Tag für Tag

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Gabriele

Mitglied
tag für tag dieselben bilder
immer bunter greller wilder
amokläufe massenmorde
ausverkäufe weltrekorde
hungersnöte bürgerkriege
beautyfarmen gipfelsiege

tag für tag dieselben wörter
nur noch schriller lauter härter
abbauwellen jobverlust
sonntagsreden wählerfrust
terrorängste schurkenstaaten
drogentote heldentaten

tag für tag dieselben fragen
die an meiner seele nagen
menschheit wo gerätst du hin
leben ohne maß und sinn
nichts mehr sehen nichts mehr hören
bloß nicht unsre ruhe stören
aber spenden werd ich klar
sicher noch in diesem jahr
 

NewDawnK

Mitglied
Hallo Gabriele,

ich kann die WeltSicht in Deinem Text sehr gut nachvollziehen. Nur eines gefällt mir nicht - die distanzierte Haltung:

"tag für tag dieselben fragen
die an meiner seele nagen
menschheit wo gerätst du hin"

... wer Teil der Menschheit ist, trägt die Antwort längst in sich - bring selber etwas mehr Licht in die Welt, und vergrübel nicht Deine Lebenszeit mit nutzlosen Fragen - das würde ich persönlich dem Prot. antworten.

"aber spenden werd ich klar
sicher noch in diesem jahr"

... spende Deinen Mitmenschen Verständnis - etwas Besseres kann man nicht tun.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin mir relativ sicher, dass der Prot. in diesem Fall nicht mit der Autorin identisch ist...! :)

Schöne Grüße, NDK
 

Gabriele

Mitglied
Hallo NDK,
danke für Deinen Kommentar!
Die Protagonisten in meinem Gedicht sind all jene, die sich zwar am Weltgeschehen interessiert und betroffen zeigen, aber in ihrem Gefühl der Machtlosigkeit wie erstarrt sind und ihr schlechtes Gewissen oft nur mit Spenden zu beruhigen vermögen.
Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass es immer wieder Zeiten gibt, in denen auch ich mich zu dieser Gruppe von Menschen zählen muss...
Lieben Gruß
Gabriele
 
M

Melusine

Gast
Hallo Gabriele,
das finde ich gelungen. Schnelles Tempo, guter Rhythmus, geglückte Reime, Fernsehschlagwörter, es kommt gut rüber.

Eine Kleinigkeit nur:
Sprachmelodisch würde mir in der dritten Zeile "amokläufe" (statt "amokläufer") irgendwie besser gefallen.

LG Mel
 
P

Prosaiker

Gast
könnte man einen zackigen rapsong draus machen. die dritte strophe hält meiner meinung nach nicht das niveau der ersten beiden. hier wirst du zu plakativ und verwendest allgemeinplätze. die wertung wird hier zu deutlich, das allerdings zu flach.
ansonsten aber angenehm zu lesen. ein gutes fastfood-gedicht.
viele grüße,
Prosa.
 

Perry

Mitglied
Hallo Gabriele,
mir gefällt die dichte Zusammenfassung wegen ihrer Anklagewirkung, die (zum Glück) am Schluss auf den Protagonisten zurückschlägt.
Habe mir Gedanken gemacht, wie der 3. Vers mehr Inhaltsaussage bekommen könnte, vielleicht kannst Du aus meinem Vorschlag eine Anregung ziehen:

tag für tag die immergleichen fragen
die an meiner reinen seele nagen
wer war es, trägt die ganze schuld
ist der Mörder politisch oder okkult
wo führt das hin, wird es enden
können wir die Welt anhalten, wenden
jeder kennt die Antwort, sonnenklar
kauft sich spendenfrei, wie jedes Jahr

LG
Manfred
 
S

Saurau

Gast
Hallo Gabriele!

Möchte mich Prosaikers Meinung anschließen. Die beiden ersten Strophen haben viel Kraft und ganz wenig Pathos - finde ich stark! In der dritten Strophe kommt naturgemäß der "Sinn", wo du hinwillst, heraus, nur eben etwas verallgemeinernd und abstrakt. Vielleicht würden plakative Schlagworte wie in den ersten beiden Strophen hier Abhilfe leisten, wobei aber sicher nicht einfach ist, für die gewünschte Stimmung passende Begriffe zu finden. Erlaube mir, dafür einen Vorschlag zu liefern:


tag für tag die selben fragen
lebenszweck in todesklagen
menschheit lauf zur klippe hin
such im abgrund deinen sinn
nichts mehr sehen nichts mehr hören
nichts verstehen nichts erklären
aber spenden werd ich klar
sicher noch in diesem jahr


Wie gesagt, nur ein Vorschlag.
Rhythmisch sehr sehr gelungen! Ich finde, du triffst den Kern!

Liebe Grüße, Daniel
 

Gabriele

Mitglied
Ich freue mich...

sehr darüber, dass gerade dieses Werk so viele LeserInnen anspricht! :)
@Mel:
Ich gebe Dir recht hinsichtlich der "Amokläufer" - hab's geändert!
@Prosa:
Ich weiß, man merkt beim Lesen, dass ich mit der dritten Strophe gekämpft und kein wirklich überzeugendes Ergebnis zustandegebracht habe.
@Manfred & Daniel:
Über Euren Vorschlägen werde ich noch ein paarmal "brüten" müssen; ich denke aber, dass ich sicher Teile davon verwenden und in der dritten Strophe einbauen kann...
Danke Euch allen!
Liebe Grüße
Gabriele
 

Dorothea

Mitglied
glaubhafte Klage, aber keine Lösung

Liebe Gabriele,

auch ich finde, dass die beiden ersten Strophen eine sehr gelungene Beschreibung der Gegenwart liefern. Die Klagen sind berechtigt und glaubwürdig formuliert. Wer aber wollte eine Lösung zu formulieren wagen, wie NewDawnk es quasi einfordert. Sein Hinweis, jeder solle etwas Licht in die Welt bringen, ist zwar irgendwo richtig, aber doch auch sehr plakativ.

Manchmal ist es glaubwürdiger bei einer schmerzlichen Zustandsbeschreibung stehen zu bleiben als unpraktikable, oder zu kurz gegriffene Scheinlösungen anzubieten, und mit einem "es wird schon wieder, wenn jeder nur das Seine tut" ist ja doch nicht wirklich etwas gesagt.

Ehrlicher mag es sein, den Leser anzuregen, seine Lösung selbst zu finden.

Herzliche Grüße aus Regensburg.
 

Gabriele

Mitglied
Danke, liebe Dorothea...

...für Deinen Kommentar!

An alle LLLeserinnen:

Ich habe mich nochmals ausführlich mit der dritten Strophe beschäftigt und zwei verschiedene Versionen versucht.
Hier die erste, die mich nach wie vor nicht so richtig überzeugt:

tag für tag dieselben fragen
bohrend an der seele nagen
menschheit wie soll das nur enden
lässt die talfahrt sich noch wenden
nichts mehr sehen nichts mehr hören
nichts verstehen nichts erklären
aber spenden das ist klar
werd ich noch in diesem jahr

In einer zweiten Version lasse ich einfach die Fragen stehen ohne den selbstironischen Hinweis aufs Spenden.
Gefällt mir fast besser so.
Oder - was meint Ihr?

tag für tag dieselben fragen
bohrend an der seele nagen
menschheit wo gerätst du hin
leben ohne maß und sinn

Liebe Grüße
Gabriele
 
M

Melusine

Gast
Hallo Gabriele,
das "nichts mehr sehen nichts mehr hören" würde ich beibehalten, das gefällt mir gerade. Vielleicht dafür den Hinweis auf den Niedergang weglassen?

Ich weiß nicht, ob eine weitere Anregung für dich hilfreich ist, aber hier wäre meine:

tag für tag dieselben fragen
die mich in der seele plagen
nichts mehr sehen nichts mehr hören
weil mich diese bilder stören
ach, gleich platzt mir noch der kopf
wo ist bloß der ausschaltknopf

Zugegeben, die letzten Zeilen wirken wenig gekonnt; sie sind eher als inhaltliche Anregung gedacht.

LG Mel
 

NewDawnK

Mitglied
Hallo Gabriele,

da Dorothea explizit meine Meinung an den Pranger gestellt hat, möchte ich meinen Kommentar ergänzen, wenn Du erlaubst.
So lange es noch Menschen gibt, die ihre eigene Verantwortlichkeit in der Welt nicht sehen wollen, wird sich selbstverständlich auch nichts ändern.
Dein Text legt den Finger auf eine offene Wunde. Danke!

Schöne Grüße, NDK
 

Gabriele

Mitglied
Hallo Mel,
danke für Deinen Vorschlag! Ich denke, ich werde die dritte Strophe nach allen - eigenen - Verbesserungsversuchen, die sie nicht wirklich überzeugender gemacht haben, doch vorerst mal so lassen, wie sie ist!
NDK, Dein letzter Kommentar bestärkt mich darin - danke!
Liebe Grüße Euch allen
Gabriele
 



 
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