Süsser Tod

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frasdorf

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Dave Andrews Lebensweg war zu Ende. Er hatte ein letztes Bad genommen, sich ein letztes Mal rasiert, ein letztes Mal die Zähne geputzt. Er hatte ein letztes Gericht und schaute zum letzten Mal in den Spiegel. Das Gesicht, das er sah, war eine versteinerte Mine: alt, ausgelaugt, dem Verfall der Zeit, der endlos scheinenden Zeit, ausgesetzt. Es ist ein Gesicht, gezeichnet von kaltblütigen, mordenden Augen und geständigen, bereuenden Falten. „Ich habe das verdient und bin glücklich darüber, das es nun endlich so weit ist“ sagte er dem Spiegelbild.
Die kleine Klappe zur Zellentür wurde geöffnet. „Dave Andrews!“ Das war Joe Marvin, sein Aufseher im Todestrakt des Staatsgefängnisses von Texas. Joes Stimme war ihm ein vertrauter Begleiter in den letzten Jahren (wie viele es genau waren, konnte er nicht mehr mit Bestimmtheit sagen) geworden. Aber heute hatte sie nicht den einfühlsamen, sondern den „offiziellen“ Klang. Und damit war Dave klar, das nun auch Joes Stimme zu den Dingen gehört, die er ein letztes Mal genießen durfte. „Dave Andrews, gehen sie zur hinteren Zellenwand und stellen sie sich mit dem Gesicht und den Händen an der Wand breitbeinig hin. Bitte verharren sie in dieser Position. Eine Bewegung und wir müssen entsprechende Mittel ergreifen.“ Dave hatte sowieso nicht vor, sich zu wehren. Er hörte den schweren Schlüssel im Schloss drehen und mehrere, mindestens drei, schätzte er, Paar Füße in die Zelle strömen. Sofort wurden ihm die Hände auf den Rücken gerissen und diese, sowie die Füße mit schweren Ketten gefesselt. Auch wenn es nur einen Anflug von Chance auf Flucht gegeben hätte, Dave wäre mental gar nicht mehr in der Lage, sich ein Leben draußen vorstellen zu können. Er wollte sterben! Das war es ja auch, was die Todesstrafe so hart und gleichzeitig so gütig machte. Die endlose Zeit der Isolation und die ständige Angst in den ersten Jahren, es wäre jetzt endlich so weit, treibt einen in den Wahnsinn. Irgendwann dann ist es einem gleichgültig und im Endstadium sehnt man sie nur noch herbei. Zumindest war das bei Dave so. Nein, er war glücklich, das nun endlich sein letzter Gang bevorstand. Die nun folgende Prozedur würde die Todesstrafe VOLLENDEN, nicht AUSFÜHREN.
Er wurde, begleitet vom Gemurmel eines Geistlichen, in das Hinrichtungszimmer geführt. All dies hatte er sich tausend mal in Gedanken vorgestellt, so das ihm jetzt alles wie ein Schauspiel vorkam. Es war, als würde er sich selbst bei seiner eigenen Exekution von außen beobachten. Das war die Endstation, begleitet von beinahe absoluter Gleichgültigkeit.
Er beobachtete interessiert, wie er auf die Liege geschnallt wurde. Er nahm am Rande wahr, wie an beiden Armen Injektionsnadeln eingeführt wurden. Er verspürte die erste Lösung, bestehend aus Kochsalz, damit das Gift anschließend ungehindert seinen Weg finden könne. Er sah aus den Augenwinkeln, wie Vorhänge zurück gezogen wurden. Er würde nicht in irgendwelche Gesichter blicken. Nein, das waren Gesichter der Vergangenheit. Er hatte beschlossen, einsam zu sterben, so einsam, wie er die letzten Jahre zugebracht hatte.
Und endlich war es soweit: Er verneinte seine letzten Worte, die er noch an alle hätte richten dürfen. Das letzte, was er bemerkte, war das Betäubungsmittel. Dann war es dunkel. Lange Zeit. Dave schlief. Und Dave erwachte.
Er richtete sich auf und stellte fest, das er immer noch auf der Liege lag, aber die Injektionsnadeln waren wieder entfernt worden. Er war nicht mehr angeschnallt, aber wieder in einer Zelle. Diese Zelle war anders als seine Todeskammer. Sie war dunkler und älter. Er meinte fast, er könne spüren, das er nun wesentlich tiefer unter der Erde war als die Jahre zuvor (da ahnte er wenigstens noch den Himmel und die Sonne). Und er stellte schmerzhaft fest, nachdem er sich ordentlich in den Arm gezwickt hatte, das er nicht tot war. Was sollte das?
Die Tür wurde aufgerissen („NICHT VERSCHLOSSEN“ dachte Dave noch verwundert) und mehrere Männer kamen herein, hoben ihn unsanft von der Liege und drückten ihn an die Wand. Er sah, wie hinter ihnen ein drahtiger, bleicher, älterer Mann die Zelle betrat. „Dave Andrews, sie wurden zum Tode verurteilt.“ Dave bemerkte einen Anflug von Grinsen auf den Lippen des Alten. „Und sie wurden hingerichtet. Aber der Staat Texas sieht für die Todesstrafe, sagen wir mal, resolutere Mittel vor, als die Öffentlichkeit wissen dürfte.“ Der Alte kam Dave jetzt sehr nahe. Er konnte den säuerlichen Atem riechen. „Dave Andrews, gemäß den Verordnungen des Staates Texas sind sie offiziell für tot erklärt worden. Aber sie dürfen ab dem heutigen Tage noch genau zwanzig Jahre leben. Und wenn ich hinzufügen darf: Zwanzig Jahre sterben.“
Der Alte fuhr herum und befahl den anderen: „Bringt ihn in seine Kammer.“ Die Männer zerrten Dave aus der Zelle, und während er durch eine Art Verlies geschleppt wurde, begann der Alte hinter ihm zu plaudern. „Sie werden sich sicher wundern, warum sie noch nicht tot sind. Nun, wir sind der Meinung, ein zum Tode Verurteilter sollte nicht einfach so sterben. Es war schon immer das Bestreben einiger, ich meine, kluger Leute, die richtigen Mittel zu finden, um den Tätern ihre Taten, sagen wir mal, korrekt zu vermitteln.“ Dave bemerkte jetzt erst das Kreischen und Schreien aus den Kammern, an denen er vorbeigezerrt wurde. Der Alte fuhr fort „Aber da sich nun mal der Mensch im öffentlichen Leben als human und gesellschaftlich angepasst geben muss, sind die Mittel, die zur Tötung Verurteilter vorgeschlagen wurden, allesamt aufgrund ihrer Grausamkeit abgelehnt worden. Aber,“ Dave sah wieder das Gesicht und das Grinsen des Alten vor sich „es gibt nun mal Mittel und Wege, Forderungen durchzusetzen, und deshalb wurde inoffiziell beschlossen, Täter wie Sie, lieber Mr. Andrews, korrekt zu bestrafen.“
Dave wurde in eine Kammer gezerrt und an eine Art aufrecht stehendes Bettgestell festgebunden. Einer der Männer zog ihm die Hose runter, packte seine Genitalien und schnallte diese auf einem Bock fest. Der Alte sprach nun mit ernster Stimme „Mr. Andrews, gemäß der Verordnungen von Texas sind sie zum Tode durch Folterung verurteilt. Die Dauer der Folter wird auf zwanzig Jahre festgesetzt. Da ihre Tat eine Vergewaltigung mit Todesfolge war, wird die erste Handlung eine Amputation ihrer Geschlechtsteile sein. Vorgenommen wird die Entfernung ihrer Organe von einem Dobermann. Wenn diese Wunde verheilt ist, werden nächste Schritte eingeleitet.“ Die Männer und der Alte entfernten sich aus der Kammer, verschlossen diese und stellten sich hinter eine Glaswand. Daraufhin wurde eine Klappe geöffnet und ein riesiger, schwarzer Hund betrat die Kammer und bewegte sich zielstrebig auf die präsentierten Genitalien zu.
Der Alte genoss den Horror in den Augen seines „Neuzugangs“. Kurz, bevor das Schreien und damit die wirkliche Strafe für Daves Taten einsetzten, erkannte der Alte die Wahrheit im Blick des Verurteilten: Der eigentliche Teufel ist der Mensch und seine Hölle ist auf Erden!
 
Für mich zuviel

Hallo frasdorf,

tut mir Leid, aber an der obigen Geschichte habe ich nun gar keinen Spaß.
Eine Scheinhinrichtung, um jahrzehntelangen Foltertod zu kaschieren ist nicht nach meinem Geschmack. Da reicht mir die Realität des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts.
Mit dem Titel habe ich da auch so meine Probleme. Das Ganze einen "süßen Tod" zu nennen, finde ich wenig gut. Der letzte Absatz wirkt auf mich wie ein Feigenblatt, dass auf den ersten Blick verdeckt/für politisch korrekten Ausgang sorgt, aber bei mir wie eine Verstärkung rüberkommt.

Sprachlich wirst du von Geschichte zu Geschichte immer besser. Aber Horror sollte auch seine Grenzen haben.

Grüße
Marlene
 
G

Gelöschtes Mitglied 5196

Gast
hallo mal wieder,

ich gebe MarleneGeselle nur in einem punkt recht: der titel passt nicht, das heißt, vielleicht hast du auch eine erklärung für ihn, die uns -oder zumindest mich- überzeugt, aber momentan ist dre titel das schlechteste an dieser geschichte.

dieser text gefällt mir von allen am besten. sprachlich hast du einen riesensprung gemacht... und jetzt wäre es nicht mehr so einfach, satz für satz mängel dieser art zu finden, wie ich sie in kitty kitty zum beispiel fand. also wirklich, sprachlich sehe ich hier eine erhebliche und sehr positive veränderung gegenüber den drei anderen geschichten, deshalb gehe ich diesmal auch gar nicht detailliert auf die sprache ein; hier steht, denke ich, der inhalt im vordergrund.

MarleneGeselle spricht von grenzen, die überschritten wurden. das sehe ich nicht so. eine überschrittene grenze wäre es möglicherweise gewesen, wenn du den täter durch einen wärter, henker, was auch immer, vergewaltigen lassen hättest, weil es ja auch seine tat war, aber selbst dann... nicht zwingend übertrieben. so aber, die lösung mit den abgebissenen genitalien, finde ich den ausgang ehrlich gesagt recht gelungen, den schluss und den letzten -auch wenn sehr moralischen- satz auch. für mich lockert die moral dann doch eher auf, als noch zu bekräftigen. also, mir hat die geschichte spaß gemacht, mehr noch als deine anderen.

eines noch: du sagtest in einem anderen beitrag, als es um die inspiration von anderen texten ging, dass du deine idee von einer kurzgeschichte hast, der weg dorthin aber ein groooooßer umweg sei... das hört sich so an, asl würdest du dich rechtfertigen, musst du aber nicht. gerade bei den anfängen ist es, denke ich, noch logischer, dass man sich auch mal beeinflussen lässt, seine ideen aus anderen geshcichten erhält, völlig legitim. ich sage das nur, weil ich auch schon desöfteren dachte, ich würde kopieren, obwohl ich mich nur hab inspirieren lassen. und um bei king zu bleiben... ich lese gerade -unter anderem- die kurzgeshcichtensammlung "im kabinett des todes" und da schreibt er nach/ vor jeder geshcichte, woher er seine ideen hat... und da haben viele ihren ursprung in anderen storys. also, ist jetzt vielleicht völlig uninteressant gewesen, aber ich dachte, dass ich das jetzt mal sagen müsste... :)

gruß

mye
 

frasdorf

Mitglied
Titel und Anderes

Hallo, Marlene und Mye

Drei Themen, drei Punkte (um es kurz zu halten :)

1. Alles ist Geschmacksache: Ich habe zum Beispiel (als Ungläubiger!!) die Bibel gelesen und fand sie, na ja zumindest meistens gut. Das dir, Marlene, die Geschichte nicht so gut gefällt und Mye schon, ist ein gutes Beispiel für mich, sich nicht nach dem Leser richten zu dürfen. Es gibt durchaus Punkte, die diskussionswürdig sind (sogar in Märchen), aber trotzdem muß sich jeder Autor eine gewisse Elefantenhaut in Bezug auf seine Babys zulegen, sonst verwirrt ihn das nur. Lange Rede, kurzer Sinn: Jeder muß sich seinem Stil treu bleiben.
2. Der Titel ist deshalb unglücklich gewählt, weil in der Geschichte nicht deutlich genug darauf hingewiesen wird, das sich Dave den Tod wünscht. Das ist mit "Süsser Tod" gemeint, nicht die Ansicht des Alten!!
3. An Mye: Ich wollte mich nicht rechtfertigen, aber schon kaschieren, dass ich mich von anderen Geschichten beeinflussen lasse. Nicht falsch verstehen: Kopieren kommt nicht in Frage, aber die Essenz einer guten Story in die Eigene einzubauen, ist ok. Hab mich nur nicht getraut, das auch zuzugeben. :)

Auf jeden Fall bin ich total stolz auf MEINE Kritiker!! Ihr öffnet mir (zumeist) die Augen und das liebe ich an euch so!!

MfG
Christian Ertl
 



 
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