Tauziehen (Neufassung)
Tauziehen
Hedwig saß im Café des Hofgartens und trank genüßlich einen Cappucino. Endlich war der Frühling eingekehrt. Sie hielt das Gesicht mit geschlossenen Augen in die Sonne. Es waren um diese frühe Zeit nicht viele Menschen im Café. Ein unrasierter dunkelhäutiger Mann, mit großen Augen setzte sich an den Nachbartisch, er trug einen grauen Anzug, sein weißes Hemd war weit geöffnet, so dass man den dichten Haarbewuchs seiner Brust sehen konnte. Den Blick auf Hedwig gerichtet, schnalzte er mit der Zunge, als ob er sagen wollte: Na, mein süßes Häschen. Hedwig öffnete die Augen und sah als erstes den unrasierten Mann am Nachbartisch, der sie anglotzte. So ein Macho. Widerlich. Doch gleich darauf fiel ihr Blick auf ein Paar, das am Café vorüberging. Sie erkannte den Mann an der Seite einer hübschen Blondine. Robert! Verärgert streckte sie ihm die Zunge aus. Das Gesicht des Mannes am Nachbartisch verdüsterte sich, er erhob sich und sagte mit beleidigter Miene: „Das werdet ihr bereuen.“ Er sagte ‚ihr‘, als ob alle Personen im Umfeld des Cafés und auch das Lokal selbst daran beteiligt gewesen wären, ihn zu beleidigen. Danach zog er ab. Hedwig dachte nur: Komischer Kerl. Aber gut, dass er abhaut.
Herbert, der alles gesehen hatte, eilte zu Hedwig. Sie kannten sich gut. Fast jeden Samstag bei gutem Wetter saß Hedwig hier und wurde von ihm bedient. „Bist du verrückt? Das war Dschingaschwili! Wie kannst du ihm die Zunge ausstrecken?“
Hedwig verstand nur Bahnhof. Sie hatte noch nie von diesem Menschen gehört. Außerdem hatte die Zunge nicht ihm gegolten, sondern ihrem Ex-Freund Robert, der gerade mit seiner neuen Flamme vorbeimarschiert war. Absichtlich. Um Hedwig zu ärgern.
„Wer ist denn Dschinga ... dingsbums?“ fragte Hedwig.
„Dschingaschwili. Der König der Spieler. Er spielt nur um Geld: Schach, Poker, Rommé, Dame, Backgammon, Skat. Und er gewinnt meistens. Das gibt ein bestimmt ein Tauzieh-Unwetter“, sagte Herbert.
Hedwig verstand noch immer nichts, wagte aber nicht zu fragen. Sie bezahlte und ging nach Hause. Dass ihr Ex-Freund Robert so schnell eine Neue gefunden hatte, erschütterte sie. Herbert sah ihr kopfschüttelnd nach. Wie konnte man so unbedarft sein und nicht wissen, wie gefährlich es war, Dschingaschwili zu beleidigen.
Am selben Abend öffnete Herbert das Fenster im Wohnzimmer und schnüffelte. Ein säuerlicher Geruch lag in der Luft, das reinste Tauzieh-Unwetter zog auf.
„Heute Nacht werde ich wohl raus müssen“, sagte er zu seiner Frau Elena.
„Was? Doch nicht etwa zum Tauziehen?“
„Doch. Und an allem ist Hedwig schuld, die hat Dschingaschwili beleidigt.“
„Ach, war der wieder im Café?“
Herbert nickte. Seit Dschingaschwili in ihrer Stadt war, hatte er schon mehrmals ein Tauzieh-Unwetter herbeigezaubert, zuletzt, als er von dem Münchner Schachmeister Clemens, den er matt gesetzt hatte, übel beschimpft und als Gauner der dritten Art bezeichnet worden war. „Das gibt ein Unwetter!“, hatte Dschingaschwili mit erhobener Faust gerufen, bevor er wie ein Büffel davonstapfte. Ein arges Tauziehen war am selben Abend in der Stadt die Folge gewesen. Selbst Clemens sah sich damals genötigt, die Ärmel aufzukrempeln und mitzumachen.
Es kam, wie Herbert vorausgesehen hatte; kurz vor Mitternacht spürte er einen Drang in sich, zum Tauziehen hinauszugehen, wie so viele Männer, die anfällig waren für das Tauzieh-Unwetter. Da man das Phänomen nun schon mehrmals erlebt hatte, war man diesmal vorbereitet. Die Feuerwehr hatte vorsorglich Taue auf der Theresienwiese und an der Isar bereit gelegt. Mehrere Stunden lang zogen Hunderte von Männern gegeneinander an den Tauen, unter ihnen auch der Bürgermeister. Auf Frauen wirkte das Unwetter ebenfalls, sie litten in solchen Nächten an Schlaflosigkeit, manche sogar an Tanzsucht. Die Diskotheken waren in solchen Nächten von Frauen bevölkert.
‚Oh dieser verfluchte Dschingaschwili‘, dachte Herbert, als er sich nach dem Tauziehen im Morgengrauen erschöpft auf den Heimweg machte, ‚dieses eingewanderte Ungetüm aus dem Osten, der hat unsere Schwäche erkannt.‘
Tauziehen
Hedwig saß im Café des Hofgartens und trank genüßlich einen Cappucino. Endlich war der Frühling eingekehrt. Sie hielt das Gesicht mit geschlossenen Augen in die Sonne. Es waren um diese frühe Zeit nicht viele Menschen im Café. Ein unrasierter dunkelhäutiger Mann, mit großen Augen setzte sich an den Nachbartisch, er trug einen grauen Anzug, sein weißes Hemd war weit geöffnet, so dass man den dichten Haarbewuchs seiner Brust sehen konnte. Den Blick auf Hedwig gerichtet, schnalzte er mit der Zunge, als ob er sagen wollte: Na, mein süßes Häschen. Hedwig öffnete die Augen und sah als erstes den unrasierten Mann am Nachbartisch, der sie anglotzte. So ein Macho. Widerlich. Doch gleich darauf fiel ihr Blick auf ein Paar, das am Café vorüberging. Sie erkannte den Mann an der Seite einer hübschen Blondine. Robert! Verärgert streckte sie ihm die Zunge aus. Das Gesicht des Mannes am Nachbartisch verdüsterte sich, er erhob sich und sagte mit beleidigter Miene: „Das werdet ihr bereuen.“ Er sagte ‚ihr‘, als ob alle Personen im Umfeld des Cafés und auch das Lokal selbst daran beteiligt gewesen wären, ihn zu beleidigen. Danach zog er ab. Hedwig dachte nur: Komischer Kerl. Aber gut, dass er abhaut.
Herbert, der alles gesehen hatte, eilte zu Hedwig. Sie kannten sich gut. Fast jeden Samstag bei gutem Wetter saß Hedwig hier und wurde von ihm bedient. „Bist du verrückt? Das war Dschingaschwili! Wie kannst du ihm die Zunge ausstrecken?“
Hedwig verstand nur Bahnhof. Sie hatte noch nie von diesem Menschen gehört. Außerdem hatte die Zunge nicht ihm gegolten, sondern ihrem Ex-Freund Robert, der gerade mit seiner neuen Flamme vorbeimarschiert war. Absichtlich. Um Hedwig zu ärgern.
„Wer ist denn Dschinga ... dingsbums?“ fragte Hedwig.
„Dschingaschwili. Der König der Spieler. Er spielt nur um Geld: Schach, Poker, Rommé, Dame, Backgammon, Skat. Und er gewinnt meistens. Das gibt ein bestimmt ein Tauzieh-Unwetter“, sagte Herbert.
Hedwig verstand noch immer nichts, wagte aber nicht zu fragen. Sie bezahlte und ging nach Hause. Dass ihr Ex-Freund Robert so schnell eine Neue gefunden hatte, erschütterte sie. Herbert sah ihr kopfschüttelnd nach. Wie konnte man so unbedarft sein und nicht wissen, wie gefährlich es war, Dschingaschwili zu beleidigen.
Am selben Abend öffnete Herbert das Fenster im Wohnzimmer und schnüffelte. Ein säuerlicher Geruch lag in der Luft, das reinste Tauzieh-Unwetter zog auf.
„Heute Nacht werde ich wohl raus müssen“, sagte er zu seiner Frau Elena.
„Was? Doch nicht etwa zum Tauziehen?“
„Doch. Und an allem ist Hedwig schuld, die hat Dschingaschwili beleidigt.“
„Ach, war der wieder im Café?“
Herbert nickte. Seit Dschingaschwili in ihrer Stadt war, hatte er schon mehrmals ein Tauzieh-Unwetter herbeigezaubert, zuletzt, als er von dem Münchner Schachmeister Clemens, den er matt gesetzt hatte, übel beschimpft und als Gauner der dritten Art bezeichnet worden war. „Das gibt ein Unwetter!“, hatte Dschingaschwili mit erhobener Faust gerufen, bevor er wie ein Büffel davonstapfte. Ein arges Tauziehen war am selben Abend in der Stadt die Folge gewesen. Selbst Clemens sah sich damals genötigt, die Ärmel aufzukrempeln und mitzumachen.
Es kam, wie Herbert vorausgesehen hatte; kurz vor Mitternacht spürte er einen Drang in sich, zum Tauziehen hinauszugehen, wie so viele Männer, die anfällig waren für das Tauzieh-Unwetter. Da man das Phänomen nun schon mehrmals erlebt hatte, war man diesmal vorbereitet. Die Feuerwehr hatte vorsorglich Taue auf der Theresienwiese und an der Isar bereit gelegt. Mehrere Stunden lang zogen Hunderte von Männern gegeneinander an den Tauen, unter ihnen auch der Bürgermeister. Auf Frauen wirkte das Unwetter ebenfalls, sie litten in solchen Nächten an Schlaflosigkeit, manche sogar an Tanzsucht. Die Diskotheken waren in solchen Nächten von Frauen bevölkert.
‚Oh dieser verfluchte Dschingaschwili‘, dachte Herbert, als er sich nach dem Tauziehen im Morgengrauen erschöpft auf den Heimweg machte, ‚dieses eingewanderte Ungetüm aus dem Osten, der hat unsere Schwäche erkannt.‘