Stuttgart, Spätsommer

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Walther

Mitglied
Stuttgart, Spätsommer


Allein: Ich sitze in der großen Stadt,
Die Bäume grün, der Himmel sommerblau.
Ich sitze, träume, weiß nicht mehr genau,
Was mich an diesen Platz getrieben hat.

Wie ich sinnend in die Straßen schau,
Da fällt vom Baum herab ein loses Blatt.
Ich fühl mich müde, herbstlich lebensmatt.
Hat nicht das Blau `nen kleinen Stich ins Grau?

Ich aber denk und träum mir Dein Gesicht:
Getrennt und dennoch so sehr nah zu sein?
Jetzt fühl ich die Wärme und spür Dich doch nicht,

Nur Sehnsucht. Es macht am besten das Entzwein:
Das inn’re Auge braucht die freie Sicht.
In dem Verlust, da will die Lieb gedeihn.
 
S

Stoffel

Gast
Lieber Walther,

wieso schreibst Du denn nich weiter wie bei den ersten beiden Strophen? Ist das Absicht?
Ich gebe zu,ich mag das reimen nicht sonderlich auf A-B-B-A.

Sonst aber ein kleines hübsches Hebstbild.:)

lG
Stoffel
 

Walther

Mitglied
Gute Frage, liebe/r Stoffel,

wenn man ein Gedicht schreibt, weiß man das Ergebnis häufig nicht, nicht wahr? Hier ist es ähnlich: Was als Beschreibung eines Atemholens in einer großen Stadt begann, also das Außen, wendete sich bei der Latte Macchiatto ins Innere, so wurde aus einem Gefühl, das mich überkam, ein Liebesgedicht.

Allerdings: Man darf mich nicht zu ernst nehmen. Meine Gedichte sind meistens mit einer kleinen Prise Ironie zu lesen. So auch dieses. ;)

Jedes Wort erhält seinen Platz, und ich arbeite beim Gedichte Schreiben mit den Mitteln des Floretts lieber als denen des Degens (im Gegensatz zur Disputation, da bin ich manchmal zu grob und bereue das dann später, manchmal zu spät).

Gerne benutze ich die Sonettform, wenn ich Themen in der Form des Dialogs aufarbeiten will. Dies ist ein klassisches fünfhebiges Sonett im Platen'schen oder Rückert'schen Stil. Laß mir meine Freude daran. Ich weiß, daß ich damit ein wenig neben der Zeit und dem Ton heute liege. Aber wem schadet's? Ich fordere ja auch nicht, daß alle meinen Sonettfimmel gutheißen und mir nacheifern sollten. Das wäre ja auch schrecklich langweilig! :)

Zurück zu Deiner Anmerkung: Auch dieses kommt leichter daher, als es scheint. Und in den letzten beiden Strophen nimmt es sich selbst, die Gefühle, die eben doch ein wenig schmalzig sind, ein wenig aufs Korn. Und das, ohne ihnen und den altertümlichen Sensüchten, den romantischen Anwandlungen der "Lieb" ihre selige Berechtigung zu entziehen.

Es ist ein wenig meine Art, das Schwere leichter zu machen und das Leichte schwerer. Damit entsteht eine eigene Spannung in den Texten. Aber wie gesagt: Nicht jeder muß das unbedingt mögen. Ich mag ja auch nicht Alles, was ich an Lyrik lese. Aber mehr und Moderneres, als manche mir zutrauen.

Wird so ein Schuh draus? Fast vergaß ich's im Schwung der Gedanken: Vielen Dank für Deinen Eintrag zu diesem kleinen Gelegenheitsgedicht für meine Liebste.

Lieben Abendgruß

Dein W.
 
S

Stoffel

Gast
Guten Abend Walther,
und danke für Deine Ausführlichkeit.

Ja, wenn ich es ein wenig "beschwingter" lese, ist es so nett.....:)
Irgendwie reime ich gar nicht mehr, fällt mir auf. Vielleicht kommt es daher, dass unsere "alten Hasenreimer" nicht mehr da sind, mit denen man schön an seinen Texten arbeiten konnte. Werds auch mal wieder probieren.:)

Schöne Woche
lG
Stoffel
("die"..siehe Profil;-))
 

Walther

Mitglied
Guten Tag, liebe Stoffel,

hatte gestern wenig Zeit, daher habe ich das Profillesen auf heute verschoben.

Das mit den Reimen und Formen ist (und bleibt) Geschmacksache. Ich selbst bevorzuge die feste Struktur. Das hilft mir, mein inneres Chaos zu ordnen und die Aussage an der Form zu schärfen. Zum Anderen ist die Lyrik ja eine Abart des Lieds, sozusagen Text ohne Musik. Wobei man das Vortragen des Texts selbst ja wieder zu einer gewissen "Vertonung" nutzen kann. Davon mache ich bei meinen Lesungen auch Gebrauch.

Das Liedhafte ist für mich als Person ein wichtiges Element der Lyrik. Rhythmus, Metrum, Sprachmelodie: Wer kann das ohne die feste Form? Nur wenige, die zumeist den harten Weg über die Form zu deren Überwindung gegangen sind. Rose Ausländer, Ulla Hahn, Hilde Domin, um ein paar wichtige Lyrikerinnen zu nennen, ja, auch Ingeborg Bachmann, die so sperrige, zerrissene und an sich und ihrer Welt gescheiterte.

Soweit bin ich noch lange nicht auf meiner Reise.

Kennst Du nicht Ähnliches aus der Bildenden Kunst? Auch dort will das Hand- oder Kunstwerk erlernt sein, und nur die oder der, die durch die Schule, durch das Üben gegangen sind, werden am Ende überzeugend und über die Zeit bedeutungsvoll. Alle anderen bleiben Sternschnuppen, die in der Zeit vergehen.

Also schreibe ich weiter meine Sonette und andere Reime. Da ist ein Gerüst da, das schon manchen Absturz hat verhindern helfen.

Viele liebe Grüße und frohes Schaffen

W.
 
S

Stoffel

Gast
Lieber Walther,

ich verstehe das voll und ganz, ehrlich.
Und mir sind auch solch Meinungen wichtig, um mich selbst weiter zu entwickeln. Immerhin gehöre ich nun wirklich nicht zu denen, die hier ihre Texte nach Befindlichkeit abliefern und partout nichts dran ändern wollen.

Ich möchte lernen. Und sieh mal, ich las es doch schon ganz anders, als beim ersten Mal.:)

Einige, mir wichtige Schreiber/Autoren sind nicht mehr da, die an meinen, wie ich an ihren Texten mit gearbeitet habe. Ich viel von ihnen lernen konnte.

Ich sag das öffentlich, da es ja noch mehr von meiner Sorte gibt und es vielleicht interessant finden.

Ich wünsche Dir einen schönen Tag
Liebe Grüße
Sanne
 

Walther

Mitglied
Liebe Stoffel,

viele von uns sind Autodidakten, ich auch. Dichten ist für mich Entspannung und Hobby. Manchmal lasse ich mich ein wenig von meinem Perfektionismus "überhäufen" und übe harte Kritik. Heute halte ich mich schon besser im Zaun und bleibe eher beobachtend. Wer klar sagt, was er denkt, der ist nicht überall gerne gesehen.

Wer aber kritikiert, muß auch selbst einen Puff vertragen. Wenn zu einem Beitrag Fragen kommen, wie Deiner hier, ist das immer ein Hinweis, daß Verbesserung notwendig ist. Die Richtung der Verbesserung mag zwar noch unspezifisch sein, dennoch sollte man jede Rückkopplung aufnehmen.

Ich lese Deine Beiträge schon lange aufmerksam. Bei freien Rhythmen fällt mir die Kritik allerdings schwer, das gebe ich zu, da verstehe ich nicht genug davon.

Schönen Abend

W.
 



 
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