Syd

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Nina K

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Als ich Syd zurück auf ihre Insel brachte, erhoffte ich mir so viel. Doch es blieb die Traurigkeit in ihren Augen und der Zug von Schmerz um den Mund. Nachts schrie sie mit einer Stimme, die ich nicht kannte, Boshaftigkeiten in die Dunkelheit. Tags, wenn ich ihren Rollstuhl mit Mühe zu den Klippen gewuchtet hatte, wehte ihr einstmals so herrliches Haar kraftlos im Wind. Die Augen hielt sie geschlossen und nur die Nase zeigte zuckend, wie sehr sie den so geliebten Seewind genoss.

Syd hätte nie in die Stadt ziehen dürfen, denke ich manchmal. Doch trieb es sie hinaus in dies Leben, dass sie letztendlich mir nahm. Als ich sie das erste Mal sah, raubte mir ihre Schönheit den Atem. Sie stand inmitten dieses zigarettenrauchverhangenen Kellers und strahlte Leben aus. Damals umringten sie bewundernde Blicke, später trieben ihr genau jene Männer die Fäuste in den Leib.

Wenn ich sie in jenen letzten Tagen badete, hielt ich ihr zärtlich den Kopf über der Wasseroberfläche. Nur im Fieber regte sich ihr Körper noch heftig, sonst verhielt er starr in sich verkrümmt. Das Weiße ihrer Augen wurde allmählich gelblich und matt überzog die Pupille ein klebriger Film. Sie hasste die Windeln und ihre Arglosigkeit versank in Wut. Doch weinen sah ich sie nie. Auch damals nicht, als sie zerschunden von Eddy heimkam.

Wir wohnten drei Jahre zusammen in der Ein-Zimmer-Wohnung in Sankt Georg. Nächtelang hat sie mir von ihrer Insel erzählt und ich spann Märchen vom Leben. Sie war voller Sehnsucht nach ihrer Heimat, doch zog sie den Rückweg nicht in Erwägung. Erst als sie krank wurde, gab sie die störrische Haltung auf.

Wenn ich Syd mit Drogen erwischte, lachte sie und ließ mich sie in der Toilette fortspülen. Ich wusste dennoch, dass sie am nächsten Tag wieder für Nachschub sorgen würde. „Wie sonst soll ich die schmierigen Kerle ertragen?“ Manchmal helfen keine Worte, auch nicht die heftigen. Sie entglitt mir an jedem Tag ein wenig mehr.

Syd hatte ein bezauberndes Lachen. Es gluckste in ihr hoch und zerplatzte dann in ihrem Gesicht wie bunte Seifenblasen. Kein Unglück schien dieses Lachen zu nehmen, doch dann zerfraß es das Fieber. Als ich den ersten schwarzen Fleck auf ihrem Rücken entdeckte, zuckte sie einfach mit den Schultern. „Es wird halt Zeit“, meinte sie.

In Sankt Georg haben wir drei Weihnachtsfeste verlebt. Nur an einem war Syd daheim; Damals kaufte ich eine Tanne und blaue Glaskugeln, die sie so sehr liebte. Als ich ihr die Weihnachtsgeschichte vorlas, verließ sie der Stolz. Sie erzählte mir von ihrem Vater. Ich wünschte mir, er hätte ein wenig länger für Syd gesorgt, doch er starb, als sie vier war. Wir haben nie wieder über ihn gesprochen.

Manchmal schüttelte ihr Husten den haltlos gewordenen Körper. Dann stieg meine Angst und ich legte ihr heiße, feuchte Lappen auf die Brust. Die Ruhe der Tage zerstob in lauten Nächten, doch ihr Schrei erreichte nicht mehr die, die es anging. Nur ich hörte ihre Flüche und ihr Keuchen. Ich liebte Syd mit all meiner Kraft, doch schien sie es nicht mehr zu merken.

Der Arzt schüttelte hilflos den Kopf: „Wir haben versucht, was wir konnten. Was bleibt, ist der Tod.“ Da sagte ich ihm, dass wir fort auf die Insel fahren würden. Wir fuhren entgegen seinem Rat.

Syd atmete die Welt und die Welt sog sie auf. So war das wohl damals. Wir waren vertraut doch sie war stets allein. Ihre Haut war so weich und schimmernd. Später überzogen blaue Flecken den Körper, dann sammelte sich letztendlich der Schorf in den Falten. Für mich war sie immer noch schön. Manchmal, wenn sie nicht schlafen konnte, summte ich ihr ein Lied. Nur selten konnte später meine Sehnsucht ihr Lächeln zurückholen; aber auch diese Momente gab es noch.

Ich habe Syd begraben, wie sie es wollte: Am Kliff tief in der Erde und Steine häufen sich auf dieser Stelle. Kein Holzkreuz ziert diesen Ort. Aber stets finden die Möwen dort Frischfisch, den sie gierig aufpicken. So war einst Syd und nun bin nur ich.
 



 
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