Sturz
In der Mittagspause wollte ich etwas frische Luft schnappen und bin die Treppe hinuntergestürzt. Da lag ich nun und konnte mich nicht mehr rühren. Die Kollegen halfen mir auf und brachten mich zum Arzt. Es wurde festgestellt, daß nichts gebrochen war, ich hatte nur ein paar gezerrte Bänder, blaue Flecken und Prellungen davongetragen. Der Arzt ließ mir ein Schmerz- und Beruhigungsmittel verabreichen. Er sagte, es würde vielleicht mein Wahrnehmungsvermögen beeinträchtigen. Ich bin geistig topfit, also glaubte ich ihm nicht. Und jetzt steh ich in meiner Wohnung und traue meinen Sinnen nicht!
Ich habe die Deckenleuchte eingeschaltet. Drei Einhundertwatt- Birnen sollten eigentlich die Stube taghell erleuchten, aber sie erscheinen mir jetzt wie trübe Funzeln. Ein dichter Nebel durchwallt mein Wohnzimmer, von kurzen grün-lila-blauschimmernden Blitzen durchzogen. Hin und wieder tauchen aus dem Nebel gräßliche Fratzen auf. Sie verharren vor mir und scheinen mich zu bedrohen und zu verhöhnen. Sowie ich mich bewege, tanzen bunte Kreise vor mir, diagonal, horizontal und vertikal, sich willkürlich vereinend und trennend. Sie gebieten mir mit ihrem Tanz, mich nicht von der Stelle zu rühren. Die Blattpflanzen bewegen sich, strecken bedrohlich ihre Ranken nach mir aus. Langsam wird mir angst und bange. Es ist, als ob eine kalte Hand nach meinem Herzen greift. Mein Herz rast und mein Mund ist völlig ausgetrocknet. Ich presse die Hände auf die Augen, bis sie schmerzen, aber der Spuk geht nicht vorbei. Dabei müßte die Wirkung des Medikaments längst abgeklungen sein!
Nun höre ich eine unheimliche, dumpfe Stimme meinen Namen flüstern, rufen und mit falscher Betonung sagen. Sie scheint aus der Wand zu kommen. Alles folgt so rasch aufeinander, daß ich mich immer unsicherer fühle, und das in meinen eigenen vier Wänden! Starr vor Schreck vernehme ich die widerwärtige Stimme in einem grauslichen Singsang: „Heute ist mein Geburtstag, Rudi!“ Es ist mir unklar, was das jetzt soll. Wessen Geburtstag? Die Wand spricht weiter: „Erinnerst du dich nicht an mich? Wir waren Freunde, Rudi.“ Ja, Freunde habe und hatte ich viele. Die Wand gehört eigentlich nicht dazu. Die unheimliche Stimme beginnt ein Lied zu singen. Es dauert eine Weile, ehe ich es erkenne. Vor vielen Jahren hatte ich es oft mit meinem Freund zusammen gesungen, mit Hans Walther. Ich war dabei, als er starb. Wir kletterten in den Bergen herum und wollten zum Adlernest hinauf. Hans stürzte ab und ich hing zitternd in der Steilwand, konnte mich nicht rühren. Als ich spätabends zu Hause ankam, war ich zu feige, das Geschehene zu erzählen. Ich war es, der unbedingt zum Nest hinauf wollte, man hätte mir die größten Vorwürfe gemacht. Wie sollte ich den Eltern je in die Augen sehen?
Nach vier Tagen wurde Hans gefunden. Der Arzt sagte, er sei erst am Abend nach dem Sturz gestorben. Ach, warum hab ich mir bei dem Treppensturz nicht das Genick gebrochen? Ein Schluchzen würgt in meiner Kehle. Ich überlasse mich zum erstenmal seit jenen Kindertagen meinem Schmerz. Ich will nichts mehr hören und sehen, nur noch weinen.
Am anderen Tag ist alles so wie immer. Ich denke daran, in die Heimat zu fahren und einen Strauß auf das Grab meines Freundes zu legen, aber heute so wie damals bin ich zu feige. Ich tu das, was viele Männer tun: mich besaufen.
In der Mittagspause wollte ich etwas frische Luft schnappen und bin die Treppe hinuntergestürzt. Da lag ich nun und konnte mich nicht mehr rühren. Die Kollegen halfen mir auf und brachten mich zum Arzt. Es wurde festgestellt, daß nichts gebrochen war, ich hatte nur ein paar gezerrte Bänder, blaue Flecken und Prellungen davongetragen. Der Arzt ließ mir ein Schmerz- und Beruhigungsmittel verabreichen. Er sagte, es würde vielleicht mein Wahrnehmungsvermögen beeinträchtigen. Ich bin geistig topfit, also glaubte ich ihm nicht. Und jetzt steh ich in meiner Wohnung und traue meinen Sinnen nicht!
Ich habe die Deckenleuchte eingeschaltet. Drei Einhundertwatt- Birnen sollten eigentlich die Stube taghell erleuchten, aber sie erscheinen mir jetzt wie trübe Funzeln. Ein dichter Nebel durchwallt mein Wohnzimmer, von kurzen grün-lila-blauschimmernden Blitzen durchzogen. Hin und wieder tauchen aus dem Nebel gräßliche Fratzen auf. Sie verharren vor mir und scheinen mich zu bedrohen und zu verhöhnen. Sowie ich mich bewege, tanzen bunte Kreise vor mir, diagonal, horizontal und vertikal, sich willkürlich vereinend und trennend. Sie gebieten mir mit ihrem Tanz, mich nicht von der Stelle zu rühren. Die Blattpflanzen bewegen sich, strecken bedrohlich ihre Ranken nach mir aus. Langsam wird mir angst und bange. Es ist, als ob eine kalte Hand nach meinem Herzen greift. Mein Herz rast und mein Mund ist völlig ausgetrocknet. Ich presse die Hände auf die Augen, bis sie schmerzen, aber der Spuk geht nicht vorbei. Dabei müßte die Wirkung des Medikaments längst abgeklungen sein!
Nun höre ich eine unheimliche, dumpfe Stimme meinen Namen flüstern, rufen und mit falscher Betonung sagen. Sie scheint aus der Wand zu kommen. Alles folgt so rasch aufeinander, daß ich mich immer unsicherer fühle, und das in meinen eigenen vier Wänden! Starr vor Schreck vernehme ich die widerwärtige Stimme in einem grauslichen Singsang: „Heute ist mein Geburtstag, Rudi!“ Es ist mir unklar, was das jetzt soll. Wessen Geburtstag? Die Wand spricht weiter: „Erinnerst du dich nicht an mich? Wir waren Freunde, Rudi.“ Ja, Freunde habe und hatte ich viele. Die Wand gehört eigentlich nicht dazu. Die unheimliche Stimme beginnt ein Lied zu singen. Es dauert eine Weile, ehe ich es erkenne. Vor vielen Jahren hatte ich es oft mit meinem Freund zusammen gesungen, mit Hans Walther. Ich war dabei, als er starb. Wir kletterten in den Bergen herum und wollten zum Adlernest hinauf. Hans stürzte ab und ich hing zitternd in der Steilwand, konnte mich nicht rühren. Als ich spätabends zu Hause ankam, war ich zu feige, das Geschehene zu erzählen. Ich war es, der unbedingt zum Nest hinauf wollte, man hätte mir die größten Vorwürfe gemacht. Wie sollte ich den Eltern je in die Augen sehen?
Nach vier Tagen wurde Hans gefunden. Der Arzt sagte, er sei erst am Abend nach dem Sturz gestorben. Ach, warum hab ich mir bei dem Treppensturz nicht das Genick gebrochen? Ein Schluchzen würgt in meiner Kehle. Ich überlasse mich zum erstenmal seit jenen Kindertagen meinem Schmerz. Ich will nichts mehr hören und sehen, nur noch weinen.
Am anderen Tag ist alles so wie immer. Ich denke daran, in die Heimat zu fahren und einen Strauß auf das Grab meines Freundes zu legen, aber heute so wie damals bin ich zu feige. Ich tu das, was viele Männer tun: mich besaufen.