Tiermärchen

Streik auf dem Hühnerhof

Es war einmal ein behäbiger, schon bejahrter Hahn, der sich mit seinen Hennen vergnügte. Diese legten fleißig tagaus, tagein ihre Eier und hielten ihr Gefieder immer adrett und ordentlich - wie es sich für züchtige, normale Hühner gehört. Und ebenso natürlich fand es der ganze Hühnerhof, dass die Hennen ab und zu kopflos hin und her flatterten, wohl auch aufeinander loshackten, wenn es um die Gunst ihres Hahns und Gebieters ging.
Doch eines Tages wurde die Hühnerhof-Idylle empfindlich gestört: Drei bisher tüchtige Legehennen weigerten sich, ihre Lege-Pflicht zu erfüllen. Sie hätten die ganze Hackordnung satt, so sagten sie, und sähen nicht mehr ein, die Hauptarbeit zu verrichten, während der Hahn faul und fett umherstolzierte, sich mit den ihm genehmen Hennen verlustierte und obendrein die erste Geige spielen wollte.
Sie wussten so lange und überzeugend von dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit zu gackern, bis immer mehr Hennen in den Legestreik
traten.
Eine Woche lang überlegte Bäuerin Bartels hin und her, was wohl in ihre Hühner gefahren sei, dass sie kaum noch Eier legten. Entweder waren sie krank und mussten deshalb geschlachtet werden oder der alte Hahn taugte nichts mehr. Da sie gut zu rechnen verstand, entschied sie sich für die zweite Möglichkeit. Sie schlachtete anstelle der legefaulen Hühner den alten, fetten Hahn und kaufte einen jungen mit wunderbar schillerndem Gefieder.
Die Hennen beobachteten all dies mit gemischten Gefühlen. Einerseits waren sie den alten Pascha los, andererseits wusste niemand, wie gockelhaft sich der neue gebärden würde. Deshalb bildeten sie ein demokratisches Hühnerkomitee, das ein Umerziehungsprogamm für den Junghahn ausarbeiten sollte.
Als dieser das erste Mal mit gespreizten Federn über den Hof stolzierte und die Hühnerschar herablassend musterte, flogen sogleich zehn kräftige Hennen auf ihn los und zerzausten ihm die Federnpracht. Dann bugsierte sie ihn in eine Ecke und sorgten dafür, dass er den ihm zugewiesenen Platz nur verließ, wenn sie es ihm gestatteten.
Nach einigen Monaten war die Zähmung so weit fortgeschritten, dass ihn die zehn nicht mehr ständig bewachen mussten. Es war ihnen gelungen, den jungen, in seiner Gockel-Würde noch nicht gefestigten Hahn nach den demokratischen Prinzipien der Hühner-Mehrheit zu erziehen.
Dass dessen Zeugungskraft bei der Umerziehung gelitten hatte, kümmerte sie herzlich wenig.
Umso mehr verdross dies Frau Bartels, die das artige, zeugungsfaule Hähnchen auf Trab bringen wollte. Auf dem nächsten Geflügelmarkt kaufte sie deshalb einen gewaltigen Kampfhahn mit schwarzem Gefieder
und blutrotem Kamm. Sobald dieser das zahme Hähnchen erblickte, flog er unter lautem Flügelschlagen herbei und zauste es, dass die Federn flogen.
Die Hahnenkämpfe, die tatsächlich Ein-Hahn-Kämpfe waren, wiederholten sich nun täglich. Nach jeder Niederlage schien das Gockelchen kleiner und furchtsamer zu werden , ja, es bot schließlich ein solches Bild des Jammers, dass Frau Bartels ernsthaft ans Abschlachten dachte und aus ihrer Absicht keinen Hehl machte.
Die Hennen hatten unter dem despotischen Treiben des kraftstrotzenden Kampfhahns keine ruhige Minute gehabt, und da sie sehr wohl begriffen, wie es um den armen Gockel stand, wollten sie gemeinsam mit ihm fliehen.
Auf ein verabredetes Zeichen hin - ein leichtes Scharren mit den Krallen - verließen alle in der darauf folgenden Nacht den Hühnerhof. Ein altes, erfahrenes Huhn hatte wenige Tage zuvor eine schadhafte Stelle im Zaun erspäht, durch die sie nun, eins nach dem anderen, schlüpften, in ihrer Mitte das Hähnchen, das schon nicht mehr ganz so furchtsam in die Welt blickte.
Der mächtige Kampfhahn, der sich tags zuvor wieder einmal richtig ausgetobt hatte, schlief unterdessen tief und fest. Er erwachte erst, als sich die Bäuerin mit gezücktem Messer auf ihn stürzte, um nun ihn anstelle des kleinen Hahns in den Kochtopf wandern zu lassen.
Teils in Trippelschritten, teils in zaghaften Flugsprüngen waren die Ausreißer mittlerweile an einer abgelegenen Halbinsel angekommen, welche in einen nicht weit entfernten, von Birken und Buchen umsäumten See ragte. Sie war von wildwachsendem Korn bedeckt, so dass es Futter in Hülle und Fülle gab. Bald entdeckten die Hennen einen geräumigen Holzschuppen, der nicht nur ein trockenes Quartier, sondern auch einen Vorratsraum für den Winter bot.
In der freien Natur begann das gebeutelte Hähnchen aufzublühen. Seine Federn begannen zu glänzen und in tausend Regenbogenfarben zu schillern. So lebte es in Eintracht mit den kampferprobten Hühnern, und wenn sie nicht gestorben sind, dann...
 



 
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