Ein junger Mann, 21 Jahre alt, träumt davon, Amerika zu sehen. Und nicht nur das. Auch noch mehr von der Welt, möglichst alles.
Es geht nicht, denn eine Mauer trennt ihn von seinen Wünschen. Aber in der Luft ist keine Mauer. Also will er Pilot werden. Fliegen - weit, weit weg. Aber das ist nur möglich, wenn er in die Armee eintritt.
Das widerstrebt ihm.
Also wird er Kellner. Fachkellner - er kann sich keinen blöderen Job vorstellen. Aber er weiß, wenn er seinen Job gut macht, bekommt er eine Menge Trinkgeld und kann sich einiges erlauben, kann bis zur Ostsee fahren, in teuren Hotels logieren und mit seinen Freunden feiern. Er macht seinen Job tatsächlich gut. Er macht alles das, was er sich vorstellt, aber irgendwann kommt er immer wieder nur bis zur Mauer. Dort geht es nicht weiter.
Diese Scheiß-Mauer, die sein Leben bestimmt.
Er sagt zu seiner Mutter: "Das kann nicht alles sein. Eine Arbeit, Geld, eine Wohnung, Freunde. Und dann Ende der Träume durch die Mauer. Ich will noch mehr von der Welt sehen."
Die Mutter besänftigt ihn. Er soll abwarten, irgendwann wird es alles besser werden, irgendwann werde der Weg frei sein.
Mit 21 Jahren ist Warten schwer. Der junge Mann wartet nicht mehr, er flieht über diese Mauer, gemeinsam mit einem Freund. Ein weiterer Freund traut sich nicht. Sonst ist niemand eingeweiht.
Die Grenzsoldaten an der Mauer funktionieren perfekt. Sie schießen den jungen Mann nieder. Er hat keine Chance, stirbt kurze Zeit später. Sein Freund überlebt, erfährt aber die ganze Härte des Gesetzes, die ihn von einem Tag auf den anderen erwachsen werden und seinen früheren Humor verlieren lässt. Nach einem Jahr Gefängnis wird er nie mehr der Alte sein.
Die Mutter des jungen Mannes erfährt bald darauf kurz und knapp, dass ihr Sohn tot ist. Erschossen an der Mauer. Total gelähmt durch diese Nachricht gerät sie in die Mühlen des Staatssicherheitsapparates, muss sechs Wochen lang Rede und Antwort stehen.
Sie lebt von einem Tag auf den anderen, weiß nicht, wie sie überhaupt weiterleben soll. Dann, nach sechs Wochen, sagt der Verhörer: "Ihr Sohn war wohl aufmüpfig. Was macht man mit jungen Wildpferden? - Genau, man knallt sie ab."
Ihr Sohn ist einfach ein abgeknalltes Wildpferd.
Da reicht es der Mutter. Sie weiß, sie muss weg, weg aus diesem Land. Wenige Monate später reist sie aus. Und noch einige Monate später fällt diese Mauer.
Zu spät für den 21-jährigen. Der Letzte, der an der Mauer sterben musste. Weil er die Welt sehen wollte. Hätte er bloß gewartet. Hätte, hätte, hätte. Das Leben findet nicht im Konjunktiv statt.
Die Mutter erzählt nun überall seine Geschichte. Damit ihr Sohn ein Gesicht bekommt, damit jeder seine Motive weiß, damit die nächste Generation alles erfährt, damit die Mauer und ihre Folgen niemals vergessen werden, damit die vollkommene Sinnlosigkeit dieses "Schutzwalles" klar wird. Wenn diese Frau dann dabei weint, hört sie auf, die Anonymität von zig Mauertoten der deutsch-deutschen Teilung.
Das Urnengrab des jungen Mannes wurde mehrere Jahre lang geschändet. Seine Stele wird es bis heute. Von wem? Keiner weiß es.
Der Freund, der sich damals nicht traute, über die Mauer zu fliehen, hat in Amerika alle Träume von damals verwirklichen können. Er sagt, er habe es auch für seinen toten Freund getan. Und weint dann.
Scheiß-Mauer!
(Eindrücke einer Abends mit Karin Gueffroy, der Mutter des letzten Mauertoten Chris Gueffroy. Veranstaltet von der Stiftung zur Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit.)
Es geht nicht, denn eine Mauer trennt ihn von seinen Wünschen. Aber in der Luft ist keine Mauer. Also will er Pilot werden. Fliegen - weit, weit weg. Aber das ist nur möglich, wenn er in die Armee eintritt.
Das widerstrebt ihm.
Also wird er Kellner. Fachkellner - er kann sich keinen blöderen Job vorstellen. Aber er weiß, wenn er seinen Job gut macht, bekommt er eine Menge Trinkgeld und kann sich einiges erlauben, kann bis zur Ostsee fahren, in teuren Hotels logieren und mit seinen Freunden feiern. Er macht seinen Job tatsächlich gut. Er macht alles das, was er sich vorstellt, aber irgendwann kommt er immer wieder nur bis zur Mauer. Dort geht es nicht weiter.
Diese Scheiß-Mauer, die sein Leben bestimmt.
Er sagt zu seiner Mutter: "Das kann nicht alles sein. Eine Arbeit, Geld, eine Wohnung, Freunde. Und dann Ende der Träume durch die Mauer. Ich will noch mehr von der Welt sehen."
Die Mutter besänftigt ihn. Er soll abwarten, irgendwann wird es alles besser werden, irgendwann werde der Weg frei sein.
Mit 21 Jahren ist Warten schwer. Der junge Mann wartet nicht mehr, er flieht über diese Mauer, gemeinsam mit einem Freund. Ein weiterer Freund traut sich nicht. Sonst ist niemand eingeweiht.
Die Grenzsoldaten an der Mauer funktionieren perfekt. Sie schießen den jungen Mann nieder. Er hat keine Chance, stirbt kurze Zeit später. Sein Freund überlebt, erfährt aber die ganze Härte des Gesetzes, die ihn von einem Tag auf den anderen erwachsen werden und seinen früheren Humor verlieren lässt. Nach einem Jahr Gefängnis wird er nie mehr der Alte sein.
Die Mutter des jungen Mannes erfährt bald darauf kurz und knapp, dass ihr Sohn tot ist. Erschossen an der Mauer. Total gelähmt durch diese Nachricht gerät sie in die Mühlen des Staatssicherheitsapparates, muss sechs Wochen lang Rede und Antwort stehen.
Sie lebt von einem Tag auf den anderen, weiß nicht, wie sie überhaupt weiterleben soll. Dann, nach sechs Wochen, sagt der Verhörer: "Ihr Sohn war wohl aufmüpfig. Was macht man mit jungen Wildpferden? - Genau, man knallt sie ab."
Ihr Sohn ist einfach ein abgeknalltes Wildpferd.
Da reicht es der Mutter. Sie weiß, sie muss weg, weg aus diesem Land. Wenige Monate später reist sie aus. Und noch einige Monate später fällt diese Mauer.
Zu spät für den 21-jährigen. Der Letzte, der an der Mauer sterben musste. Weil er die Welt sehen wollte. Hätte er bloß gewartet. Hätte, hätte, hätte. Das Leben findet nicht im Konjunktiv statt.
Die Mutter erzählt nun überall seine Geschichte. Damit ihr Sohn ein Gesicht bekommt, damit jeder seine Motive weiß, damit die nächste Generation alles erfährt, damit die Mauer und ihre Folgen niemals vergessen werden, damit die vollkommene Sinnlosigkeit dieses "Schutzwalles" klar wird. Wenn diese Frau dann dabei weint, hört sie auf, die Anonymität von zig Mauertoten der deutsch-deutschen Teilung.
Das Urnengrab des jungen Mannes wurde mehrere Jahre lang geschändet. Seine Stele wird es bis heute. Von wem? Keiner weiß es.
Der Freund, der sich damals nicht traute, über die Mauer zu fliehen, hat in Amerika alle Träume von damals verwirklichen können. Er sagt, er habe es auch für seinen toten Freund getan. Und weint dann.
Scheiß-Mauer!
(Eindrücke einer Abends mit Karin Gueffroy, der Mutter des letzten Mauertoten Chris Gueffroy. Veranstaltet von der Stiftung zur Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit.)