Tee(ny)time

Tee(ny)time
Samstag Abend, in den Zimmern weiblicher Teenies. Überall das gleiche Spiel, überall das gleiche Geschminke und Gehampele für die Party, die Party, die meist die nächste Beziehung mit einem neuen Suppenkaspar bringt. Stellvertretend für alle Babydiscoqueens hier ein authentischer Bericht über Margarete Tiddeldit, von allen nur Schnullerschlampe genannt, da sie erst fünfzehn, aber immer offen für neues war.
Es war kurz vor acht, als Margarete ihre umfangreichen Umbaumaßnahmen an ihrem Gesicht beendete. Vor genau drei Stunden hatte sie die allwöchentliche Prozedur mit einer ausgiebigen Dusche begonnen, was ungefähr den Inhalt des Bodensees verbrauchte. Danach hatte sie sich ordentlich mit ihrem extra weichen, flauschig, herzig, Lammfell enthaltenden Handtuch abgeschrubbt und ihre Klamotten übergestreift, nachdem die Enthaarungscreme noch schnell ihre Wirkung auf Bein und Arm gezeigt hatte. Die heiße Unterwäsche von Mama, den Minirock (Welcher Minirock, ich sehe keinen!) von H&M, das wirklich entzückende und überhaupt nicht eng anliegende Top ebenfalls und nicht zu vergessen die Schühchen vom Büffel. Danach folgte die Frisur, die mit drei Dosen Haarspray und ein wenig Alleskleber schon bald Form annahm. Doch damit war noch kein Ende in Sicht. Das Make-Up fehlte schließlich noch, nicht unwichtig im Leben einer erfolgreichen, jungen Dame. Purpurrot landete auf den Lippen, Marsmännchengrün auf den Wimpern, Sternhagelblau auf dem Lid und ein schmeichelndes Rosa auf den Wangen, Aprikose, Ananas, Kiwi, Pfirsich, Banane, Zitrone und den Rest des Obstkorbes in sprühbarer Form landeten dagegen weniger auf der Haut als im gesamten Badezimmer. Noch schnell aufs Toilettenpapier gebissen und die drei Stunden waren vorüber. Nun wartete Margarete ungeduldig auf ihre Freundin Caroline, von den meisten nur Flittchen für alles genannt. So unterschied sie sich kaum von Margarete, eigentlich von überhaupt keiner Gleichaltrigen. Die Schelle klingelte. „Mama, ich bin weg“, schrie sie, „ist nur ne kleine Teeparty.“ „Pass gut auf dich auf“, rief ihre Mutter, „und keinen Sex vor deiner Hochzeit. Vergiß das nicht.“ Margarete lachte nur in sich hinein. Sie hatte kaum den Unterschied zwischen Männlein und Weiblein gekannt, als sie diesen auch schon auf sich zukommen sah und bald darauf war er auch schon verschwunden. Vier Jahre war dies jetzt her, also elf verschenkte Jahre. Gut gelaunt öffnete sie die Tür. „Da bist du ja endlich“, meinte ihre Freundin sauer, „dachtest du etwa, ich möchte hier übernachten?“ „Mach mal halblang, du weißt genau, daß du nicht vor unserer Haustür schlafen sollst, also können wir?“ Sie stiegen ins Auto von Carolines Mutter und brausten zur Party. „Caroline“, meinte diese, bevor die beiden Käfer ausstiegen, „keinen Sex vor der Hochzeit. Vergiß das nicht.“ Caroline lachte nur in sich hinein. Der Grund ist ein paar Zeilen höher zu finden. „So, dann nichts wie rein ins Getümmel“, jauchzte Margarete, „voll drauf auf die echt verschärften Boys.“ Kreischend liefen sie der Musik entgegen und waren schon bald im Getümmel verschwunden. Nun ist eine Beschreibung der Lage angebracht, um das Ausmaß dieser fast vollständig unter Drogen stehenden Clans zu erläutern. Das ganze Haus war zum Partyzentrum umgestaltet worden und so konnten sich die Gäste in verschiedene Interessengrüppchen splitten. In der Toilette standen die Vollblauen, die es so nicht mehr weit bis zu ihrer Wirkungsstätte hatten, und quatschten über den Kater und die Süße am Morgen, die mit ihm Bett lag, ohne daß man sich an sie erinnern konnte. Im Flur lagen jene, die schon ihr innerstes nach außen gekehrt hatten und vegetierten vor sich hin. In der Küche fand das Großtreffen der Kochweiber statt, die über das Gerätearrangement diskutierten und über den tieferen Sinn der Dunstabzugshaube philosophierten. Den tieferen Sinn suchten auch die Schlafzimmerspezies, nämlich den ihres Püppchen, das unter ihnen auf der Matratze lag und sich mit dem klemmenden Reißverschluß ihres Helden abmühte. Im Wohnzimmer schließlich fand die eigentliche Party statt, ein buntes Gemisch aus Kokainsüchtigen, Haschsüchtigen, Teenieschwängernden, anderen Schwerverbrechern, Bordellbesitzern, Möchtegernmachos, Möchtegernmodels, Potenzzwergen, Schwangeren, Schminkpuppen, noch mal Schminkpuppen, Babys in Mamas bestem Cocktailkleid und ein kleiner, dreckiger Außenseiter, der zur Unterhaltung diente und in lila Unterhose am Kronleuchter baumelte. Genau das richtige Ambiente für Margarete. Es dauerte nicht lange, als auch schon ein Typ in einer Hose, die einem Christo zum Einhüllen des Reichtages gereicht hätte, siegessicher auf sie zu schritt, seine Siegestrophäen, die Bh’s seiner Eroberungen, am Gürtel baumelnd. Caroline war schon am Eingang mit Will Smith im Dunkeln verschwunden. „Hey, du schneckende Zuckersüße, äh, ich meine du zuckersüße Schnecke, bock auf Quatschen draußen im Garten oder erst ein Drink.“ Respektvoll griff er ihr an den Hintern (Dieses Wort wird in Jugendkreisen allerdings eher selten verwendet), also an den Arsch und schaute ihr tief in die leuchtenden Augen. Vielleicht lag es auch daran, daß er schon ziemlich im Einfluß von Mister Alkohol stand, sonst hätte er sich noch nicht mal in den gleichen Raum mit ihr getraut. „Mmmm, klingt gut“, meinte Margarete, „du meinst es echt gut mit mir und hast mir noch nicht mal in den Ausschnitt gepackt.“ Schwupps, schon war es passiert. Sie lächelte und schon verzogen sie sich in den finsteren Garten. Kaum waren sie aus dem Sichtbereich der anderen, als der Junge auch schon zum (S)tier wurde und wie ein unter Strom stehender Pavian über sie herfiel. „Mmmmmm, mmmmmm“, waren seine einzigen Worte. „Du sollst mich nicht essen“, sagte sie genervt, „du sollst mir Höhepunkt Nr. 164 bescheren, klaro?“ „Äh, wie, Höhepunkt“, stotterte er und tauchte wieder aus ihrem Oberteil auf, „also, ich weiß nicht, also ich hab das doch bis jetzt nur im Fernsehe..., und na ja, kann ich nicht erst deine beiden Dinger näher kennenlernen?“ „Du Sau“, schrie Margarete und trat ihm kräftig auf die Zehen (Ich habe es nicht nötig, mit anderen Körperbereichen Witze zu machen, wie diverse Hochglanzkinokomödien!), „du bist echt total unromantisch.“ Sie nahm ihr Täschchen und verschwand wieder trippelnd im Haus. Erst mal frisch machen, die crazy Frisur aus der „Coole Bienen Zeitschrift“ saß nicht mehr richtig. Doch da geschah es, auf dem Weg dorthin, vor einem sich entleerenden Siebenjährigen, neben einem innigen Pärchen (Oh, das war ja sogar ein Trio, diese Jugend heutzutage!), um halb zehn MEZ, einen Meter von der Damentoilette entfernt, traf sie ihn, den blonden Adonis mit dem süßen Lächeln eines italienischen Eisverkäufers im Hochsommer und der Figur eines nordischen Wikingernachfahrens mit Hormonüberschuss in den Oberarmen und dem Teint (Tä oder so) eines Sonnenbankbesitzers in der Wüste. Alles andere verblasste in seiner Anwesenheit, fast schien es, als würden die restlichen Partysten (kleine Wortschöpfung von mir) vor ihm knien und um Verzeihung bitten, daß sie ihn mit ihrer Anwesenheit belästigten. Alle Götter, von Zeus bis Mars, mußten sich in ihm vereinigt haben, nur der Heiligenkranz des Allmächtigen fehlte noch, der Elektriker hatte noch Schwierigkeiten mit den Glühbirnen. Mit kühnem Gang schritt er auf die zitternde Margarete zu, erhob seine Stimme und fragte kühn: „Kannst du mir vielleicht die ökonomisch, ökologische Wirksamkeit des antipragmatischen, interzellulären Stoffwechsel des Dreieckssatzes im Teigmantel erklären, ich habe da heute was drüber gelesen, aber nicht so richtig verstanden.“ „Natürlich können wir uns ins Schlafzimmer zurückziehen“, antwortete das erstarrte Mädchen, „oder was war noch mal die Frage?“ „Schlafzimmer? Ne, eigentlich nicht.“ „Komisch, alle wollen mit mir die Matratze testen und du, du willst.., ja was willst du eigentlich?“ „Wie wäre es zuerst mal mit einer Apfelschorle und ein paar Butterkeksen und dann könnten wir uns..“ „Unauffällig ein lauschiges Plätzchen suchen“, ergänzte das Mädchen strahlend und schaute ihn mit glänzenden, großen Augen an. Amor hatte ganze Arbeit geleistet. „Nein, eigentlich meinte ich die Entstehung der Schwerkraft, wir könnten prima drüber diskutieren.“ „Schwerkraft? Meine beiden runden Freunde haben eine große Schwerkraft“, versuchte sie es erneut. „Wo, ich sehe keinen von deinen Freunden“, meinte er, „aber komm, gehen wir in den Garten und reden ein bißchen.“ „Also doch“, stellte sie grinsend fest und checkte im Geheimspiegel unter dem Nagel ihre linken Zeigefingers noch einmal ihr äußeres Erscheinungsbild. „Anal, oral, diagonal, kreuz und quer, Missionarsstellung, Löffelchenstellung.“ Der Junge schaute nur verdutzt. „Was meinst du?“ „Na, wie du es am liebsten magst“, erwiderte sie. „Äh, am liebsten sind mir tiefsinnige Gespräche über Physik, mein Lieblingsthema.“ Margarete klappte innerlich zusammen. „Fisik, hab ich schon mal was von gehört, soll ganz lustig sein, sagt mein Lehrer.“ „Spannend ist es und heute ist ein ganz besonderer Tag, wie du sicherlich weißt.“ Das Mädchen dachte nach. „Ja, stimmt, wir haben heute Vollmond“, sagte sie grinsend und umfasste seine butterweichen Hände. „Also bitte, wenn interessiert denn das“, entgegnete ihr Gegenüber und zog verärgert seine Hände zurück, „Albert Einstein hat heute Hochzeitstag, wenn er doch noch unter uns sein würde.“ „Ach genau, wußte ich doch, daß ich was vergessen hatte“, lachte das Mädchen , „Albert Einstein, wer kennt ihn nicht, den großen Maler des ausgehenden 20. Jahrhunderts, das Genie der impressionistischen Landschaftsmalereien.“ „Scheinst mir nicht besonders clever zu sein“, stellte er fest. „Ach, weißt du“, gab sie zurück, „Bildung ist was für Männer, ich dagegen habe Arsch und Titten.“ „Also, wenn ich mal heirate, dann muß meine Partnerin aber schon eine gehörige Portion Bildung besitzen“, meinte er. „Äh, was habe ich gerade gesagt“, stotterte Margarete, „ich meinte natürlich, Bildung ist so wichtig wie das tägliche Brot.“ „Prima Einstellung von dir, dann sind wir ja unter Kollegen. Also, was sagst du zur Neutronenwanderung im elektrischen Magnetfeld. Irre, oder?“ „Pffffff“, entfuhr es dem Mädchen, eigentlich nur auf seine Augen konzentriert, „Wanderung, ja, ähm, Wandertag finde ich meistens echt öde, hä, hä, aber könnten wir nicht wenigstens erst mal ne Runde knutschen, deine Lippen sehen so einladend aus.“ „Ja wie, du willst knutschen“, fragte er verdattert, „also, du weißt schon, was da für chemische Abgänge vonstatten gehen, von wegen Speichelverlust und Neutronensplitterung.“ „Bitte, bitte“, flehte das kleine Mädchen, „vergiß doch mal für einen Moment die Naturwissenschaften und wende dich mir zu, merkst du nicht, wie scharf du mich machst, du Elekronenbomber.“ „Wenn du mir die Vorgänge der atomaren Spaltung bei einem Plutoniumteilchen erklären kannst, dann wäre ich durchaus gewillt mal die Sau raus zu lassen.“ „Ach neeeee, bitte nicht“, plärrte sie, „geht es nicht etwas leichter.“ „Na, dann eben nicht“, meinte er gleichgültig, „tschüs, war schön mit dir geplaudert zu haben.“ Ohne noch einmal zurückzuschauen verschwand er im Dunkel der Nacht und tauchte nicht wieder auf. Margarete war am Boden zerstört. Es war erst halb elf und sie hatte noch keine Schweinerei zustande gebracht. Neidisch schaute sie zu ihrer Freundin Caroline die mit drei Pubertätsneulingen Speichelaustausch betrieb und immer wieder unersättlich über sie herfiel. Sie dagegen stand alleine auf dem Rasen, verlassen vom gesamten Universum, noch nicht einmal betrunken, was bei ihr ungefähr überhaupt nicht vorkam, der Lippenstift nicht verschmiert, nicht schwanger, kurz gesagt, nicht das würdige Ende einer Party. Da mußte doch noch etwas kommen. „Quak.“ Was war das? Sie schaute sich um, und da erkannte sie ganz schwach, vom Mantel der Finsternis verdeckt, einen kleinen, grünen Frosch, der sie mit großen, glänzenden Augen ansah. Sofort schoß ihr das Märchen vom verwunschenen Prinzen in den Kopf und etwas zögernd bückte sie sich und näherte sich mit ihren Lippen langsam dem Frosch. Schmatz, schon plazierte sie diese geschickt auf den seinen. Wie vom Schlag getroffen fiel der Frosch tot um und machte keinen Mucks mehr. Er war mausetot. Der Lippenstift war doch eine Spur zu hart für ihn gewesen. Margarete begann zu schluchzen. Nun war nicht nur ein Tier draufgegangen, nein, sie stank nun fürchterlich nach Amphibienschleim. Der Abend war gelaufen. Heulend stapfte sie über die Wiese in Richtung Straße, um sich vom nächsten Anhalter betatschen zu lassen, als sie mit jemandem zusammenstieß und horizontal niederfiel. Mit dröhnendem Kopf lag sie nun auf dem Boden und über ihr erschien das Gesicht eines durchaus akzeptablen Jungen, der seine Stimme erhob und fragte: „Jetzt wo du schon mal so passend daliegst, könnten wir doch...“ Unschuldig klatschte er einmal in seine Händen. Das Kindergartenkind lächelte. Ihre Augen glänzten, als sie mit dem Kopf nickte und ihre Arme um ihn schlang. Es gab also doch noch Jungen, die wußten, was sich gehörte. Der Abend war gerettet.

(Übernommen aus der 'Alten Leselupe'.
Kommentare und Aufrufzähler beginnen wieder mit NULL.)
 



 
Oben Unten