Time warp

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Thaddäus

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Time warp


WIR entschieden, unser Zittern zu verbergen, unser Schweigen, die leiseste Anstrengung im grauenden Morgen, an dem es keine Überlebende mehr hätte geben sollen. Pappeln wichen vorbei, in der klarsten Stunde schneller als geplant, wir beschleunigten noch immer, eine Zi-garette anzurauchen, die wir miteinander teilten, im Schrumpfen gewöhnlicher Wiesen, Kreu-zungen und Randbefestigungen, die vorbeirasten mit der übertriebenen Hast einer Landstraße. Kaum erkennbar die Angst vor dem Unvorhergesehenen. Bläuliche Schatten dann auf Gehöf-ten, frühes erschrecktes Gefieder. Bläuliche Schatten auf unseren Gesichtern, wenn wir uns wieder zuwandten, zu sprechen begannen, bei steigender Nadel wehende graublaue Türme, ziegelblinde Mauern, fliegendes Pappelgelb, etwas Nervöses, das uns zerfraß. Jagende Bilder, die uns zerfraßen, sich selbst zerfraßen bei jedem aufkreischenden Kurvenwechsel. Die Lust, niemals abzubremsen. Wir schwiegen, da niemand widersprach.

TORKELND stiegen wir aus dem knisternden Wagen. Vielleicht hatte uns ein Gott gerufen. Ein Gott, aus dessen Stallung, in der er einstmals geboren wurde, ein fahles Licht drang, eine ein-fache Halogenlampe, die unnützes Licht über das Gehöft warf, da es bereits taghell war, und keine Sterne mehr am Himmel, kein Kometenschweif. Wir waren die drei Könige aus dem Morgenland. Wir waren die, die gekommen waren. Als wir die schwere Eisentür zu den Stal-lungen öffneten, und davor noch, hallte es in dämmrige Hintergründe, pochte es aus Ritzen, dampfte es über schweißnasse Backsteinwände. Wir wussten, was es war, wir wussten es nicht, nur dass es war, dass es war mit den unkenntlichen Schemen von Körpern, verknäulten Körperextasen und einem sanften Licht, welches über zwei Plattenspielern glomm. Eine Ära war über uns gekommen, war ohne uns gekommen, ohne sich anzukündigen. Wir waren so weit hergekommen, von so weit her, und ein Unfall, ein oder zwei Tote hätten das Spektakel, das mild schimmernde Licht, das jetzt im Gewebe verdichteter Schmerzen glomm, vollauf rechtfertigt. Nichts besaßen wir, kein Opium, keinen Weihrauch. Keine Gewürze, keine Ge-schenke. Keine Herzensgaben und keinen Leitstern, der uns geführt hätte auf dieser Strecke. Nur Andacht. Und dennoch hätte die Musik, die jetzt, immer nur im Jetzt unseres Eintritts spielte, die allergrößten Opfer rechtfertigt.

EIGENTLICH waren es Kinder, die wir sahen. Engelsgleiche Kinder in Militärhosen, mit Tril-lerpfeifen bewaffnet, deren Trommelfell zerstörendes Gellen die Pausen unterbrachen, die Pausen füllten, und welcher Schmerz genau? Welcher Schmerz genau, dachten wir, als wir niederfielen.

ES war Schwerstarbeit, sich zu orientieren. Etwas Kaltes und Repetitives ging von diesem Ort aus, von Loops in lange Passagen unterteilt, die in ihren Wiederholungen dasselbe meinten, niemals dasselbe, derweil sich getunnelte Töne verschoben, schwere Bässe gegen ihre Takte erhoben und die Luft ringsum verschlangen. Die Andersweltlichkeit, die soziologische Stö-rung lag aufgehoben in zwei Händen, die unermüdlich Platten auspackten, Tonarme und Kopfhörer bewegten, mit der gültigen Beherrschung einer Mechanik, die diese Musik erzeug-te, dem paßgenauen Einsatz von Extasen, dem zeitgerechten Zögern und betäubenden Neu-einsatz, der alles Vorangegangene, alle nachhallende Erinnerung auslöschte. Einer der Engel, dessen Trillerpfeife aus blasigem Mund hing, schrie, aus blutig gewordenen Lippen, in Ab-wandlung dieser Entdeckung:

- God must be a DJ

WIR waren dem trüben Licht gefolgt, längst als wir verstanden, dass unsere Vereinzelung begonnen hatte. In drei Richtungen waren wir dem Pult gefolgt, um uns wiederzufinden in grenzenloser Distanz, in aufgehobener Anonymität, in der ein Wiedererkennen möglich war unter der Bedingung gereinigter, selbstloser, hingebender Blicke. Drei Richtungen, die uns aufhoben und zusammenführten dort ans Pult. War es wichtig, dass wir uns unsere Geschichte zu erzählen hatten? Lächelnd schauten wir die Masse, die uns aufnahm, die uns gab und nähr-te mit inwendigen Augen, in denen wir verschwanden, untertauchten, mit dem Körper ver-näht, mit dem Hirn vernäht, mit unseren Psychosen vernäht, die diese Musik spiegelte, mit unseren psychischen Aberationen und Distortionen vernäht. Extatische Körper zuckten durch Scheinwerferlicht, ein Nebelhorn blökte, Trillerpfeifen gellten, und in der entfesselten Brachi-algewalt herrschte für den Bruchteil einer Sekunde plötzliche Stille.

NÄHER noch am Pult schauten wir sogleich das Unfassbare. Wir, die Angekommenen, hatten die Moderne durchlebt, die Schocks der Avantgarde als spielerisch empfunden. Wir hatten gelacht über die Ära der Gitarre, der Gitarrenhelden, die Ära der Pop-Musik, die unermüdlich ihre Helden schuf, unermüdlich Papageien fütterte, zerrissene Kehlen und sentimentale See-len, und der übersteigerte Drogentod einer namhaften Musikerfigur erschien uns als medialer Scherz. Gleichwie die Mythen endeten: In Badewannen, swimming-pools, in Erbrochenem oder im Virentod. Wer, wenn nicht die steingrauen Mythen.

DIE Moderne aber, oder das, was wir von ihr wussten, erschien uns als ein ausgedientes Mus-ter. Das Muster wiederholte sich, spätestens nach der Erfindung der E-Gitarre, die nichts gab außer die Banalität von vier Oktaven, die sich unermüdlich an ausgedienten Brüsten sättigten, stereotyp daran saugend, mit ausgedienten Gesten, ausgedientem Repertoire, blätterndem Geschminke und Gefuchtel, Fratzenschneiderei und Kostümierung. Weniger als eine handvoll Oktaven, über das sich das Sentimentale erfand und seine abgeklatschen Idyllen – anspruchs-los, und dazu passend der Endloskitsch jener Bilder, die sich als abstrakt empfanden, abstrak-te Bilder, die in würgender Zahl hervorgebracht irgendwo hingen, in rauchigen Kneipen zu-meist und in ehrwürdigen Galerien, eins durch das andere ausbeutbar, eins durch das andere ersetzbar, ergänzbar oder komplettierbar durch das Primitivhandwerk der Elektrogitarre und ihren billigen und allzu bekannten und daher immer nur aufs beschränkte Gehört reduzierten Effekten. Die abstrakten Bilder der Moderne, farbige Imitate passend zum privaten Ambiente, inflationär gesehen in jedem Einrichtungskatalog. Und diese elenden sechzig Jahre Elektrogi-tarre, diese widerliche Zeit, diese Insignien reiner Verhöhnung, die ein Menschenleben begin-nen und altern und mit diesem Eindruck sterben lässt: Das war, dass wir die Zeit überwunden hatten. Wir waren nach der Moderne. Wir waren über der Moderne. Die Zukunft nach der Moderne fand in anderen Gefäßen statt, jedenfalls nicht in denen, in denen der Mensch alt wurde.

WIEDERUM mit Einsetzen wahnwitziger Stakkatos beginnt das Nachdenken über uns. Metal-lisch flüsternde Stimmen arbeiten gegen einstürzende Bässe. Unter den rhythmisierten Geräu-schen läuft eine Tonspur, die einem Instrument ähnelt, aber keines ist. Pausenlose Verfrem-dung ergibt einen Sinn, der mit letzter Gewalt noch einholbar ist. Aber es gibt nichts Bekann-tes hier. Wir sind fremd hier. Wir fühlen uns minimiert. Wir werden es sein, immerzu, und wenn wir das Fremde überwunden haben, dann wird uns geschenkt werden durch das Mini-mum, das wir hören – so reichlich, dass kein anderes Leben mehr vorstellbar wäre. Wann aber sind wir nicht mehr fremd in dieser Musik? Welchen Schmerz haben wir? Welchen Schmerz genau, wo wir so anders sind, um einfach ein Bier zu kaufen?

GIBt es hier Bier? Gibt es hier wirklich Bier? Wir lächeln über der Vorstellung, hier zu sein in einem stilisierten Aufruhr, wissend, dass jede Kultur ihre Extase ins Letzte betreibt. Aber hier nun bei einer Musik, die einen überwältigt und Haut und Hirn durch digitales Gewebe ersetzt. Etwas Ansteckendes liegt in der Luft. Das Ansteckende, das mag sein, dass wir die Identität zu verlieren beginnen. Die Identität der gitarrengeschrubbten Seele, die jede Riffs, jeden Ef-fekt, jedes Gekreische, jedes aufgeblasene Geschrubbe, als hypertrophe Virtuosität verkleidet, zum Nachsingen, Nachwippen, Nachmachen, zum Fingerschnippen und Kopfnicken zwingt. Hier ist es nicht so. Die digitalen Signale ersetzen das Gejaule einer vordergründigen E-Gitarre in unkenntliche Räume. Unkenntliche Cluster werden zum Gegenbegriff von Heimat. Heimat ist Gitarrengeschrubbe für vordergründige Menschen. Heimat ist Vordergrundgesche-hen, in dem nichts passiert als die Prostitution vordergründiger Bilder. Heimat ist vordergrün-dige Erkennbarkeit, einfachste und antiintellektuelle Technik für Menschen mit einfachen und antiintellektuellen Mustern.

GIBT es Bier? Freilich gibt es Bier. Wo gibt es Bier? Ich weiß es nicht. Da vorne vielleicht, oder da drüben, auf alle Fälle gibt es Bier. Der digitale Code entgrenzt sich in Folgen unbe-zähmbarer Wirklichkeit. Es ist schwer, dies anzuerkennen. Es ist schwer, anzuerkennen, dass es Wirklichkeiten gibt jenseits traditionellen Fühlens. Pulsierende Bässe stürzen von schweiß-nassen Wänden. Schweißnass ist die Arbeit des Fühlens. Etwas zerbricht schweißnass wie ein zu früh beendeter Traum. Es ist schwer, Abschied zu nehmen. Es ist schwer, Abschied zu nehmen von den Mustern implimentierter Behaglichkeit. Es ist schwer, Abschied zu nehmen von den sturen Protagonisten der Exekutive, den Meistern der Melodien, die zu nichts führten. Die Blödigkeit der Harmonie. Das Insistieren auf Idylle. Genauso blöd wie derjenige, der das inhaliert bis zur lächerlichsten Nachäffung, dem Nachsummen allzu bekannter Delirien. Tekkno war Abschied. Tekkno war Anfang. Wir lebten dazwischen. Ich glaube, das war der Schmerz.

ALSO, es gibt Bier. Beim Pissen, in einem trüben Verschlag auf rohem Steinboden, enthemmt mich das Gefühl, mit Daumen und Mittelfinger einen Kreis zu bilden, in dem der Strahl glatt und widerstandslos durchgeht. Ich sage es K. Sie zuckt mit den Schultern. Ich habe nichts Besseres zu sagen. Am Rot ihrer Augen erkenne ich ihre Schlaflosigkeit, die Arbeit durch-wachter Drogennächte. Widerstandslos, du sagst es, sagt sie mit teilnahmsloser Stimme. Die letzten Tropfen aber brennen in der Hand. Ja, sage ich. Und ich weiß es: das Allerletzte, was verbleibt, verbrennt dir in der Hand. Wir hatten geschlafen miteinander, als ob wir es nicht mehr wüssten und es übergehen müssten, damals in einem nassen Zelt, als der Juni sich in Regenschauern auflöste und die lehmige Erde wummerte und sich in Pfützen das ferne Spek-takel von Sven Väth zutrug. Die Luft erzitterte in Rhythmen berstender Vulkane, von Lich-termeer umgleißt, während wir aneinanderfaßten wie Ertrinkende in den ausufernden Wasser-lachen unseres kleinen Zeltes, auf dessen Planen wir das Hämmern des Regens nicht mehr hörten. Todkrank waren wir ineinandergesunken, lustlos, und K., im Einsinken des morgend-lichen Regens: Das Allerletze aber verbrennt dir in der Hand.

DAS Allerletzte nämlich verbrennt dir in der Hand. Und dann, sage ich zu ihr, beim Pissen überkommt mich die Lust, mit Daumen und Mittelfinder einen Kreis zu bilden, durch welchen mein Strahl rauscht, ohne dass meine Hand benässt wird. Das Allerletzte aber brennt dir in der Hand.
- Kunststück, sagt sie, ich will das nicht hören. Sag mir nie wieder, was du hören willst, ich will das nicht hören.
Ich entschuldige mich.
– Und sag mir nie wieder, was du hören willst, auf was ich eine Antwort geben soll.
Es ist dumm. Es ist einfach lächerlich.
- Wo sind wir gerade, frage ich.
- Dort, sagt sie, eine Zigarette auf den Boden schnippend, gerade dort, wo sie die Glut zertritt und sich umdreht: gerade dort. Dann verschwindet sie im Nebel des Wummerns, in der Men-ge der Tänzer, und ich verstehe, ich verstehe, warum die Zeiten, in der Anknüpfungen noch möglich waren, unwiderruflich vorbei sind.


L. steht bei ihr. Sehe, wie er seine Hände unter ihr Hemd schiebt, in einer Ecke, die den Schall verkrüppelter Basslinien auswirft. Sowieso wird alles, von einer Sekunde zur nächsten, an-ders. Zuerst steht man daneben und beobachtet, dann ist man in und bei der Menge, ein Teil davon, und dann ist man die Menge, schwerelos, dicht gedrängt, gefühlsleer, außerhalb von Sorge und Schmerz, apathisch zur glasigen Wiederholung neigend. Die ganze Drohung liegt in der Wiederholung, der lauten, kontrollierten, neutralen, blutleeren Wiederholung, die als Wiederholung von Wiederholungen den Schmerz einer Andersweltlichkeit offenbart. Das ist Tekkno. Insofern gleicht kein Takt dem andern, oder er ist die punktgenaue Abbildung von Stunden, von Monaten, Jahren, vielleicht von unerträglichen Ewigkeiten, die auf das Gehör einprasseln. Eine Abänderung des Körpers. Eine Abänderung des Diskurses. Oder ein Ste-henbleiben, oder ein schrittweises Anderswerden im Unmerklichen. Was ist es?

GIBT es Bier? Warum gehen wir nicht wieder nach vorne, rufe ich. L., die Hände unter K.s Hemd vergraben, verzichtet, mich zu betrachten. Es ist zu dunkel hier. Bewegungen wabern im Gegenlicht, Tänzer verschmelzen in Hochöfen, um nicht auseinander zu fallen. Rhythmik als einzige Verteidigung gegen die überheiße Verdichtung des bedrohlichen Klirrens. K.s Brüste erscheinen, unter der Massagetechnik von L.s Händen, immer berechtigter. Ich schaue nicht hin. Ich schaue hin, bemerke, wie sie das Löschpapier teilt, ihre warme, ihre gebende Zunge in unseren Mündern. – Warum nicht, erwidert K. Extasy schmeckt nach Zunge, nach Chemikalie, nach blassem Speichel. Extasy schmeckt nach nichts außer der Farbe Weiß. Ex-tasy schmeckt nach gipsernen Halden, nach weißem Staub, in dem die Grenzen der Intimität versinken. Danach und später würden wir uns den merkwürdigen Extensionen von Raum und Zeit hingeben, den merkwürdig verdichteten Lichtstreifen um uns herum, wir würden wieder-um anders werden und die letzte Glut des Bewusstseins, den letzten Aschekegel, der in uns verraucht, verlassen.

UND noch viel mehr gab es zu überwinden. Wenn nicht eine Moral, die uns schon immer auf-erlegt war, die Moral beispielsweise des Anfangs und des Endes, des Beginnens und Aufhö-rens, des Formens und Abschließens. Wo wann bei was beginnen? Wo ein Ende finden, da alles in die Dauerhaftigkeit gültiger und ewiger Extasen driftet? Der knappe Sinn des Lebens? Was ist das kurze Leben vor dem Kunstwerk, das kein Ende nimmt?

WER bezahlt mit welcher Währung? Man kann zur Toilette gehen, wenn man sie im hallenden Dunkel überhaupt noch findet, man sieht das junge Paar dort oder andere Paare in selbstver-ständlicher Liebespose stehen oder liegen, man wird nicht verrückt daran, man lässt es ge-schehen. Diese Welt ist nicht wild, kein Urwald, kein Aufmarschplatz von Körpercodes. Die-se Welt ist nicht alt oder unansehnlich oder verbraucht. Nein, sie wird mit jedem Atemzug neu geschaffen, mit jedem Musiktakt neu hervorgebracht. Alles wird geschehen, alles lässt man an sich selber geschehen, und was geschieht, gestaltet sich immer wieder neu oder ver-wirft sich an ausgebrannten Punkten. Und vielleicht würde ich auch bald daran denken, mit jemandem zu schlafen, mit einer dieser Tänzerinnen vielleicht - warum nicht mit mir, sagt K. Es wäre das Nüchternste und Unspektakulärste überhaupt. Als bedürfe es lediglich eines mü-den Augenzuckens. Mit schlaffen rotverbrannten Augenlidern sich dieses Zeichen geben, vielleicht ein allerletztes wortloses Zeichen jenseits einer als Müdigkeit empfundenen Frei-heit, ein folgenloses Signal, eine folgenlose Freiheit, ein Einverständnis ins Tun ohne Bild.

UND dies würde geschehen auf der Rückfahrt, während des Badens in einem See entlang der Parallelstraße zur Pappelallee, denn der Wagen würde einknirschen in Kies oder getrocknete Kiefernzapfen, die Horizontlinien über dem stillen Wasser, das betäubte Gehör, wenn wir dann daliegen im nassen kalten Gras, frierend und zähneklappernd die kühle Frühsonne über unseren nackten Körpern, und immer noch die Betäubung in unseren Köpfen. Und MDMA lässt nach, lässt immer weiter nach und uns fast glasig nüchtern werden.

- Was ist es genau, fragt K.
Es ist anders, irgendwie anders, aber wir sind im Begriff, daran zu wachsen.

ICH werde ihre Brüste halten, wenn ich in sie eingedrungen bin, wir werden Mustanggras rau-chen, bedrucktes Löschpapier teilen, in dem die Stoffe nach Sucht enthalten sind. Das Chemi-kalische werden wir schweigend schlucken, in der Hoffnung nach Sehnsucht jenseits dieser verrotteten Plattform, auf der wir uns befinden, denn in der Liebe ist nichts, findet sich nichts, nur schweigend werden wir daliegen, wir werden darauf warten, wie sich die Nebelbänke über dem See verflüchtigen, wir werden hoffen, dass alles vorbei ist, und dann werden wir sagen: Laßt uns umkehren. Es war umsonst, es ist nicht umsonst. Es ist vorstellbar, das ist es, und dahinter ist nichts.


WENN es Wiederholung gab, so doch in unserem Gehör, das sich weigerte, Normalitäten zu akzeptieren. Tonfolgen, Modulationen, und nichts Sehnlicheres, als an einem Punkt zu stehen, an einem Geräusch, das sich selbst der Wiederholung und damit der Vergessenheit verschrie-ben hat. Die Wiederholung selbst scheint eine Erfindung der Moderne zu sein. Aber was zu wiederholen gewesen wäre, in einem Kreis ohne Zentrum, das war ganz im Bereich der seriel-len Musik: Monotone Eisenbahngeräusche, Holpern von Radreifen, Quietschen von Schar-nieren, Ächzen von Pleuelstangen, Zischen von Drehventilen, Fauchen von Überdruckkes-seln, tanzende Regler, der entfesselte Derwisch, der Maschinensaal als Groteke, die techni-sche Moderne als Vervollkommnung der sinnentleerten Wiederholung. Das psychoakustische Panoptikum der Industrialisierung, die Maschine, die Wiederholung selbst als Beispiel des maschinellen Daseins: das waren sicherlich die Komponenten einer Erbschaft. Die minimal-music eines Terry Riley, eines Moondog, eines John Cage, die Szene der siebziger Jahre in den upper lofts von New York erdachte sich am Beispiel des perpetuum mobile eine Musik, die darauf setzte, den Trancegehalt von Maschinendrehungen in Musik zu transformieren, wenn nicht die Musik zur Maschine wurde, als deren Vorbild dann Tekkno galt. Die Schwuchtelszene von Detroit. Die Schwulen von Detroit. Eng umklammert, auf der Suche nach der Frage, warum Kaufhausmusik so endlos glücklich machen kann. Die Erfindung des Endlosbandes. Die Erfindung des Penis. Die Erfindung des Endloskonsums. Die Erfindung der street parades. Die Erfindung der Belanglosigkeit. Die Erfindung des Zusammenhangs von Sex und Dekadenz. Das war house, das war Musik für gleichgeschlechtliche Männer aus der Subkultur der Dauererektion.

ABER auch in den Vorstädten von Kingston, in den Favelas des südamerikanischen Subkonti-nents, in den Slums von Kinshasa und den Baracken arabischer Vorstädte braute sich etwas zusammen, was eng mit der neu erfundenen Kultur von sampling, mixing und delay zu tun hatte. Das Material war nichts als das Geräusch selber, ein urbanes Geräusch, ein globalisier-tes Zeichenmaterial, auf dessen Vorrat der moderne Mensch immer wieder zurückgreifen konnte, selbst wenn es sich um das Scheppern eines sich drehenden Blechdeckels handelte. So war der Zeichenvorrat der Moderne in digitalen Archiven konserviert, die unermüdlich aufge-rufen, aufgeblättert, wiederholt, gemixt, verzögert oder beschleunigt werden konnten, so dass die jahrtausende alte Frage, ob Kunst nicht göttlich sei, nun endlich beantwortet werden konn-te. Der postmoderne DJ endlich, Herr über irdische und kosmische Klänge, verstieß den lach-haften Gitarrenhelden, verstieß die gerontologische Gemeinde der konservativ Gläubigen, verschwand hinter dem biblischen Trennvorhang und generierte die Endzeit an einem massi-ven Mischpult.

DIE Ewigkeit begann, als Tekkno begann, und die Ewigkeit begann, als wir das Wunder ge-wisser hospitalisierter Patienten sahen, die ihre Köpfe wieder und wieder und immer wieder gegen die Wand schlugen. Als sei die Ästhetik der Wiederholung in sich genommen schmerz-frei. Tekkno ist schmerzfrei, sagten wir. Das Schlagen unserer Köpfe gegen weißharte Wände ist schmerzfrei, sagten wir. Wir schlagen unsere Köpfe gegen die Wand, es ist kalt jetzt, es bleibt uns doch eh nichts mehr zu tun. Die Liebe zur Selbstzerstörung findet eh nur im Para-dies statt. Es ist das Paradies. Dort schlagen wir unsere Köpfe gegen weiße Wände, die nicht sind, und suchen den Widerstand, den Schmerz, der nicht kommen wird und ausbleibt wie ein unbegriffenes Unglück. Wir begreifen es nicht, oder wir haben vergessen, wo wir sind.

- Laß uns umkehren, sagt K. Ich habe Angst, sagt sie.

UND da sie sich erhebt, wischt sie sich Grashalme vom Rücken, lehmige Erde vom Po, etwas tropft von ihren Schenkeln, ich kenne es, es tropft zur Erde, tropft ins Gras, in die graszer-drückten Umrisse unserer Körper, ich kenne es, kannte es immer, kannte es immer wieder, es wird nichts sein, die Tropfen fallen zur Erde und werden dort wurzellos schillern, bis sie ver-trocknen oder von Schnecken und Würmern gefressen werden. Wir sollten darauf achten, dass es nichts Wirkliches gibt, keine Wirklichkeiten als die unserer Simulation. Wir schlüpften in unsere taunassen Kleider, wir verbargen unsere nutzlose Geschlechtlichkeit und rauchten, später im beschlagenen Wagen, noch einmal einen letzten Joint.

UND dann waren wir wieder zurückgekehrt in die Stallung. Allein die Erinnerung an etwas, das keine sprachliche Form gibt, kann süchtig machen. Jeder Kiffer weiß es. Jeder Alkoholi-ker weiß es. Allein die sprachliche Erinnerung ist alt. Sie gibt nichts und hat nichts, als sie nicht die Droge wäre, an dem sich das schreibende Herz vernutzt. Aber das ist alt. Das Auf-schreiben ist alt. Das ganze Instrumentarium unserer Mitteilungen ist alt. Das Schluchzen der Geigen ist alt. Sonnenuntergänge sind alt. Die Gesichter, in die wir starren, von Altersmüdig-keit überzogen. Wir selber sind alt. Der kulturelle Vorrat unserer Diskurse, unserer Rituale und Körpergesten ist alt. Alt sind die Techniken, die das Sentimentale zum Vorwand eines Erlebnisses erheben. Alt auch diejenigen, die zu sprechen beginnen in der Abgeschliffenheit immer schon abgeschliffener Formeln. Literatur, Sprache ist alt. Das Blattzinn des Spiegels, die Narben der Nächte, die Fotos, die Archive der Erinnerungen, die künftigen Kalender. Die Farben des Tages, die Eintrübungen des Milchglases, das Unaushaltbare: die einverständliche Einübung ins Kollektiv der sozialen Erfahrungswesen. All diese Erzählungen sind alt. Eine Beschreibung ist alt. Die Romane sind leer. Die Räume, in denen wir leben, von Alterungsris-sen durchsetzt. Die Angst, in abgetragenen Kleidern zu sterben. Kein Raum vorrätig in unse-rem Bewusstsein, in dem wir hätten weinen können.

- Laß uns umkehren, sagt K. Mir ist kalt, sagt sie.


JA, vor allem, es gab Bier. L. trafen wir, taumelnd, kaum noch ansprechbar, in den Armen eines verwirrten süßen Engels. Inmitten des Trommelgewitters hörten wir die Stimme des Wesens, das da am Mischpult geradezu kollabierte, überwältigt vom tranceartigen Gewitter einer vollkommenen Sichtbarmachung: Save me, schluchzte es in den Pausen, save me, save me. Save me. Save me. Save me.

Save me.

Save me.


DAS war, so glaube ich, nachmittags gegen siebzehn Uhr, als wir es nicht mehr packten. Das Licht über dem Mischpult glomm immer noch. Die Musik hämmerte, etwas Religiöses hatte die Menge erfasst, die nun knieend, auf dem Boden in tiefer Versenkung lagernd, der neuen Etappe entgegenharrte. Und auch etwas Gefährliches war über unser Bewusstsein gehuscht: Eine Art Schatten, eine Art Verbrauchtsein, das uns tiefer noch in unsere Ausweglosigkeit stieß, an Landschaften vorbei, schattenhaft Schatten am frühen Abend, ein Wechsel, den wir nicht begriffen, im Kupfertunnel der untergehenden Sonne, während die Tachonadel stieg und der Wagen noch immer nicht zur Grenze gefahren war, immer schneller und schneller mit der Lust eines kompletten Vergessens, wie es nur ein Unfall ohne Überlebende hätte sein können. Schneller und schneller fuhren wir, mit allen Anzeichen der ausweglosen Flucht, und die Scham wie die Schamlosigkeit überkam uns, als wir mit knirschenden Reifen zum See einbo-gen. Es überkam uns die Wildheit plötzlicher Verzweiflung. Es überkam uns nichts als die Existenz einer Pause, einer Pause zwischen zwei Leben, die wir nicht hatten, schweigend, nackt, wie wir dalagen, bei aufkomnmenden Nebeln in Zyrruswolken enthoben, in die wir starrten, in mattkupfernere Abendwolkenfetzen, mit der entsetzlichen Angst zu überleben, mit der entsetzlichen Angst, zur Normalität geworden sein, noch bevor uns die Vergewisserung hatte. Am feinen Knistern erkannte ich, wie L. den Joint drehte. Ich blickte nicht hin. Sterne brachen aus, verließen die Bahnen, entfernten sich, wurden kleiner, verschwanden in einer unzähligen Nacht. Vielleicht schlief ich schon. Einmal noch schauten wir zum See, an dessen Ufer unentwegt dunkelkristallene Wellen schwappten. Ein Trecker war zu hören, oder von Ferne so etwas wie landwirtschaftlicher Verkehr. Die Bäume rastlos, die Zeit eine Nebenhöh-le, in der Infektionen lauerten, gefährliche Keime, Ausbrüche ungeahnter Ängste, und der Beginn der leeren ausgebrannten Nacht, die wir uns wie heilige Speise reichten.

KEIN Stern, der uns führte. Keine Geschenke, nichts.

LAßT uns umkehren, sagte K.

UND wir erhoben uns, todmüde, und in der glasigen nackten Erinnerung raste etwas vorbei, an das wir kurzfristig dachten, vielleicht so dachten, als dass wir wirklich zurückkehren müssten, und dann vielleicht so dachten, als wäre so etwas wie ein Schatten an uns vorbeigerast, und als hätte das Überleben bei zu schneller Fahrt keinen Sinn mehr gemacht.
 
H

HFleiss

Gast
Thaddäus, diese Art Texte muss man sowieso mögen, um dabei einen ästhetischen Genuss empfinden zu können. Der Text gibt sich intellektuell, er ist gespickt mit nicht ganz zu häufig benutzten Fremdwörtern (nicht herausgefunden haben ich, was das Wort "Repetitives" bedeutet), aber mein Eindruck ist doch, dass sich über das Ganze ein Schleier des Kommste-heute-nicht-kommste-morgen (des Drogenrausches?) breitet, insofern ist er Ausdruck der Zeit. Inhaltlich hat mir der Text wenig bis gar nichts gegeben, sicher bin ich eine andere Generation als du, dort wird der Grund liegen, aber es soll ja Leute geben, die schon mit einem der heuer so seltenen Körnchen zufrieden sind und in deinem Text wahre Stilschönheiten ausmachen. Du merkst also, ich kann mit diesem Text nicht allzuviel anfangen, und es gibt wohl mehr Leute, denen es genauso ergeht. Was nun nicht heißen soll, dass ich überhaupt kein Gefühl für deinen Text hätte. Doch, durchaus, einige Sätze sind dir sehr schön gelungen, und das hat gemacht, dass ich den Text von Anfang bis Ende gelesen habe, immer auf der Suche nach einer "Perle", wenn er mich auch nicht unbedingt gefesselt hat. Trotzdem, ein wenig ratlos stehe ich schon vor diesem Text.

Gruß
Hanna
 

Thaddäus

Mitglied
Liebe Hanna,

hab ganz lieben Dank für die Arbeit des Lesens und Kommentierens. Deine Kritik nehme ich gerne entgegen - ist es doch so, daß Texte und die ihnen zugrunde liegenden Erfahrungsgehalte nicht immer unseren Dispositionen entsprechen. Gottlob, möchte man sagen. Nun meine ich aber, daß erschriebenes Leben immer auch ein Wagnis ins Offene ist, und das Offene, wenn es denn zur Abbildung kommt,gewissermaßen auch ein "Störfall" von Literatur ist. Diese drei jungen Menschen, die abends zu einer Tekkno-Party fahren, um am nächsten Tag entnervt zu sich zu finden, sind so ein "Störfall". Denn alles, was sie erleben und wovon sie sich abgrenzen, richtet sich gegen die bürgerlichen Konventionen, richtet sich gegen konventionelles Denken, wie überhaupt der Abschied von der vertrauten Welt ein tiefer Schmerz ist. Ihn irgendwo einzufangen, ihm Ausdruck zu verleihen, auch das Angstsyndrom zu identifizieren, das in unserer übervollen, tatsächlich aber bezugs- und heimatlos gewordenen entleerten Welt steckt - das war näherungsweise die Absicht. Man mag zu Recht dies Thema nicht zu seinem eigenen machen; ich hege allerdings den Verdacht, daß der Eintritt in die Postmoderne - und damit verknüpft auch der Eintritt ins digitale Zeitalter - uns Älteren doch Abschiede und veränderte Seh- und Wahrnehmungsweisen aufnötigt, sozusagen eine sich ändernde Diskursivität, vielleicht so, wie sie in 'time warp' versuchsweise angedeutet wurde. - Ja, liebe Hanna, das Wort 'repetitiv' gibt es tatsächlich, und daraus gewonnen die Beugung des Substantivs. - Dir nochmals Dank für deinen sehr einlassenden Kommentar

mit liebem Gruß
Thaddäus
 
D

Dominik Klama

Gast
Altered States of Mind

Eher ein Essay über die Kultur von Techno als eine Erzählung.

> „...mit der entsetzlichen Angst, zur Normalität geworden sein, noch bevor uns die Vergewisserung hatte.“

Wenn ich anfangen würde, hier alles hin zu kopieren, was ich da oben schlicht nicht verstehen kann, würde das noch viel, viel länger. Ja, diese Schreiber immer, die sich freuen, dass irgendwie normal Vergewisserte ihre elitären Texte schon mal gar nicht verstehen können. Ich frag mich dann bloß, ob die einen einzigen Menschen, wirklich, nur einen einzigen Menschen in ihrer Nähe haben, der wirklich jeden Satz versteht, den sie so verzapfen. Ob die das jemals getestet haben? „So... Kleines Spielchen jetzt. Du hast doch mein Werk so gut gefunden. Jetzt erklär mir mal, was Leute sind, die entsetzlich Angst davor haben, von einer Vergewisserung gefangen zu werden!“

> „Heimat ist Vordergrundgeschehen, in dem nichts passiert als die Prostitution vordergründiger Bilder. Heimat ist vordergründige Erkennbarkeit, einfachste und antiintellektuelle Technik für Menschen mit einfachen und antiintellektuellen Mustern.“

Klingt irgendwie, als würde es was sagen. Aber natürlich nicht den Menschen der Heimat. Die sollen einen ja nicht verstehen. Nicht die!

> „Abstrakte Bilder, die in würgender Zahl hervorgebracht irgendwo hingen, eins durch das andere ausbeutbar, eins durch das andere ersetzbar, ergänzbar oder komplettierbar.“

Sich gegenseitig ausbeutende Bilder. Aha. Und in den Bars hingen sie wohl ebenfalls damals.

> „Das Muster wiederholte sich, spätestens nach der Erfindung der E-Gitarre, die nichts gab außer die Banalität von vier Oktaven, die sich unermüdlich an ausgedienten Brüsten sättigten, stereotyp saugend, mit ausgedienten Gesten, ausgedientem Repertoire, blätterndem Geschminke und Gefuchtel, Fratzenschneiderei und Kostümierung.“

Ich sag noch nicht mal, dass es gute Musik ist oder dass sie mir gefällt, aber irgendwie ist niemand berechtigt, E-Gitarrenmusik so runterzuputzen, der nicht mindestens fünf Platten mit Charlie Christian oder Wes Montgomery gehört hat. (Das ist Jazz, für alle, die es nicht wissen.)

> „Die ganze Drohung liegt in der Wiederholung, der lauten, kontrollierten, neutralen, blutleeren Wiederholung, die als Wiederholung von Wiederholungen den Schmerz einer Andersweltlichkeit offenbart. Das ist Tekkno.“

Es gibt die Welt und es gibt Andersweltlichkeit. Und Andersweltlichkeit tut weh. Und wird von Techno offenbart. Nämlich in in in in Wiederholungen Wiederholungen Wiederholungen Wiederholungen, die blutleer sind. Schön. Wer’s mag.

> „K.s Brüste erscheinen unter der Massagetechnik von L.s Händen immer berechtigter.“

Meine Brust dagegen erscheint unter der Massage von J. immer unberechtigter. Will sagen, sie existiert, hat aber kein Recht dazu.

> „Diese Welt ist kein Aufmarschplatz von Körpercodes.“

Was ist denn ein Aufmarschplatz von Körpercodes? Was ist überhaupt ein Körpercode? Mein Taillenspeck hängt einen Zentimeter über den Gürtel meiner Jeans. Das ist ein Körpercode. Und wenn man ihn entschlüsselt, kommt die Botschaft raus: Ich bin zu dick.

> „Was geschieht, gestaltet sich immer wieder neu oder verwirft sich an ausgebrannten Punkten.“

Verwirft sich überhaupt jemals was an Punkten, auch wenn diese vorher nicht gebrannt haben? „Die Erdkruste verwarf sich an den Punkten mit dem höchsten Magnetismus.“ So etwa?

> „Bläuliche Schatten auf unseren Gesichtern, wenn wir uns wieder zuwandten, zu sprechen begannen, bei steigender Nadel wehende graublaue Türme, ziegelblinde Mauern, fliegendes Pappelgelb, etwas Nervöses, das uns zerfraß. Jagende Bilder, die uns zerfraßen, sich selbst zerfraßen bei jedem aufkreischenden Kurvenwechsel.“

Oh wau! Was ist hier los? Da sitzen paar junge Leute im Auto, fahren übers platte Land zu einem Techno-Rave und sehen aus Ziegelsteinen gemauerte Gehöfte, paar Silos und herbstliche Pappeln. Sie fahren immer schneller und werden unsicher in den Kurven. Und das frisst, frisst und zerfrisst sie. Aber nicht ganz. Poeten bleiben sie allemal.

> „Es war umsonst, es ist nicht umsonst. Es ist vorstellbar, das ist es und dahinter ist nichts.“

Klingt irgendwie wie Literatur. Wie Kunst geradezu.

> „Die Minimal Music eines Terry Riley, eines Moondog, eines John Cage.“

Ist mir jetzt einigermaßen neu, dass John Cage Minimal Music gemacht habe. Nicht eher aleatorische? Maschinenmusik hat er auch nicht gemacht, eher Geräuschmusik.

> „Die Schwulen von Detroit. Die Erfindung des Endlosbandes. Die Erfindung des Penis. Die Erfindung der Street Parades. Die Erfindung der Belanglosigkeit. Die Erfindung des Zusammenhangs von Sex und Dekadenz.“

Waren das nicht eher so Genossen wie Nero und Caligula, die den Zusammenhang von Sex und Dekadenz erfunden haben? Bzw. David Wark Griffith? Und wenn schon, waren es dann nicht eher die Schwuchteln vom Sound of Philadelphia? Die waren immerhin etwas früher dran.

Und wenn wir schon so gebildet sind, dann nehmen wir halt alles, was wir an Halbwissen so im Schädel schmoren haben. Detroit ist gleich Auto ist gleich Ford ist gleich Conveyor Belt. Und wenn schwarze Schwule in ausgerechnet Detroit die House-Musik erfinden, muss das, geht nicht anders, was zu tun haben mit den Fließbändern.

> „Lächelnd schauten wir die Masse, die uns aufnahm, die uns gab und nährte mit inwendigen Augen, in denen wir verschwanden, untertauchten, mit dem Körper vernäht, mit dem Hirn vernäht, mit unseren Psychosen vernäht, die diese Musik spiegelte, mit unseren psychischen Aberrationen und Distortionen vernäht.“

Vernäht und zugenäht, Schock schwere Not! Da geht’s aber zu! Aberrationen, Distortionen, Dystrophien, Dialysen, Abominables allenthalben.

> „Die Tropfen fallen zur Erde und werden dort wurzellos schillern.“

Ja, Tropfen haben keine Wurzeln. „Herzen haben keine Fenster.“ (Elfie Graf)

> „Der postmoderne DJ verstieß den lachhaften Gitarrenhelden, verstieß die gerontologische Gemeinde der konservativ Gläubigen, verschwand hinter dem biblischen Trennvorhang und generierte die Endzeit am massiven Mischpult.“

Und erinnert sich noch überhaupt irgendwer an Sonny Sharrock und James Blood Ulmer? Das war vor Techno. Und auch elektrische Gitarre. Also sehr gerontologisch. Echt? Erinnere ich jetzt leicht anders.

> „Die Romane sind leer.“

Aber dieser Text ist voll. Voller Getue.
 

Thaddäus

Mitglied
Yo Dominik,

bleib doch bitte in Deinem Sessel: und kapier: der Text ist doch niemals für Leute wie DICH geschrieben …!!! Und auch niemals für Leute, die Adorno, Rainald Götz und Diedrich Diederichsen grundsätzlich verschlafen haben… ! Du bist hier an falscher Adresse, wie Du selber bemerkst, und deswegen, leider, schickt Dir der Text auch keine hübschen Grusskarten … Gell, das ist bestürzend! Und hättest du anstatt zu geifern Dich um sachliche Auseinandersetzung und konstruktiven Dialog bemüht, wir hätten Freunde werden können bei Kerzenschein und der Gitarrenmusik von John McLaughlin und Eivind Aarset. So aber Gute Nacht! Sleep well!

Yo move t
 
D

Dominik Klama

Gast
Sitzt wie die Faust auf dem Auge.

Theodor W. Adorno, Diedrich Diederichsen, Rainald Goetz. Das sind alles Leute, von denen ich wohl kaum mehr als 100 Zeilen gelesen habe. Und dann beschlossen, mich nie wieder um die Konsorten zu kümmern. Aber sie haben ja ihre Fans. Es wird also schon was dran sein. Man kann nicht alles verstehen. Muss doch auch mal ausschlafen.

Aarset und McLaughlin sind allerdings Burschen, die ich mehr so vom Namen her als von der Musike kenne. Wie ich überhaupt gar kein so Jazz-Fan und auch kein großer Anhänger der Gitarrenmusik bin.

Ich mag ja eher so was wie Beach Boys, Loving Spoonful, Prefab Sprout oder Michael Franks. Die Schule der Niedlichkeit. Also, Tekkno natürlich gar nicht.

Obwohl's super passen würde, genieße ich den Flausch allerdings nie mit Kerzenschein, Dufthütchen, Norwegerpullis, Zimsternen und Rotwein, versonnen meinen Waldi kraulend. Und natürlich auch nicht mit Ecstasy und Löschpapiertrips. Hol, ich dann vielleicht noch nach, wenn der Wecker klingelt und ich aufwache und siebzig bin.
 

Thaddäus

Mitglied
Yahman,

thx für Deine nette Antwort. Ich habe nachzutragen, was ich Dir eh schuldig geblieben war: Dir kollegialen Dank zu sagen für die Ausgrabung, die Lektüre und kritische Kommentierung einer meiner älteren Texte.

Zwischenzeitlich habe ich es abgelehnt, in gewissen rückständigen Literaturforen Beiträge zu veröffentlichen: woanders stehe ich besser da. Aber laß uns nicht streiten über Literatur aus Anlass des Musikgeschmacks. Man müßte ja, um ein Beispiel zu geben, auch den Thomans Mann steinigen, der im Dr. Faustus die Kakophonie der 12-Ton-Musik verewigte (übrigens unter Hinzuziehung keines Geringeren als dem schon im Exil lebenden Adorno).

Dir, lieber Dominik, biete ich Respekt an, und, in Gottes Namen: Einigen wir uns auf Sigur Rós?

Yo move t
 
D

Dominik Klama

Gast
Okay, Sigur Rós kamma nehm.
Ecstasy vielleicht auch. Hab halt noch nie. Wird aber halt nicht gut sein für mich. Substanzen machen mich immer ganz fertig. Körperlich.
"Doktor Faustus" bin ich seit ewigen Monaten versackt drin, hab einfach keine Lust, es wieder zur Hand zu nehmen. Find, der Mann'sche Thomas kann halt so schön schreiben. Aber, dann immer über so langweiliges Zeugs...
Schönberg muss man wichtig nehmen, les ich immer wieder mal. Klingt aber so unattraktiv in mein' Ohren.
Aber nich, dass ich jetzt Sigur Rós für die Klassik des XXI Säkulums halten würd.
Tipp an alle: Wer Mitglied ist, kann mit der Volltextsuche in Gestalt des Fernglases auf der Startseite nach Wörtern, die ihn interessieren, nicht nur in allen Titeln, sondern auch in allen Werken und selbst noch in allen Antworten suchen gehen. Carl Craig, ob der wo kommt, weiß ich jetzt nich, abba Stephen Sondheim zum B kennt hier noch keine Sau.
Und ich kam hierhin wegen den SCHWUCHTELn von Detroit.
(Okay, Diedrichsen nehm ich zurück. Man hat mir gesagt, er schreibt schon lang nicht mehr so wie vor 30 Jahren, als ich beschlossen hab, nie mehr was von ihm zu lesen.)
(Man hat mit gesagt, obiger Text ist die Mittelphase von Rainald Goetz.)
 



 
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