir können den ICE benutzen.“ Stefan deutete auf die Anzeigetafel. Angelika atmete erleichtert auf. „Gut, ich würde sagen, wir nehmen den nächsten ICE, der nach Duisburg fährt. Kommt mit, Ihr beiden.“ Fest behielt Angelika die kleine Kinderhand in ihrer. Vor ihr bahnte Stefan sich mit Niko einen Weg durch das Gewimmel, auf dem Angelika mit Elias folgen konnte.

„Kommen Sie. Setzen Sie sich.“ Eine indische Familie rückte im Abteil des ICEs zusammen. Ihren Jüngsten nahm Angelika auf den Schoß und hieß Elias, sich zu setzen. Eine Reisende saß zwischen ihnen und bedachte den Jungen mit einem irritierten Blick. Direkt im Auge hatte Anglika ihren Sohn nicht mehr, aber sie hörte ihn leise mit sich selbst quasseln. Sie sah auf die Anzeigetafel über dem Nachbargleis. Der ICE nach Norddeich schien seit Stunden überfällig zu sein. Da war doch hoffentlich die Uhr kaputt! Unruhe machte sich unter den Mitreisenden breit und auch Angelika war verwundert: Längst hätte ihr ICE abfahren sollen. Draußen auf dem Gang drängte sich ein Schaffner an Stefan vorbei in das Abteil. Den Schwerbehindertenausweis ihres Sohnes aus ihrer Tasche kramend, fragte Angelika, warum ihr ICE noch im Bahnhof stand. „Wir haben keinen Lokführer. Er hängt im Regionalverkehr fest.“ Das war eine Antwort, die Angelika im ersten Moment die Sprache verschlug. „Kein Lokführer? Nun, dann kann der Zug in der Tat nicht fahren.“ Allen widrigen Umständen zum Trotz musste Angelika lachen. Es war nicht leicht für sie, mitten in diesem Sturm die Ruhe zu bewahren und abzuwarten. „Bitte? Ich kann Sie nicht verstehen.“ Verzweifelt versuchte Angelika aus dem Gestammel der ihr gegenüber Sitzenden schlau zu werden. „Was braucht Sie? Eine Bescheinigung vielleicht?“ Angelika wandte sich an die Inderin, die eifrig nickend einen Zettel beschrieb. Verneinend den Kopf schüttelnd gab die junge Frau den Zettel zurück. Mit unverständlichen Lauten und Gebärden sprach sie auf ihre Sitznachbarin ein. In gebrochenem Deutsch versuchte diese vergeblich, die verstandenen Worte zusammenzufassen. Inzwischen versuchte ein weiterer Reisender zu intervenieren, aber auch er scheiterte am mangelnden Sprachvermögen. „Vielleicht weiß der Schaffner Rat.“ Auf dem Gang entstand erwartungsvolle Unruhe, als sich die Türen schlossen.

Endlich setzte der Zug sich in Bewegung. Aufgeregt fuchtelte Niko mit einer Hand und zeigte auf die Hochspannungsmasten, die am Fenster vorüberglitten. „Ja, es geht los. Bald sind wir zu Hause.“ Besänftigend strich Angelika ihm über den blonden Haarschopf und hielt gleichzeitig nach dem Schaffner Ausschau. Angelika hoffte im Stillen, dass dieser über genug Erfahrung verfügte, um helfen zu können. Gefühlt dauerte es noch Stunden bis der Schaffner kurz vor Mülheim an der Ruhr das Abteil erreichte. „Bitte, können Sie der jungen Frau nicht helfen? Wir verstehen nicht, was diese benötigt.“ „Sie arbeitet wohl in Düsseldorf, aber ...“ Hilflos zuckte die indische Mitreisende mit den Achseln. „Ich werde mit ihr in Düsseldorf aussteigen, damit ihr geholfen wird. Ich komme wieder, wenn ich den Zug abgepfiffen habe.“

Fassungslos sah die junge Frau dem Schaffner nach. Angelika konnte ihr den empfundenen Ärger darüber vom Gesicht ablesen. Tränen standen in den Augen ihres Gegenübers.
Die Stimme der Bandansage kündigte Mühlheim an der Ruhr erst an, als der Zug bereits im Bahnhof stand. „Der Sturm hat bei der ganzen Bahn für Durcheinander gesorgt.“ Angelikas Bemerkung galt ihrem Mann, der in dem Gedränge im Gang kein Durchkommen fand. „Na, los. Wir müssen gleich aussteigen. Geh‘ schon mal zu Papa, ja?“ An der Tür des Abteils nahm ihr Mann seinen Sohn in Empfang. Angelika erhob sich und nahm Elias an die Hand. Dieser unterbrach sein gestenreiches und nur für ihn verständliches Selbstgespräch. Er zerrte so sehr an ihr, dass Angelika ihn schließlich kurz los ließ. Verdutzt sah sie zu, wie Elias zielstrebig auf die taubstumme Frau am Fenster zuging. Es war Angelika ein bisschen unangenehm, wie unvoreingenommen ihr Sohn dieser mit der Hand auf die Brust tippte. Irritiert wandten Mitreisende ihre Köpfe und musterten Elias ebenso mitleidig wie verärgert. Mit vor Überraschung geöffnetem Mund verfolgte Angelika die Gebärden ihres Sohnes. Zu ihrer Verwunderung schien Elias deren Unsicherheit und Ärger über den weggegangenen Schaffner verstanden zu haben. Mit seiner freien Hand vollführte Elias die Gebärde für „Freund“. Das Gesicht der ihm Fremden strahlte auf: Sie verstand die Gebärdensprache, mit deren Hilfe Elias sprechen lernte. „Elias“ war das einzige lautsprachliche Wort, das der Junge herausbrachte. Angelika staunte, als ihr Sohn die Worte des Schaffners in Gebärdensprache übersetzte. Tränen der Freude rannen der eben noch die Hände ringenden Frau über die Wangen. Während der Zug anfuhr, verließ Angelika mit Elias das Abteil. Es half ja nichts: Bis zum nächsten Halt mussten sie die Tür erreicht haben, um aussteigen zu können. Ein- oder zweimal drehte Elias sich nach dem Abteil um und winkte fröhlich zum Abschied.

Bis sie in Duisburg ausstiegen, ließen Regen und Wind nach. Obwohl die Kinder zunehmend müde wurden und ihr die Ohren voll quengelten, legte sich die Unruhe in Angelika Bald würden sie es geschafft haben und die Kinder ins Bett bringen können. „Das war ein schönes Erleben, Stefan. Ich bin so dankbar dafür.“ Angelika versuchte, ihre Gefühle zusammenzufassen. „Das war bewegend und so ermutigend, dass ich es bestimmt nicht so bald vergesse.“ Stumm nickte Stefan zu ihren Worten. „So ein Sturm hat eben auch sein Gutes. Hoffentlich konnte der Schaffner wirklich helfen.“ Angelika lächelte in der Erinnerung an die Gesichter der Mitreisenden.
 

Sina

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Die Kommentare ernst nehmend, habe ich den Text noch einmal überarbeitet und insbesondere im ersten Absatz Unwichtiges streichen können. Danke für den Hinweis darauf, Ali.

Heiter bleibend

Sina
 

Sina

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Stumtoben​

„Irgendwie werden wir schon nach Hause kommen.“ Zweifelnd sah Angelika ihren Mann an. Der Wind zerzauste ihre Haare. Orkanartige Böen schlugen ihr harten Regen ins Gesicht und zerrten an Jacken und Kapuzen. Beide Kinder waren müde, quengelten und kamen auf kurzen Beinen kaum gegen den Wind an. „Ich hab’s Dir ja gesagt, aber Du musstest ja noch einen Moment länger mit Sabine sprechen als nötig.“ Angelika seufzte. Das schien in letzter Zeit typisch für Stefan zu sein: Er suchte die Schuld bei ihr. „Tut mir leid, dass ich das nicht so ernst genommen habe. Im Partykeller war von dem Sturm auch nichts zu bemerken. Durch Sabines Leben fegt auch gerade eine Art Sturm, weißt Du. “ Angelikas Stimme nahm einen schrillen Ton an – wie meistens, wenn sie sich rechtfertigte. Die mögliche Diagnose „Epilepsie“ hing wie ein Damoklesschwert über ihrem Patenkind. Da brauchte Sabine jeden Zuspruch, den sie bekommen konnte. Angelika wollte der jungen Mutter beistehen, so gut sie es aufgrund eigener Erfahrungen eben konnte. „Sabine ist alleinerziehend, Stefan. Da bricht ein Sturm über ihr Leben herein, der sie leicht überfordert.“ Angelika konnte gut nachempfinden, wie sich ihre Freundin fühlte. „Alles gut. Gleich kommt die S-Bahn. Das schaffen die Kids.“ Stefan blieb zuversichtlich und nahm Angelika einen Teil ihrer Sorgen ab. Die Kinder waren es gewohnt, die Fahrt in der S-Bahn zurückzulegen.

„Mir ist kalt.“ Niko jammerte und Angelika rieb ihm sanft über Rücken und Arme. Auf einem der Plastiksitze saß Elias schaukelte mit dem Oberkörper vor- und zurück. Ein eigenartiges Verhalten für einen Achtjährigen, fand Angelika. „Oh, nein! Das darf doch nicht wahr sein! Was machen wir jetzt?“ Angelika wurde panisch. Alleine oder mit Stefan, so meinte sie, wäre eine Nacht in einer fremden Stadt auszuhalten. Mit den Kindern jedoch wurde sie bereits bei der Vorstellung von Angst gepackt. Eine Laufschrift auf der Anzeigetafel über dem Bahnsteig stellte unmissverständlich klar, dass die S-Bahnen bis auf weiteres ausfielen. Verzweifelt strich Angelika sich die Haare aus der Stirn. Ihren Kindern gegenüber riss sie sich zusammen und ließ sich nicht anmerken: Angst und Sorge stürmten auf sie ein. Einen klaren Gedanken konnte sie nicht fassen. Es war Stefan, der vorschlug, mit dem Bus zum Hauptbahnhof zu fahren. Von dort aus, nahm er an, könne man mit der Regionalbahn nach Duisburg fahren. Angelika lächelte. Sie war dankbar, dass ihr Mann mitten im Sturm die Ruhe bewahrte. „Ach, dann ist ja alles gut. Es ist wirklich etwas ganz anderes, ob ich mit Dir nicht weiß, wie ich nach Hause komme, oder ob ich mit den Kindern im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehe.“

Der Linienbus trotzte Wind und Starkregen. Sicher erreichte er den Hauptbahnhof. Mit je einem Kind an der Hand durchquerte das Ehepaar die überfüllte Bahnhofshalle. „Mama, sieh mal. Der sieht aber komisch aus!“ Niko zerrte an ihrer Hand und Angelika hielt ihn davon ab, auf einen der Punker vor ihr zu zeigen. Von allen Seiten wurde Angelika angestoßen, zur Seite geschoben oder angepflaumt. „Stefan, ich will nur nach Hause.“ Angelika fing an zu jammern. Das Stimmengeschwirr, die quengelnden Kinder und die schlechte Luft überforderten sie. „Der Regionalverkehr ist zusammengebrochen, aber wir können den ICE benutzen.“ Stefan deutete auf die Anzeigetafel. Angelika atmete erleichtert auf. „Gut, ich würde sagen, wir nehmen den nächsten ICE, der nach Duisburg fährt. Kommt mit, Ihr beiden.“ Fest behielt Angelika die kleine Kinderhand in ihrer. Vor ihr bahnte Stefan sich mit Niko einen Weg durch das Gewimmel, auf dem Angelika mit Elias folgen konnte.

„Kommen Sie. Setzen Sie sich.“ Eine indische Familie rückte im Abteil des ICEs zusammen. Ihren Jüngsten nahm Angelika auf den Schoß und hieß Elias, sich zu setzen. Eine Reisende saß zwischen ihnen und bedachte den Jungen mit einem irritierten Blick. Direkt im Auge hatte Anglika ihren Sohn nicht mehr, aber sie hörte ihn leise mit sich selbst quasseln. Sie sah auf die Anzeigetafel über dem Nachbargleis. Der ICE nach Norddeich schien seit Stunden überfällig zu sein. Da war doch hoffentlich die Uhr kaputt! Unruhe machte sich unter den Mitreisenden breit und auch Angelika war verwundert: Längst hätte ihr ICE abfahren sollen. Draußen auf dem Gang drängte sich ein Schaffner an Stefan vorbei in das Abteil. Den Schwerbehindertenausweis ihres Sohnes aus ihrer Tasche kramend, fragte Angelika, warum ihr ICE noch im Bahnhof stand. „Wir haben keinen Lokführer. Er hängt im Regionalverkehr fest.“ Das war eine Antwort, die Angelika im ersten Moment die Sprache verschlug. „Kein Lokführer? Nun, dann kann der Zug in der Tat nicht fahren.“ Allen widrigen Umständen zum Trotz musste Angelika lachen. Es war nicht leicht für sie, mitten in diesem Sturm die Ruhe zu bewahren und abzuwarten. „Bitte? Ich kann Sie nicht verstehen.“ Verzweifelt versuchte Angelika aus dem Gestammel der ihr gegenüber Sitzenden schlau zu werden. „Was braucht Sie? Eine Bescheinigung vielleicht?“ Angelika wandte sich an die Inderin, die eifrig nickend einen Zettel beschrieb. Verneinend den Kopf schüttelnd gab die junge Frau den Zettel zurück. Mit unverständlichen Lauten und Gebärden sprach sie auf ihre Sitznachbarin ein. In gebrochenem Deutsch versuchte diese vergeblich, die verstandenen Worte zusammenzufassen. Inzwischen versuchte ein weiterer Reisender zu intervenieren, aber auch er scheiterte am mangelnden Sprachvermögen. „Vielleicht weiß der Schaffner Rat.“ Auf dem Gang entstand erwartungsvolle Unruhe, als sich die Türen schlossen.

Endlich setzte der Zug sich in Bewegung. Aufgeregt fuchtelte Niko mit einer Hand und zeigte auf die Hochspannungsmasten, die am Fenster vorüberglitten. „Ja, es geht los. Bald sind wir zu Hause.“ Besänftigend strich Angelika ihm über den blonden Haarschopf und hielt gleichzeitig nach dem Schaffner Ausschau. Angelika hoffte im Stillen, dass dieser über genug Erfahrung verfügte, um helfen zu können. Gefühlt dauerte es noch Stunden bis der Schaffner kurz vor Mülheim an der Ruhr das Abteil erreichte. „Bitte, können Sie der jungen Frau nicht helfen? Wir verstehen nicht, was diese benötigt.“ „Sie arbeitet wohl in Düsseldorf, aber ...“ Hilflos zuckte die indische Mitreisende mit den Achseln. „Ich werde mit ihr in Düsseldorf aussteigen, damit ihr geholfen wird. Ich komme wieder, wenn ich den Zug abgepfiffen habe.“

Fassungslos sah die junge Frau dem Schaffner nach. Angelika konnte ihr den empfundenen Ärger darüber vom Gesicht ablesen. Tränen standen in den Augen ihres Gegenübers.
Die Stimme der Bandansage kündigte Mühlheim an der Ruhr erst an, als der Zug bereits im Bahnhof stand. „Der Sturm hat bei der ganzen Bahn für Durcheinander gesorgt.“ Angelikas Bemerkung galt ihrem Mann, der in dem Gedränge im Gang kein Durchkommen fand. „Na, los. Wir müssen gleich aussteigen. Geh‘ schon mal zu Papa, ja?“ An der Tür des Abteils nahm ihr Mann seinen Sohn in Empfang. Angelika erhob sich und nahm Elias an die Hand. Dieser unterbrach sein gestenreiches und nur für ihn verständliches Selbstgespräch. Er zerrte so sehr an ihr, dass Angelika ihn schließlich kurz los ließ. Verdutzt sah sie zu, wie Elias zielstrebig auf die taubstumme Frau am Fenster zuging. Es war Angelika ein bisschen unangenehm, wie unvoreingenommen ihr Sohn dieser mit der Hand auf die Brust tippte. Irritiert wandten Mitreisende ihre Köpfe und musterten Elias ebenso mitleidig wie verärgert. Mit vor Überraschung geöffnetem Mund verfolgte Angelika die Gebärden ihres Sohnes. Zu ihrer Verwunderung schien Elias deren Unsicherheit und Ärger über den weggegangenen Schaffner verstanden zu haben. Mit seiner freien Hand vollführte Elias die Gebärde für „Freund“. Das Gesicht der ihm Fremden strahlte auf: Sie verstand die Gebärdensprache, mit deren Hilfe Elias sprechen lernte. „Elias“ war das einzige lautsprachliche Wort, das der Junge herausbrachte. Angelika staunte, als ihr Sohn die Worte des Schaffners in Gebärdensprache übersetzte. Tränen der Freude rannen der eben noch die Hände ringenden Frau über die Wangen. Während der Zug anfuhr, verließ Angelika mit Elias das Abteil. Es half ja nichts: Bis zum nächsten Halt mussten sie die Tür erreicht haben, um aussteigen zu können. Ein- oder zweimal drehte Elias sich nach dem Abteil um und winkte fröhlich zum Abschied.

Bis sie in Duisburg ausstiegen, ließen Regen und Wind nach. Obwohl die Kinder zunehmend müde wurden und ihr die Ohren voll quengelten, legte sich die Unruhe in Angelika Bald würden sie es geschafft haben und die Kinder ins Bett bringen können. „Das war ein schönes Erleben, Stefan. Ich bin so dankbar dafür.“ Angelika versuchte, ihre Gefühle zusammenzufassen. „Das war bewegend und so ermutigend, dass ich es bestimmt nicht so bald vergesse.“ Stumm nickte Stefan zu ihren Worten. „So ein Sturm hat eben auch sein Gutes. Hoffentlich konnte der Schaffner wirklich helfen.“ Angelika lächelte in der Erinnerung an die Gesichter der Mitreisenden.
 
A

aligaga

Gast
@Ali hält Schulgermanen für öffentlich Bedienstete, die dazu angestellt sind, Kindern deren Fantasie zugunsten einer konformistischen Sicht auszutreiben.

Er schreibt daher stets "Leerer", wenn es um's Doitsch geht. Die meisten Pädagogen sind keine Belehrer, sondern Ausleerer.

Heiter immer weiter

aligaga
 

Sina

Mitglied
Stumtoben​

„Irgendwie werden wir schon nach Hause kommen.“ Zweifelnd sah Angelika ihren Mann an. Der Wind zerzauste ihre Haare. Orkanartige Böen schlugen ihr harten Regen ins Gesicht und zerrten an Jacken und Kapuzen. Beide Kinder waren müde, quengelten und kamen auf kurzen Beinen kaum gegen den Wind an. „Ich hab’s Dir ja gesagt, aber Du musstest ja noch einen Moment länger mit Sabine sprechen als nötig.“ Angelika seufzte. Das schien in letzter Zeit typisch für Stefan zu sein: Er suchte die Schuld bei ihr. „Tut mir leid, dass ich das nicht so ernst genommen habe. Im Partykeller war von dem Sturm auch nichts zu bemerken. Durch Sabines Leben fegt auch gerade eine Art Sturm, weißt Du. “ Angelikas Stimme nahm einen schrillen Ton an – wie meistens, wenn sie sich rechtfertigte. Die mögliche Diagnose „Epilepsie“ hing wie ein Damoklesschwert über ihrem Patenkind. Da brauchte Sabine jeden Zuspruch, den sie bekommen konnte. Angelika wollte der jungen Mutter beistehen, so gut sie es aufgrund eigener Erfahrungen eben konnte. „Sabine ist alleinerziehend, Stefan. Da bricht ein Sturm über ihr Leben herein, der sie leicht überfordert.“ Angelika konnte gut nachempfinden, wie sich ihre Freundin fühlte. „Alles gut. Gleich kommt die S-Bahn. Das schaffen die Kids.“ Stefan blieb zuversichtlich und nahm Angelika einen Teil ihrer Sorgen ab. Die Kinder waren es gewohnt, die Fahrt in der S-Bahn zurückzulegen.

„Mir ist kalt.“ Niko jammerte und Angelika rieb ihm sanft über Rücken und Arme. Auf einem der Plastiksitze saß Elias und schaukelte mit dem Oberkörper vor- und zurück. Ein eigenartiges Verhalten für einen Achtjährigen, fand Angelika. „Oh, nein! Das darf doch nicht wahr sein! Was machen wir jetzt?“ Angelika wurde panisch. Alleine oder mit Stefan, so meinte sie, wäre eine Nacht in einer fremden Stadt auszuhalten. Mit den Kindern jedoch wurde sie bereits bei der Vorstellung von Angst gepackt. Eine Laufschrift auf der Anzeigetafel über dem Bahnsteig stellte unmissverständlich klar, dass die S-Bahnen bis auf weiteres ausfielen. Verzweifelt strich Angelika sich die Haare aus der Stirn. Ihren Kindern gegenüber riss sie sich zusammen und ließ sich nicht anmerken: Angst und Sorge stürmten auf sie ein. Einen klaren Gedanken konnte sie nicht fassen. Es war Stefan, der vorschlug, mit dem Bus zum Hauptbahnhof zu fahren. Von dort aus, nahm er an, könne man mit der Regionalbahn nach Duisburg fahren. Angelika lächelte. Sie war dankbar, dass ihr Mann mitten im Sturm die Ruhe bewahrte. „Ach, dann ist ja alles gut. Es ist wirklich etwas ganz anderes, ob ich mit Dir nicht weiß, wie ich nach Hause komme, oder ob ich mit den Kindern im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehe.“

Der Linienbus trotzte Wind und Starkregen. Sicher erreichte er den Hauptbahnhof. Mit je einem Kind an der Hand durchquerte das Ehepaar die überfüllte Bahnhofshalle. „Mama, sieh mal. Der sieht aber komisch aus!“ Niko zerrte an ihrer Hand und Angelika hielt ihn davon ab, auf einen der Punker vor ihr zu zeigen. Von allen Seiten wurde Angelika angestoßen, zur Seite geschoben oder angepflaumt. „Stefan, ich will nur nach Hause.“ Angelika fing an zu jammern. Das Stimmengeschwirr, die quengelnden Kinder und die schlechte Luft überforderten sie. „Der Regionalverkehr ist zusammengebrochen, aber wir können den ICE benutzen.“ Stefan deutete auf die Anzeigetafel. Angelika atmete erleichtert auf. „Gut, ich würde sagen, wir nehmen den nächsten ICE, der nach Duisburg fährt. Kommt mit, Ihr beiden.“ Fest behielt Angelika die kleine Kinderhand in ihrer. Vor ihr bahnte Stefan sich mit Niko einen Weg durch das Gewimmel, auf dem Angelika mit Elias folgen konnte.

„Kommen Sie. Setzen Sie sich.“ Eine indische Familie rückte im Abteil des ICEs zusammen. Ihren Jüngsten nahm Angelika auf den Schoß und hieß Elias, sich zu setzen. Eine Reisende saß zwischen ihnen und bedachte den Jungen mit einem irritierten Blick. Direkt im Auge hatte Anglika ihren Sohn nicht mehr, aber sie hörte ihn leise mit sich selbst quasseln. Sie sah auf die Anzeigetafel über dem Nachbargleis. Der ICE nach Norddeich schien seit Stunden überfällig zu sein. Da war doch hoffentlich die Uhr kaputt! Unruhe machte sich unter den Mitreisenden breit und auch Angelika war verwundert: Längst hätte ihr ICE abfahren sollen. Draußen auf dem Gang drängte sich ein Schaffner an Stefan vorbei in das Abteil. Den Schwerbehindertenausweis ihres Sohnes aus ihrer Tasche kramend, fragte Angelika, warum ihr ICE noch im Bahnhof stand. „Wir haben keinen Lokführer. Er hängt im Regionalverkehr fest.“ Das war eine Antwort, die Angelika im ersten Moment die Sprache verschlug. „Kein Lokführer? Nun, dann kann der Zug in der Tat nicht fahren.“ Allen widrigen Umständen zum Trotz musste Angelika lachen. Es war nicht leicht für sie, mitten in diesem Sturm die Ruhe zu bewahren und abzuwarten. „Bitte? Ich kann Sie nicht verstehen.“ Verzweifelt versuchte Angelika aus dem Gestammel der ihr gegenüber Sitzenden schlau zu werden. „Was braucht Sie? Eine Bescheinigung vielleicht?“ Angelika wandte sich an die Inderin, die eifrig nickend einen Zettel beschrieb. Verneinend den Kopf schüttelnd gab die junge Frau den Zettel zurück. Mit unverständlichen Lauten und Gebärden sprach sie auf ihre Sitznachbarin ein. In gebrochenem Deutsch versuchte diese vergeblich, die verstandenen Worte zusammenzufassen. Inzwischen versuchte ein weiterer Reisender zu intervenieren, aber auch er scheiterte am mangelnden Sprachvermögen. „Vielleicht weiß der Schaffner Rat.“ Auf dem Gang entstand erwartungsvolle Unruhe, als sich die Türen schlossen.

Endlich setzte der Zug sich in Bewegung. Aufgeregt fuchtelte Niko mit einer Hand und zeigte auf die Hochspannungsmasten, die am Fenster vorüberglitten. „Ja, es geht los. Bald sind wir zu Hause.“ Besänftigend strich Angelika ihm über den blonden Haarschopf und hielt gleichzeitig nach dem Schaffner Ausschau. Angelika hoffte im Stillen, dass dieser über genug Erfahrung verfügte, um helfen zu können. Gefühlt dauerte es noch Stunden bis der Schaffner kurz vor Mülheim an der Ruhr das Abteil erreichte. „Bitte, können Sie der jungen Frau nicht helfen? Wir verstehen nicht, was diese benötigt.“ „Sie arbeitet wohl in Düsseldorf, aber ...“ Hilflos zuckte die indische Mitreisende mit den Achseln. „Ich werde mit ihr in Düsseldorf aussteigen, damit ihr geholfen wird. Ich komme wieder, wenn ich den Zug abgepfiffen habe.“

Fassungslos sah die junge Frau dem Schaffner nach. Angelika konnte ihr den empfundenen Ärger darüber vom Gesicht ablesen. Tränen standen in den Augen ihres Gegenübers.
Die Stimme der Bandansage kündigte Mühlheim an der Ruhr erst an, als der Zug bereits im Bahnhof stand. „Der Sturm hat bei der ganzen Bahn für Durcheinander gesorgt.“ Angelikas Bemerkung galt ihrem Mann, der in dem Gedränge im Gang kein Durchkommen fand. „Na, los. Wir müssen gleich aussteigen. Geh‘ schon mal zu Papa, ja?“ An der Tür des Abteils nahm ihr Mann seinen Sohn in Empfang. Angelika erhob sich und nahm Elias an die Hand. Dieser unterbrach sein gestenreiches und nur für ihn verständliches Selbstgespräch. Er zerrte so sehr an ihr, dass Angelika ihn schließlich kurz los ließ. Verdutzt sah sie zu, wie Elias zielstrebig auf die taubstumme Frau am Fenster zuging. Es war Angelika ein bisschen unangenehm, wie unvoreingenommen ihr Sohn dieser mit der Hand auf die Brust tippte. Irritiert wandten Mitreisende ihre Köpfe und musterten Elias ebenso mitleidig wie verärgert. Mit vor Überraschung geöffnetem Mund verfolgte Angelika die Gebärden ihres Sohnes. Zu ihrer Verwunderung schien Elias deren Unsicherheit und Ärger über den weggegangenen Schaffner verstanden zu haben. Mit seiner freien Hand vollführte Elias die Gebärde für „Freund“. Das Gesicht der ihm Fremden strahlte auf: Sie verstand die Gebärdensprache, mit deren Hilfe Elias sprechen lernte. „Elias“ war das einzige lautsprachliche Wort, das der Junge herausbrachte. Angelika staunte, als ihr Sohn die Worte des Schaffners in Gebärdensprache übersetzte. Tränen der Freude rannen der eben noch die Hände ringenden Frau über die Wangen. Während der Zug anfuhr, verließ Angelika mit Elias das Abteil. Es half ja nichts: Bis zum nächsten Halt mussten sie die Tür erreicht haben, um aussteigen zu können. Ein- oder zweimal drehte Elias sich nach dem Abteil um und winkte fröhlich zum Abschied.

Bis sie in Duisburg ausstiegen, ließen Regen und Wind nach. Obwohl die Kinder zunehmend müde wurden und ihr die Ohren voll quengelten, legte sich die Unruhe in Angelika Bald würden sie es geschafft haben und die Kinder ins Bett bringen können. „Das war ein schönes Erleben, Stefan. Ich bin so dankbar dafür.“ Angelika versuchte, ihre Gefühle zusammenzufassen. „Das war bewegend und so ermutigend, dass ich es bestimmt nicht so bald vergesse.“ Stumm nickte Stefan zu ihren Worten. „So ein Sturm hat eben auch sein Gutes. Hoffentlich konnte der Schaffner wirklich helfen.“ Angelika lächelte in der Erinnerung an die Gesichter der Mitreisenden.
 

Sina

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Sturmtoben​

„Irgendwie werden wir schon nach Hause kommen.“ Zweifelnd sah Angelika ihren Mann an. Der Wind zerzauste ihre Haare. Orkanartige Böen schlugen ihr harten Regen ins Gesicht und zerrten an Jacken und Kapuzen. Beide Kinder waren müde, quengelten und kamen auf kurzen Beinen kaum gegen den Wind an. „Ich hab’s Dir ja gesagt, aber Du musstest ja noch einen Moment länger mit Sabine sprechen als nötig.“ Angelika seufzte. Das schien in letzter Zeit typisch für Stefan zu sein: Er suchte die Schuld bei ihr. „Tut mir leid, dass ich das nicht so ernst genommen habe. Im Partykeller war von dem Sturm auch nichts zu bemerken. Durch Sabines Leben fegt auch gerade eine Art Sturm, weißt Du. “ Angelikas Stimme nahm einen schrillen Ton an – wie meistens, wenn sie sich rechtfertigte. Die mögliche Diagnose „Epilepsie“ hing wie ein Damoklesschwert über ihrem Patenkind. Da brauchte Sabine jeden Zuspruch, den sie bekommen konnte. Angelika wollte der jungen Mutter beistehen, so gut sie es aufgrund eigener Erfahrungen eben konnte. „Sabine ist alleinerziehend, Stefan. Da bricht ein Sturm über ihr Leben herein, der sie leicht überfordert.“ Angelika konnte gut nachempfinden, wie sich ihre Freundin fühlte. „Alles gut. Gleich kommt ein Bus oder die S-Bahn. Das schaffen die Kids.“ Stefan blieb zuversichtlich und nahm Angelika einen Teil ihrer Sorgen ab. Die Kinder waren es gewohnt, die Fahrt mit Bus und Bahn zurückzulegen

Der Linienbus trotzte Wind und Starkregen. Sicher erreichte er den Hauptbahnhof. Mit je einem Kind an der Hand durchquerte das Ehepaar die überfüllte Bahnhofshalle. „Mama, sieh mal. Der sieht aber komisch aus!“ Niko zerrte an ihrer Hand und Angelika hielt ihn davon ab, auf einen der Punker vor ihr zu zeigen. Von allen Seiten wurde Angelika angestoßen, zur Seite geschoben oder angepflaumt. „Stefan, ich will nur nach Hause.“ Angelika fing an zu jammern. Das Stimmengeschwirr, die quengelnden Kinder und die schlechte Luft überforderten sie. „Der Regionalverkehr ist zusammengebrochen, aber wir können den ICE benutzen.“ Stefan deutete auf die Anzeigetafel. Angelika atmete erleichtert auf. „Gut, ich würde sagen, wir nehmen den nächsten ICE, der nach Duisburg fährt. Kommt mit, Ihr beiden.“ Fest behielt Angelika die kleine Kinderhand in ihrer. Vor ihr bahnte Stefan sich mit Niko einen Weg durch das Gewimmel, auf dem Angelika mit Elias folgen konnte.

„Kommen Sie. Setzen Sie sich.“ Eine indische Familie rückte im Abteil des ICEs zusammen. Ihren Jüngsten nahm Angelika auf den Schoß und hieß Elias, sich zu setzen. Eine Reisende saß zwischen ihnen und bedachte den Jungen mit einem irritierten Blick. Mit dem Oberkörper vor- und zurück schaukelnd, quasselte Elias mit sich selbst. Angelika sah auf die Anzeigetafel über dem Nachbargleis. Der ICE nach Norddeich schien seit Stunden überfällig zu sein. Unruhe machte sich unter den Mitreisenden breit und auch Angelika war verwundert: Längst hätte ihr ICE abfahren sollen. Draußen auf dem Gang drängte sich ein Schaffner an Stefan vorbei in das Abteil. Den Schwerbehindertenausweis ihres Sohnes aus ihrer Tasche kramend, fragte Angelika, warum ihr ICE noch im Bahnhof stand. „Wir haben keinen Lokführer. Er hängt im Regionalverkehr fest.“ Das war eine Antwort, die Angelika im ersten Moment die Sprache verschlug. „Kein Lokführer? Nun, dann kann der Zug in der Tat nicht fahren.“ Allen widrigen Umständen zum Trotz musste Angelika lachen. Es war nicht leicht für sie, mitten in diesem Sturm die Ruhe zu bewahren und abzuwarten. „Bitte? Ich kann Sie nicht verstehen.“ Verzweifelt versuchte Angelika aus dem Gestammel der ihr gegenüber Sitzenden schlau zu werden. „Was braucht Sie? Eine Bescheinigung vielleicht?“ Angelika wandte sich an die Inderin, die eifrig einen Zettel beschrieb. Verneinend den Kopf schüttelnd gab die junge Frau den Zettel zurück. Mit unverständlichen Lauten und Gebärden sprach sie auf ihre Sitznachbarin ein. In gebrochenem Deutsch versuchte diese vergeblich, die verstandenen Worte zusammenzufassen. Inzwischen versuchte ein weiterer Reisender zu intervenieren, aber auch er scheiterte am mangelnden Sprachvermögen. „Vielleicht weiß der Schaffner Rat.“ Auf dem Gang entstand erwartungsvolle Unruhe, als sich die Türen schlossen.
Endlich setzte der Zug sich in Bewegung. Aufgeregt fuchtelte Niko mit einer Hand und zeigte auf die Hochspannungsmasten, die am Fenster vorüberglitten. „Ja, es geht los. Bald sind wir zu Hause.“ Besänftigend strich Angelika ihm über den blonden Haarschopf und hielt gleichzeitig nach dem Schaffner Ausschau. Angelika hoffte im Stillen, dass dieser über genug Erfahrung verfügte, um helfen zu können. Gefühlt dauerte es noch Stunden bis der Schaffner kurz vor Mülheim an der Ruhr das Abteil erreichte. „Bitte, können Sie der jungen Frau nicht helfen? Wir verstehen nicht, was diese benötigt.“ „Sie arbeitet wohl in Düsseldorf, aber ...“ Hilflos zuckte die indische Mitreisende mit den Achseln. „Ich werde mit ihr in Düsseldorf aussteigen, damit ihr geholfen wird. Ich komme wieder, wenn ich den Zug abgepfiffen habe.“
Fassungslos sah die junge Frau dem Schaffner nach. Angelika konnte ihr Enttäuschung und Ärger vom Gesicht ablesen. Tränen standen in den Augen ihres Gegenübers.
Die Stimme der Bandansage kündigte Mühlheim an der Ruhr erst an, als der Zug bereits im Bahnhof stand. „Der Sturm hat bei der ganzen Bahn für Durcheinander gesorgt.“ Angelikas Bemerkung galt ihrem Mann, der in dem Gedränge im Gang kein Durchkommen fand. „Na, los. Wir müssen gleich aussteigen. Geh‘ schon mal zu Papa, ja?“ An der Tür des Abteils nahm ihr Mann seinen Sohn in Empfang. Angelika erhob sich und nahm Elias an die Hand. Dieser unterbrach sein gestenreiches und nur für ihn verständliches Selbstgespräch. Er zerrte so sehr an ihr, dass Angelika ihn schließlich kurz los ließ. Verdutzt sah sie zu, wie Elias zielstrebig auf die taubstumme Frau am Fenster zuging. Es war Angelika ein bisschen unangenehm, wie unvoreingenommen ihr Sohn dieser mit der Hand auf die Brust tippte. Irritiert wandten Mitreisende ihre Köpfe und musterten Elias ebenso mitleidig wie verärgert. Mit vor Überraschung geöffnetem Mund verfolgte Angelika die Gebärden ihres Sohnes. Zu ihrer Verwunderung schien Elias deren Unsicherheit verstanden zu haben. Mit seiner freien Hand zunächst auf sich zeigend, vollführte Elias die Gebärde für „Freund“. Das Gesicht der ihm Fremden strahlte auf: Sie verstand die Gebärdensprache, mit deren Hilfe Elias sprechen lernte. „Elias“ war das einzige lautsprachliche Wort, das der Junge herausbrachte. Angelika staunte, als ihr Sohn die Worte des Schaffners in Gebärdensprache übersetzte. Tränen der Freude rannen der eben noch die Hände ringenden Frau über die Wangen. Während der Zug anfuhr, verließ Angelika mit Elias das Abteil. Es half ja nichts: Bis zum nächsten Halt mussten sie die Tür erreicht haben, um aussteigen zu können. Ein- oder zweimal drehte Elias sich nach dem Abteil um und winkte fröhlich zum Abschied.

Bis sie in Duisburg ausstiegen, ließen Regen und Wind nach. Obwohl die Kinder zunehmend müde wurden und ihr die Ohren voll quengelten, legte sich die Unruhe in Angelika. Bald würden sie es geschafft haben und die Kinder ins Bett bringen können. „Das war ein schönes Erleben, Stefan. Ich bin so dankbar dafür.“ Angelika versuchte, ihre Gefühle zusammenzufassen. „Das war bewegend und so ermutigend, dass ich es bestimmt nicht so bald vergesse.“ Stumm nickte Stefan zu ihren Worten. „So ein Sturm hat eben auch sein Gutes. Hoffentlich konnte der Schaffner wirklich helfen.“ Angelika lächelte in der Erinnerung an die Gesichter der Mitreisenden.
 

Sina

Mitglied
Sturmtoben​

„Irgendwie werden wir schon nach Hause kommen.“ Zweifelnd sah Angelika ihren Mann an. Der Wind zerzauste ihre Haare. Orkanartige Böen schlugen ihr harten Regen ins Gesicht und zerrten an Jacken und Kapuzen. Beide Kinder waren müde, quengelten und kamen auf kurzen Beinen kaum gegen den Wind an. „Ich hab’s Dir ja gesagt, aber Du musstest ja noch einen Moment länger mit Sabine sprechen als nötig.“ Angelika seufzte. Das schien in letzter Zeit typisch für Stefan zu sein: Er suchte die Schuld bei ihr. „Tut mir leid, dass ich das nicht so ernst genommen habe. Im Partykeller war von dem Sturm auch nichts zu bemerken. Durch Sabines Leben fegt auch gerade eine Art Sturm, weißt Du. “ Angelikas Stimme nahm einen schrillen Ton an – wie meistens, wenn sie sich rechtfertigte. Die mögliche Diagnose „Epilepsie“ hing wie ein Damoklesschwert über ihrem Patenkind. Da brauchte Sabine jeden Zuspruch, den sie bekommen konnte. Angelika wollte der jungen Mutter beistehen, so gut sie es aufgrund eigener Erfahrungen eben konnte. „Sabine ist alleinerziehend, Stefan. Da bricht ein Sturm über ihr Leben herein, der sie leicht überfordert.“ Angelika konnte gut nachempfinden, wie sich ihre Freundin fühlte. „Alles gut. Gleich kommt ein Bus oder die S-Bahn. Das schaffen die Kids.“ Stefan blieb zuversichtlich und nahm Angelika einen Teil ihrer Sorgen ab. Die Kinder waren es gewohnt, die Fahrt mit Bus und Bahn zurückzulegen.

„Kommen Sie. Setzen Sie sich.“ Eine indische Familie rückte im Abteil des ICEs zusammen. Ihren Jüngsten nahm Angelika auf den Schoß und hieß Elias, sich zu setzen. Eine Reisende saß zwischen ihnen und bedachte den Jungen mit einem irritierten Blick. Mit dem Oberkörper vor- und zurück schaukelnd, quasselte Elias mit sich selbst. Angelika sah auf die Anzeigetafel über dem Nachbargleis. Der ICE nach Norddeich schien seit Stunden überfällig zu sein. Unruhe machte sich unter den Mitreisenden breit und auch Angelika war verwundert: Längst hätte ihr ICE abfahren sollen. Draußen auf dem Gang drängte sich ein Schaffner an Stefan vorbei in das Abteil. Den Schwerbehindertenausweis ihres Sohnes aus ihrer Tasche kramend, fragte Angelika, warum ihr ICE noch im Bahnhof stand. „Wir haben keinen Lokführer. Er hängt im Regionalverkehr fest.“ Das war eine Antwort, die Angelika im ersten Moment die Sprache verschlug. „Kein Lokführer? Nun, dann kann der Zug in der Tat nicht fahren.“ Allen widrigen Umständen zum Trotz musste Angelika lachen. Es war nicht leicht für sie, mitten in diesem Sturm die Ruhe zu bewahren und abzuwarten. „Bitte? Ich kann Sie nicht verstehen.“ Verzweifelt versuchte Angelika aus dem Gestammel der ihr gegenüber Sitzenden schlau zu werden. „Was braucht Sie? Eine Bescheinigung vielleicht?“ Angelika wandte sich an die Inderin, die eifrig einen Zettel beschrieb. Verneinend den Kopf schüttelnd gab die junge Frau den Zettel zurück. Mit unverständlichen Lauten und Gebärden sprach sie auf ihre Sitznachbarin ein. In gebrochenem Deutsch versuchte diese vergeblich, die verstandenen Worte zusammenzufassen. Inzwischen versuchte ein weiterer Reisender zu intervenieren, aber auch er scheiterte am mangelnden Sprachvermögen. „Vielleicht weiß der Schaffner Rat.“ Auf dem Gang entstand erwartungsvolle Unruhe, als sich die Türen schlossen.
Endlich setzte der Zug sich in Bewegung. Aufgeregt fuchtelte Niko mit einer Hand und zeigte auf die Hochspannungsmasten, die am Fenster vorüberglitten. „Ja, es geht los. Bald sind wir zu Hause.“ Besänftigend strich Angelika ihm über den blonden Haarschopf und hielt gleichzeitig nach dem Schaffner Ausschau. Angelika hoffte im Stillen, dass dieser über genug Erfahrung verfügte, um helfen zu können. Gefühlt dauerte es noch Stunden bis der Schaffner kurz vor Mülheim an der Ruhr das Abteil erreichte. „Bitte, können Sie der jungen Frau nicht helfen? Wir verstehen nicht, was diese benötigt.“ „Sie arbeitet wohl in Düsseldorf, aber ...“ Hilflos zuckte die indische Mitreisende mit den Achseln. „Ich werde mit ihr in Düsseldorf aussteigen, damit ihr geholfen wird. Ich komme wieder, wenn ich den Zug abgepfiffen habe.“
Fassungslos sah die junge Frau dem Schaffner nach. Angelika konnte ihr Enttäuschung und Ärger vom Gesicht ablesen. Tränen standen in den Augen ihres Gegenübers.
Die Stimme der Bandansage kündigte Mühlheim an der Ruhr erst an, als der Zug bereits im Bahnhof stand. „Der Sturm hat bei der ganzen Bahn für Durcheinander gesorgt.“ Angelikas Bemerkung galt ihrem Mann, der in dem Gedränge im Gang kein Durchkommen fand. „Na, los. Wir müssen gleich aussteigen. Geh‘ schon mal zu Papa, ja?“ An der Tür des Abteils nahm ihr Mann seinen Sohn in Empfang. Angelika erhob sich und nahm Elias an die Hand. Dieser unterbrach sein gestenreiches und nur für ihn verständliches Selbstgespräch. Er zerrte so sehr an ihr, dass Angelika ihn schließlich kurz los ließ. Verdutzt sah sie zu, wie Elias zielstrebig auf die taubstumme Frau am Fenster zuging. Es war Angelika ein bisschen unangenehm, wie unvoreingenommen ihr Sohn dieser mit der Hand auf die Brust tippte. Irritiert wandten Mitreisende ihre Köpfe und musterten Elias ebenso mitleidig wie verärgert. Mit vor Überraschung geöffnetem Mund verfolgte Angelika die Gebärden ihres Sohnes. Zu ihrer Verwunderung schien Elias deren Unsicherheit verstanden zu haben. Mit seiner freien Hand zunächst auf sich zeigend, vollführte Elias die Gebärde für „Freund“. Das Gesicht der ihm Fremden strahlte auf: Sie verstand die Gebärdensprache, mit deren Hilfe Elias sprechen lernte. „Elias“ war das einzige lautsprachliche Wort, das der Junge herausbrachte. Angelika staunte, als ihr Sohn die Worte des Schaffners in Gebärdensprache übersetzte. Tränen der Freude rannen der eben noch die Hände ringenden Frau über die Wangen. Während der Zug anfuhr, verließ Angelika mit Elias das Abteil. Es half ja nichts: Bis zum nächsten Halt mussten sie die Tür erreicht haben, um aussteigen zu können. Ein- oder zweimal drehte Elias sich nach dem Abteil um und winkte fröhlich zum Abschied.

Bis sie in Duisburg ausstiegen, ließen Regen und Wind nach. Obwohl die Kinder zunehmend müde wurden und ihr die Ohren voll quengelten, legte sich die Unruhe in Angelika. Bald würden sie es geschafft haben und die Kinder ins Bett bringen können. „Das war ein schönes Erleben, Stefan. Ich bin so dankbar dafür.“ Angelika versuchte, ihre Gefühle zusammenzufassen. „Das war bewegend und so ermutigend, dass ich es bestimmt nicht so bald vergesse.“ Stumm nickte Stefan zu ihren Worten. „So ein Sturm hat eben auch sein Gutes. Hoffentlich konnte der Schaffner wirklich helfen.“ Angelika lächelte in der Erinnerung an die Gesichter der Mitreisenden.
 

Sina

Mitglied
Finale Fassung - Hoffentlich.
Jetzt ist die Geschichte noch mal schlanker und gestrafft.
Ich sehe ein, dass die schwächsten Szenen rausmussten. Diese waren für das Erzählte auch nicht von Belang, sondern nur mehr oder minder gut schmückendes Beiwerk.
 

Val Sidal

Mitglied
Hallo Sina,

ein paar Bemerkungen zu deinem Text:
„Irgendwie werden wir schon nach Hause kommen.“ Zweifelnd sah Angelika ihren Mann an. [blue]Wer spricht da? Ein solcher Erster Satz suggeriert, dass A & ihr Mann sich im Wald oder in der Wüste verirrt haben, oder wer weiß – noch schlimmer. [/blue]Der Wind zerzauste ihre Haare. Orkanartige Böen. [blue] meteorologiische Floskel – setzt den Leser in den Sessel vor die Glotze, statt in den Sturm - Atmosphärenkiller[/blue] schlugen ihr harten Regen ins Gesicht und zerrten an Jacken und Kapuzen. Beide Kinder waren müde, quengelten und kamen auf kurzen Beinen. [blue]suggeriert: kürzer als normal – ist das gewollt? Statt konstatieren, dass sie müde sind, wäre hier die Gelegenheit gewesen, zu zeigen, wovon/warum sie müde sind. Eine generelle Bemerkung zu Konstruktionsprinzipien: Raum, Zeit und Geschehen sollten durch die Erzählperspektive die vom Autor gewollte Einheit herstellen – so früh wie möglich. [/blue] kaum gegen den Wind an.[strike] „Ich hab’s Dir ja gesagt, aber Du musstest ja noch einen Moment länger mit Sabine sprechen als nötig.“ Angelika seufzte. Das schien in letzter Zeit typisch für Stefan zu sein: Er suchte die Schuld bei ihr. „Tut mir leid, dass ich das nicht so ernst genommen habe. Im Partykeller war von dem Sturm auch nichts zu bemerken. Durch Sabines Leben fegt auch gerade eine Art Sturm, weißt Du. “ Angelikas Stimme nahm einen schrillen Ton an – wie meistens, wenn sie sich rechtfertigte. Die mögliche Diagnose „Epilepsie“ hing wie ein Damoklesschwert über ihrem Patenkind. Da brauchte Sabine jeden Zuspruch, den sie bekommen konnte. Angelika wollte der jungen Mutter beistehen, so gut sie es aufgrund eigener Erfahrungen eben konnte. „Sabine ist alleinerziehend, Stefan. Da bricht ein Sturm über ihr Leben herein, der sie leicht überfordert.“ Angelika konnte gut nachempfinden, wie sich ihre Freundin fühlte. [/strike]. [blue]Sehr unglücklich, dasselbe Wort ("Sturm") im selben (ersten) Absatz für die externe Realität und als Metapher eines innren Zustandes bzw. (Er-)lebensverhältnisses zu verwenden. Überhaupt: Die „Sabine“-Sache tut der Geschichte nicht gut – im Gegenteil. Faustregel: Beiwerk sollte entweder, den Plot, die Figur oder die Atmosphäre treiben – sonst: abtreiben! [/blue] „Alles gut. Gleich kommt ein Bus oder die S-Bahn. [blue] … und unvermittelt landen Sie – wie es sich im nächsten Absatz zeigt – im ICE. [/blue]Das schaffen die Kids.“ Stefan blieb zuversichtlich und nahm Angelika einen Teil ihrer Sorgen ab. Die Kinder waren es gewohnt, die Fahrt mit Bus und Bahn zurückzulegen. [blue]Dem Absatz-Abschluss jetzt der Erste Satz gegenüber gestellt: „Irgendwie werden wir schon nach Hause kommen.“ – warum sollte der Leser, den zweiten Absatz überhaupt noch lesen? Jetzt wissen wir, dass sie alle, auch die Kinder, nach Hause kommen. Und darum scheint es in dieser Geschichte zu gehen. Es sei denn, es passiert was Furchtbares, und sie bleiben auf der Strecke -- wie die Geschichte auch.

Bei einer Kurzgeschichte sollten Fokus und Zoom eingestellt, die Antriebskräfte so früh wie möglich gerichtet sein. Es geht immerhin um die Aufmerksamkeit des Lesers. [/blue]

Und so könnte es weitergehen. Ich hoffe, du kannst mit meinen Hinweisen was anfangen.
 
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