Taxi nach Texas

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Gerd Geiser

Mitglied
Meine Frau und ich hatten eine längere Fahrt mit dem Intercity von Bremen nach München hinter uns gebracht und fühlten uns ziemlich gerädert. Wie in den Jahren zuvor hatte uns unsere Tochter eingeladen, meinen Geburtstag bei ihr zu feiern. Sie erwartete uns gegen 17 Uhr und wir freuten uns auf sie, als wir um 16 Uhr 30 in eine der Taxen vor dem Bahnhofsgebäude einstiegen. Ich nahm auf dem Beifahrersitz Platz und mein Frau stieg hinten ein. Sie beabsichtigte, ihre Konturen unbeobachtet von unserem Chauffeur ein wenig nachzuzeichnen. Ich nannte das Fahrziel und entnahm dem Nicken des Fahrers, dass ihm der Straßenname bekannt sein musste. Er setzte den Wagen in Bewegung und wir erfuhren, dass er sich dazu entschieden hatte, München erst einmal großräumig zu umfahren, da aufgrund des Berufsverkehrs und diverser Baustellen ein zügiges Vorankommen in der Innenstadt nicht zu erwarten war.

Im Radio lief Route 66 und die Zeit verging wie im Flug. Irgendwann muss ich kurz eingenickt sein. Ich kann mich aber noch erinnern, dass mir die Fahrpreisanzeige auf dem Taxameter ins Auge fiel. Die ersten vier Ziffern irritierten mich und ich fragte nach hinten gerichtet meine Frau, wie viel an Bargeld sie mitgenommen habe. Dies war der Aufmerksamkeit unseres Fahrers nicht entgangen. In seiner ruhigen und besonnenen Art teilte er uns mit, er müsse eh nachtanken und an der nächsten Raststätte gäbe es einen Geldautomaten. Wir reizten unser Tageslimit aus und nach einem kurzen Abstecher zu einer nahe gelegenen Werkstatt wegen des anstehenden Reifen- und Ölwechsels ging es weiter. In der Werkstatt kannte man unseren Fahrer, denn man redete ihn mit seinem Vornamen an. Anschließend nahmen wir die Landstraße. Enge Serpentinen und kühne Brückenkonstruktionen, die sich über abgründige Schluchten spannten, brachten uns unserem Ziel näher. Im Radio lief Bridge over troubleb water.

Nach der nächsten Pinkelpause wechselten wir die Plätze. Heinz hatte seine Lenkzeit voll ausgeschöpft und für die nächsten 6 Stunden übernahm ich das Steuer. Die Überfahrt über den Bodensee lag da schon hinter uns.

Wir hatten München an einem schwülwarmen Mittsommernachmittag verlassen, doch als wir das 3. Mal durch Winterthur kamen, fing es an zu schneien. Interessant fand ich auch, dass wir Liechtenstein immer in der Morgendämmerung erreichten. Nun muss man sagen, das München mit seinen angrenzenden Nachbarstaaten zu jeder Jahreszeit landschaftlich sehr reizvoll ist. Wenn ich nicht gerade Fahrdienst hatte, gab ich mich den Fahreindrücken voll und ganz hin. Einen so schönen Geburtstag hatte ich das ganze letzte Jahr nicht mehr erlebt.

Dann spürte ich die Hand meiner Frau an der Schulter. Mein Blick fiel auf das Taxameter und es zeigte 18 Euro 40. Wahrscheinlich war es am Ende seiner Möglichkeiten von vorne angefangen zu zählen und dies vermutlich immer wieder. Ich zeigte mich großzügig und kurz darauf fiel mir meine Tochter in die Arme. Sie gratulierte mir zu meinem 65sten Geburtstag. Das irritierte mich. Ich war doch gestern noch 63 Jahre alt gewesen.
 
Hallo Gerd,
wirklich Klasse. Was soll man davon halten? Ist er nur eingeschlafen und hat geträumt? Ist ihm die Zahl seiner Jahre nicht mehr so ganz gegenwärtig? Soll ja passieren bei älteren Leuten. Oder gibt es hier doch eine Realität jenseits der verabredeten? - Viele Fragen, viele Möglichkeiten.
Weil die kleine Geschichte auch noch sauber geschrieben ist, habe ich sie mit großem Vergnügen gelesen.
Viele Grüße
Jörg
 
O

orlando

Gast
Kaum angekommen und schon von gelben Hühnern umzingelt! Da gackere ich dir doch - leis lispelnd - auch ein "willkommen zurück" entgegen.
Und ja, solche Fahrten sind mir bekannt, obwohl ich zugeben muss, dass ich sie mir meist selbst bereite. Mehr als einmal passierte es mir, dass ich, um ins ca 4 km entfernte Nachbardorf zu gelangen, den Weg über Darmstadt nahm (ca. 30 km Umweg) - keine weiß so recht warum.
Bei Naturen wie der meinen gibt jedwedes Navigationsgerät nach kurzer Zeit entnervt auf. Und ich erst. :D
Gut aber, dass euer Taxometer zurücksprang und Bärnie nicht dabei war. Der hätte sicherlich viel öfter pinkeln müssen und zureichend Platz für seine Yoga Übungen haben wollen (beherrscht er schon die Twists?).
Jedenfalls: Eine witzige Satire und grundanständig, nicht so wie die von Herrn B.!) - besonders gefällt mir die Relativität der verstrichenen Zeit. Und ich gratuliere zwiefach, nachträglich und -drücklich.
Liebe Grüße
Heidrun
 

Ji Rina

Mitglied
Das hat Spass gemacht!
Hat mich an Kishons “Tour De Obelisque” erinnert.
Und so astrein geschrieben, dass man sogar auf die Frage verzichtet, warum die Fahrgäste nicht daran gedacht haben, einfach auszusteigen.:)
Bitte mehr!!
Mit Gruss,
Ji
 

Gerd Geiser

Mitglied
Danke für deine positive Rückmeldung, Jörg. Zu deinen Mutmaßungen möchte ich sagen: Ob in der Fremde, ob daheim, die Zeit vergeht von time to time. - Und wie schnell vergeht ein Jahr...
 

Gerd Geiser

Mitglied
Hallo Ji Rina, danke für die wohlwollende Durchsicht und: deinem Wunsch kann entsprochen werden. Allerdings was deinen Tipp betrifft: Ich hatte mich selbst mal verfahren und bin dann ausgestiegen. Das hat überhaupt nichts gebracht.
 

Gerd Geiser

Mitglied
Heidrun, du Muse meiner schlaflosen Nächte. Bin noch gar nicht dazu gekommen, mir ein Bild von deiner gegenwärtigen Schaffenskraft zu machen. Wird nachgeholt. Bärnie kennst du, Atze hast du kennen gelernt und jetzt isses Bertold, der mich als ganzes Herrchen fordert. Später mehr davon. Ich bin mal von Berlin über die Autobahn nach Bremen gefahren und in Rostock gelandet. Das kann ich aber erklären. Ansonsten werde ich mich (nein, ich muss) mehr der Prosa zuwenden und hoffe auf ein kritisches Auge von dir. Ab und an. Grüß orlando von mir. Gerd
 



 
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